Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.526/2006
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{T 0/2}
1P.526/2006 /scd

Urteil vom 16. Oktober 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Jean-Pierre
Garbade,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Strafvollzugsdienst, Feldstrasse
42, Postfach,
8090 Zürich,
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Neumühlequai 10,
Postfach, 8090 Zürich.

Verweigerung der Vollzugsform der gemeinnützigen Arbeit,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung der Direktion der Justiz und
des Innern des Kantons Zürich vom 15. Juni 2006.

Sachverhalt:

A.
Der Strafvollzugsdienst des Amtes für Justizvollzug des Kantons Zürich bot
X.________ am 1. Juni 2006 auf den 27. September 2006 zum Vollzug einer
Gefängnisstrafe von drei Monaten abzüglich 1 Tag für erstandene
Untersuchungshaft auf.

X. ________ rekurrierte gegen diese Verfügung mit dem Antrag, es sei ihm zu
ermöglichen, die Gefängnisstrafe im Rahmen eines Sozialdienstes zu
absolvieren, eventuell sei deren Vollzug bis zur endgültigen Regelung seines
Aufenthaltsrechts aufzuschieben.

Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich wies den Rekurs am
15. Juni 2006 ab. Sie erwog, der Hauptantrag sei als Antrag auf
Strafverbüssung in Form der gemeinnützigen Arbeit zu verstehen. Nach § 23
Ziff. 3 der Justizvollzugsverordnung vom 24. Oktober 2001 (JVV) setze diese
Vollzugsform voraus, dass die verurteilte Person im Zeitpunkt, in dem die
Vollzugsbehörde über den Strafantritt zu befinden habe, das Schweizer
Bürgerrecht oder eine Aufenthaltsbewilligung besitze. Da X.________ zum
massgeblichen Zeitpunkt anerkanntermassen weder über das eine noch das andere
verfügt habe, erfülle er die Voraussetzungen für diese Vollzugsform
offensichtlich nicht; der Ausgang des Verfahrens vor den Migrationsbehörden
des Kantons Aargau um sein Aufenthaltsrecht vermöge daran nichts zu ändern.
Die Festsetzung des Strafantritts liege zwar im Ermessen der Vollzugsbehörde,
aber nicht in ihrem Belieben. Bei Fluchtgefahr müsse der Vollzug sofort
angeordnet werden (§ 23 des Strafvollzugsgesetzes vom 30. Juni 1974; StVG),
in den übrigen Fällen dürfe sie von hier nicht zutreffenden Ausnahmen
abgesehen einzig berücksichtigen, dass dem Verurteilten eine angemessene Zeit
für die Regelung seiner privaten und beruflichen Angelegenheit verbleibe
(§ 35 Abs. 2 JVV). Diese Bedingung für eine Verschiebung des Strafantritts
(auf unbestimmte Zeit) sei in seinem Fall nicht erfüllt, weshalb auch der
Eventualantrag abzuweisen sei.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 15. August 2006 beantragt X.________,
diese Verfügung der Direktion der Justiz und des Innern aufzuheben, den
Antrag um Strafverbüssung in Form der gemeinnützigen Arbeit
zuständigkeitshalber an das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich zu
leiten und ihm unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung beizulegen.
Das Amt für Justizvollzug beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde
als Ganzes abzuweisen. Die Direktion der Justiz und des Innern verzichtet auf
Stellungnahme.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Bei der kantonalen Regelung der Vollzugsform der gemeinnützigen Arbeit
handelt es sich nach der Rechtsprechung um selbständiges kantonales Recht,
weshalb die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger
Rechte gegeben ist (vgl. BGE 115 IV 131 E. 1b). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf
die Beschwerde einzutreten ist.

2.
Der Beschwerdeführer wirft der Direktion der Justiz und des Innern eine
willkürliche Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts vor, indem sie an
Stelle des dafür zuständigen Amtes für Justizvollzug entschieden habe, dass
ihm die Vollzugsform der gemeinnützigen Arbeit verweigert werden müsse.

Das Amt für Justizvollzug ist nach § 5 JVV unbestreitbar zuständig für den
Vollzug der von zürcherischen Gerichten ausgesprochenen Freiheitsstrafen und
befindet damit auch darüber, welche Vollzugsform zur Anwendung kommt.
Vorliegend hat es dies mit Verfügung vom 1. Juni 2006 getan und den
Beschwerdeführer zum Vollzug seiner dreimonatigen Gefängnisstrafe aufgeboten;
damit hat es implizit die Verbüssung der Strafe in gemeinnütziger Arbeit
ausgeschlossen. Auf Rekurs des Beschwerdeführers hin hat die Direktion der
Justiz und des Innern diesen Entscheid geschützt und erkannt, dass die
Voraussetzungen nicht erfüllt seien, diesen seine Strafe in Form der
gemeinnützigen Arbeit verbüssen zu lassen. Es ist nicht ersichtlich und wird
vom Beschwerdeführer auch nicht in nachvollziehbarer Weise dargetan (Art. 90
Abs. 1 lit. b OG), inwiefern die Rekursinstanz mit diesem Entscheid ihre
Befugnis überschritten haben sollte. Die Rüge ist offensichtlich unbegründet.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, § 23 Ziff. 3 JVV, welcher für die
Bewilligung der Vollzugsform der gemeinnützigen Arbeit voraussetze, dass der
Verurteilte Schweizer oder Ausländer mit einer Aufenthaltsbewilligung sei,
verletze das Rechtsgleichheitsgebot von Art. 8 Abs. 1 und 2 BV. Nur weil er
Ausländer sei, verlange man von ihm eine Aufenthaltsbewilligung, um eine
Strafe in gleicher Form verbüssen zu können wie ein Schweizer. Für diese
Ungleichbehandlung gebe es keinen sachlichen Grund, weshalb sie gegen das
verfassungsmässige Diskriminierungsverbot verstosse. Es sei bezeichnend, dass
alle anderen 21 Kantone, welche diese Vollzugsform eingeführt hätten, eine
solche Voraussetzungen nicht kennen würden.

3.2 Wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, dürfen Schweizer und
Ausländer unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgleichheitsgebots von Art. 8 Abs.
1 und 2 BV nur ungleich behandelt werden, wenn dafür ein sachlicher Grund
besteht (BGE 129 I 392 E. 3.2.3 S. 398 f. mit Hinweisen). Der umstrittene §
23 Ziff. 3 JVV macht die Möglichkeit, einem Verurteilten die Vollzugsform der
gemeinnützigen Arbeit zu gewähren, allerdings nicht von dessen Nationalität
abhängig, sondern davon, ob er berechtigt ist, sich nach der Strafverbüssung
auf Dauer in der Schweiz aufzuhalten. Dies ist bei Schweizern
selbstverständlich immer der Fall, bei Ausländern nur, sofern sie über eine
Aufenthaltsbewilligung verfügen.

3.3 Nach der Darstellung des Amts für Justizvollzug auf seiner Homepage
(www.justizvollzug.zh.ch) ist die gemeinnützige Arbeit "eine gesellschaftlich
sinnvolle und kostengünstige Alternative zum Vollzug kurzer Freiheitsstrafen
im Gefängnis. Das soziale Netz des/der Verurteilten bleibt erhalten, und der
Erwerbstätigkeit kann weiterhin nachgegangen werden. Die gemeinnützige Arbeit
wird in der Freizeit des Verurteilten durchgeführt, unentgeltlich und zum
Wohle der Allgemeinheit".

Die Vollzugsform der gemeinnützigen Arbeit bezweckt somit unter anderem, das
soziale Netz des zu einer kurzen Freiheitsstrafe Verurteilten zu erhalten.
Dies macht indessen nur Sinn, sofern dieser berechtigt ist, nach der
Strafverbüssung für das weitere Fortkommen in der Schweiz zu bleiben. Dafür
benötigt ein Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung. Insofern ist es sachlich
vertretbar und damit unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 Abs. 1 und 2 BV
haltbar, ausländischen Verurteilten den Strafvollzug in Form der
gemeinnützigen Arbeit nur dann zu gewähren, wenn sie über eine
Aufenthaltsbewilligung verfügen. Dies ist beim Beschwerdeführer
unbestrittenermassen nicht der Fall; nach den Akten wurde ihm seine
B-Bewilligung am 6. Mai 2005 entzogen. Besondere Gründe, weshalb die
Anwendung von § 23 Ziff. 3 JVV in seinem Fall ausnahmsweise zu einem
verfassungswidrigen Ergebnis führen würde, sind weder ersichtlich noch
dargetan. Somit erweist sich sowohl diese Bestimmung als solche als auch ihre
Anwendung auf den vorliegenden Fall als verfassungsrechtlich haltbar. Die
Rüge, der angefochtene Entscheid verletze das Rechtsgleichheitsgebot, ist
unbegründet.

Verletzt aber der angefochtene Entscheid das Rechtsgleichheitsgebot von Art.
8 Abs. 1 und 2 BV nicht, ist damit auch die Rüge, er verletze die
derogatorische Kraft des Bundesrechts, da das materielle Strafrecht des
Bundes vorschreibe, die Strafen nicht diskriminierend zu vollziehen, von
vornherein unbegründet.

3.4 Konnte somit die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich
das Gesuch des Beschwerdeführers, seine Strafe in der Form der gemeinnützigen
Arbeit zu vollziehen, bereits wegen dessen fehlender Aufenthaltsbewilligung
ohne Verfassungsverletzung abweisen, brauchte sie unter dem Gesichtspunkt des
rechtlichen Gehörs von Art. 29 Abs. 2 BV keine weiteren Abklärungen
vorzunehmen und Akten beizuziehen. Die Gehörsverweigerungsrüge ist
unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Mit dem Entscheid in der Sache wird das
Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

Damit wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 156 OG).
Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
gestellt, welches gutzuheissen ist, da seine Prozessarmut ausgewiesen scheint
und die Beschwerde nicht aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Jean-Pierre Garbade wird für das bundesgerichtliche
Verfahren als unentgeltlicher Verteidiger eingesetzt und aus der
Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'800.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Amt für Justizvollzug,
Strafvollzugsdienst und der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons
Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Oktober 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: