Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.375/2006
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{T 0/2}
1P.375/2006 /scd

Urteil vom 24. August 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Thönen.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Zweierstrasse 25, Postfach 9780,
8036 Zürich,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, Postfach, 8090
Zürich.

Aktenrückgabe,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
vom 12. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (früher: Bezirksanwaltschaft I
für den Kanton Zürich) führte gegen den Rechtsanwalt Dr. iur. X.________ eine
Strafuntersuchung wegen des Verdachts des betrügerischen Missbrauchs einer
Datenverarbeitungsanlage, evtl. Betrugs oder Veruntreuung, sowie des
Verdachts des betrügerischen Konkurses und Pfändungsbetrugs, der
Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung, evtl. Bevorzugung eines
Gläubigers. Im Verlauf der Ermittlungen forderte die Staatsanwaltschaft I die
Baloise Bank SoBa, Solothurn, und die Schweizerische Post/Postfinance,
Zürich, mit Editionsverfügungen vom 24. Juni, 8. Juli und 13. August 2004
auf, Unterlagen über bestimmte Konti, lautend auf X.________ Rechtsanwälte,
herauszugeben, und auferlegte beiden Banken ein Informationsverbot.

Die Strafuntersuchung gegen X.________ wurde am 29. August 2005 eingestellt.

Am 15. September 2005 stellte X.________ durch Rechtsanwalt Y.________ bei
der Staatsanwaltschaft I ein Gesuch um Einsicht in die Akten der
eingestellten Strafuntersuchung. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2005 teilte
Y.________ der Staatanwaltschaft I mit, dass ein Teil der Akten nicht
zurückgegeben, sondern ausgesondert, in den Räumlichkeiten des Advokaturbüros
"X.________ Rechtsanwälte", in unveränderter Reihenfolge in einem neuen
Ordner versiegelt aufbewahrt werde, und für den Fall, dass die
Staatsanwaltschaft I auf einer Rückgabe beharren sollte, der
Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich zur Verfügung
gestellt würde.

B.
Mit Verfügung vom 25. Oktober 2005 verpflichtete die Staatsanwaltschaft I
X.________, die zurückbehaltenen Dokumente innert zehn Tagen zu retournieren.
Es handelt sich um Unterlagen über insgesamt acht Konti im Zeitraum von
Oktober 2003 bis August 2004, sowie eine "Liste Kapo, Geldflüsse RA
X.________" und eine Diskette "Postfinance RA X.________, Secondo".

Ein dagegen gerichteter Rekurs von X.________ wies die Oberstaatsanwaltschaft
des Kantons Zürich mit Rekursentscheid vom 12. Mai 2006 ab.

C.
X. ________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, es sei der
Rekursentscheid der Oberstaatsanwaltschaft aufzuheben und die
Staatsanwaltschaft I anzuweisen, von ihrem Aktenrückgabeanspruch der
genannten Unterlagen abzusehen. Er rügt, die Beschaffung der Kontounterlagen
verletze das Willkürverbot, den Anspruch auf Achtung der Privatsphäre und das
Berufsgeheimnis des Rechtsanwalts.

Mit Präsidialverfügung vom 14. Juli 2006 legte das Bundesgericht der
staatsrechtlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung bei.

Die Staatsanwaltschaft I und die Oberstaatsanwaltschaft haben je auf eine
Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und
inwieweit auf ein Rechtsmittel einzutreten ist (BGE 131 I 153 E. 1 S. 156).
Die kantonalen Akten sind eingeholt worden.

1.1 Die staatsrechtliche Beschwerde ist - von hier nicht vorliegenden
Ausnahmen abgesehen - kassatorischer Natur (BGE 131 I 137 E. 1.2 S. 139).
Soweit der Beschwerdeführer mehr als die Aufhebung des angefochtenen
Entscheids verlangt, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.

1.2 Nachdem das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer eingestellt worden
war, stellte der im Anwaltsbüro "X.________ Rechtsanwälte" tätige
Rechtsanwalt Y.________ namens des Beschwerdeführers ein
Akteneinsichtsgesuch. Die Staatsanwaltschaft I überliess ihm die Akten zur
befristeten Einsicht (Empfangsbestätigung vom 15. September 2005,
unterzeichnet am 19. September 2005), worauf dieser sie mit Begleitschreiben
vom 13. Oktober 2005 unvollständig zurücksandte. Mit Verfügung vom 25.
Oktober 2005 verpflichtete die Staatsanwaltschaft I den Beschwerdeführer zur
Rückgabe der zurückbehaltenen Unterlagen. Gegen diese Verfügung hat der
Beschwerdeführer zunächst das kantonale Rechtsmittel und danach die
staatsrechtliche Beschwerde ergriffen.

1.3 Das mit dem angefochtenen Rekursentscheid abgeschlossene kantonale
Verfahren betrifft die Akteneinsicht nach durchgeführter Strafuntersuchung
gemäss § 17 Abs. 3 StPO/ZH (Verfügung der Staatsanwaltschaft I vom 25.
Oktober 2005, Seite 1). In dieser Hinsicht ist die Beschwerde grundsätzlich
zulässig. Die Akten wurden jedoch in der Strafuntersuchung gegen den
Beschwerdeführer erhoben, die mit Verfügung vom 29. August 2005 eingestellt
wurde. In dieser Hinsicht liegt kein letztinstanzlicher Entscheid und somit
keine Berechtigung zur staatsrechtlichen Beschwerde vor (Art. 86 Abs. 1 OG).
Die zulässigen Vorbringen beschränken sich demnach auf die Verpflichtung zur
Aktenrückgabe, die Anfechtung der Aktenbeschaffung ist im vorliegenden
Verfahren nicht statthaft.

1.4 Nach dem angefochtenen Rekursentscheid steht dem Beschwerdeführer kein
notstandsähnliches Widerstandsrecht zu, das den Aktenrückbehalt begründen
würde, da keine offensichtlich rechtswidrige Amtshandlung vorliege, durch
welche bestehende Rechtsgüter unmittelbar bedroht gewesen wären. Der
Beschwerdeführer widerspricht dem nicht ausdrücklich. Sein Vorbringen, die
Edition der Bankunterlagen sei verfassungswidrig, betrifft ein hier nicht
massgebliches Verfahren. Soweit es als Vorfrage zu berücksichtigen ist,
erweist es sich in tatsächlicher Hinsicht verfehlt und begründet kein
Widerstandsrecht: Die vom Beschwerdeführer zurückbehaltenen Dokumente wurden
bei den beiden kontoführenden Bankinstituten erhoben und sodann zu den Akten
der Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer genommen. Die Banken haben
sich der Edition nicht widersetzt. Beim Beschwerdeführer bzw. in seiner
Anwaltskanzlei wurde weder eine Edition noch eine Beschlagnahme durchgeführt.

1.5 Rügen, die sich ausdrücklich auf das hier massgebliche Separatverfahren
betreffend Akteneinsicht beziehen, bringt der Beschwerdeführer keine vor.
Soweit er sinngemäss die Pflicht zur Aktenrückgabe anficht, ist Folgendes
auszuführen:

Verfahrensakten, die einem Anwalt zur Einsicht zugestellt werden, sind
fristgerecht und vollständig zurückzugeben. Der Beschwerdeführer hat nach
eigenen Angaben erst mit der Akteneinsicht nach Verfahrenseinstellung
Kenntnis von den Editionsverfügungen erhalten. Eine solche Entdeckung mag für
den Beschwerdeführer - und den ihn zeitweise vertretenden Bürokollegen -
nicht leicht hinzunehmen sein. Dennoch muss von einem Rechtsanwalt erwartet
werden, dass er trotz persönlicher Betroffenheit die gehörigen Umgangsformen
im Verkehr mit den Behörden beachtet. So geht es nicht an, das
Akteneinsichtsrecht und insbesondere das anwaltliche Privileg, die Akten in
die Anwaltskanzlei zugeschickt zu erhalten, für die eigenmächtige
Aussonderung und das Zurückhalten von Dokumenten zu missbrauchen. Mit der
Oberstaatsanwaltschaft ist festzuhalten, dass nicht der Beschwerdeführer über
die Frage entscheidet, ob gewisse Unterlagen aus den Untersuchungsakten zu
entfernen sind, sondern die dafür zuständige Behörde. Dass der
Beschwerdeführer einen entsprechenden Antrag gestellt hätte, ist nicht
ersichtlich.

1.6 Nach der publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts kann, wer selber
einer Straftat verdächtigt wird, kein Privileg aufgrund eines
Berufsgeheimnisses beanspruchen. Diesfalls geht das Interesse an der
Strafverfolgung der Wahrung des Berufsgeheimnisses vor (BGE 125 I 46 E. 6 S.
50). Eine Beschlagnahme beim Beschwerdeführer hat im vorliegenden Fall nicht
stattgefunden. Selbst in einem solchen Falle hätte sich der Beschwerdeführer
als damals verdächtige Person unter Berufung auf seine Geheimhaltungspflicht
nicht der Beschlagnahme von in seinem Besitz befindlichen Akten widersetzen
können (BGE 106 IV 413 E. 7c S. 424, mit Hinweis).

2.
Art. 5 Abs. 3 BV hält als Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns fest, dass
staatliche Organe und Private nach Treu und Glauben handeln.  Dieser
Grundsatz lässt es nicht zu, dass ein Rechtsanwalt aus den ihm zur
befristeten Einsicht überlassenen Verfahrensakten Unterlagen entfernt und
zurückbehält. Wer deswegen ein Verfahren anstrengt, muss damit rechnen, dass
ihm rechtsmissbräuchliche Prozessführung vorgeworfen und seine Beschwerde vor
Bundesgericht gemäss Art. 36a Abs. 2 OG als unzulässig erklärt wird. Ob eine
rechtsmissbräuchliche Prozessführung vorliegt, braucht indessen nicht weiter
erörtert zu werden, da die Beschwerde nach dem Gesagten (Erwägung 1) ohnehin
erfolglos ist.

3.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

Bei diesem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer die Gerichtsgebühr
(Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I und der
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. August 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: