Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.598/2006
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{T 0/2}
1P.598/2006 /scd

Urteil vom 21. November 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Reeb,
Gerichtsschreiber Steinmann.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Raffael Steger,

gegen

Y.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Edwin Ruesch,
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen,
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.

Einstellungsverfügung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen
den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in
Strafsachen, vom 8. August 2006.

Sachverhalt:

A.
X. ________ reichte am 28. Juli 2005 gegen Y.________ wegen einfacher
Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beschimpfung und Widerhandlung gegen das
Tierschutzgesetz Strafanzeige und Strafantrag ein. Er bezog sich auf einen
Vorfall vom 2. Juni 2005, in dessen Verlauf Y.________ mit einem Besenstil
X.________ am Handrücken und dessen Hündin Cara an der Schnauze traf.

Nach durchgeführter Untersuchung stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau das Verfahren am 20. Juni 2006 mit der Begründung ein, der
beschuldigte Y.________ habe in Notwehr gehandelt.

Die von X.________ dagegen gerichtete Beschwerde wies die Beschwerdekammer in
Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau am 8. August 2006 ab.

B.
Gegen diesen Entscheid des Obergerichts hat X.________ am 18. September 2006
beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er stellt den Antrag,
es sei der obergerichtliche Entscheid aufzuheben und die Staatsanwaltschaft
anzuweisen, gegen Y.________ Anklage zu erheben. Er macht Verletzungen von
Art. 9 und Art. 29 BV geltend.

Der Beschwerdegegner Y.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde,
soweit überhaupt darauf eingetreten werden könne. Das Obergericht hat auf
Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der durch eine angeblich strafbare
Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die
Nichteröffnung oder Einstellung eines Strafverfahrens oder gegen ein
freisprechendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Der
Geschädigte hat an der Verfolgung und Bestrafung des Täters nur ein
tatsächliches oder mittelbares Interesse im Sinne der Rechtsprechung zu Art.
88 OG. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht, steht
ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte
als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf seinen
Antrag hin verfolgt wird (BGE 120 Ia 101 E. 1a S. 102). Unbekümmert um die
fehlende Legitimation in der Sache selbst ist der Geschädigte aber befugt,
mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend
zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das
nach Art. 88 OG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich
diesfalls nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der
Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem
Sinne nach kantonalem Recht Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte
rügen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund
der Bundesverfassung zustehen. Er kann beispielsweise geltend machen, auf ein
Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht angehört
worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen, oder habe
nicht Akteneinsicht nehmen können (vgl. BGE 128 I 218 E. 1.1 S. 219 f.).
Hingegen kann er weder die Würdigung der beantragten Beweise noch die
Tatsache rügen, dass seine Anträge wegen Unerheblichkeit oder aufgrund
antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt wurden. Die Beurteilung dieser Fragen
kann von der Prüfung der materiellen Sache nicht getrennt werden. Auf eine
solche hat der in der Sache selbst nicht Legitimierte jedoch keinen Anspruch
(BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb S. 160 mit Hinweisen). Etwas anderes gilt für das
Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG (vgl. BGE 120 Ia 157 E. 2c S. 161 f.).
Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG kann das Opfer den Entscheid eines Gerichts
verlangen, wenn das Verfahren eingestellt wird. Es kann nach Art. 8 Abs. 1
lit. c OHG den betreffenden Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln
anfechten wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren
beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder
sich auf deren Beurteilung auswirken kann. Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG geht
Art. 88 OG als "lex specialis" vor. Die Legitimation des Opfers zur
staatsrechtlichen Beschwerde ist insoweit auf materiellrechtliche Fragen
erweitert (BGE 128 I 218 E. 1.1 S. 219 f. mit Hinweisen).

1.2 Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer, wer durch eine Straftat in seiner
körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar
beeinträchtigt worden ist. Nach der Rechtsprechung muss die Beeinträchtigung
von einem gewissen Gewicht sein; ob dies der Fall sei, hängt von den gesamten
konkreten Umständen ab. Bagatelldelikte wie z.B. Tätlichkeiten, die nur
unerhebliche Beeinträchtigungen bewirken, sind daher vom Anwendungsbereich
des Opferhilfegesetzes grundsätzlich ausgenommen. Entscheidend ist jedoch
nicht die Schwere der Straftat, sondern der Grad der Betroffenheit der
geschädigten Person. So kann etwa eine Tätlichkeit die Opferstellung
begründen, wenn sie zu einer nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigung
führt. Umgekehrt ist es denkbar, dass eine im Sinne des Opferhilfegesetzes
unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Integrität
angenommen wird, obwohl der Eingriff strafrechtlich als leichte
Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zu beurteilen ist.
Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung des Geschädigten in seiner
körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität das legitime Bedürfnis
begründet, die Hilfsangebote und die Schutzrechte des Opferhilfegesetzes -
ganz oder zumindest teilweise - in Anspruch zu nehmen (BGE  129 IV 95 E.3.1,
128 I 218 E. 1.2 S. 220 f., 125 II 265 E. 2a/aa, mit Hinweisen).

Ob die Opferstellung gegeben sei, prüft das Bundesgericht mit freier
Kognition (BGE 120 Ia 157 E. 2d mit Hinweis).

1.3 Dr. med. A.________ stellte in seinem ärztlichen Attest vom 2. Juni 2005
eine Schwellung des Ringfingers der linken Hand mit einem Bluterguss über dem
Handrücken auf Höhe Ring- und Kleinfinger fest. Dr. med. B.________
verordnete am 7. Juni 2005 Handbäder. Diese ärztlichen Begutachtungen zeigen,
dass die durch den Beschwerdegegner verursachte Tätlichkeit von geringer
Tragweite war. Es wird vom Beschwerdeführer nicht dargetan und ist nicht
ersichtlich, dass sie zu einer nicht unerheblichen psychischen
Beeinträchtigung geführt hat. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass
zur Abklärung eine Röntgenaufnahme gemacht worden ist und der
Beschwerdeführer seinen Arzt noch mehrmals aufgesucht hat. Gesamthaft ergibt
sich daraus, dass der Beschwerdeführer nicht als Opfer im Sinne von Art. 2
Abs. 1 OHG betrachtet werden kann.

Bei dieser Sachlage ist der Beschwerdeführer zur Rüge von
materiellrechtlichen Fragen nicht legitimiert. Insoweit kann auf die
Beschwerde nicht eingetreten werden.

1.4 Der Beschwerdeführer hält die Durchführung des Untersuchungsverfahrens
insbesondere hinsichtlich der Befragung von Frau Dr. med. vet. C.________ für
suspekt. Indessen bringt er in dieser Hinsicht keine Rügen vor, die den
Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügen würden. Auf die Beschwerde
kann daher auch in diesem Punkte nicht eingetreten werden.

2.

Demnach ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen
(Art. 156 OG) und den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
zu entschädigen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 21. November 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: