Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.533/2006
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{T 0/2}
1P.533/2006 /ggs

Urteil vom 2. November 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Haag.

AX.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Heiner
Bernold,

gegen

BX.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard
Gehrig,
Bezirksgericht Zürich, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich,
Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich, Hirschengraben 15,
Postfach, 8023 Zürich.

Ablehnung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
der Verwaltungskommission des Obergerichts
des Kantons Zürich vom 15. August 2006.
Sachverhalt:

A.
AX.________ erhob am 4. November 2004 beim Bezirksgericht Meilen Strafklage
gegen seine Tochter BX.________ wegen übler Nachrede (Art. 173 StGB),
eventuell wegen Verleumdung (Art. 174 StGB) oder Beschimpfung (Art. 177
StGB). Gegenstand der Anklage bildet der angeblich von BX.________ geäusserte
Vorwurf, ihr Vater habe ihre jüngere Schwester CX.________ während der
Kindheit jahrelang sexuell missbraucht. Die Mutter der Geschwister und
Ehefrau von AX.________ habe von den Übergriffen gewusst und diese gedeckt.

Am 19. Juli 2005 wurde die Untersuchung mangels örtlicher Zuständigkeit des
Bezirksgerichts Meilen an das Bezirksgericht Zürich überwiesen. Am 30. Januar
und 3. Mai 2006 führte die Untersuchungsrichterin E. Vögeli Parteibefragungen
und erste Einvernahmen von Zeugen und Auskunftspersonen durch. Eine weitere
Verhandlung wurde auf den 13. September 2006 angesetzt.

Am 6. Juli 2006 stellte AX.________ ein Ausstandsbegehren gegen die
Untersuchungsrichterin. Diese nahm am 10. Juli 2006 zum Ausstandsbegehren
Stellung und gab die gewissenhafte Erklärung ab, sich unbefangen und
unvoreingenommen zu fühlen. AX.________ nahm dazu am 21. Juli 2006 Stellung.
Die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich wies das
Ausstandsbegehren mit Beschluss vom 15. August 2006 ab.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 28. August 2006 beantragt AX.________ im
Wesentlichen die Aufhebung des Beschlusses der Verwaltungskommission des
Obergerichts vom 15. August 2006 wegen Verletzung von Art. 29 BV. Zudem
beantragt er, vorsorgliche Massnahmen anzuordnen.

Das Obergericht und die Untersuchungsrichterin am Bezirksgericht Zürich haben
auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet.

C.
Mit Verfügung vom 8. September 2006 hat der Präsident der I.
öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch um vorsorgliche
Massnahmen abgelehnt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid, der kantonal letztinstanzlich festhält, dass
gegen die mit dem Fall befasste Untersuchungsrichterin kein Ausstandsgrund
bestehe, schliesst das Strafverfahren nicht ab. Es handelt sich somit um
einen Zwischenentscheid. Gemäss Art. 87 Abs. 1 OG ist gegen selbständig
eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über Ausstandsbegehren die
staatsrechtliche Beschwerde zulässig. Diese Entscheide können später nicht
mehr angefochten werden (dazu eingehend BGE 126 I 203 E. 1 S. 204 ff. mit
Hinweisen).

Die Legitimation des Beschwerdeführers in der Sache gemäss Art. 88 OG ist im
vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Jedenfalls kann der Beschwerdeführer
als Verfahrenspartei mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung jener
Parteirechte rügen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder
unmittelbar von Verfassungs wegen (insbesondere Art. 29 BV) zustehen (BGE 129
II 297 E. 2.3 S. 301 mit Hinweisen). Zu diesen Rechten gehört auch die
Leitung der Strafuntersuchung durch einen unabhängigen und unparteilichen
Untersuchungsrichter (s. nachfolgend E. 2).

Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen der staatsrechtlichen Beschwerde
sind vorliegend erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

2.
Nach der in Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK enthaltenen Garantie
des verfassungsmässigen Richters hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine
Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter
ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver
Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und
die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie
verletzt (BGE 127 I 196 E. 2b S. 198 mit Hinweisen).

Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sind bei der Ablehnung eines
Untersuchungsrichters oder eines Vertreters der Staatsanwaltschaft nur
anwendbar, wenn diese ausnahmsweise in richterlicher Funktion tätig werden
und die Rolle eines eigentlichen Richters einnehmen. Nehmen sie jedoch, wie
hier, ihre Funktion als Strafuntersuchungsbehörde wahr, ist die
Ausstandspflicht ausschliesslich aufgrund von Art. 29 Abs. 1 BV zu beurteilen
(BGE 127 I 196 E. 2b S. 198 mit Hinweisen). Der Gehalt von Art. 30 Abs. 1 BV
darf nach der Rechtsprechung nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden
bzw. auf Art. 29 Abs. 1 BV übertragen werden. Hinsichtlich der Unabhängigkeit
und Unbefangenheit des Untersuchungsrichters kommt Art. 29 Abs. 1 BV
allerdings ein mit Art. 30 Abs. 1 BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zu.
Ebenso wie ein Staatsanwalt kann auch ein Untersuchungsrichter abgelehnt
werden, wenn Umstände vorliegen, welche nach objektiven Gesichtspunkten
geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken (BGE 127 I 196 E. 2b
S. 198 f. mit Hinweisen).

2.1 Der Beschwerdeführer hält die Untersuchungsrichterin zunächst für
befangen, weil sie im Rahmen eines Einigungsgesprächs den Beschwerdeführer
fragte, ob er die Strafklage zurückziehe, und auf seine Gegenfrage, ob er mit
dieser Schande ins Grab gehen müsse, antwortete, dass es manchmal auch
genügen könne, vor sich selbst und vor Gott gut dastehen zu können. Auch
durch den Umstand, dass die Untersuchungsrichterin nicht bereit sei, Frau Dr.
med. D.________ als Auskunftsperson zur Krankengeschichte von CX.________ zu
befragen, erwecke sie den Anschein, dass sie sich in der Sache bereits
festgelegt habe. Weiter zeige sich die Befangenheit der
Untersuchungsrichterin darin, dass sie dem Beschwerdeführer nach der Anhörung
seiner Tochter BX.________ keine Gelegenheit gegeben habe, Ergänzungsfragen
zu stellen. Mit den Äusserungen "vor sich selbst und Gott gut dastehen zu
können" und dies sei ihr "schlimmster Ehrverletzungsprozess in 21 Jahren"
habe die Untersuchungsrichterin beim Beschwerdeführer die Befürchtung
aufkommen lassen, sie lasse die gebotene Sachlichkeit und Distanz vermissen.
Schliesslich wolle die Untersuchungsrichterin trotz ärztlichem Zeugnis einen
amtsärztlichen Bericht über den Gesundheitszustand der Ehefrau des
Beschwerdeführers einholen lassen, obwohl diese vor dem Amtsstatthalter
Luzern am 22. Juni 2005 klar und unmissverständlich ausgesagt und zur
Ergänzung auch noch eine eidesstattliche Erklärung eingereicht habe. Dieses
Misstrauen der Untersuchungsrichterin sei unter den gegebenen Umständen auch
objektiv betrachtet geeignet, beim Gesuchsteller Misstrauen in die
Untersuchungsrichterin hevorzurufen. Insgesamt erweise sich die
Untersuchungsrichterin somit als befangen.

2.2 Zunächst stellt sich die Frage, ob die Äusserung der
Untersuchungsrichterin im Rahmen des Einigungsgesprächs, wonach es "manchmal
auch genügen könne, vor sich selbst und vor Gott gut dastehen zu können",
geeignet ist, Zweifel an deren Unparteilichkeit zu wecken.

Die Garantie auf den verfassungsmässigen Richter bedeutet, dass der Richter
als echter Mittler auftritt, d.h. den Parteien gleich gegenübertritt, über
dem Streit der Parteien steht und Gewähr für eine unabhängige, unparteiische
und unvoreingenommene Beurteilung bietet. Das stark formalisierte
Prozessverfahren trägt zur Umsetzung der Verfassungsgarantie bei, indem die
Parteien gleichermassen und voraussehbar zu Worte kommen, Beweise unter
Einbezug der Parteien abgenommen und Prozesshandlungen aktenkundig gemacht
werden. Damit wird insbesondere auch der Gefahr der einseitigen Beeinflussung
des Richters durch eine der Parteien entgegengetreten. Davon unterscheidet
sich das Stadium von Vergleichsverhandlungen vor dem Richter. Dieser
Verfahrensschritt ist an keine strengen prozessualen Formen geknüpft: Der
Richter geht auf Wünsche und Vorstellungen der Parteien ein und sucht unter
Umständen noch vor der Abnahme von Beweisen im Interesse der Parteien nach
einvernehmlichen Lösungen. Im Hinblick auf eine derartige Vermittlung dürfen
an die Vermittlungshandlungen keine allzu strengen Anforderungen gestellt
werden. Der Umstand eines Vermittlungsversuchs als solcher vermag die
Unparteilichkeit eines Richters nicht in Frage zu stellen. Er kann nur
abgelehnt werden, wenn die Vermittlertätigkeit oder ein Vermittlungsvorschlag
den objektiv begründeten Anschein der Befangenheit hervorruft oder wenn der
Richter eine durch den Prozess erst noch abzuklärende Tatsache als schon
erwiesen ansieht oder sich bereits in einer Art festgelegt hat, dass Zweifel
darüber bestehen, ob er einer anderen Bewertung der Sach- und Rechtslage
aufgrund weiterer Abklärungen noch zugänglich wäre (BGE 131 I 113 E. 3.6 S.
119 f., 119 Ia 81 E. 4b S. 87, je mit Hinweisen).

Das Obergericht legt im angefochtenen Entscheid dar, dass die Äusserung der
Untersuchungsrichterin, dass es "manchmal auch genügen könne, vor sich selbst
und vor Gott gut dastehen zu können" im Rahmen des Einigungsgesprächs gemacht
wurde, um eine weitere Eskalation dieser "dramatischen" innerfamiliären
Angelegenheit zu verhindern. Aus den Akten und dem angefochtenen Entscheid
ergibt sich deutlich, dass zum Versuch einer Beruhigung der Situation Anlass
bestand. Die genannte Äusserung wie auch die Aussage der
Untersuchungsrichterin, es handle sich um ihren schlimmsten
Ehrverletzungsprozess in 21 Jahren erscheinen im Kontext der vorliegenden
Strafklage keineswegs als Ausdruck von Parteilichkeit oder Befangenheit.

2.3 Auch die übrigen Punkte, aus welchen sich nach Ansicht des
Beschwerdeführers die Befangenheit der Untersuchungsrichterin ergeben soll,
hat das Obergericht sorgfältig geprüft. Es ist mit sachlich haltbaren
Erwägungen zum Schluss gelangt, dass das der Untersuchungsrichterin
vorgeworfene Verhalten aus objektiver Sicht nicht geeignet sei, den Anschein
der Befangenheit zu begründen. Diese Beurteilung ist zutreffend, und auch die
Beanstandungen des Beschwerdeführers vermögen daran nichts zu ändern. Es kann
auf die Ausführungen des Obergerichts verwiesen werden.

3.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
bundesgerichtlichen Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksgericht Zürich und der
Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 2. November 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: