Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.75/2006
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1P.75/2006 /bie

Urteil vom 28. März 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Reeb,
Gerichtsschreiber Störi.

X.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Beat Luginbühl,

gegen

Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland, Untersuchungsrichterin 4,
Amthaus,
Hodlerstrasse 7, 3011 Bern,
Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland,
Prokurator 2, Amthaus, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern,
Haftgericht III Bern-Mittelland, Haftrichter 1,
Amthaus, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern.

Anordnung von Ersatzmassnahmen,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Haftgerichts III Bern-Mittelland, Haftrichter 1,
vom 20. Dezember 2005.

Sachverhalt:

A.
Die Untersuchungsrichterin 4 des Untersuchungsrichteramtes III
Bern-Mittelland führt gegen X.________ ein Strafverfahren wegen
qualifizierter Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz. Sie verdächtigt
ihn, zwischen dem Sommer 2004 und August 2005 einen Versandhandel mit
Marihuana betrieben zu haben und dabei mindestens 142 kg Hanf abgesetzt und
einen Umsatz von über einer dreiviertel Million Franken erzielt zu haben

Auf Gesuch der Untersuchungsrichterin erkannte der Haftrichter des
Haftgerichts III Bern-Mittelland am 20. Dezember 2005:
"1.X.________ werden unter Androhung der sofortigen Inhaftierung bei deren
Nichteinhaltung nachfolgende Ersatzmassnahmen auferlegt:
a)Gegen X.________ wird eine Schriftensperre bezüglich Reisepass und
Identitätskarte angeordnet.
b)X.________ ist es untersagt, während der Dauer des Verfahrens die Schweiz
zu verlassen.
c)X.________ hat sich einmal pro Woche bei der Polizei an seinem jeweiligen
Wohnort zu melden."

A.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 1. Februar 2006 wegen Verletzung von
Art. 9 und Art. 10 Abs. 2 BV beantragt X.________, diesen Entscheid des
Haftgerichts aufzuheben. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.

In seiner Vernehmlassung beantragt der Haftrichter, die Beschwerde
abzuweisen. Die Untersuchungsrichterin verweist im Wesentlichen auf ihren
Antrag und ihre Vernehmlassung ans Haftgericht, an denen sie festhält. Der
Prokurator 2 der Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland beantragt unter
Verweis auf den Haftentscheid und die Ausführungen der
Untersuchungsrichterin, die Beschwerde abzuweisen.

X. ________ hält in seiner Replik an der Beschwerde vollumfänglich fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid des Haftrichters ist ein kantonal
letztinstanzlicher Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde
zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer wird durch die
streitigen strafprozessualen Zwangsmassnahmen (Schriftensperre und
Meldepflicht) beschwert und rügt die Verletzung verfassungsmässiger Rechte,
wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde, unter dem
Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38
E. 3c; 125 I 492 E. 1b,) einzutreten.

2.
Nach Art. 176 Abs. 2 des Gesetzes über das Strafverfahren des Kantons Bern
vom 15. März 1995 (StrV) kann Untersuchungshaft u.a. angeordnet werden, wenn
die angeschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend
verdächtig ist und Fluchtgefahr besteht. Von der Anordnung von
Untersuchungshaft ist abzusehen, wenn sich der Zweck der Massnahme durch
mildere Massnahmen wie Sicherheitsleistung, Schriftensperre, Meldepflicht bei
einer Amtsstelle etc. erreichen lässt (Art. 177 Abs. 1 StrV).

Besteht ausser dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts
Fluchtgefahr, steht der Anordnung von Untersuchungshaft und damit auch einer
weniger weit gehenden Ersatzmassnahme unter dem Gesichtswinkel der
persönlichen Freiheit von Art. 10 Abs. 2 BV grundsätzlich nichts entgegen.

3.
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer dringend verdächtig ist, über
einen Versandhandel über 140 kg Drogenhanf abgesetzt und damit in
qualifizierter Weise gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben.
Umstritten ist einzig, ob Fluchtgefahr bestehe.

3.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Anordnung von
Untersuchungshaft genügt die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich
allein nicht für die Annahme von Fluchtgefahr. Eine solche darf nicht schon
angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise
besteht. Vielmehr müssen konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht
nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe
der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht
begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 2a; 117 Ia 69
E. 4a; 108 Ia 64 E. 3; 107 Ia 3 E. 6). Unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismässigkeit darf strafprozessuale Haft nur angeordnet werden, wenn
die Fluchtgefahr nicht durch mildere Ersatzmassnahmen wie einer Pass- und
Schriftensperre und/oder der Pflicht zur regelmässigen Meldung bei einer
Behörde gebannt werden kann. Derartige Ersatzmassnahmen sind allerdings nicht
nur weniger einschneidend, sondern auch weniger wirksam. Sie können daher
zwar einer gewissen Fluchtneigung des Angeschuldigten vorbeugen (vgl. BGE 130
I 234 E. 2.2), sind aber bei ausgeprägter Fluchtgefahr unzureichend. Die
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Annahme von Fluchtgefahr sind
dementsprechend für strafprozessuale Haft höher als für die Anordnung von
milderen Ersatzmassnahmen.

3.2 Der Beschwerdeführer wurde am 17. April 2001 wegen
Betäubungsmitteldelikten zu einer 18-monatigen, bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe verurteilt. Nach den Vorwürfen der Untersuchungsrichterin hat
er im Sommer 2004 - d. h. unmittelbar nach dem Ablauf der 3-jährigen
Probezeit - einen umfangreichen Drogen-Versandhandel aufgezogen. Für den Fall
einer Verurteilung muss er daher mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe
rechnen, es erscheint fraglich, ob diese (nochmals) bedingt ausgesprochen
wird bzw. ausgesprochen werden kann. Nach seinen eigenen Angaben hat der
Beschwerdeführer seit 13 Jahren enge Beziehungen zu Thailand; er hält sich
regelmässig dort auf und verfügt dort (als Dauermieter oder Besitzer) über
einen Bungalow. Nach der plausiblen Darstellung der Untersuchungsrichterin
wurde nur ein Teil des Gewinns aus den Drogengeschäften beschlagnahmt; es
besteht daher der Verdacht, dass der Beschwerdeführer über erhebliche
finanzielle Mittel verfügt.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die drohende empfindliche
Freiheitsstrafe für den Beschwerdeführer durchaus einen starken Anreiz bilden
könnte, sich seiner strafrechtlichen Verantwortung durch Flucht zu entziehen.
Da er zudem Thailand gut kennt und möglicherweise auch über nicht
unbedeutende finanzielle Mittel verfügt, ist die Annahme des Haftrichters, es
bestehe eine gewisse Gefahr, dass er dort untertauchen könnte, keineswegs
verfassungswidrig. Dass seine Freundin in der Schweiz lebt, könnte ihn von
einer Flucht wohl kaum abhalten, zumal sie ihn in Thailand ohne weiteres
besuchen könnte. Die Rüge ist offensichtlich unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird
der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 OG). Er hat zwar ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen
abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Untersuchungsrichteramt III
Bern-Mittelland, Untersuchungsrichterin 4, der Staatsanwaltschaft III
Bern-Mittelland und dem Haftgericht III Bern-Mittelland, Haftrichter 1,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. März 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: