Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.599/2006
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{T 0/2}
1P.599/2006 /fun

Urteil vom 21. Dezember 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Eusebio,
Gerichtsschreiber Steinmann.

S. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter
Albrecht,

gegen

Gesellschaft X.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin
Corinne Schoch,
Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, Hermann Götz-Strasse 24, Postfach,
8401 Winterthur,
Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, Hirschengraben 13, Postfach,
8023 Zürich,
Kassationsgericht des Kantons Zürich, Grossmünsterplatz 1, Postfach, 8022
Zürich.

Strafverfahren; Beweiswürdigung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
S. ________ wurde beschuldigt, als Gepäckwagen-Einsammler in der Abflughalle
des Terminals A des Flughafens Zürich-Kloten am 10. August 2002 zwischen ca.
19.40 und 19.50 Uhr wissentlich und willentlich ab einem Gepäckwagen einen
Rucksack von Frau Z.________ (Geschädigte 1) samt dem darin enthaltenen
Barbetrag von EUR 20'000.-- der Gesellschaft X.________ (Geschädigte 2)
weggenommen zu haben. Der Beschuldigte bestritt diesen Vorwurf stets.

B.
Mit Urteil vom 1. Juni 2004 erkannte das Bezirksgericht Bülach S.________ des
Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB für schuldig und sprach eine
Strafe von sechs Monaten Gefängnis unter Gewährung des bedingten
Strafvollzugs aus; das Bezirksgericht verpflichtete den Verurteilten zur
Bezahlung von EUR 20'000.-- sowie von Fr. 5'000.-- als Prozessentschädigung
an die Geschädigte 2. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte das
bezirksgerichtliche Urteil am 18. Oktober 2004.

Nachdem das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine Nichtigkeitsbeschwerde
von S.________ am 31. Mai 2005 guthiess und die Sache zu neuer Beurteilung an
das Obergericht zurückwies, bestätigte das Obergericht das
bezirksgerichtliche Urteil am 28. September 2005 erneut in allen Punkten. In
der Folge wies das Kassationsgericht eine erneute Nichtigkeitsbeschwerde mit
Beschluss vom 20. Juli 2006 ab.

C.
Gegen dieses Urteil des Kassationsgerichts hat S.________ am
15. September 2006 mit dem Antrag auf Aufhebung beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er rügt sinngemäss eine Verletzung der
Unschuldsvermutung und des Grundsatzes "in dubio pro reo".

Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland beantragt die Abweisung der
Beschwerde. Die Geschädigte 2, das Obergericht und das Kassationsgericht
haben auf Vernehmlassung verzichtet.

Mit Eingabe vom 7. November 2006 nahm der Beschwerdeführer zur Vernehmlassung
der Staatsanwaltschaft Stellung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Unschuldsvermutung bzw. des
Grundsatzes "in dubio pro reo" gemäss Art. 32 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 2
EMRK.

Gemäss dem aus der Unschuldsvermutung abgeleiteten Grundsatz "in dubio pro
reo" ist bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld zu vermuten, dass der wegen
einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Als Beweislastregel
bedeutet die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des
Angeklagten zu beweisen, und dieser seine Unschuld nicht nachweisen muss. Der
Grundsatz ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten einzig mit
der Begründung verurteilt, dieser habe seine Unschuld nicht bewiesen. Als
Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht von
einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf,
wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende
Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Maxime ist
verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln
müssen (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41, 124 IV 86 E. 2a S. 88, 120 Ia 31 E. 2c/2d
S. 37).

Im vorliegenden Fall ruft der Beschwerdeführer den Grundsatz "in dubio pro
reo" nicht in seinem Gehalt als Beweiswürdigungsregel an. Das
Kassationsgericht bezog sich in seinem Entscheid (II/4., S. 8) auf die
Beweiswürdigung des Obergerichts, unterzog diese indes mangels entsprechender
Rügen keiner weitern Prüfung. Der Beschwerdeführer setzt sich damit in seiner
Beschwerde nicht auseinander, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.

2.
Mit dem angefochtenen Entscheid hat das Kassationsgericht die vom
Beschwerdeführer erhobene Nichtigkeitsbeschwerde als unbegründet abgewiesen.
Im Einzelnen hielt es fest, dass das Absehen von einer nachträglichen
Spurensicherung am fraglichen Rucksack nicht zu beanstanden sei (E. 2), dass
die Annahme des Tragens von Handschuhen oder des bewussten oder unbewussten
Verwischens von Spuren auf dem Rucksack nachvollziehbar sei (E. 3) und dass
das Fehlen von verwertbaren Fingerabdrücken nicht zu unüberwindbaren Zweifeln
an der Täterschaft führe (E. 4).

Der Beschwerdeführer beanstandet nicht, dass im obergerichtlichen Verfahren
eine nachträgliche Untersuchung von allfälligen Fingerabdrücken auf dem
Rucksack unterblieben ist (Duplik S. 1 Ziff. 2; vgl.
Kassationsgerichtsentscheid E. 2). Hingegen rügt er, dass das
Kassationsgericht nunmehr angenommen habe, er habe möglicherweise Handschuhe
getragen oder bewusst oder unbewusst Spuren auf dem Rucksack verwischt. Er
erblickt in dieser Annahme eine Verletzung von Art. 32 Abs. 2 BV und Art. 6
Ziff. 2 EMRK in seiner Bedeutung als Beweislastregel insofern, als ihm
nunmehr der Nachweis auferlegt werde, dass er tatsächlich keine Handschuhe
getragen und auch nicht bewusst oder unbewusst Spuren verwischt habe.

Das Kassationsgericht kam in seiner tragenden Begründung zum Schluss, das
Fehlen von verwertbaren Fingerabdrücken - aus welchen Gründen auch immer -
führe nicht zu unüberwindlichen Zweifeln an der Täterschaft des
Beschwerdeführers (E. 4 am Ende). Damit stellt das Kassationsgericht nicht
auf blosse Vermutungen ab und begründet den Schuldspruch nicht damit, dass
der Beschwerdeführer solche nicht entkräftet und damit seine Unschuld nicht
bewiesen habe. Daher erweist sich die Rüge der Verletzung von Art. 32 Abs. 2
BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK als unbegründet.

3.

Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Winterthur/ Unterland
sowie dem Obergericht, I. Strafkammer, und dem Kassationsgericht des Kantons
Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Dezember 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: