Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.651/2006
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{T 0/2}
1P.651/2006 /ggs

Urteil vom 20. Dezember 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Pfäffli.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland, Untersuchungsrichter 1,
Hodlerstrasse 7, 3011 Bern,
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17,
Postfach 7475, 3001 Bern.

Strafverfahren,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Bern
vom 9. August 2006.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
X. ________ reichte am 30. September 2002 bei der Staatsanwaltschaft des
Kantons Basel-Stadt gegen den Augenarzt Prof. Dr. med. A.________
Strafanzeige ein wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Darin warf er diesem
vor, ihn operiert zu haben, ohne ihn über die Risiken des vorgeschlagenen
Eingriffs aufgeklärt zu haben. Er habe eine unnötig risikoreiche Operation
durchgeführt, obwohl es eine risikolose "nicht invasive"
Behandlungsmöglichkeit gegeben hätte. Die Operation sei zudem fehlerhaft
ausgeführt worden und insbesondere die Nachbetreuung mangelhaft gewesen. Sein
Sehvermögen, welches ihm bis kurz vor der ersten Operation durch Prof.
A.________ ein normales Leben ermöglicht habe, sei durch dessen fehlerhafte
Behandlung auf ein Minimum gesunken, er sei heute hochgradig sehbehindert.

Am 29. Oktober 2002 trat die Staatsanwaltschaft auf die Strafanzeige nicht
ein mit der Begründung, es lägen keinerlei Anhaltspunkte für ein
strafrechtlich relevantes Verhalten vor. Der Erste Staatsanwalt wies die
Einsprache von X.________ am 18. November 2002 ab. Die Rekurskammer des
Strafgerichts Basel-Stadt wies den Rekurs von X.________ gegen diesen
Entscheid des Ersten Staatsanwaltes am 19. Februar 2004 ab. Sie kam - u.a.
gestützt auf das Gutachten von Prof. B.________ vom 18. April 2001 - zum
Schluss, die Staatsanwaltschaft sei berechtigterweise vom Vorliegen einer
gültigen Einwilligung in eine lege artis ausgeführte medizinische Behandlung
ausgegangen und habe ein strafrechtlich relevantes Vorgehen seitens Prof.
A.________ zu Recht mangels Tatbestandsmässigkeit ausgeschlossen. Dagegen
erhob X.________ staatsrechtliche Beschwerde, welche das Bundesgericht mit
Urteil vom 6. August 2004 abwies, soweit es darauf eintrat (Verfahren
1P.219/2004).

2.
Am 10. April 2006 reichte X.________ bei der Stadtpolizei Bern Strafanzeige
ein gegen Prof. Dr. med. B.________ und Fürsprecher C.________, stv.
Generalsekretär der FMH Gutachterstelle, wegen Strafvereitelung. Der Anzeiger
hatte aufgrund der erwähnten Operation aussergerichtlich ein FMH Gutachten
einholen lassen. Das von Prof. B.________ am 18. April 2001 erstellte
Gutachten wurde von X.________ heftig kritisiert. Der Untersuchungsrichter 1
des Untersuchungsrichteramtes III Bern-Mittelland und der zuständige
Prokurator traten mit übereinstimmendem Beschluss vom 9./11. Mai 2006 auf die
Anzeige nicht ein. Das Schweizerische Strafgesetzbuch kenne den Tatbestand
der Strafvereitelung nicht. Die allenfalls nach schweizerischem Recht zur
Diskussion stehenden Tatbestände der Begünstigung (Art. 305 StGB), der
falschen Beweisaussage der Partei (Art. 306 StGB) oder der falschen
Begutachtung (Art. 307 StGB) seien nicht erfüllt. Dagegen erhob X.________
Rekurs, den die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern mit Beschluss
vom 9. August 2006 abwies, soweit sie darauf eintrat. Sie führte
zusammenfassend aus, dass dem Anzeiger hinsichtlich der Begünstigung die
Rekurslegitimation fehle. Bezüglich der behaupteten falschen Beweisaussage
und der falschen Begutachtung sei der Rekurs mangels Tatbestandsmässigkeit
abzuweisen.

3.
X.________ erhob gegen den Beschluss der Anklagekammer des Obergerichts des
Kantons Bern mit Eingabe vom 27. September 2006 staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 9 BV.

Das Bundesgericht verzichtet auf die Einholung von Vernehmlassungen.

4.
Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der durch eine angeblich strafbare
Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die
Nichteröffnung oder Einstellung eines Strafverfahrens staatsrechtliche
Beschwerde zu erheben. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht,
steht ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der
Geschädigte als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf
seinen Antrag hin verfolgt wird. Unbekümmert um die fehlende Legitimation in
der Sache selbst ist der Geschädigte aber befugt, mit staatsrechtlicher
Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren
Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG
erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus
einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren
teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem Sinne nach kantonalem Recht
Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem
kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung
zustehen (BGE 128 I 218 E. 1.1).

Der in der Sache selbst nicht Legitimierte kann beispielsweise geltend
machen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei
nicht angehört worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu
stellen, oder habe nicht Akteneinsicht nehmen können. Hingegen kann er weder
die Würdigung der beantragten Beweise noch die Tatsache rügen, dass seine
Anträge wegen Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung
abgelehnt wurden. Die Beurteilung dieser Fragen kann von der Prüfung der
materiellen Sache nicht getrennt werden. Auf eine solche hat der in der Sache
selbst nicht Legitimierte jedoch keinen Anspruch (BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb mit
Hinweisen).

4.1 Etwas anderes gilt für das Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG. Seine
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ist insoweit auf
materiellrechtliche Fragen erweitert. Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer, wer
durch eine Straftat in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen
Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, unabhängig davon, ob der
Täter ermittelt worden ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat. Mit der
gesetzlichen Beschränkung auf unmittelbare Eingriffe sollen namentlich
Vermögensdelikte wie Diebstahl und Betrug von der Opferhilfe ausgenommen
werden. Das Bundesgericht hat sodann erkannt, dass Amtsmissbrauch und
Begünstigung grundsätzlich keine Opferstellung im Sinne des OHG nach sich
ziehen (BGE 120 Ia 157 E. 2d/aa S. 162). Falsche Beweisaussage (Art. 306
StGB) und falsche Begutachtung (Art. 307 StGB) stellen Straftaten gegen die
Rechtspflege dar und führen grundsätzlich nicht zu einer unmittelbaren
Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen Integrität des von
Falschaussagen Betroffenen. Ob in besonderen Ausnahmefällen von diesem
Grundsatz abgewichen werden könnte, ist im vorliegenden Fall nicht zu
entscheiden, da keine aussergewöhnlichen Umstände ersichtlich sind, die eine
solche Ausnahme rechtfertigen würden.

4.2 Daraus ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer keine auf
materiellrechtliche Fragen erweiterte Legitimation zur staatsrechtlichen
Beschwerde zusteht. Er kann nach der angeführten Rechtsprechung nur die
Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren Missachtung eine
formelle Rechtsverweigerung darstellt. Eine Verletzung von Verfahrensrechten
im dargelegten Sinn rügt der Beschwerdeführer nicht - jedenfalls nicht in
einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise -,
weshalb auf die vorliegende Beschwerde nicht einzutreten ist.

5.
Angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der vorliegenden
Beschwerde kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht entsprochen
werden (Art. 152 OG). Ausnahmsweise kann jedoch von der Erhebung von
Verfahrenskosten abgesehen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Untersuchungsrichteramt III
Bern-Mittelland, Untersuchungsrichter 1, und der Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Dezember 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: