Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.604/2006
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{T 0/2}
1P.604/2006 /fun

Urteil vom 29. Januar 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Haag.

X. _________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Marco Giavarini,

gegen

Einwohnergemeinde Dornach, Hauptstrasse 33, Postfach, 4143 Dornach 2,
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn,
Amthaus I, Postfach 157, 4502 Solothurn.

Perimeterbeiträge,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 18. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
X. ________ ist Eigentümer des Grundstücks GB Dornach Nr. 1022, das über den
Lehmenweg erschlossen wird. Vom 9. September bis 9. Oktober 2004 lag der
Beitragsplan für die Sanierung des Lehmenwegs, Abschnitt
Kohliweg/Schlossweg/Brosiweg, öffentlich auf. Die Parzelle von X.________
liegt gemäss diesem Beitragsplan vollständig im Beitragsperimeter. Die
vorläufige Beitragsberechnung vom Juli/August 2004 sieht für dieses
Grundstück einen Beitrag von Fr. 2854.45 vor. X.________ erhob zusammen mit
32 andern Einsprechern am 23. September 2004 Einsprache gegen den
Beitragsplan, welche vom Gemeinderat mit Beschluss vom 23. Mai 2005
abgewiesen wurde.

Mit Beschwerde an die kantonale Schätzungskommission rügte X.________, die
öffentliche Auflage sei verordnungswidrig gewesen, habe er doch nicht
sämtliche Projektpläne einsehen können. Die Gemeinde habe ihm eine umfassende
Akteneinsicht verweigert. Der Kostenverteiler sei falsch, weil der
Kostenanteil für die Gasleitung nicht ausgewiesen worden sei. Zudem handle es
sich bei der Sanierung des Lehmenwegs um nicht beitragspflichtigen Unterhalt.
Am 24. Mai 2006 wies die Schätzungskommission die Beschwerde ab.

Mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn beantragte
X.________, der Entscheid der Schätzungskommission sei aufzuheben mit
Ausnahme der Feststellung, dass die Entwässerungskosten nicht
beitragspflichtig seien. Die Strassenarbeiten seien insgesamt als nicht
beitragspflichtig zu erklären. Die Gemeinde habe sämtliche Projektunterlagen
einzureichen und es sei ihm Frist zu einer erneuten Stellungnahme
einzuräumen. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 18.
Juli 2006 ab, soweit es darauf eintrat. Es verneinte eine Missachtung des
Akteneinsichtsrechts und bejahte die Beitragspflicht zur Strassensanierung.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. September 2006 beantragt X.________
im Wesentlichen, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. Juli 2006 sei
aufzuheben. Er rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art.
29 Abs. 2 BV) sowie des Willkürverbots (Art. 9 BV).
Die Einwohnergemeinde Dornach schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Verwaltungsgericht hat sich zur staatsrechtlichen Beschwerde nicht vernehmen
lassen.

C.
Mit Verfügung vom 19. Oktober 2006 hat der Präsident der I.
öffentlich-rechtlichen Abteilung der staatsrechtlichen Beschwerde
aufschiebende Wirkung beigelegt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG, SR 173.110) in Kraft getreten. Dieses Gesetz ist auf ein
Beschwerdeverfahren nur anwendbar, wenn der angefochtene Entscheid nach dem
1. Januar 2007 ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Diese Voraussetzung ist
vorliegend nicht erfüllt, weshalb die Beschwerde nach den Bestimmungen des OG
zu beurteilen ist.

2.
Gegen den angefochtenen Entscheid steht nach dem OG kein anderes Rechtsmittel
als die staatsrechtliche Beschwerde offen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts handelt es sich beim angefochtenen Urteil des
Verwaltungsgerichts betreffend den Beitragsplan und die Beitragspflicht um
einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid, der mit staatsrechtlicher
Beschwerde anfechtbar ist (Art. 84, 86, 87 OG; nicht publiziertes Urteil des
Bundesgerichts 1P.695/1998 vom 2. März 1999).
Der Beschwerdeführer ist durch die ihm auferlegte Beitragspflicht in seinen
rechtlich geschützten Interessen betroffen (Art. 88 OG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, so dass auf
die Beschwerde einzutreten ist.

3.
3.1 Das Solothurner Erschliessungsbeitragsverfahren ist nach der kantonalen
Verordnung über Grundeigentümerbeiträge und -gebühren vom 3. Juli 1978
(Grundeigentümerbeitragsverordnung, GBV) in zwei Etappen aufgeteilt: Zunächst
wird der Beitragsplan mit einem auf den Kostenvoranschlag basierenden
Kostenverteiler öffentlich aufgelegt (§ 9 und 15 GBV). In einem zweiten
Schritt wird den Grundeigentümern sodann die Schlussabrechnung mit den
definitiven Beiträgen eröffnet (§ 18 GBV). ln beiden Verfahren können die
Grundeigentümer Einsprache bzw. Beschwerde einreichen, wobei sich
Rechtsmittel gegen die definitive Beitragsverfügung nur noch gegen die
Abrechnungssumme richten können (§ 18 Abs. 2 GBV). Das vorliegende Verfahren
bezieht sich auf die öffentliche Auflage des Beitragsplans mit
Kostenvoranschlag. Soweit der Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren Bezug nahm auf die effektiv durchgeführten Arbeiten, wurde er vom
Verwaltungsgericht auf das zweite Verfahren bezüglich der Schlussabrechnung
verwiesen.

3.2 Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, ihm sei im
Beitragsplanverfahren keine umfassende Akteneinsicht gewährt worden. Bei der
öffentlichen Auflage des Beitragsplans habe der Kostenvoranschlag gefehlt,
und es sei ihm die Einsicht in die Projektpläne mit Längs- und Querprofil
sowie in die Massangaben für die auszuführenden Arbeiten verweigert worden.
Dies obwohl die entsprechenden Dokumente der Gemeinde bereits seit Mai 2004
und somit auch während der Einsprachefrist vorgelegen hätten.

Das Verwaltungsgericht führt hierzu im angefochtenen Entscheid aus, die
Einwohnergemeinde sei in diesem Verfahrensstadium nicht verpflichtet, bereits
genauere Pläne und Kostenberechnungen vorzulegen. Der Beschwerdeführer habe
Einsicht erhalten in all diejenigen Akten, die zum Beitragsverfahren gehörten
und ihm in diesem Stadium des Verfahrens zugänglich gemacht werden müssten.

3.3 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches
Gehör. Der Betroffene hat das Recht, sich vor Erlass eines in seine
Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern. Dazu gehört
insbesondere das Recht, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen
Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise
entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn
es geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56).

Aus Inhalt und Funktion des Akteneinsichtsrechts als Teil des Anspruchs auf
rechtliches Gehör folgt nach der Rechtsprechung, dass den Beteiligten
grundsätzlich sämtliche beweiserheblichen Akten gezeigt werden müssen, sofern
in dem sie unmittelbar betreffenden Entscheid darauf abgestellt wird. Es
gehört zum Kerngehalt des rechtlichen Gehörs, dass der Verfügungsadressat vor
Erlass eines für ihn nachteiligen Verwaltungsaktes zum Beweisergebnis
Stellung nehmen kann. Das Akteneinsichtsrecht ist somit eng mit dem
Äusserungsrecht verbunden, gleichsam dessen Vorbedingung. Der Rechtssuchende
kann sich nur dann wirksam zur Sache äussern und geeignete Beweise führen
oder bezeichnen, wenn ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, die Unterlagen
einzusehen, auf welche sich die Behörde bei ihrer Verfügung gestützt hat. Das
rechtliche Gehör dient in diesem Sinne einerseits der Sachaufklärung und
stellt anderseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht im Verfahren
dar. Das Akteneinsichtsrecht bezieht sich auf sämtliche verfahrensbezogenen
Akten, die geeignet sind, Grundlage des Entscheids zu bilden. Die
Akteneinsicht ist demnach auch zu gewähren, wenn die Ausübung des
Akteneinsichtsrechts den Entscheid in der Sache nicht zu beeinflussen vermag.
Die Einsicht in die Akten, die für ein bestimmtes Verfahren erstellt oder
beigezogen wurden, kann demnach nicht mit der Begründung verweigert werden,
die fraglichen Akten seien für den Verfahrensausgang belanglos. Es muss
vielmehr dem Betroffenen selber überlassen sein, die Relevanz der Akten zu
beurteilen (BGE 132 V 387 E. 3; Urteil des Bundesgerichts 2A.444/1995 vom
13. August 1996).

3.4 Nach § 111 Abs. 1 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Solothurn vom
3. Dezember 1978 (PBG) setzt der Gemeinderat bei der Erhebung von
Erschliessungsbeiträgen die Beitragspflicht und die Höhe der einzelnen
Beiträge vor der Bauausführung nach Kostenvoranschlag im Beitragsplan fest.
Der Begriff des beitragspflichtigen Strassenausbaus ist in § 7 Abs. 2 GBV
umschrieben. Danach bedeutet Strassenausbau die wesentliche Verbesserung oder
Verbreiterung einer bestehenden Strasse, das erstmalige Auftragen eines
Hartbelags oder die Erneuerung des Strassenunterbaus. Nicht beitragspflichtig
sind nach § 8 GBV unter anderem ordentliche Unterhaltsarbeiten
(wiederkehrende Belagserneuerung, Kanalreinigung usw.). Zur Beurteilung, ob
hier eine beitragspflichtige Erschliessungsmassnahme Gegenstand des
Beitragsplans ist, erscheint es unabdingbar, dass dem Beschwerdeführer
Einsicht in den Kostenvoranschlag und die Projektpläne gewährt wird. Nachdem
diese Unterlagen bereits im Zeitpunkt der öffentlichen Auflage des
Beitragsplans Bestandteil der Akten waren, hatte der Beschwerdeführer
gestützt auf Art. 29 Abs. 2 BV auch Anspruch darauf, diese Akten einzusehen.
Wie in E. 3.3 hiervor dargelegt, ist es dem betroffenen Bürger überlassen,
die Relevanz der Akten für eine allfällige Einsprache oder Beschwerde zu
beurteilen. Die Verweigerung des Zugangs zu diesen Akten während der
kommunalen und kantonalen Verfahren stellt somit eine Verletzung des
Anspruchs auf Akteneinsicht dar, welche auch im verwaltungsgerichtlichen
Beschwerdeverfahren nicht geheilt wurde. Der angefochtene Entscheid ist
deshalb wegen Missachtung von Art. 29 Abs. 2 BV aufzuheben.

4.
Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, es liege gar kein beitragspflichtiger
Strassenausbau vor. Das Verwaltungsgericht habe willkürlich und unter
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausgeführt, der
Strassenunterbau werde erneuert, und damit die Beitragspflicht begründet. Mit
den Gegenargumenten des Beschwerdeführers habe es sich zu Unrecht nicht
auseinandergesetzt.

Das Verwaltungsgericht hat sich tatsächlich nicht mit den verschiedenen
Gesichtspunkten auseinandergesetzt, die gegen die Bejahung einer
Beitragspflicht des Beschwerdeführers sprechen. So lässt sich dem
angefochtenen Entscheid nicht entnehmen, inwiefern eine beitragspflichtige
Erneuerung des Strassenunterbaus im Sinne der kantonalen
Grundeigentümerbeitragsverordnung vorliegen soll. Statt dessen wird im
angefochtenen Entscheid ausgeführt, wenn sich nachträglich herausstellen
sollte, dass der Strassenunterbau entgegen der Absicht gar nicht erneuert
worden sei, würde allenfalls die Beitragspflicht entfallen, was im Verfahren
der Schlussabrechnung geltend zu machen wäre. Dieser Begründung kann vor dem
Hintergrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Willkürverbots nicht
gefolgt werden. Die Beitragspflicht wird, wie der Beschwerdeführer zutreffend
darlegt, nach § 111 Abs. 1 PBG und § 9 GBV mit dem Erlass des Beitragsplans
festgelegt. Somit kann die Beurteilung, ob tatsächlich ein
beitragspflichtiger Strassenausbau vorliegt, nicht Gegenstand des Verfahrens
der Schlussabrechnung sein. Gegen die definitive Beitragsverfügung können
nach § 18 Abs. 2 GBV denn auch nur noch Einwände gegen die Abrechnungssumme
erhoben werden. Der angefochtene Entscheid erweist sich somit auch in dieser
Hinsicht als unhaltbar.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde
gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Bei diesem
Ausgang sind keine Gerichtsgebühren zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Die
Einwohnergemeinde Dornach hat den Beschwerdeführer indessen für das
bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 18. Juli 2006 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Einwohnergemeinde Dornach hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Einwohnergemeinde Dornach und
dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Januar 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: