Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.378/2006
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{T 0/2}
1P.378/2006 /scd

Urteil vom 13. Juli 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Haag.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bruno A. Hubatka,

gegen

Kantonsspital St. Gallen,
Ärztliche Leitung/Spitalleitung, Rorschacher Strasse 95,
9007 St. Gallen, Beschwerdegegner,
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,
Anklagekammer des Kantons St. Gallen,
Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.

Eröffnung eines Strafverfahrens,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
vom 25. April 2006.

Sachverhalt:

A.
Am 27. Februar 2006 erstattete X.________ Strafanzeige gegen Unbekannt wegen
schwerer Körperverletzung und Gefährdung des Lebens. Er machte geltend, das
Kantonsspital St. Gallen habe infolge von Sehstörungen bei seinem linken
Auge, welche am 28. April 2001 erschienen, fehlerhafte Untersuchungen
vorgenommen. Auf ärztliche Weisung hin sei eine Reexposition gegenüber einem
eine Anaphylaxie auslösenden Allergen erfolgt, was zu
Zentralvenenpräthrombosen der Retina des rechten Auges geführt und eine
monatelange Lebensgefahr hervorgerufen habe (Kreislaufkollaps, Herzinfarkt,
Herzrhythmusstörungen, vitales Organversagen, innere Blutungen). Eine
zivilrechtliche Einigung sei nicht möglich gewesen, weshalb er sich in
Anbetracht der Verjährungsfrist veranlasst sehe, Strafklage zu erheben.

Mit Schreiben vom 13. März 2006 übermittelte die Staatsanwaltschaft St.
Gallen die Akten der Anklagekammer des Kantons St. Gallen zur Durchführung
des Ermächtigungsverfahrens und teilte mit, dass aus den Beilagen ersichtlich
sei, dass sich die Anzeige gegen vier Ärzte des Kantonsspitals St. Gallen
richte.

Am 25. April 2006 beschloss die Anklagekammer, kein Strafverfahren zu
eröffnen. Sie stützte ihren Entscheid zunächst auf die Erwägung, dass den
beschuldigten Ärzten in Bezug auf die in Frage kommenden Delikte weder
Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne. Ein Gutachten des
Kantonsspitals Luzern vom 11. Januar 2006 komme zum Schluss, dass die
Behandlung und Medikation des Anzeigers in jeder Hinsicht lege artis und nach
dem für das Kantonsspital St. Gallen gültigen Stand der medizinischen
Wissenschaft und Erfahrung erfolgt sei. Auch die Einwände von X.________
gegen das Gutachten könnten nicht zur Eröffnung eines Strafverfahrens führen,
da keine Anhaltspunkte für ein möglicherweise strafbares Verhalten vorlägen.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 19. Juni 2006 beantragt X.________ die
Aufhebung des Urteils der Anklagekammer vom 25. April 2006 wegen Verletzung
des Willkürverbots (Art. 9 BV) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art.
29 Abs. 2 BV).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das angefochtene Urteil ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid im
Sinn von Art. 86 Abs. 1 OG, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zur
Verfügung steht (Art. 84 Abs. 2 OG).

1.1 Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde setzt die persönliche
Betroffenheit des Beschwerdeführers in eigenen rechtlich geschützten
Positionen voraus (Art. 88 OG). Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der
durch eine angeblich strafbare Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht
legitimiert, gegen die Einstellung eines Strafverfahrens oder gegen ein
freisprechendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Der
Geschädigte hat an der Verfolgung und Bestrafung des Täters nur ein
tatsächliches oder mittelbares Interesse im Sinne der Rechtsprechung zu Art.
88 OG. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht, steht
ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte
als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf seinen
Antrag hin verfolgt wird. Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der
Sache selbst ist der Geschädigte aber befugt, mit staatsrechtlicher
Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren
Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG
erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus
einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren
teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem Sinne nach kantonalem Recht
Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem
kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung
oder von Art. 6 EMRK zustehen (BGE 131 I 455 E. 1.2.1 S. 458 f.).
1.2 Etwas anderes gilt für das Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten
(Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5). Opfer gemäss OHG ist, wer durch eine
Straftat in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität
unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 2 Abs. 1 OHG). Das Opfer kann den
Entscheid eines Gerichts verlangen, wenn das Verfahren eingestellt wird (Art.
8 Abs. 1 lit. b OHG), und diesen unter bestimmten Voraussetzungen anfechten:
Das Opfer verfügt über die gleichen Rechtsmittel wie der Beschuldigte, wenn
es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid
seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann
(Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG). Diese Bestimmung geht als "lex specialis" Art. 88
OG vor. Die Legitimation des Opfers zur staatsrechtlichen Beschwerde ist
insoweit auf materiellrechtliche Fragen erweitert. Ob die Opferstellung
gegeben ist, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 131 I 455 E.
1.2.1 S. 459 mit Hinweisen).
Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer, wer durch eine Straftat in seiner
körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar
beeinträchtigt worden ist, unabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden
ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat. Nach der Rechtsprechung muss die
Beeinträchtigung von einem gewissen Gewicht sein. Bagatelldelikte wie z.B.
Tätlichkeiten, die nur unerhebliche Beeinträchtigungen bewirken, sind daher
vom Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes grundsätzlich ausgenommen.
Entscheidend ist jedoch nicht die Schwere der Straftat, sondern der Grad der
Betroffenheit der geschädigten Person. So kann etwa eine Tätlichkeit die
Opferstellung begründen, wenn sie zu einer nicht unerheblichen psychischen
Beeinträchtigung führt. Umgekehrt ist es denkbar, dass eine im Sinne des
Opferhilfegesetzes unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen und
psychischen Integrität angenommen wird, obwohl der Eingriff strafrechtlich
als leichte Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zu beurteilen
ist. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung des Geschädigten in seiner
körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität das legitime Bedürfnis
begründet, die Hilfsangebote und die Schutzrechte des Opferhilfegesetzes -
ganz oder zumindest teilweise - in Anspruch zu nehmen (BGE 131 I 455 E. 1.2.2
S. 459 f. mit Hinweisen).
Es ist fraglich, ob der Beschwerdeführer als Opfer im dargelegten Sinn
betrachtet werden kann. Der Beschwerdeführer wurde nach seinen Angaben in
seiner körperlichen Integrität verletzt und könnte daher (mutmassliches)
Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG sein. Er unterlässt es jedoch, Art und
Schwere der Beeinträchtigung in seiner Beschwerde näher darzulegen, was einen
erheblichen Mangel der Begründung der staatsrechtlichen Beschwerde darstellt
(s. E. 1.3 hiernach).

1.3 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Im staatsrechtlichen
Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene
Rügen (BGE 127 I 38 E. 3c S. 43 mit Hinweisen). Die Begründung der
staatsrechtlichen Beschwerde muss sodann in der Beschwerdeschrift selbst
enthalten sein; die Verweisung auf Rechtsschriften in anderen Verfahren ist
unbeachtlich (BGE 115 Ia 27 E. 4a S. 30; 129 I 120 E. 2.1 S. 120).
Die vorliegende Beschwerdeschrift genügt diesen Anforderungen nicht. Der
Beschwerdeführer legt im angefochtenen Entscheid nicht im Einzelnen dar,
inwiefern die von der Anklagekammer verweigerte Eröffnung des Strafverfahrens
willkürlich sein soll. Er beschränkt sich im Wesentlichen auf die Verweisung
auf seine Argumentation vor der Anklagekammer sowie auf weitere Vorakten, aus
denen sich ergeben soll, dass die Ärzte zumindest fahrlässig gehandelt haben.
Nach der oben erwähnten Rechtsprechung muss die Begründung der
staatsrechtlichen Beschwerde jedoch in der Beschwerdeschrift selbst enthalten
sein. So hätte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde ausführen müssen,
inwiefern die Anklagekammer gegen das Willkürverbot verstiess, indem sie auf
das Gutachten des Kantonsspitals Luzern abstellte.

Soweit der Beschwerdeführer zudem geltend macht, er hätte vor dem Entscheid
der Anklagekammer nochmals angehört werden müssen, ist nicht ersichtlich,
inwiefern eine Verweigerung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegen
soll. Der Beschwerdeführer legt in seiner Beschwerde dar, dass er erst einen
Strafantrag stellte, nachdem das Gutachten zum Schluss gekommen sei, dass
kein Kunstfehler vorliege. Er hatte somit Gelegenheit, sämtliche Gründe, die
gegen die im Gutachten gezogenen Schlussfolgerungen sprechen, vorzutragen. Im
Übrigen genügt auch die Rüge der formellen Rechtsverweigerung den
gesetzlichen Anforderungen an die Begründung der Beschwerde nicht. Auf die
staatsrechtliche Beschwerde kann somit nicht eingetreten werden.

2.
Entsprechend dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens sind die
Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und der
Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Juli 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: