Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.469/2006
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{T 0/2}
1P.469/2006 /ggs

Urteil vom 8. September 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Haag.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh., Rathaus, 9043 Trogen,
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh., Rathaus, 9043 Trogen.

Einstellungsverfügung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Rekursentscheid der Staatsanwaltschaft
des Kantons Appenzell A.Rh. vom 24. Juli 2006.
Sachverhalt:

A.
Am 10. März 1999 wurde ein Raubüberfall auf die Filiale der Thurgauer
Kantonalbank in Horn TG verübt. lm Verlauf der folgenden Ermittlungen ergab
sich, dass Y.________ und X.________ im Zusammenhang mit dieser Tat standen.
In der Folge konnte zuerst Y.________ in Herisau, später auch X.________ in
Urnäsch festgenommen werden. X.________ wurde zuerst nach Herisau, danach
nach Trogen und am nächsten Tag nach Frauenfeld transportiert. Die dortigen
Behörden führten die Ermittlungen weiter. Mit Schreiben vom 11. Mai 1999
reichte die Rechtsvertreterin von Y.________ eine Strafanzeige gegen
unbekannt wegen Amtsmissbrauchs ein. Jenes Verfahren wurde, nachdem sich der
Tatvorwurf nicht erhärtet hatte, am 1. September 1999 eingestellt.

Mit Schreiben vom 4. April 2006 reichte X.________ beim Verhöramt des Kantons
Appenzell A.Rh. eine Strafanzeige gegen unbekannt ein. Darin beanstandete er,
dass ihm Handschellen und Fussfesseln angelegt sowie zwei Kopfkissenbezüge
über den Kopf gezogen und die Sicht genommen worden seien. So sei er vorerst
nach Herisau transportiert, dort befragt und später nach Trogen überführt
worden. Erst in Trogen sei er losgebunden und seien ihm die Kissenbezüge
abgezogen worden.

Mit Einstellungsverfügung vom 3. Mai 2006 stellte das Verhöramt das
Strafverfahren ein. Gegen diese Verfügung führte X.________ Rekurs bei der
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. Er kritisierte, dass das
Verhöramt zu Unrecht die Verhörmethoden und insbesondere die Verwendung des
Kopfkissenbezugs als Sichtschutz nicht beanstandet hatte. Die
Staatsanwaltschaft wies den Rekurs am 24. Juli 2006 ab, soweit sie darauf
eintrat.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 27. Juli 2006 beantragt X.________ die
Aufhebung des Rekursentscheids der Staatsanwaltschaft wegen Verletzung der
Art. 7 BV (Menschenwürde), 9 BV (Willkürverbot) und 10 Abs. 3 BV (Verbot
erniedrigender Behandlung). Zudem beruft er sich auf Art. 3 EMRK und
kritisiert die Verhörmethoden als völkerrechtswidrig.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid im
Sinn von Art. 86 Abs. 1 OG, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde
grundsätzlich zur Verfügung steht (Art. 84 Abs. 2 OG). Das Bundesgericht
prüft die Zulässigkeit eines Rechtsmittels von Amtes wegen und mit freier
Kognition (BGE 129 I 173 E. 1 S. 174; 128 I 46 E. 1a S. 48, je mit
Hinweisen).

1.1 Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde setzt die persönliche
Betroffenheit des Beschwerdeführers in eigenen rechtlich geschützten
Interessen voraus (Art. 88 OG).

Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der durch eine angeblich strafbare
Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung
eines Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche
Beschwerde zu erheben. Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache
selbst ist der Geschädigte, der im kantonalen Verfahren Parteistellung hatte,
aber befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung von
Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung darstellt (BGE 128 I 218 E. 1.1 S. 219 f.).

Etwas anderes gilt für das Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten
(Opferhilfegesetz, OHG, SR 312). Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG kann das
Opfer den Entscheid eines Gerichts verlangen, wenn das Verfahren eingestellt
wird. Nach Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer, wer durch eine Straftat in seiner
körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar
beeinträchtigt worden ist, unabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden
ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat. Nach der Rechtsprechung muss die
Beeinträchtigung von einem gewissen Gewicht sein (BGE 128 I 218 E. 1.2 S. 220
f. mit Hinweisen). Amtsmissbrauch vermag die Opferstellung nur in ganz
besonderen Fällen zu begründen, in welchen das Delikt zu einer erheblichen
Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Integrität führt (BGE 120
Ia 157 E. 2d/aa S. 162, nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts
1P.96/2005 vom 18. Juli 2005, E. 1.1.3, mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall
kann offen bleiben, ob die für die Bejahung der Opferstellung im Sinne des
OHG erforderliche Schwere der Beeinträchtigung erreicht ist, da die
Beanstandungen des Beschwerdeführers aufgrund der nachfolgenden Erwägungen
unbegründet sind, soweit sie überhaupt die gesetzlichen
Begründungsanforderungen erfüllen.

1.2 Das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren führt nicht das vorangegangene
kantonale Verfahren weiter, sondern stellt als ausserordentliches
Rechtsmittel ein selbständiges staatsrechtliches Verfahren dar, das der
Kontrolle kantonaler Hoheitsakte unter dem spezifischen Gesichtspunkt
verfassungsmässiger Rechte dient (BGE 117 Ia 393 E. 1c S. 395). Die als
verletzt erachteten verfassungsmässigen Rechte oder deren Teilgehalte sind zu
bezeichnen; überdies ist in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des
angefochtenen Entscheids im Einzelnen darzustellen, worin die Verletzung der
angerufenen Verfassungsrechte bestehen soll (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Im
staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und
detailliert erhobene Rügen (Rügeprinzip), welche soweit möglich zu belegen
sind. Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 130 I 258 E.
1.3 S. 261 f.; 129 I 185 E. 1.6 S. 189; 127 I 38 E. 3c S. 43; 117 Ia 393 E.
1c S. 395, je mit Hinweisen).

Die vorliegende Beschwerde genügt den beschriebenen Begründungsanforderungen
nicht in jeder Hinsicht. So setzt sich der Beschwerdeführer nicht hinreichend
mit der Begründung des angefochtenen Entscheids auseinander und übt teilweise
appellatorische Kritik am Vorgehen der kantonalen Strafverfolgungsbehörden.
Auf die Beschwerde kann nur insoweit eingetreten werden, als die
Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG erfüllt sind.

2.
Der Beschwerdeführer beanstandet insbesondere, dass ihm in Urnäsch nach
seiner Festnahme mit zwei über den Kopf gestülpten Kopfkissenbezügen die
Sicht genommen wurde und er so nach Herisau transportiert, dort befragt und
später nach Trogen überführt wurde. Im angefochtenen Entscheid wird
dargelegt, bezüglich des Sachverhalts stehe fest, dass die Polizei bei ihren
Aktionen von einer gewaltbereiten Täterschaft ausgegangen sei, welche am
gleichen Tag einen bewaffneten Raubüberfall verübt habe. Ausserdem habe der
konkrete Verdacht bestanden, dass Y.________, der als Gewalttäter bekannt
gewesen sei, als Täter in Frage komme und besondere Vorsicht zum Schutz der
Polizeibeamten und von Dritten nötig sei. Wenn daher die Polizei beschlossen
habe, die Verhaftung mit einem konsequenten Vorgehen ohne Risiko
durchzuführen, den Betroffenen keinerlei Gelegenheit zur Flucht zu geben und
mit geeigneten Massnahmen das Risiko einer Gefährdung der Beamten möglichst
klein zu halten, so sei dies nicht zu beanstanden. Zu diesen Massnahmen
gehöre auch, dass während der ersten Phase einer Festnahme ein Sichtschutz
erstellt werde, der Verdächtige also keine Möglichkeit habe, die Polizisten
zu identifizieren, aber auch in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt sei.
Werde bei besonders gefährlich eingestuften Tatverdächtigen auf diese
Massnahme verzichtet, so erhöhe sich das Risiko beträchtlich, wie andere
tragisch verlaufene Fälle immer wieder gezeigt hätten. Allerdings müssten
damit auch besondere Vorsichtsmassnahmen verknüpft werden, beispielsweise die
regelmässige Überwachung des Betroffenen. Dies sei vorliegend, wie sich auch
aus den Ausführungen des Rekurrenten ergebe, offensichtlich geschehen. Er sei
bis zu seiner Ablieferung in Trogen praktisch immer unter polizeilicher
Aufsicht gestanden. Es möge richtig sein, dass die Dauer dieser polizeilichen
Massnahme relativ lang gewesen sei. Aber aufgrund der gesamten Umstände könne
das Vorgehen der Polizeibeamten wohl als konsequent und hart, nicht aber als
Amtsmissbrauch beurteilt werden. Das Verhalten der Polizei erfülle aber auch
keinen anderen Straftatbestand.

Es ist auch unter Berücksichtigung der Rügen des Beschwerdeführers nicht
ersichtlich, inwiefern die Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft
verfassungs- oder konventionsmässige Rechte des Beschwerdeführers verletzen
sollte. Dieser macht selbst nicht geltend, die Staatsanwaltschaft habe die
potenzielle Gefährlichkeit des Beschwerdeführers als mutmasslichem Komplizen
beim Raubüberfall falsch wiedergegeben oder willkürlich überzeichnet. Unter
den beschriebenen Verhältnissen erscheint das Vorgehen der Polizeibeamten
wohl als konsequent und hart, nicht aber als unverhältnismässig. Die Rüge der
Verletzung der angerufenen verfassungs- und konventionsmässigen Rechte wird
vom Beschwerdeführer somit zu Unrecht erhoben. Die staatsrechtliche
Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

3.
Wegen der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ist das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 152 OG). Unter Beachtung der
Umstände der vorliegenden Angelegenheit kann auf die Erhebung einer
Gerichtsgebühr verzichtet werden (Art. 153a und 156 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Verhöramt und der
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. September 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: