Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.551/2006
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{T 0/2}
1P.551/2006 /ggs

Urteil vom 22. September 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Petar Hrovat,

gegen

Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Selnaustrasse 28, Postfach, 8027
Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Fortsetzung der Untersuchungshaft,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 9. August 2006.
Sachverhalt:

A.
X. ________ befindet sich seit dem 13. Mai 2005 in Untersuchungshaft. Die
Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich verdächtigt ihn des bandenmässigen
Drogenhandels, mit welchem mindestens rund 17 kg Heroin umgesetzt worden
seien.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 7. August 2006 hin verlängerte der
Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich die Untersuchungshaft gegen X.________
bis zum 13. November 2006. Er erwog, es bestehe nach wie vor dringender
Tatverdacht und Fluchtgefahr.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit
(Art. 31 Abs. 1 BV) und des Beschleunigungsgebotes (Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5
Ziff. 3 EMRK) beantragt X.________, diesen Entscheid des Haftrichters
aufzuheben und ihn aus der Haft zu entlassen. Eventuell seien die
Untersuchungsbehörden anzuhalten, die Untersuchung innert der bewilligten
Haftfrist abzuschliessen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.

Der Haftrichter verzichtet auf Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft
beantragt sinngemäss, die Beschwerde abzuweisen.

X. ________ hält in seiner Replik an der Beschwerde vollumfänglich fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die angefochtene Verfügung des Haftrichters ist ein kantonal
letztinstanzlicher Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde
zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die
übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde,
unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE
127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b) grundsätzlich einzutreten.

1.1 Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde allerdings insoweit, als der
Beschwerdeführer bestreitet, dass Fluchtgefahr vorliege. Eine solche Rüge hat
er in seiner Stellungnahme vom 9. August 2006 zum Haftfortsetzungsantrag der
Staatsanwaltschaft nicht erhoben, weshalb seine Kritik an der Annahme dieses
besonderen Haftgrundes am Novenverbot von Art. 86 Abs. 1 OG scheitert.

1.2 Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von
Untersuchungshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids,
auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E.
1a). Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zulässig.

1.3 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das
verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit gegen die
Aufrechterhaltung von Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht die
Auslegung und die Anwendung des kantonalen Rechts grundsätzlich frei (BGE 117
Ia 72 E. 1; 114 Ia 281 E. 3).

2.
2.1 Untersuchungshaft kann im Kanton Zürich (u.a.) angeordnet werden, wenn der
Angeschuldigte eines Vergehens oder Verbrechens dringend verdächtig ist und
die Gefahr besteht, dass er in Freiheit versuchen könnte, sich der weiteren
Strafverfolgung durch Flucht zu entziehen oder Beweismittel zu beseitigen,
Dritte zu falschen Aussagen zu verleiten oder die Abklärung des Sachverhaltes
auf andere Weise zu gefährden (§ 58 der Strafprozessordnung vom 4. Mai 1991,
StPO). Liegt neben dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts
einer der beiden besonderen Haftgründe - Flucht- oder Kollusionsgefahr - vor,
steht einer Inhaftierung auch unter dem Gesichtspunkt der persönlichen
Freiheit grundsätzlich nichts entgegen.

2.2 Der Haftrichter hat im angefochtenen Entscheid erwogen, es ergebe sich
aus dem Haftfortsetzungsantrag der Staatsanwaltschaft und sei unbestritten,
dass ein dringender Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer sowie Fluchtgefahr
bestünden, weshalb offen bleiben könne, ob dies auch für Kollusionsgefahr
zutreffe. Ein gewisses Verständnis hat er für die Kritik des
Beschwerdeführers an den "relativ grossen zeitlichen Abständen zwischen den
einzelnen Untersuchungshandlungen" gezeigt, aber befunden, eine Verletzung
des Beschleunigungsgebotes liege dennoch (noch) nicht vor.

2.3 Der Beschwerdeführer bestreitet nicht substanziiert, dass gegen ihn ein
dringender Tatverdacht besteht. Auf seine Kritik an der Annahme von
Fluchtgefahr ist nicht einzutreten (oben E. 1.2). Er ist somit insoweit den
Nachweis schuldig geblieben, dass die Fortsetzung der Untersuchungshaft
verfassungswidrig sein könnte, und das ist auch nicht ersichtlich. Es bleibt
daher sein Vorwurf zu prüfen, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren
verschleppt und dadurch das Beschleunigungsgebot verletzt, weshalb die
Fortführung der Untersuchungshaft unverhältnismässig sei.

3.
Nach Art. 5 Ziff. 3 EMRK und Art. 31 Abs. 3 Satz 2 BV darf eine an sich
gerechtfertigte Untersuchungshaft die mutmassliche Dauer der zu erwartenden
Freiheitsstrafe nicht übersteigen (BGE 105 Ia 26 E. 4b mit Hinweisen).

3.1 Die Rüge, das Strafverfahren werde nicht mit der verfassungs- und
konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung geführt, ist im
Haftprüfungsverfahren nur soweit zu beurteilen, als die Verfahrensverzögerung
geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen
und zu einer Haftentlassung zu führen. Dies ist nur der Fall, wenn sie
besonders schwer wiegt und zudem die Strafverfolgungsbehörden, z.B. durch
eine schleppende Ansetzung der Termine für die anstehenden
Untersuchungshandlungen, erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder nicht
in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs-
und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben und zum
Abschluss zu bringen.

Ist die gerügte Verzögerung des Verfahrens weniger gravierend, kann offen
bleiben, ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliegt. Es genügt
diesfalls, die zuständige Behörde zur besonders beförderlichen Weiterführung
des Verfahrens anzuhalten und die Haft gegebenenfalls allein unter der
Bedingung der Einhaltung bestimmter Fristen zu bestätigen. Ob eine Verletzung
des Beschleunigungsgebots gegeben ist, kann in der Regel denn auch erst der
Sachrichter unter der gebotenen Gesamtwürdigung (BGE 124 I 139 E. 2c)
beurteilen, der auch darüber zu befinden hat, in welcher Weise - z.B. durch
eine Strafreduktion - eine allfällige Verletzung des Beschleunigungsgebotes
wiedergutzumachen ist (BGE 128 I 149 E. 2.2).
3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Untersuchungsbehörden hätten sich
seit dem Vorliegen des polizeilichen Schlussberichts vom 2. Februar 2006
Versäumnisse zu Schulden kommen lassen. In ihrem Antrag auf Fortsetzung der
Untersuchungshaft vom 10. Februar 2006 hätten sie die Untersuchung als
beinahe abgeschlossen bezeichnet; dennoch seien sie bis anhin nicht in der
Lage gewesen, Anklage zu erheben. In den Akten seien keinerlei Gründe
ersichtlich, wieso dies nicht geschehen sei. Vielmehr sei auch die
Schlusseinvernahme bereits am 12. April 2006 durchgeführt worden. Dass fünf
Monate später immer noch keine Anklage erhoben worden sei, sei überaus
erklärungsbedürftig. Es sei offenkundig, dass die Untersuchung seit dem
Abschluss des polizeilichen Ermittlungsverfahrens nicht mit der gebotenen
Eile und insbesondere nicht in einer planmässigen oder strukturierten Art
vorangetrieben worden sei. Es sei unerfindlich, weshalb die
Untersuchungsbehörden in den letzten 7 Monaten lediglich zwei
Einvernahmeprotokolle generiert und sich im Übrigen darauf beschränkt hätten,
Akten beizuziehen.

3.3 Die Staatsanwaltschaft hält dem in ihrer Vernehmlassung entgegen, es sei
nach der Schlusseinvernahme nicht zur Anklageerhebung gekommen, weil der
Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20. April 2004 ergänzende Beweisanträge
gestellt und dabei namentlich die Einholung diverser Wahrnehmungsberichte
beantragt habe. Erst im Zuge dieser Untersuchungshandlungen sei sie auf einen
weiteren Tatvorgang gestossen, was sie zur Anforderung eines weiteren
polizeilichen Wahrnehmungsberichts und zur Einvernahme eines der
polizeilichen Observanten als Zeugen veranlasst habe.

3.4 Aufgrund der Schwere des Tatvorwurfs - Beteiligung an bandenmässigem
Handel mit 17 kg Heroin - muss der Beschwerdeführer für den Fall einer
Verurteilung mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Er macht daher
zu Recht nicht geltend, die erstandene Untersuchungshaft - bis zum
angefochtenen Entscheid rund 15 Monate - rücke in grosse Nähe der zu
erwartenden Strafe.

Der Beschwerdeführer hat nach der Schlusseinvernahme vom 12. April 2006 am
20. April 2006 ergänzende Beweisanträge auf Beizug polizeilicher
Wahrnehmungsberichte gestellt. Die Staatsanwaltschaft hat dem Antrag
entsprochen und in diesem Zusammenhang einen Polizeibeamten auf den 18.
August 2006 als Zeugen geladen. Im Zuge dieser Abklärungen stiess die
Staatsanwaltschaft auf weitere Verdachtsmomente und dehnte das Verfahren auf
einen weiteren Tatvorwurf aus. Damit ist hinreichend dargetan, dass die
Staatsanwaltschaft nach der Schlusseinvernahme nicht untätig geblieben ist,
sondern die Untersuchung - teilweise auf Antrag des Beschwerdeführers -
ergänzt und ausgeweitet hat. Wie schon der Haftrichter festgestellt hat,
erweckt allenfalls der schleppende Rhythmus des staatsanwaltlichen Vorgehens
unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes gewisse Bedenken. So hat
sich diese etwa mit der Ansetzung des Termins für die Einvernahme eines
Polizeibeamten rund vier Monate (Beweisantrag: 20. April 2006,
Zeugeneinvernahme: 8. August 2006) Zeit gelassen, was in einem Haftfall doch
eher lang erscheint. Es sind allerdings keine Anzeichen ersichtlich, dass die
Staatsanwaltschaft nicht gewillt oder in der Lage wäre, das Verfahren nunmehr
beförderlich fortzuführen und allfällige durch sie verschuldete kleinere
Verzögerungen wiedergutzumachen. Von einer besonders schweren
Verfahrensverzögerung, welche die Rechtmässigkeit der Haft und deren vom
Haftrichter im angefochtenen Entscheid bewilligte Fortsetzung bis zum 13.
November 2006 in Frage stellen könnte und damit im Haftprüfungsverfahren zu
beurteilen wäre (vgl. oben E. 3.1), kann jedenfalls keine Rede sein. Es
bleibt daher dem Sachrichter überlassen, auf entsprechende Vorbringen des
Beschwerdeführers hin in einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, ob eine (wenig
schwerwiegende) Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliegt und wie diese
zu sanktionieren ist.

4.
Unter diesen Umständen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 156 OG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da
die Beschwerde aussichtslos war (Art. 12 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verteidigung wird
abgewiesen.

2.2 Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft II des
Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. September 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: