Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.544/2006
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{T 0/2}
1P.544/2006 /ggs

Urteil vom 14. September 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Haag.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Bosonnet,

gegen

Besonderes Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft, Rheinstrasse
12, 4410 Liestal,
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons
Basel-Landschaft, Kanonengasse 20, 4410 Liestal.

Haftverlängerung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 21.
Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Das Besondere Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft führt
gegen X.________ seit dem 2. März 2006 ein Verfahren wegen qualifizierter
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Am 3. März 2006 wurde er
wegen Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft genommen.

Mit Schreiben vom 13. Juli 2006 hat das Besondere Untersuchungsrichteramt
beim Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft die
Verlängerung der Untersuchungshaft um drei Monate beantragt, weil X.________
verdächtigt werde, innerhalb eines international tätigen Drogenrings eine
Führungsfunktion eingenommen zu haben. Insbesondere werde ihm der Vorwurf
gemacht, in Mittäterschaft mit Y.________ mit Heroin gehandelt zu haben. Er
habe Y.________ die Infrastruktur zum Handel mit BetäubungsmitteIn zur
Verfügung gestellt, ihn geführt und beaufsichtigt sowie den Geldfluss aus dem
betreffenden Handel kontrolliert. Es seien sowohl Kollusionsgefahr als auch
Flucht- und Fortsetzungsgefahr gegeben.

X. ________ beantragte die Abweisung des HaftverIängerungsgesuchs.
Eventualiter verlangte er, ihm sei eine erweiterte Akteneinsicht zu gewähren
und es seien abgedeckte Akten aus dem Dossier zu entfernen. Zur Begründung
führte er aus, die Untersuchungsbehörde beantrage eine Haftverlängerung unter
dem Hinweis auf Tätigkeiten von Y.________. Es werde der Tatverdacht gegen
Y.________ ausführlich dargelegt, um dann mit dem Kontakt von X.________ zu
Y.________ einen dringenden Tatverdacht gegen X.________ zu begründen. Allein
diese Herleitung des dringenden Tatverdachts zeige, dass den
Untersuchungsbehörden nach fünf Monaten Haft immer noch klare Beweise
fehlten. Es werde nicht grundsätzlich bestritten, dass ein dringender
Tatverdacht gegen einen Angeschuldigten über den dringenden Tatverdacht gegen
eine Drittperson belegt werden könne. Bei einer solchen Vorgehensweise müsse
die Untersuchungsbehörde jedoch die volle Akteneinsicht in die Akten
bezüglich der Drittperson gewähren. Es gehe nicht an, dass die Akteneinsicht
in die Aussagen von Y.________ verweigert werde, wenn der dringende
Tatverdacht hinsichtlich X.________ über die Bekanntschaft zu Y.________
hergeleitet werde. Im Übrigen habe in den letzten acht Wochen nur eine
einzige Einvernahme stattgefunden. Zudem seien X.________ Telefongespräche
mit Z.________ vorgehalten worden, von denen unklar sei, ob es sich bei
dessen Gesprächspartner wirklich um X.________ handle. Indessen habe keine
Konfrontation mit Z.________ stattgefunden.
Mit Entscheid vom 21. Juli 2006 hiess das Verfahrensgericht in Strafsachen
den Haftverlängerungsantrag teilweise gut und verlängerte die
Untersuchungshaft um acht Wochen bis zum 15. September 2006. Es bejahte den
dringenden Verdacht, dass X.________ der Handel mit mindestens vier Kilogramm
Heroin und eine gewisse Führungsfunktion innerhalb des Drogenrings
vorgeworfen werden könne. X.________ bestreite diese Vorwürfe, doch habe sich
der Tatverdacht aufgrund der Indizien aus der Strafuntersuchung weiter
erhärtet. Hinweise, die geeignet wären, die bestehenden Verdachtsmomente zu
entkräften, bestünden nicht. Weiter stellte das Verfahrensgericht fest, dass
Kollusionsmöglichkeit und -bereitschaft bezüglich verschiedener
Mitbeteiligter mit grösster Wahrscheinlichkeit gegeben seien. Es bestehe die
Gefahr, dass X.________ in Freiheit mit Mittätern und Drittpersonen
Absprachen über die Darstellung des Sachverhalts treffen könnte. Das
Verfahrensgericht bezeichnete schliesslich eine Verlängerung der
Untersuchungshaft um acht Wochen als verhältnismässig.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 28. August 2006 beantragt X.________,
der Beschluss des Verfahrensgerichts sei wegen Verletzung der persönlichen
Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV
und Art. 5 Ziff. 4 EMRK) aufzuheben, und der Beschwerdeführer sei aus der
Untersuchungshaft zu entlassen. Zudem ersucht er um erweiterte Akteneinsicht
und um unentgeltliche Rechtspflege.

Das Besondere Untersuchungsrichteramt und das Verfahrensgericht in
Strafsachen beantragen, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten
sei. Der Beschwerdeführer hat mit Eingabe vom 12. September 2006 repliziert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde
zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung
von verfassungsmässigen Rechten, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Mit einer
staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von
Untersuchungshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids,
auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 124 I 327 E.
4 S. 332 ff. mit Hinweisen; 115 Ia 293 E. 1a). Der entsprechende Antrag des
Beschwerdeführers ist daher zulässig.

1.2 Der Beschwerdeführer verlangt neben der Haftentlassung auch eine
erweiterte Akteneinsicht. Im angefochtenen Entscheid wird klargestellt, dass
Gegenstand des Entscheids des Verfahrensgerichts einzig die Verlängerung der
Untersuchungshaft darstellt. Zur Gewährung einer erweiterten Akteneinsicht
müsse bei der Verfahrensleitung ein entsprechender Antrag gestellt werden.
Gegen eine allfällige abweisende Verfügung des Besonderen
Untersuchungsrichteramts könne eine Verfahrensbeschwerde nach § 120 der
kantonalen Strafprozessordnung vom 3. Juni 1999 (StPO/BL) erhoben werden.

Aus diesen Ausführungen im angefochtenen Entscheid ergibt sich, dass
bezüglich des Antrags um erweiterte Akteneinsicht noch kein
letztinstanzlicher kantonaler Entscheid vorliegt, weshalb das Bundesgericht
auf diesen Antrag nicht eintreten kann (Art. 86 Abs. 1 OG).

2.
Im angefochtenen Entscheid wird der dringende Tatverdacht und die
Kollusionsgefahr bejaht. Mit den Erwägungen zum Tatverdacht setzt sich der
Beschwerdeführer nicht in substanziierter Form auseinander, weshalb darauf
nicht einzutreten ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c S. 43;
125 I 492 E. 1b S. 495 f., je mit Hinweisen). Zu prüfen ist somit lediglich
die Rüge, es fehle an der Kollusionsgefahr.

2.1 Gemäss Art. 10 Abs. 2 BV hat jeder Mensch das Recht auf persönliche
Freiheit, insbesondere auf Bewegungsfreiheit. Bei staatsrechtlichen
Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen
Freiheit wegen der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft erhoben werden,
prüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts
frei (BGE 123 I 268 E. 2d mit Hinweis).

Gemäss § 77 StPO/BL ist die Verhaftung einer Person nur zulässig, wenn sie
eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird, deshalb gegen sie
ein Strafverfahren eröffnet worden ist und aufgrund konkreter Indizien
ernsthaft zu befürchten ist, sie werde die Freiheit benützen: a) zur Flucht;
b) zur Erschwerung oder Vereitelung der Untersuchung, namentlich durch
Beeinflussung anderer Personen oder durch Beseitigung von Beweismitteln; c)
zur Fortsetzung der deliktischen Tätigkeit, sofern diese eine erhebliche
Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder Eigentum anderer Personen darstellt
(Abs. 1). Die Untersuchungshaft darf nur solange aufrecht erhalten bleiben,
als einer der genannten Haftgründe besteht (Abs. 2).

Im vorliegenden Fall ist, wie gesagt, einzig die Kollusionsgefahr nach § 77
Abs. 1 lit. b StPO/BL streitig. Kollusion bedeutet, dass sich der
Beschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder
Mitbeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen
Aussagen veranlasst. Die Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr soll
verhindern, dass ein Angeschuldigter die Freiheit dazu missbraucht, die
wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden.
Jedoch genügt die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in
Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der Haft unter diesem
Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für eine solche
Gefahr sprechen (BGE 128 I 149 E. 2.1, mit Hinweisen). Nach der
Rechtsprechung kann Kollusionsgefahr auch nach Abschluss der Untersuchung
fortbestehen, besonders dann, wenn in der gerichtlichen Verhandlung der
Grundsatz der Unmittelbarkeit gilt (BGE 128 I 149 E. 3; 117 Ia 257 E. 4b S.
261, mit Hinweisen).

2.2 Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, dass noch nicht alle
Personen, mit welchen der Beschwerdeführer kolludieren könnte, bekannt seien.
Bei der Beurteilung der Kollusionsgefahr seien die Besonderheiten des
organisierten Drogenhandels mitzuberücksichtigen. In einer organisierten
Drogenhandelsorganisation mit hierarchischen Strukturen seien eine Mehrzahl
von Drogenlieferanten, Kurieren, Drogenabnehmern und weiteren untergeordneten
Abnehmern (Läufern) bis hin zu den Konsumenten vorhanden, mit denen eine
Kollusion möglich und naheliegend sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass im
Drogenmilieu gerichtsnotorisch Beeinflussungen einfach und an der
Tagesordnung seien. Somit werde festgestellt, dass eine Kollusionsmöglichkeit
und -bereitschaft bezüglich verschiedener Mitbeteiligter mit grösster
Wahrscheinlichkeit gegeben sei. So bestehe die Gefahr, dass der
Beschwerdeführer in Freiheit mit Mittätern und Drittpersonen Absprachen über
die Darstellung des Sachverhalts treffen könnte.

2.3 Der Beschwerdeführer wendet gegen diese Ausführungen im angefochtenen
Entscheid ein, dass damit noch keine konkrete Kollusionsgefahr dargelegt
werde. Es sei nicht ersichtlich, wer dieser angeblich kriminellen
Organisation angehören solle. Würden einzelne Personen konkret verdächtigt,
so könnten diese allenfalls mit dem Beschwerdeführer konfrontiert werden, was
geeignet sei, eine theoretische Kollusionsgefahr zu beseitigen. Eine solche
Konfrontation sei aber weder erfolgt noch geplant. Auch habe es die
Untersuchungsrichterin bisher abgelehnt, Zeuginnen und Zeugen zu befragen.
Zudem begründe die Tatsache, dass noch nicht alle Beweise erhoben und die
Mitverdächtigen dingfest gemacht werden konnten, keine konkrete
Kollusionsgefahr.

Das Besondere Untersuchungsrichteramt legt in seiner Stellungnahme zur
vorliegenden Beschwerde dar, es gehe zunächst darum die Lieferanten von 7.5
bis 11.5 kg Heroin ausfindig zu machen. Die bisher identifizierten
mutmasslichen Mittäter und der Beschwerdeführer wollten sich nicht dazu
äussern, weshalb auch eine Konfrontation keine Klärung bringen könne. Da die
weiteren Mitbeteiligten nicht bekannt seien, könne mit ihnen auch keine
Konfrontation durchgeführt werden. Vielmehr werde nun versucht, deren
Identität durch internationale polizeiliche Ermittlungen in Erfahrung zu
bringen, was eine gewisse Zeit in Anspruch nehme. Bei zwei Mitangeschuldigten
bestünden im Übrigen Hinweise, dass es sich um Brüder des Beschwerdeführers
handle, was die Kollusionsgefahr zusätzlich verstärke. Schliesslich lehnt es
das Besondere Untersuchungsrichteramt nicht ab, Zeugen einzuvernehmen, soweit
solche Befragungen angezeigt seien.

Das Verfahrensgericht weist ergänzend auf Abweichungen in den Aussagen des
Beschwerdeführers und verschiedener Mitangeschuldigter hin, woraus sich auf
eine Kollusionsgefahr schliessen lasse.

2.4 Es ist gerichtsnotorisch, dass in Fällen banden- und gewerbsmässiger
Drogendelinquenz häufig versucht wird, Auskunftspersonen und Zeugen
einzuschüchtern und zu beeinflussen. Die Einschätzung des Besonderen
Untersuchungsrichteramts und des Verfahrensgerichts, es sei zu befürchten,
der Beschwerdeführer könnte in Freiheit versuchen, dies zu tun, ist,
jedenfalls in der gegenwärtigen Phase der Untersuchung, verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer, der bisher
offenbar seine Mittäterschaft bestreitet, in Freiheit versucht sein könnte,
sein Aussageverhalten mit anderen Mitbeteiligten abzusprechen, oder es
könnten sich Einzelne zusammentun, um durch übereinstimmende Aussagen ihren
Tatbeitrag klein zu reden und die strafrechtliche Verantwortung möglichst auf
andere Mitbeschuldigte zu schieben (vgl. Urteil des Bundesgerichts
1P.441/2004 vom 2. September 2004, E. 2.2). Das Verfahrensgericht durfte
daher ohne Verfassungsverletzung Kollusionsgefahr annehmen. Daran ändern auch
die Ausführungen des Beschwerdeführers nichts. Weder aus dem angefochtenen
Entscheid noch aus den Vernehmlassungen der kantonalen Behörden ergibt sich,
dass das Recht des Beschwerdeführers auf Befragung von Belastungs- und
Entlastungszeugen eingeschränkt würde, wie er dies in seiner Replik
behauptet. Soweit der Beschwerdeführer den Untersuchungsbehörden zudem
Aktenwidrigkeit in Bezug auf seine Anträge zur Befragung von Zeugen vorwirft,
ist dieser Vorwurf nicht hinreichend belegt (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; 130 I
258 E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen).

3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit
darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen
Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 156 OG). Er
hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Mittellosigkeit ausgewiesen
scheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 152
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Marcel Bosonnet wird als unentgeltlicher Verteidiger
eingesetzt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Besonderen
Untersuchungsrichteramt und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons
Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. September 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: