Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.732/2006
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{T 0/2}
1P.732/2006 /fun

Urteil vom 9. März 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Thönen.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Evalotta
Samuelsson,

gegen

Y.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Robert Baumann,
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Uznach,
Grynaustrasse 3,
8730 Uznach,
Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.

Strafverfahren,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer,
vom 3. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Das Kreisgericht Gaster-See verurteilte den 1966 geborenen X.________ am 23.
März 2005 wegen einfacher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von zwei
Monaten unter Aufschub des Strafvollzugs bei einer Probezeit von zwei Jahren.
Es erachtete es als erwiesen, dass X.________ am 27. Juni 2003 Y.________
(geb. 1970) insbesondere durch Würgen oder "würgeähnliche Handlungen"
verletzt habe. Das Kreisgericht verpflichtete X.________ ferner zur Bezahlung
einer Schadenersatzforderung von Fr. 604.10, einer Genugtuung von
Fr. 1'500.--, stellte fest, dass er für weiteren Schaden als Folge des
Deliktes vom 27. Juni 2003 ersatzpflichtig ist und sprach hinsichtlich des
bedingten Strafvollzugs einer früheren Verurteilung eine Verwarnung aus.
X.________ wurde ein Verfahrenskostenanteil von Fr. 7'476.20 und eine
Parteientschädigung von Fr. 6'000.-- auferlegt.

B.
Das Kantonsgericht St. Gallen wies mit Entscheid vom 3. Juli 2006 die
Berufung von X.________ vom 6. Juli 2005 ab.

C.
X.________ führt mit Eingabe vom 30. Oktober 2006 staatsrechtliche Beschwerde
mit dem Antrag, der Entscheid des Kantonsgerichts sei vollumfänglich
aufzuheben.

Y. ________ beantragt in der Vernehmlassung die vollumfängliche Abweisung der
Beschwerde. Das Kantonsgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat sich nicht vernehmen lassen.

Mit Präsidialverfügung vom 28. November 2006 hat das Bundesgericht der
staatsrechtlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Weil die angefochtene
Verfügung früher erging, richtet sich das bundesgerichtliche
Beschwerdeverfahren nach altem Recht (Art. 132 Abs. 1 BGG). Anwendbar ist
namentlich das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der
Bundesrechtspflege (OG, SR 173.110).

1.2 Der Beschwerdeführer ist als strafrechtlich Verurteilter zur Beschwerde
grundsätzlich legitimiert.

1.3 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur klar
und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf ungenügend
begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene, rein appellatorische Kritik
am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 110 Ia 1 E.
2a S. 3 f.; 125 I 492 E. 1b S. 495, mit Hinweisen).

Die Beschwerde enthält vorwiegend appellatorische Kritik am angefochtenen
Urteil, die zu behandeln auf eine erneute umfassende Beweiswürdigung
hinausliefe. Dies ist dem Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen
Beschwerde jedoch versagt. Soweit keine genügend begründeten Verfassungsrügen
geltend gemacht werden, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

2.
Gemäss den kantonalen Gerichten kam es am Abend des 27. Juni 2003 im
Einfamilienhaus in Z.________ zu einer Auseinandersetzung. Der
Beschwerdeführer soll die Beschwerdegegnerin in die Hand gebissen, ihr
verschiedene Prellungen an den Armen zugefügt und sie durch Würgen oder einen
würgeähnlichen Haltegriff am Hals verletzt haben. Die Klägerin trug eine
Bisswunde an der Hand, Würgemale am Hals und Prellungen an den Armen davon,
litt einige Tage an Schluckbeschwerden und über längere Zeit an psychischen
Folgen (angefochtener Entscheid, S. 12; Kreisgerichtsentscheid, S. 4).

Der ermittelte Sachverhalt stützt sich im Wesentlichen auf Aussagen der
Beschwerdegegnerin und des Beschwerdeführers, auf den Bericht des Amtsarztes,
der die Beschwerdegegnerin ca. 1 1/2 Stunden nach dem Vorfall untersuchte,
sowie auf ein Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Kantons St.
Gallen vom 6. Februar 2004 mit Ergänzungen vom 19. Oktober 2004.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt die Beweisführung und eine Verletzung des
Grundsatzes "in dubio pro reo" im Sinne einer Beweiswürdigungsregel (Art. 32
Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK), des Verbots der Beweislastumkehr, der
Unschuldsvermutung und des Willkürverbots. Der Schuldspruch stütze sich im
Wesentlichen auf unglaubwürdige Aussagen der Beschwerdegegnerin und einen
untauglichen Bericht des Amtsarztes. Die Beschwerdegegnerin sei rechtskräftig
wegen Betruges verurteilt worden und habe sich offenbar ihrer Therapeutin zu
bedienen gewusst, die eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert
habe, obwohl ein Auftreten dieser Störung nach einem Ereignis wie dem
vorliegenden unmöglich sei. Der Bericht des Amtsarztes sei methodisch
mangelhaft, dies ergebe sich aus einem Privatgutachten, das der
Beschwerdeführer in Auftrag gegeben und den kantonalen Instanzen vorgelegt
habe.

3.2 Gemäss dem angefochtenen Urteil sind die Aussagen der Beschwerdegegnerin
als glaubwürdig einzustufen und lassen auf ein erlebtes Ereignis schliessen,
stimmen mit den Feststellungen des Amtsarztes überein und werden durch
Drittaussagen weiterer Zeugen gestützt. Die Darstellung des Beschwerdeführers
decke sich mit jener der Beschwerdegegnerin in weiten Teilen, weise aber mit
Bezug auf das Kerngeschehen eine Inkonstanz auf. Insgesamt zeigten die
Widersprüche in den Aussagen des Beschwerdeführers zum Verhalten und den
Aussagen der Zeugen den Versuch, das Vorgefallene herunterzuspielen. Er habe
mit der Fortdauer des Verfahrens seine Handlungen bagatellisiert und
versucht, die Beschwerdegegnerin in ein schlechtes Licht zu rücken; dies sei
ein Anzeichen für eine unwahre Aussage. Das rechtsmedizinische Gutachten
stütze in erster Linie die Version der Beschwerdegegnerin. Der Amtsarzt habe
die Beschwerdegegnerin persönlich begutachtet, er werde von der Polizei
wiederholt zur Beurteilung von Körperverletzungen herangezogen, und das
Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin hege an seinen Feststellungen keine
Zweifel. Inwiefern das ärztliche Privatgutachten des Beschwerdeführers
nachvollziehbarer und wissenschaftlicher sein soll, sei nicht ersichtlich.
Das Privatgutachten sei allein gestützt auf die Akten erstellt worden und
halte zudem fest, dass die Verletzungen durch ein Würgen entstanden sein
könnten. Der Beschwerdeführer lasse es bei der Behauptung bewenden und bringe
keine Beweise oder Beweisanträge vor, weshalb die Therapeutin nicht in der
Lage gewesen wäre, ein posttraumatisches Belastungssyndrom zu
diagnostizieren. Das Vertrauensverhältnis zwischen der Therapeutin und der
Beschwerdegegnerin liege in der Natur der Sache. Entscheidend sei die
Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage der Beschwerdegegnerin im Prozess; eine
Vorstrafe lasse keine generellen Schlussfolgerungen über die Glaubwürdigkeit
einer Person zu. Es seien keine Umstände für eine psychische Verfassung oder
eine getrübte Wahrnehmung zufolge Medikamenteneinfluss ersichtlich, weshalb
die Beschwerdegegnerin nicht hätte aussagen können.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Willkürverbots und der
Unschuldsvermutung, indem die Vorinstanz den Schuldspruch auf den
"qualifiziert mangelhaften" Bericht des Amtsarztes abstütze. So stelle das
ärztliche Privatgutachten fest, dass die Verletzungen nicht typisch für ein
Würgen mit der rechten Hand seien, bzw. dass es sich nicht um typische
Würgemerkmale handle.

Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen
ohne Willkür behandelt zu werden. Nach der Praxis des Bundesgerichts liegt
Willkür in der Rechtsanwendung vor, wenn der angefochtene kantonale Entscheid
offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft
(BGE 131 I 467 E. 3.1 S. 473 f.).

Gemäss Art. 32 Abs. 1 BV gilt jede Person bis zu ihrer rechtskräftigen
Verurteilung als unschuldig. Als Beweiswürdigungsregel besagt der daraus
abgeleitete Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich der Strafrichter nicht
von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt
erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu
unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat.
Bei der Frage, ob angesichts des willkürfreien Beweisergebnisses erhebliche
und nicht zu unterdrückende Zweifel hätten bejaht werden müssen und sich der
Sachrichter vom für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt nicht hätte
überzeugt erklären dürfen, greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung
ein, da der Sachrichter diese in Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips
zuverlässiger beantworten kann (BGE 127 I 38 E. 2a; Urteil 1P.428/2003 vom 8.
April 2004, E. 4.2).

Der Beschwerdeführer kritisiert den Bericht des Amtsarztes gestützt auf ein
Privatgutachten von Dr. med. A.________. Das Kantonsgericht hat das
Privatgutachten gewürdigt und dargelegt, weshalb trotz der Kritik auf den
Bericht des Amtsarztes abzustellen sei. Begründet wird dies unter anderem
damit, dass der Amtsarzt andere Beurteilungsgrundlagen hatte (persönliche
Untersuchung) als der Privatgutachter (Akten). Ferner halte nicht nur der
Amtsarzt, sondern auch das Institut für Rechtsmedizin die Verletzungen der
Beschwerdegegnerin mit Würgemalen vereinbar. Der Beschwerdeführer beruft sich
auf BGE 129 I 49 betreffend ein aussagepsychologisches Gutachten, das rund
vier Jahre nach dem Vorfall erstellt wurde. Im Unterschied dazu handelt es
sich im zu beurteilenden Fall um einen Arztbericht, der gemäss Datierung
einen Tag nach dem Vorfall verfasst wurde. Die Sachverhalte sind nicht ohne
Weiteres vergleichbar.

Bei dieser Sachlage kann die Beweiswürdigung nicht als verfassungswidrig
bezeichnet werden. Die Rügen sind unbegründet.

4.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Willkürverbots und der
Unschuldsvermutung. Indem das Kantonsgericht die Aussagen der
Beschwerdegegnerin übernommen habe, habe der Beschwerdeführer beweisen
müssen, dass sich der Sachverhalt anders zugetragen habe. Dies stelle eine
unzulässige Beweislastumkehr dar.

Der Grundsatz "in dubio pro reo" bedeutet als Beweislastregel, dass es Sache
der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht
dieser seine Unschuld nachweisen muss. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist
verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung
verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Ebenso ist die Maxime
verletzt, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass der Strafrichter von
der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen,
und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang (BGE 127 I 38 E.
2a).

Der Beschwerdeführer wurde verurteilt, weil die Beschwerdegegnerin ausgesagt
hatte, er habe sie verletzt, weil der Amtsarzt die Verletzungen feststellen
konnte, weil sein Bericht durch das Institut für Rechtsmedizin bestätigt
wurde und weil das Gericht die gegenläufigen Aussagen des Beschwerdeführers
und des Privatgutachters als unglaubwürdig oder unerheblich einschätzte. Der
Schuldspruch beruht somit auf einer Gesamtwürdigung der Tatsachen und nicht
auf dem Vorhalt, der Beschwerdeführer habe seine Unschuld nicht bewiesen. Das
Vorbringen ist unbegründet.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens (Art. 156 OG). Die obsiegende Beschwerdegegnerin hat eine
Vernehmlassung eingereicht; sie ist für die notwendigen Kosten angemessen zu
entschädigen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft, Untersuchungsamt
Uznach, und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 9. März 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: