Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.550/2006
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{T 0/2}
1P.550/2006 /ggs

Urteil vom 3. Januar 2007

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Steinmann.

A. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter
Studer,

gegen

Einwohnergemeinde Tägerig, vertreten durch den Gemeinderat, Alte Poststrasse
6, 5522 Tägerig,
Departement Volkswirtschaft und Inneres
des Kantons Aargau, Justizabteilung, Bleichemattstrasse 1, Postfach 2254,
5001 Aarau.

Einbürgerung, Art. 8 BV,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
der Einwohnergemeinde Tägerig vom 29. Juni 2006.
Sachverhalt:

A.
A. ________ (geboren 1956), seine Ehefrau B.________ (geboren 1956) sowie die
Kinder C.________ (geboren 1984) und D.________ (geboren 1987) sind in der
Gemeinde Tägerig (AG) wohnhaft.

Im Jahre 2002 stellte die von Serbien und Montenegro stammende Familie
erfolglos ein Einbürgerungsgesuch.

Am 20. Februar 2005 stellte A.________ für sich, seine Ehefrau B.________ und
den Sohn D.________ ein Einbürgerungsgesuch; gleichzeitig ersuchte auch die
Tochter C.________ in eigenem Namen um Einbürgerung. B.________ zog ihr
Gesuch auf gemeinderätliche Empfehlung mangels sprachlicher Integration
zurück.

B.
Anlässlich der Einwohnergemeindeversammlung der Gemeinde Tägerig vom 29. Juni
2006 war unter Traktandum 9 über die Einbürgerungsgesuche von A.________,
C.________ und D.________ zu befinden. Der Gemeinderat beantragte den
Stimmberechtigten die Zustimmung zu den Einbürgerungsgesuchen. In seinem
Bericht an die Stimmbürger hatte er die Gesuchsteller folgendermassen
vorgestellt:
A.________ arbeitet seit 9 Jahren als Chauffeur bei der Firma X.________ AG.
Der Arbeitgeber beschreibt sein Verhalten als freundlich und korrekt. Die
Leistungen am Arbeitsplatz sind gut; im Team wird er als zuverlässiger
Mitarbeiter geschätzt.

C. ________ ist seit Dezember 2004 als kaufmännische Angestellte bei der
Firma Y.________ AG tätig ... C.________ betreut als zuvorkommende,
freundliche und hilfsbereite Mitarbeiterin ihren Aufgabenbereich sehr
zuverlässig und mit grossem Verantwortungsbewusstsein.

D. ________ trat im Herbst 2003 als Hilfskraft bei der Auto-Vertretung
Z.________ AG ein, wo er im August 2004 eine Lehre als Automonteur begann.
Gegenüber Vorgesetzten und Mitarbeitern verhält sich der Gesuchsteller
vorbildlich, leistet gute Arbeit und gibt zu keinen Beanstandungen Anlass. Er
ist auch gewillt, den militärischen Pflichten Folge zu leisten.
Aus der Reihe der Stimmberechtigten wurden verschiedene Fragen gestellt und
unterschiedliche Auffassungen geäussert. In offener Abstimmung wurde das
Einbürgerungsgesuch von C.________ mit grosser Mehrheit gutgeheissen. In
geheimer Abstimmung wurde A.________ (105 Nein zu 20 Ja) und D.________ (78
Nein zu 46 Ja) die Einbürgerung verweigert.

C.
Gegen diesen Beschluss der Einwohnergemeindeversammlung Tägerig hat
A.________ beim Bundesgericht am 4. September 2006 staatsrechtliche
Beschwerde erhoben. Er beantragt die Aufhebung des Beschlusses und macht
hierfür eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes gemäss Art. 8 Abs. 2 und
3 BV geltend.

Die Gemeinde Tägerig beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Departement
Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau hat auf eine Stellungnahme
verzichtet.

Der Beschwerdeführer nahm zur Vernehmlassung der Gemeinde Tägerig wiederum
Stellung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der angefochtene Beschluss der Einwohnergemeindeversammlung kann mit
keinem kantonalen Rechtsmittel angefochten werden, stellt einen kantonal
letztinstanzlichen Entscheid gemäss Art. 86 Abs. 1 OG dar und unterliegt
somit direkt der staatsrechtlichen Beschwerde (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 des
Gesetzes über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht [KBüG]; nicht
veröffentlichte E. 1 von BGE 132 I 196).

Die Einwohnergemeindeversammlung hat ihren Beschluss am 29. Juni 2006
getroffen. Er wurde (zusammen mit den andern Beschlüssen) am 4. Juli 2006 im
Reussbote - mit dem Hinweis, dass ein Referendum ausgeschlossen sei -
publiziert. Bei dieser Sachlage erweist sich die Beschwerde vom 4. September
2006 gemäss Art. 89 OG als rechtzeitig.

1.2 Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass er nach dem kantonalen
Bürgerrechtsgesetz einen Anspruch auf Einbürgerung habe. Für die Bejahung
seiner Legitimation muss er daher in unmittelbar durch die Bundesverfassung
geschützten Interessen betroffen sein. Die Legitimation ergibt sich bei
Anrufung spezieller Verfassungsrechte bereits aus der Grundrechtsträgerschaft
und dem Inhalt der als verletzt gerügten Verfassungsrechte (BGE 132 I 167 E.
2 S. 168, mit Hinweisen). Das trifft auf die Rügen zu, der angefochtene
Beschluss verletze das Diskriminierungsverbot und das Gebot der
Geschlechtergleichbehandlung gemäss Art. 8 Abs. 2 und 3 BV. Hingegen
legitimiert diese Parteistellung nicht zur Rüge, der angefochtene Entscheid
sei materiell unzutreffend (BGE 132 I 167 E. 2.1 S. 168).
In diesem Rahmen ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer macht in erster Linie eine Verletzung des
Diskriminierungsverbotes nach Art. 8 Abs. 2 BV geltend. Hingegen rügt er
nicht, der Einwohnergemeindebeschluss enthalte keine bzw. keine
rechtsgenügliche Begründung im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV (vgl. BGE 132 I
196).

Gemäss Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht
wegen seiner Herkunft, Rasse und der religiösen, weltanschaulichen oder
politischen Überzeugung. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person
ungleich behandelt wird aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Gruppe, welche historisch oder in der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit
tendenziell ausgegrenzt oder als minderwertig behandelt wird. Die
Diskriminierung stellt eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in
vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteilung von Menschen
bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an
Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur
schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen
ausmacht. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt demgegenüber
vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von
spezifisch gegen Diskriminierung geschützte Gruppen enthält, in ihren
tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen Gruppe besonders
benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (BGE 132 I 167 E. 3 S.
169, 129 I 217 E. 2.1 S. 223, mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Doktrin).

3.
3.1 Anlässlich der Einwohnergemeindeversammlung sprachen sich verschiedene
Bürger gegen die Einbürgerung des Beschwerdeführers aus. Diese Voten lassen
sich folgendermassen zusammenfassen: In früheren Jahren seien für den Fall
der Nichteinbürgerung Drohungen ausgesprochen worden; es wird auf die
Nichtbeachtung der schweizerischen Rechtsordnung beispielsweise durch
Verkehrsübertretungen hingewiesen; anlässlich der Beerdigung von E.________
sei ein diskriminierender Umgang mit den Frauen festgestellt worden; der
Beschwerdeführer sei früher in eine Messerstecherei mit einem Landsmann
verwickelt worden; eine vor vier Jahren festgestellte Kriminalität könne
heute - trotz Löschung im Strafregister - nicht zur Einbürgerung führen. Auf
einzelne dieser Wortmeldungen antwortete der Gemeindeammann.

Im Rahmen der Behandlung der Diskriminierungsrüge ist, wie dargetan, nicht zu
prüfen, ob die vorgebrachten Gründe zutreffen. Es ist daher unerheblich, ob
die Vorbringen im Einzelnen zutreffen. Aus den wiedergegebenen Voten kann
entgegen der in der Beschwerdeschrift vertretenen Auffassung nicht auf eine
Diskriminierung des Beschwerdeführers wegen seiner Herkunft geschlossen
werden. Die Vorbringen sind vielmehr neutral gehalten und lassen keine auf
Religion, Rasse oder Herkunft beruhende qualifizierte Ungleichbehandlung von
Personen in vergleichbaren Situationen schliessen. Die
Einwohnergemeindeversammlung hat denn auch gleichentags der Tochter
C.________ das Gemeindebürgerrecht zugesprochen und in den letzten Jahren
manche Gesuche von Personen aus Ex-Jugoslawien gutgeheissen, wie die Gemeinde
in ihrer Vernehmlassung festhält. Die Rüge der Verletzung von Art. 8 Abs. 2
BV erweist sich daher als unbegründet.

3.2 Unbegründet ist auch die Rüge der Verletzung des Gebotes der
Geschlechtergleichheit gemäss Art. 8 Abs. 3 BV. Allein der Umstand, dass die
Tochter C.________ eingebürgert worden ist, stellt keine auf das Geschlecht
zurückzuführende Ungleichbehandlung dar.

4.
Die Beschwerde ist demnach als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 156 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Einwohnergemeinde Tägerig
sowie dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau,
Justizabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Januar 2007

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: