Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.725/2006
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{T 0/2}
1P.725/2006 /fun

Urteil vom 7. Februar 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas
Fingerhuth,

gegen

A.________, vertreten durch Rechtsanwältin Bernadette Zürcher,
B.________,
Beschwerdegegnerinnen,
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach 1233,
8026 Zürich,
Geschworenengericht des Kantons Zürich, Hirschengraben 13, 8001 Zürich,
Kassationsgericht des Kantons Zürich, Grossmünsterplatz 1, Postfach, 8022
Zürich.

Strafverfahren; Beweiswürdigung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Zirkulationsbeschluss des
Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 8. September 2006.

Sachverhalt:

A.
Das Geschworenengericht des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 13. Mai
2005 wegen Mordes im Sinne von Art. 112 StGB zu 16 Jahren Zuchthaus und 12
Jahren Landesverweisung. Es hielt für erwiesen, dass er zwischen dem Abend
des 7. Juni und dem frühen Morgen des 8. Juni 2003 an der H.________-Strasse
in Zürich seiner Schwiegermutter C.________ mit einem Hammer und einer
Bratpfanne mehrere Schläge an den Kopf versetzte und ihr anschliessend mit
einem abgebrochenen Flaschenhals die rechte Halsschlagader und die grosse
Halsvene durchtrennte, wodurch sie in kurzer Zeit verblutete.

Am 8. September 2006 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich die
Nichtigkeitsbeschwerde von X.________ gegen seine Verurteilung ab, soweit es
darauf eintrat.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 27. Oktober 2006 wegen Willkür und
Verletzung gesetzlicher Prozessformen im Sinne von § 430 Abs. 1 Ziff. 4 der
Zürcher Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 (StPO) beantragt X.________, das
Urteil des Kassationsgerichts aufzuheben und die Sache diesem zu neuem
Entscheid zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.

A. ________ teilt in ihrer Vernehmlassung mit, sie halte das Urteil des
Kassationsgerichts für überzeugend, weshalb sie auf eine Stellungnahme dazu
verzichte. C.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Die
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich und das Kassationsgericht verzichten
auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Beim angefochtenen Urteil des Kassationsgerichts handelt es sich um einen
letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der
Beschwerdeführer ist durch seine strafrechtliche Verurteilung in seinen
rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist,
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Damit ist auf die
Beschwerde einzutreten, soweit er dem Kassationsgericht eine Verletzung des
Willkürverbots von Art. 9 BV vorwirft. Nicht einzutreten ist auf die
Beschwerde dagegen insoweit, als er (wohl versehentlich) die Verletzung
gesetzlicher Prozessformen im Sinne von § 430 Abs. 1 Ziff. 4 StPO rügt, was
im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde unzulässig ist.

1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ermöglicht zudem keine Fortsetzung des
kantonalen Verfahrens. Das Bundesgericht prüft in diesem Verfahren nur in der
Beschwerdeschrift erhobene, detailliert begründete und soweit möglich belegte
Rügen. Der Beschwerdeführer muss den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die
als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun,
inwiefern diese verletzt sein sollen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38
E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nur teilweise; über weite Strecken
versucht der Beschwerdeführer darzulegen, weshalb die Beweismittel auch
andere Schlüsse zuliessen als die vom Geschworenen- und vom Kassationsgericht
daraus gezogenen, ohne nachzuweisen, dass und inwiefern die
Schlussfolgerungen dieser Gerichte willkürlich sein sollen. Dies gilt
beispielsweise für seine Behauptung, Kassations- wie Geschworenengericht
seien willkürlich davon ausgegangen, dass sich das Opfer möglicherweise nicht
lautstark gegen den tödlichen Angriff gewehrt habe, etwa weil es bereits
durch den ersten Schlag "mundtot" gemacht worden sei. Es bestehen indessen
keine gesicherten Hinweise darauf, ob das Opfer auf den Angriff mit lauten
Schreien reagierte oder nicht. Möglich ist beides, und der Beschwerdeführer
bringt nichts vor, was die zweite Möglichkeit ausschliessen oder wenigstens
unwahrscheinlich erscheinen lassen würde. Damit erschöpft sich seine
"Willkürrüge" in appellatorischer Kritik. Soweit im Folgenden auf
Ausführungen in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht eingegangen wird,
genügen sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht.

2.
Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne
Willkür behandelt zu werden. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung steht den
kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu. Willkür in der
Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen
ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen
oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dabei genügt es nicht, wenn sich
der angefochtene Entscheid lediglich in der Begründung als unhaltbar erweist;
eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis
verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E. 2a S. 88, je
mit Hinweisen).

3.
3.1 Das Geschworenengericht kam auf Grund des gerichtsmedizinischen Gutachtens
zum Schluss, der tödliche Angriff auf Frau C.________ sei zwischen dem 7.
Juni 2003, 15:32 Uhr, und dem 8. Juni 2003, 03:32 Uhr, erfolgt. An der
Täterschaft des Beschwerdeführers, der seine Schwiegermutter nach seiner
Darstellung letztmals vor vier bis fünf Jahren gesehen hatte, besteht für das
Geschworenengericht kein vernünftiger Zweifel, da auf einer vom Opfer erst am
Abend des 6. Juni 2003 gekauften PET-Flasche eine Fingerabdruckspur und auf
einem ebenfalls am Tatort gefundenen Trinkglas eine DNA-Spur des
Beschwerdeführers sowie an seinen Sandalen Blutspuren des Opfers
sichergestellt wurden. Zudem ergab die Auswertung seiner Mobiltelefonate,
dass er sich am 7. Juni 2003, um 19:02 Uhr, in der Tatortregion Zürich-Höngg
aufgehalten hat. Es verwarf den Einwand der Verteidigung, die Tat könne nicht
zwischen 17 Uhr, als die Nachbarn des Opfers, die Eheleute D.________, in
ihre Wohnung zurückkehrten, und 24 Uhr, als sie sich schlafen legten,
begangen worden sein, da sie diese hätten hören müssen. An diesem heissen
Sommerabend habe Herr A.D.________ wegen des Umgebungslärms den Fernseher
lauter gestellt, Frau B.D.________ sei gesundheitlich angeschlagen gewesen
und habe zeitweise geschlafen. Es sei daher durchaus möglich, dass die Tat,
die möglicherweise nicht viel Lärm verursacht habe, während der Zeit verübt
worden sei, in der sich Frau B.D.________ auf ihrem Balkon aufgehalten habe,
ohne dass sie davon etwas hätte merken müssen (Entscheid des
Geschworenengerichts S. 23 ff.).
3.2 Der Beschwerdeführer machte vor Kassationsgericht geltend, es müsse
ausgeschlossen werden, dass er zwischen 15:32 Uhr und 17 Uhr in die Wohnung
seiner Schwiegermutter hätte gelangen können. Die Zeit von 17 bis 24 Uhr
falle als Tatzeit ausser Betracht, da die Eheleute D.________ zu Hause
gewesen seien und nichts Ungewöhnliches gehört hätten, und es könne nicht
davon ausgegangen werden, dass er zwischen Mitternacht und 03:32 Uhr am
Tatort gewesen sei; seine Verurteilung sei mithin willkürlich. Das
Kassationsgericht wies die Willkürrüge ab und konnte dies ohne
Verfassungsverletzung tun:
Frau B.D.________ hielt sich zwar zwischen 17 und 24 Uhr vornehmlich in ihrem
Liegestuhl auf dem Balkon auf und hätte damit wohl laute Geräusche aus der
neben der ihren liegenden Wohnung von Frau C.________ hören können. Sie war
aber nach einer Bluttransfusion geschwächt und hat nach ihren eigenen Angaben
im Liegestuhl zeitweise geschlafen. Ihr Ehemann sagte aus, es sei ein warmer
Sommerabend gewesen, man habe die Fenster öffnen und wegen des Umgebungslärms
(Bus, Tram, nahegelegenes Restaurant) die Lautstärke des Fernsehers etwas
erhöhen müssen. Unter diesen Umständen ist es durchaus möglich, dass die
beiden den Angriff auf Frau C.________, die sich nach den plausiblen und
jedenfalls nicht widerlegten Ausführungen des Geschworenen- wie des
Kassationsgerichts nach dem ersten Schlag gegen den Kopf möglicherweise nicht
mehr lautstark zur Wehr setzen konnte, nicht wahrnahmen, selbst wenn sich
Frau B.D.________ - allenfalls schlafend - auf dem Balkon befunden hätte.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Annahme des
Geschworenengerichts, es sei durchaus möglich, dass die Tat zwischen 17 und
24 Uhr stattgefunden habe, ohne weiteres haltbar. Konnte aber das
Geschworenengericht willkürfrei davon ausgehen, dass die Tat in diesem
Zeitraum geschehen sein konnte, sind die Behauptungen des Beschwerdeführers,
es müsse ausgeschlossen werden, dass er vor und nach diesem Zeitraum am
Tatort gewesen sei, von vornherein nicht geeignet, seine Verurteilung als
willkürlich erscheinen zu lassen.

3.3 Im Zusammenhang mit der Frage, ob sich allenfalls weitere Personen zur
Tatzeit am Tatort aufgehalten haben könnten, hat das Geschworenengericht
festgehalten, es wäre an sich wünschbar gewesen, alle nahen Bezugspersonen
des Opfers und damit auch den (zwischenzeitlich verstorbenen) E.________ und
F.________ als Referenzpersonen einem DNA-Abgleich zu unterziehen. Dies
schade indessen nicht, da keinerlei Hinweise dafür vorlägen, dass sich eine
dieser beiden Personen zur relevanten Zeit in der Wohnung von Frau C.________
aufgehalten haben könnte (Urteil des Geschworenegerichts E. 2.2 S. 37 ff.).

Der Beschwerdeführer rügt, das Geschworenengericht sei zu Unrecht davon
ausgegangen, die Zeugin G.________ habe ausgesagt,  E.________ und F.________
nie zusammen mit Frau C.________ gesehen zu haben. Entgegen der Auffassung
des Kassationsgerichts sei dies aktenwidrig und willkürlich.

Ob Frau G.________ E.________, F.________ und Frau C.________ zusammen
gesehen hat oder nicht, ist indessen für das Beweisergebnis irrelevant. Der
Beschwerdeführer behauptet nicht, die Zeugin habe E.________ und F.________
zur relevanten Tatzeit bzw. kurz zuvor oder danach in der Nähe des Tatortes
gesehen. Insofern ist die Aussage der Zeugin G.________, selbst wenn sie vom
Geschworenengericht falsch interpretiert worden wäre, nicht geeignet, dessen
Folgerung zu widerlegen, es bestünden keinerlei Hinweise dafür, dass sich die
beiden Personen oder eine von ihnen zur Tatzeit in der Wohnung des Opfers
aufgehalten haben könnten. Die Willkürrüge ist unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art.
156 OG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde
aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
abgewiesen.

2.2 Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft IV, dem
Geschworenengericht und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 7. Februar 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: