Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.746/2006
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{T 0/2}
1P.746/2006 /ggs

Urteil vom 13. Februar 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Thönen.

A. X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Kassationshof des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001
Bern,
Obergericht des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern.

Ausstand,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. September 2006.
Sachverhalt:

A.
Gegen A.X.________ und dessen Neffen B.X.________ und C.X.________ ist vor
dem Kassationshof des Obergerichts des Kantons Bern ein Strafverfahren
hängig. Es handelt sich um ein wiederaufgenommenes Verfahren, nachdem das
Bundesgericht ein erstes Strafurteil des Obergerichts wegen Verletzung von
Verfahrensgarantien im Zusammenhang mit der Telefonüberwachung aufgehoben hat
(Urteil 6P.95/2002 vom 2. Juni 2003).

A. X.________ hat ein Gesuch um Wechsel seines amtlichen Verteidigers
gestellt, welches das Obergericht mit Verfügung vom 14. Dezember 2005 abwies.
Eine dagegen gerichtete staatsrechtliche Beschwerde von A.X.________ wurde
abgewiesen, soweit darauf einzutreten war (Urteil 1P.172/2006 vom 26. April
2006).

B.
Bei laufenden doppeltem Ausstandsverfahren gemäss Gesuchen von B.X.________
vom 8. September 2005 und vom 7. Februar 2006 gegen insgesamt 18 Oberrichter
verlangte A.X.________ am 25. Mai 2006 den Ausstand der Oberrichter Maurer,
Steiner, Bührer, Herrmann und der Oberrichterinnen Pfister Hadorn und
Wüthrich-Meyer.

Das Obergericht wies das Gesuch des A.X.________ mit Entscheid vom 27.
September 2006 ab.

C.
Dagegen führt A.X.________ am 7. November 2006 staatsrechtliche Beschwerde
mit folgenden Anträgen:
1.Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.

2. Der vorliegenden Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren.

3. Dem Beschwerdeführer sei die unentgeltliche Prozessführung und
unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren.

4. Eventualiter sei dem Beschwerdeführer der zu fällende
Bundesgerichtsentscheid auf Englisch auszufertigen.

5. Dem Beschwerdeführer sei eine Parteientschädigung von Fr. 1'940.--
auszurichten.

D.
Das Gesuch von A.X.________ um aufschiebende Wirkung der Beschwerde hat das
Bundesgericht mit Präsidialverfügung vom 5. Dezember 2006 abgewiesen.

Der Kassationshof und das Obergericht beantragen in separaten
Vernehmlassungen, beide vom 28. November 2006, die Beschwerde sei abzuweisen.
Dazu hat sich A.X.________ mit Replik vom 10. Januar 2007 geäussert. Am 23.
Januar 2007 hat das Bundesgericht dem Beschwerdeführer die Beilage zur
Vernehmlassung des Obergerichts (Schreiben von Oberrichterin Schnell vom 27.
November 2006) versandt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Weil der angefochtene Entscheid vor dem 1. Januar 2007 erging, bleibt auf
das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren das OG anwendbar (Art. 132 Abs. 1
BGG).

1.2 Angefochten ist ein Zwischenentscheid über die Ablehnung von sechs
Oberrichterinnen und Oberrichter. Dagegen ist gemäss Art. 87 Abs. 1 OG die
staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich zulässig. Hingegen ist auf die
Vorbringen betreffend Wechsel des amtlichen Verteidigers nicht einzutreten,
da sie über den Gegenstand des angefochtenen Entscheids hinausgehen. Im
Übrigen wäre die staatsrechtliche Beschwerde gegen diesbezügliche
Zwischenentscheide nicht zulässig, da ein verweigerter Wechsel des amtlichen
Verteidigers grundsätzlich keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im
Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG bewirkt (BGE 126 I 207).

1.3 Der Beschwerdeführer wohnt in den USA. Er hat als Zustelldomizil die
Adresse seines Neffen B.X.________ bezeichnet. Am Ende der in Deutsch
abgefassten 10-seitigen Beschwerde schreibt der Beschwerdeführer in einem
Absatz auf Englisch, dass er keine Schweizer Amtssprache spreche. Gemäss
seinem Wunsch, gegen den Entscheid Beschwerde zu führen, sei die Beschwerde
durch einen Dritten verfasst worden. Er kenne den deutschsprachigen Inhalt
nicht und unterschreibe die Rechtsschrift, um sie gültig zu machen.

Der Beschwerdeführer legt nicht offen, wer für ihn die Beschwerde verfasst
hat. Aufgrund der gesamten Umstände besteht aber kein Zweifel daran, dass der
Beschwerdeführer genügend Möglichkeiten hat, sich über das Verfahren
verständlich orientieren zu lassen. Sein Neffe hat das Zustelldomizil und den
Versand der Beschwerde übernommen. Er hat vor Bundesgericht mehrmals
Beschwerde geführt und gezeigt, dass er dazu in der Lage ist; so hat das
Bundesgericht etwa seine staatsrechtliche Beschwerde vom 29. November 2005
gutgeheissen. B.X.________ hat sich bereits früher in den Dienst des
Beschwerdeführers gestellt und das Zustelldomizil übernommen; der
Beschwerdeführer hat seinen Neffen damals ausdrücklich als Verfasser der
Beschwerde genannt. Das Bundesgericht hat gegenüber dem Beschwerdeführer
festgehalten, dass der prozesserfahrene B.X.________ Englisch und Deutsch
beherrsche, weshalb der Beschwerdeführer über einen sprachkundigen Vertreter
verfüge (Urteil 1P.172/2006 vom 26. April 2006). Der Beschwerdeführer hat
diesen Ausführungen nicht widersprochen und die Beschwerde erneut unter
Beizug seines Neffen eingereicht. Ganz allgemein und unabhängig von der
Bereitschaft seines Neffen, als Übersetzer zu wirken, ist es dem
Beschwerdeführer zumutbar, sich die deutschsprachigen Verfügungen und
Entscheide übersetzen zu lassen. Aufgrund dieser Umstände ist davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer über das Verfahren orientiert ist. Es
besteht demnach kein rechtserhebliches sprachliches Hindernis. Art. 6 Ziff. 3
lit. e EMRK vermittelt nach der Rechtsprechung keinen Anspruch auf eine
Urteilsübersetzung (BGE 115 Ia 64). Die Rüge ist unbegründet, und der
Eventualantrag auf eine Urteilsübersetzung ist abzuweisen.

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff.
1 EMRK und Art. 5 Abs. 1 BV, indem der Spruchkörper des Obergerichts nicht
vollzählig gewesen sei. Nach Bernischem Recht habe der Spruchkörper zehn
Oberrichter umfassen müssen, im Rubrum des angefochtenen Entscheids seien
jedoch nur neun Oberrichter aufgeführt.

Gemäss Vernehmlassung des Obergerichts vom 28. November 2006 handelt es sich
um ein redaktionelles Versehen. Als zehntes, im Rubrum des angefochtenen
Entscheids irrtümlicherweise nicht erwähntes Mitglied, sei auch Oberrichterin
Schnell am Entscheid beteiligt gewesen. Das Obergericht reicht in der Beilage
zur Vernehmlassung eine schriftliche Bestätigung von Oberrichterin Schnell
vom 27. November 2006 ein, wonach sie als Mitglied des Plenums des
Obergerichts am 25. September 2006 ihre Zustimmung zu dem im
Zirkulationsverfahren ergangenen Entscheid erteilt habe.

Gemäss diesen Ausführungen steht fest, dass das Obergericht in der Besetzung
mit zehn Oberrichtern entschieden hat. Die Vernehmlassung des Obergerichts
und die Bestätigung der Oberrichterin reichen als Beleg dafür aus; beides
wurde dem Beschwerdeführer zugestellt, und er konnte sich dazu äussern. Die
Besetzung des Gerichts ist nicht verfassungswidrig. Damit ist die Rüge des
Beschwerdeführers hinfällig geworden. Es wird beim Kostenentscheid
berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer das Redaktionsversehen nicht zu
vertreten hat.

3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 6 EMRK, Art. 29, 30 Abs. 1
und 32 Abs. 2 BV, indem ihm das Obergericht die Verfahrenskosten auferlegt
habe mit der Begründung, das Ablehnungsgesuch sei mutwillig. Der
Beschwerdeführer habe lediglich sein zweites Ausstandsbegehren gestellt, die
weiteren Ausstandsbegehren von C.X.________ und B.X.________ habe er nicht zu
vertreten.

Der Beschwerdeführer hat den Ausstand von sechs Oberrichterinnen und
Oberrichter verlangt. Das Obergericht konnte jedoch keinen Beleg für eine
Befangenheit erkennen. Bei diesem Ausgang ist es im Ergebnis vertretbar, dass
das Obergericht die Verfahrenskosten dem Beschwerdeführer auferlegte. Das
Vorbringen ist unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung. Die Gesuche sind abzuweisen, da die Beschwerde überwiegend
aussichtslos ist. Der Beschwerdeführer hat die Verfahrenskosten zu bezahlen
(Art. 156 Abs. 1 und 6 OG). Die durch das Vorbringen gemäss Erwägung 2
entstandenen Kosten hat der Beschwerdeführer nicht zu vertreten, weshalb eine
reduzierte Gerichtsgebühr auferlegt wird. Es besteht kein Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer
auferlegt.

4.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Kassationshof und dem
Obergericht des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Februar 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: