Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.482/2006
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{T 0/2}
1P.482/2006 /scd

Urteil vom 17. August 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Scherrer.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Blum,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Strafprozess; Haftentlassung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter, vom 28. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wird vorgeworfen, seine ehemalige Lebenspartnerin Y.________ und
deren Tochter Z.________ seit ca. August 2005 dauernd (mit einem kurzen
Unterbruch nach seiner Haftentlassung im Januar 2006) mit Telefonanrufen
belästigt und zum Teil auch bedroht zu haben. Zudem soll er den beiden
Geschädigten aufgelauert haben und ihnen gefolgt sein. Y.________ reichte
darum am 8. Dezember 2005 Strafanzeige gegen den Angeschuldigten ein wegen
Hausfriedensbruchs, Missbrauch des Telefons und Drohung. Am 14. Dezember 2005
soll der Angeschuldigte seine ehemalige Partnerin überdies mit einem
Schraubenzieher bedroht haben. Am 15. Dezember 2005 war der Angeschuldigte
von der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat mit einer Fernhalteverfügung aus dem
Polizeiverhaft entlassen worden, mit der Weisung, er dürfe mit den beiden
Geschädigten in keinerlei Art (weder direkt, telefonisch, elektronisch noch
schriftlich) Kontakt aufnehmen, noch deren Wohn- oder Arbeitsorte aufsuchen,
ansonsten dies seine sofortige Inhaftierung zur Folge haben werde.

B.
Am 6. Januar 2006 sprach der Angeschuldigte Y.________ auf dem
Schwamendingerplatz in Zürich an, folgte ihr und forderte sie auf, die
Anzeige gegen ihn zurückzuziehen. Im Weiteren soll er nach Aussage der
Geschädigten auf ihr Mobiltelefon angerufen haben, ohne jedoch eine Nachricht
zu hinterlassen. Aus diesen Gründen wurde er vom 12. bis 26. Januar 2006
wegen Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft versetzt.

C.
In der Folge soll der Angeschuldigte die Geschädigte wieder belästigt haben,
per Telefon, schriftlich und direkt. Unter anderem wird ihm zur Last gelegt,
Y.________ seit Mitte Mai 2006 aufgelauert und sie bis ins Tram verfolgt zu
haben. Im Juni 2006 soll es im Tram der Linie 9 zu einem erneuten
Zusammentreffen zwischen den beiden gekommen sein, in dessen Verlauf der
Angeschuldigte die Geschädigte in aggressiver Art und Weise bedrängt und auch
angefasst habe. Die Geschädigte habe versucht, aus dem Tram zu flüchten, aber
der Angeschuldigte sei ihr nachgefolgt. Zudem habe er ihr in einem Brief,
welchen er am 25. Juni 2006 in ihren Briefkasten geworfen hatte, mitgeteilt,
dass er einen Privatdetektiv mit ihrer Beobachtung beauftragt habe und dass
sie ihre Anzeige zurückziehen solle. Die Geschädigte fühlte sich durch das
Verhalten des Angeschuldigten in ihrem Sicherheitsgefühl massiv
eingeschränkt, weshalb dieser am 7. Juli 2006 erneut in Untersuchungshaft
versetzt wurde. Ein Haftentlassungsgesuch vom 11. Juli 2006 wies die
Haftrichterin des Bezirksgerichts Zürich am 14. Juli ab.

Am 27. Juli 2006 stellte der Beschwerdeführer ein weiteres
Haftentlassungsgesuch. Dieses wies der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich
mit Verfügung vom 28. Juli 2006 ab.

D.
Mit Eingabe vom 7. August 2006 erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde
beim Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung der Verfügung vom 28. Juli
2006 wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs und ersucht um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.

Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich verzichtet auf eine Vernehmlassung
und weist darauf hin, dass der Beschwerdeführer inzwischen wieder ein
Haftentlassungsgesuch gestellt, dieses aber zurückgezogen habe. Desgleichen
sieht die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat von einer Vernehmlassung ab und
verweist auf ihre Ausführungen im Antrag auf Fortsetzung der
Untersuchungshaft vom 3. August 2006.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Beim angefochtenen Haftentscheid handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde
zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung
von verfassungsmässigen Rechten, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese
und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten.

1.2 Festzuhalten ist, dass der Beschwerdeführer einzig eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs geltend macht und sich auf keine weiteren
verfassungsmässigen Rechte beruft.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer wirft dem Haftrichter eine Verletzung der
Begründungspflicht vor. Zwar schliesse § 62 Abs. 2 des Zürcher Gesetzes
betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH; LS 321) nicht aus, dass
eine angerufene Appellationsinstanz auf Erwägungen der Vorinstanz verweise.
Ein solcher Verweis genüge jedoch dann nicht, wenn ein Appellant vor der
zweiten Instanz beachtliche Gründe vorbringe, zu denen die erste Instanz noch
nicht Stellung genommen habe. Dies sei vorliegend der Fall. Er habe nämlich
neu vorgebracht, er habe aufgrund verschiedener und detailliert aufgeführter
Umstände davon ausgehen dürfen, dass nach der Haftentlassung vom 26. Januar
2006 kein Kontaktverbot mehr bestanden habe; weiter habe er dargelegt, dass
er im Fall der neuerlichen Verfügung eines Fernhalteverbots in der Lage wäre,
dieses einzuhalten. Mit diesen Ausführungen habe sich weder der
haftrichterliche Entscheid vom 28. Juli 2006 noch derjenige vom 14. Juli 2006
auseinandergesetzt. Auch zu seiner Rüge wegen Unverhältnismässigkeit habe
sich der Haftrichter in keiner Weise geäussert. Die Begründungspflicht und
damit der Anspruch auf rechtliches Gehör des Beschwerdeführers sei dadurch
verletzt.

2.2 Das rechtliche Gehör verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom
Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft
und in der Entscheidfindung berücksichtigt (BGE 124 I 49 E. 3a S. 51 und 241
E. 2 S. 242, je mit Hinweisen). Die Begründungspflicht und der Anspruch auf
Begründung sind nicht bereits dadurch verletzt, dass sich die urteilende
Behörde nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und
jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf
die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (vgl. BGE 126 I 97
E. 2b S. 102; 124 II 146 E. 2a S. 149; 124 V 180 E. 1a S. 181; 123 I 31 E. 2c
S. 34; 121 I 54 E. 2c S. 57, je mit Hinweisen).

2.3 Gemäss § 62 Abs. 1 StPO/ZH befindet der Haftrichter auf Grund der
vorgelegten Akten und der Vorbringen der Parteien über Fortsetzung oder
Aufhebung der Untersuchungshaft. An deren Stelle kann er Ersatzanordnungen
gemäss §§ 72 und 73 StPO/ZH treffen. Abs. 2 sieht sodann vor, dass der
Haftrichter so bald als möglich entscheidet, spätestens jedoch zwei Tage
nachdem der Antrag auf Untersuchungshaft gestellt worden ist. Der Entscheid
wird der Untersuchungsbehörde und dem Angeschuldigten mit einer kurzen
Begründung schriftlich mitgeteilt, auch wenn er mündlich eröffnet wurde.

Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, dass die zitierte
Bestimmung weiter gehen würde als der verfassungsmässig garantierte Anspruch
auf hinreichende Begründung eines Entscheids.

2.4 Im konkreten Fall verweist der Haftrichter bezüglich des dringenden
Tatverdachts wegen Begehung von Vergehen auf die seines Erachtens
einlässliche und überzeugende Verfügung der Haftrichterin vom 14. Juli 2006.
Er begründet dies damit, dass in allen Teilen Übereinstimmung mit der
Aktenlage herrsche. Auch was die Kollusionsgefahr anbelange, könne auf die
umfassenden Erwägungen der Haftrichterin verwiesen werden. Zusätzlich nimmt
der Haftrichter denn auch ausdrücklich Bezug auf das neuerliche
Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 27. Juli 2006 und hält dazu
fest, in diesem werde nichts vorgebracht, was die in der Verfügung vom 14.
Juli 2006 mit überzeugender Begründung bejahten Haftgründe zu entkräften
vermöchte. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers äussert sich der
angefochtene Entscheid auch zu seiner Argumentation zur Fernhalteverfügung.
So legt der Haftrichter dar, aus dem bisherigen Verhalten des
Beschwerdeführers sei auf eine erhebliche Uneinsichtigkeit zu schliessen und
es sei keineswegs glaubhaft dargetan, dass er nicht um die Fortdauer des
Kontaktverbotes gewusst habe. Weiter hält der Haftrichter dem
Beschwerdeführer entgegen, aufgrund der Aktenlage, insbesondere wegen des
bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers, bestehe begründete Gefahr,
dieser könnte im Falle einer Haftentlassung im heutigen Zeitpunkt die
Geschädigte erneut bedrängen, beeinflussen oder bedrohen, weshalb - auch nach
Abschluss der Zeugeneinvernahme - der Haftgrund der Kollusionsgefahr zu
bejahen sei. Die Haftentlassung des Angeschuldigten komme erst nach
sorgfältiger Vorbereitung und Information der Geschädigten in Frage, wobei
eine dannzumal wohl unausweichlich erscheinende erneute Kontaktsperre mit
allen Folgen dem Angeschuldigten umfassend und in einer ihm verständlichen
Sprache zu erläutern sei, was entsprechend aktenkundig zu machen sei. Vor
Durchführung der Schlusseinvernahme stehe eine Haftentlassung ausser Frage,
auch wenn diese erst anfangs September 2006 durchgeführt werden könne. Die
Fortsetzung der Untersuchungshaft erweise sich noch als verhältnismässig,
weshalb das Entlassungsgesuch abzuweisen sei.

2.5 Die Verfügung der Haftrichterin des Bezirksgerichts Zürich vom 14. Juli
2006 zum Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 11. Juli 2006 ist
sehr ausführlich und nimmt eingehend Stellung zu den Voraussetzungen der
Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr (§ 58 Abs. 1 Ziff. 1 StPO/ZH). Die
Haftrichterin zeigt anhand der Aktenlage auf, weshalb der dringende
Tatverdacht der Begehung von Vergehen gegeben sei, und legt aufgrund der
verschiedenen Vorfälle, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werden,
detailliert dar, warum die Kollusionsgefahr nach wie vor zu bejahen sei. Auch
äussert sich die Haftrichterin zur Verhältnismässigkeit der bis dahin
erstandenen Haft.
Der Haftrichter war deshalb nicht gehalten, 14 Tage später eine wiederum
derart ausführliche Verfügung zu erlassen, sondern durfte im Sinn von § 62
Abs. 2 StPO/ZH und Art. 29 Abs. 2 BV auf den zuvor ergangenen Entscheid
verweisen.

2.6 Insgesamt ergibt sich aus der angefochtenen Verfügung mit hinreichender
Klarheit, weshalb der Haftrichter eine Entlassung aus der Untersuchungshaft
im jetzigen Zeitpunkt verweigert. Der Begründungspflicht ist auch in Bezug
auf die Vorbringen im zweiten Haftentlassungsgesuch Genüge getan. Die
entsprechende Rüge des Beschwerdeführers ist damit als unbegründet
abzuweisen.

3.
Demzufolge ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche
Verfahren ist in Anwendung von Art. 152 OG abzuweisen, da die Beschwerde von
vornherein aussichtslos war. Es rechtfertigt sich indes, von der Erhebung von
Kosten abzusehen (vgl. Art. 153a und 154 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. August 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: