Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.754/2006
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{T 0/2}
1P.754/2006 /ggs

Urteil vom 13. Februar 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Thönen.

B. X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Kassationshof des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001
Bern,
Obergericht des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern.

Ausstand,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Bern vom 9. Oktober 2006.
Sachverhalt:

A.
Gegen B.X.________ und die Mitangeschuldigten A.X.________ und C.X.________
ist vor dem Kassationshof des Obergerichts des Kantons Bern ein
Strafverfahren hängig.

Ein Ausstandsgesuch von B.X.________ vom 8. September 2005 gegen die
Oberrichter Maurer, Steiner, Bührer, Kunz und Herrmann wies das Obergericht
mit Entscheid vom 31. Oktober 2005 ab. Das Bundesgericht hob diesen Entscheid
mit Urteil vom 28. Dezember 2005 wegen einer Verletzung des Replikrechts auf.

Im wiederaufgenommenen kantonalen Ausstandsverfahren äusserte sich
B.X.________ mit Replik vom 7. Februar 2006 zu den Stellungnahmen der
abgelehnten Oberrichter und hielt an den Rechtsbegehren gemäss
Ablehnungsgesuch vom 8. September 2005 fest. Für dessen Neubeurteilung
verlangte er in der Replik vom 7. Februar 2006 den Ausstand der
Oberrichterinnen und Oberrichter Cavin, Lüthy-Colomb, Pfister Hadorn,
Schnell, Apolloni Meier, Wüthrich-Meyer, Rieder, Righetti, Räz, Messerli,
Stucki, Weber und Messer. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess das
Ablehnungsgesuch vom 7. Februar 2006 mit Urteil vom 25. April 2006 betreffend
Oberrichterin Pfister Hadorn gut, für die übrigen zwölf Oberrichter wies es
das Gesuch ab.

Mit Verfügung des Obergerichts vom 8. Mai 2006 wurde Kenntnis genommen und
gegeben, dass B.X.________ die Oberrichterin Pfister Hadorn ebenfalls
ablehnt.

In der Vernehmlassung an das Obergericht vom 24. Mai 2006 hielt B.X.________
am Ablehnungsgesuch fest und lehnte für die Gesuchsbeurteilung Oberrichter
Cavin ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies dieses
Ablehnungsgesuch mit Urteil vom 18. September 2006 ab.

Mit Entscheid vom 9. Oktober 2006 wies das Obergericht die Ablehnungsgesuche
gegen Oberrichter Maurer, Steiner, Bührer, Herrmann, Kunz und Oberrichterin
Pfister Hadorn ab.

B. X.________ war im kantonalen Verfahren durch Fürsprecher Marcus A.
Sartorius vertreten.

Am 22. November 2006 wies das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde
von B.X.________ gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. April 2006
ab und trat auf das Ausstandsbegehren gegen sieben Bundesrichter nicht ein.

B.
Gegen den Entscheid des Obergerichts vom 9. Oktober 2006 führt B.X.________
am 10. November 2006 staatsrechtliche Beschwerde mit folgenden Anträgen:
1.Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.

2. Der vorliegenden Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren.

3. Dem Beschwerdeführer sei die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren.

4. Dem Beschwerdeführer sei Fürsprecher Marcus Andreas Sartorius als
amtlicher Verteidiger beizuordnen.

5. Nach Beiordnung von Fürsprecher Sartorius als amtlicher Verteidiger sei
ein zweiter Schriftenwechsel, eventualiter eine mündliche Schlussverhandlung,
durchzuführen.

6. Dem Beschwerdeführer sei eine Parteientschädigung von Fr. 2'780.--
auszurichten.

C.
Mit Präsidialverfügung vom 5. Dezember 2006 hat das Bundesgericht das Gesuch
um aufschiebende Wirkung abgelehnt.

In der Vernehmlassung beantragen der Kassationshof und das Obergericht die
Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde. Mit Replik vom 10. Januar 2007
hat sich B.X.________ dazu geäussert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Weil der angefochtene Entscheid vor dem 1. Januar 2007 erging, bleibt auf
das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren das OG anwendbar (Art. 132 Abs. 1
BGG).

1.2 Gemäss Art. 36a Abs. 1 lit. a und Abs. 2 OG sind Rechtmittel, die auf
querulatorischer oder rechtsmissbräuchlicher Prozessführung beruhen,
unzulässig. Auf offensichtlich unzulässige Rechtsmittel ist nicht
einzutreten.
Aus der Prozessgeschichte und den kantonalen Akten geht hervor, dass aufgrund
der zahlreichen Ausstandsgesuche das Berner Obergericht bereits zweimal
beschlussunfähig geworden ist: Zunächst infolge des Ablehnungsgesuchs des
Beschwerdeführers gegen 13 Oberrichter vom 7. Februar 2006, sodann mit
Ablehnungsgesuch gegen Oberrichter Cavin vom 24. Mai 2006. Gemäss Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 18. September 2006 hat der Beschwerdeführer auch
Mitglieder des Verwaltungsgerichts abgelehnt.

In einem früheren Verfahren vor Bundesgericht betreffend den Ausstand von 13
Oberrichterinnen und Oberrichter hat der Beschwerdeführer am 5. September
2005 ein offensichtlich unzulässiges Ablehnungsgesuch gegen sechs von sieben
Mitglieder der zuständigen I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des
Bundesgerichts und einen weiteren Bundesrichter gestellt. Damals führte das
Bundesgericht aus, ein Ablehnungsgesuch sei namentlich dann offensichtlich
unzulässig, wenn durch zahlreiche unbegründete Ablehnungen der geordnete
Betrieb der Justiz verunmöglicht werde. Mit dem Ablehnungsgesuch werde die
zuständige Gerichtsabteilung nahezu vollständig abgelehnt. Es entstehe der
Eindruck, dass der Beschwerdeführer Richter, mit denen er einmal zu tun
hatte, systematisch in den Ausstand versetze und damit sein Ablehnungsrecht
undifferenziert und missbräuchlich ausübe (Urteil 1P.308/2006 vom 22.
November 2006).

Das vorliegende Verfahren betrifft die Ablehnung von sechs Oberrichtern (Frau
Pfister Hadorn und Herren Maurer, Steiner, Bührer, Herrmann, Kunz). In fünf
Fällen sind die Ablehnungen offensichtlich unbegründet. Das Verhalten des
Beschwerdeführers im vorliegenden Verfahren bestärkt den Eindruck, dass er
mit seinen Ausführungen weniger den Schutz berechtigter Interessen bezweckt,
als durch exzessiven Gebrauch des Ablehnungsrechts beabsichtigt, die Justiz
zu lähmen und Zeit zu gewinnen. Soweit sich seine Vorbringen als
rechtsmissbräuchlich erweisen, ist darauf nicht einzugehen.

Unter diesem Vorbehalt ist zur Beschwerde auszuführen, was folgt.

2.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung der Garantie des verfassungsmässigen
Richters. Oberrichter Maurer sei befangen, da sein Sohn als Mitarbeiter in
der Anwaltskanzlei Friedli & Schnidrig angestellt sei. Fürsprecher Friedli
ist im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer Parteivertreter der
Privatklägerin Y.________ AG.

2.1 Oberrichter Maurer hat die Tatsache, dass sein Sohn auf den
1. Januar 2006 im Anwaltsbüro Friedli & Schnidrig angestellt wurde, den
Parteien mit Verfügung vom 29. August 2005 selber mitgeteilt. Er ist der
Ansicht, dass dies keine Befangenheit begründe und macht geltend, dass sich
der Sohn innerhalb der Kanzlei mit keinen Fällen befassen werde, die der
Oberrichter führe. Gemäss dem angefochtenen Urteil umfasst die Kanzlei sechs
in der Advokatur tätige Personen.

2.2 Nach der Garantie des verfassungsmässigen Richters (Art. 30 Abs. 1 BV und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK) hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von
einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne
Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver
Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und
die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie
verletzt (BGE 125 I 219 E. 3a; 120 Ia 184 E. 2b).

2.3 Nach der Rechtsprechung ist eine Richterin nicht schon deshalb befangen,
weil ihr Lebensgefährte, ebenfalls Richter, von der Gesuchstellerin zuvor
erfolgreich abgelehnt wurde. Da Zeichen von Sympathie oder Antipathie
gegenüber den Verfahrensparteien fehlten, bestanden keine Anzeichen für eine
Befangenheit (Urteil 1P.630/2003 vom 23. Januar 2004). Ein Richter ist nicht
befangen, wenn der Parteivertreter der gleichen Anwaltskanzlei angehört wie
ein Rechtsanwalt, der den Richter in einem früheren Verfahren vertreten
hatte. Eine besonders enge Beziehung zwischen Richter und Rechtsvertreter
wirke sich nicht auf eine ganze Bürogemeinschaft mit einer Mehrzahl von
Partnern aus, die ihre Mandate eigenständig führten (Urteil 1P.53/2005 vom 8.
März 2005). Ein Richter ist in einem Zivilverfahren nicht befangen, wenn eine
Partei durch den Büropartner seines Vaters vertreten ist (Urteil 1P.265/1997
vom 14. August 1997, publiziert in: SJ 1997, S. 626; RDAF 1998 I, S. 523).
Ebenso verhält es sich mit einer Untersuchungsrichterin im Strafverfahren,
deren Vater der gleichen Anwaltskanzlei angehört wie der Parteivertreter der
Zivilkläger (unveröffentlichtes Urteil 1P.147/1988 vom 29. Juni 1988).

Ein Verhältnis zwischen Richter und Verfahrenspartei begründet dann den
Anschein einer Befangenheit, wenn der Rechtsanwalt einer Partei im
Schiedsverfahren den Ehemann seiner Mitarbeiterin zum Schiedsrichter ernennt
(BGE 92 I 271), wenn der Sohn eines verfahrensbeteiligten wissenschaftlichen
Experten einen Betrieb leitet, der mit einer Verfahrenspartei in
wirtschaftlicher Konkurrenz steht (BGE 119 V 456) oder wenn ein
nebenamtlicher Verwaltungsrichter eine Doppelfunktion als Richter und
Rechtsanwalt ausübt und als Anwalt ein noch offenes Mandat führt oder für die
Partei mehrmals tätig wurde (BGE 116 Ia 485).

2.4 Im vorliegenden Fall bestehen jedoch keine vergleichbaren Verflechtungen.
Es gibt weder Hinweise für eine Nähe des abgelehnten Oberrichters zur
Privatklägerin, noch für eine Verfahrensbeteiligung seines erwachsenen
Sohnes. Auch ist die Zusicherung des Oberrichters, sein Sohn werde sich nicht
mit Fällen befassen, die der Oberrichter führe, nicht zu beanstanden. Eine
derartige Arbeitsorganisation ist bei einem Büro mit sechs in der Advokatur
tätigen Personen möglich. Die Konstellation vermag keinen Anschein zu
erwecken, dass der Oberrichter befangen sei.

Die Rüge der Verletzung der Garantie des verfassungsmässigen Richters ist
unbegründet.

3.
Die übrigen Vorbringen in der Beschwerde sind offensichtlich unbegründet und
daher summarisch zu behandeln (Art. 36a OG).

3.1 Der Beschwerdeführer führt angebliche Verfahrensfehler des Gerichts bzw.
der beteiligten Oberrichter an.

Nach der Rechtsprechung vermögen Verfahrens- oder andere Rechtsfehler
grundsätzlich für sich allein nicht den Anschein der Befangenheit eines
Richters zu begründen. Sie sind in erster Linie im Rechtsmittelverfahren
geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung können Verfahrens- oder andere
Rechtsfehler nur in krassen und/oder wiederholten Fällen den Anschein der
Befangenheit erwecken (BGE 115 Ia 400; 116 Ia 14 E. 5; 135 E. 3a; Urteil
1P.548/2005 vom 22. November 2005). Bei den zitierten Stellen handelt es sich
allerdings um Obiter dicta, d.h. nicht entscheidwesentliche Erwägungen zu
Verfahrensfehlern, die keinen Ausstand begründeten.

Aus dem angefochtenen Entscheid geht hervor, dass die gerügten Vorgänge nicht
als krasse oder wiederholte Fehler bezeichnet werden können. Die Einwände des
Beschwerdeführers beziehen sich auf einige von zahlreichen Prozessvorgängen
im Strafverfahren, auf die Zustellungsproblematik, wenn ein Angeschuldigter
seinen Wohnsitz im Ausland hat, oder auf eine Strafanzeige des
Beschwerdeführers gegen Oberrichter, auf die das Untersuchungsrichteramt und
die Staatsanwaltschaft zufolge offensichtlicher Unbegründetheit nicht
eintrat. Sie vermögen aus verfassungsrechtlicher Sicht keinen Eindruck
fehlender Neutralität, Distanz oder Unabhängigkeit und damit keinen Anschein
der Befangenheit der abgelehnten Richter zu begründen.

3.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör. Im angefochtenen Entscheid würden nicht alle Vorbringen seiner Replik
vom 7. Februar 2006 behandelt.

Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien in Verfahren vor Gerichts- und
Verwaltungsinstanzen Anspruch auf rechtliches Gehör. Daraus fliesst - nach
Massgabe der einschlägigen Rechtsprechung - das Recht, sich im Verfahren zu
äussern und einen begründeten Entscheid zu erhalten. In der
Entscheidbegründung müssen jedenfalls kurz die Überlegungen genannt werden,
von denen sich die Behörde leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid
stützt. Die Behörde muss sich allerdings nicht mit jeder Behauptung und jedem
Einwand auseinandersetzen, sondern kann sich auf jene Gesichtspunkte
beschränken, die für den Entscheid wesentlich sind (BGE 124 I 241 E. 2; 126 I
97 E. 2b).

Der Beschwerdeführer hat sich im kantonalen Verfahren unter anderem mit
Vernehmlassung vom 24. Mai 2006 geäussert. Das Obergericht hat die
Ablehnungsgesuche behandelt und seinen Entscheid auf 20 Seiten einlässlich
begründet. Es ist nach der Rechtsprechung nicht verpflichtet, zu jedem
Einwand Stellung zu nehmen. Die Rüge der Gehörsverletzung ist unbegründet.

4.
Der Beschwerdeführer beantragt einen weiteren Schriftenwechsel sowie die
Durchführung einer mündlichen Schlussverhandlung.

Die staatsrechtliche Beschwerde ist nach Gewährung der Möglichkeit, zu den
Vernehmlassungen Stellung zu nehmen, spruchreif geworden; weitere
Schriftenwechsel sind nicht gerechtfertigt. Ein Anspruch auf eine mündliche
Beratung ist verfahrensrechtlich nicht vorgesehen (Art. 36b OG). Die Anträge
können nicht bewilligt werden.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung. Die Gesuche sind abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos
ist. Der Beschwerdeführer hat die Verfahrenskosten zu bezahlen (Art. 156 Abs.
1 und 6 OG). Es besteht kein Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Kassationshof und dem
Obergericht des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Februar 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: