Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.358/2006
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{T 1/2}
1P.358/2006 /fun

Sitzung vom 14. Dezember 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Nay, Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Jürg Diggelmann, Beschwerdeführer,

gegen

Politische Gemeinde St. Gallen, vertreten durch den Stadtrat, Rathaus, 9001
St. Gallen,
Gesundheitsdepartement des Kantons St. Gallen, Moosbruggstrasse 11, 9001 St.
Gallen,
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Spisergasse 41, 9001 St. Gallen.

Polizeireglement der Stadt St. Gallen,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 9. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Der Grosse Gemeinderat der Stadt St. Gallen (heute Stadtparlament) erliess am
16. Dezember 2004 ein neues Polizeireglement. Dieses wurde in der
Volksabstimmung vom 5. Juni 2005 angenommen.
Das Polizeireglement bezweckt, die polizeilichen Befugnisse und das kommunale
Übertretungsstrafrecht den heutigen Bedürfnissen anzupassen. Es regelt
namentlich die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben auf dem Stadtgebiet im
Allgemeinen (Art. 1), die Überwachung des öffentlichen Grundes (Art. 3), die
Wegweisung und Fernhaltung von Personen vom öffentlichen Raum (Art. 4), ein
Vermummungsverbot anlässlich bewilligungspflichtiger Versammlungen und
Kundgebungen (Art. 5), die Bewilligungspflicht für gesteigerten
Gemeingebrauch und Sondernutzung (Art. 8) sowie die Plakatwerbung (Art. 9
f.).
Unter dem Titel "Überwachung des öffentlichen Grundes" enthält Art. 3 des
Polizeireglements folgende Bestimmungen :
1Öffentliche Plätze und Strassen können mit Videokameras überwacht werden,
welche eine Personenidentifikation nicht zulassen.
2Der Stadtrat kann die örtlich begrenzte Überwachung mit Videokameras
bewilligen, welche die Personenidentifikation zulassen, wenn der Einsatz
solcher Videokameras zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
geeignet und erforderlich ist und wenn die Öffentlichkeit mit Hinweistafeln
auf diesen Einsatz aufmerksam gemacht wird.
3Aufzeichnungsmaterial von Überwachungseinrichtungen wird nach 100 Tagen
vernichtet. Vorbehalten bleibt die Weiterverwendung in einem Strafverfahren.
4Eine missbräuchliche Verwendung des Bildmaterials ist durch geeignete
technische und organisatorische Massnahmen auszuschliessen.

B.
Am 20. Juni 2005 erhob Jürg Diggelmann beim Departement des Innern
Kassationsbeschwerde und beantragte die Änderung von Art. 3 Abs. 3 des
Polizeireglements in dem Sinne, dass Aufzeichnungsmaterial von
Überwachungseinrichtungen nicht erst nach 100 Tagen, sondern bereits nach 2
Tagen vernichtet werde.
Die Beschwerde wurde dem Justiz- und Polizeidepartement und in der Folge dem
Gesundheitsdepartement zur Behandlung überwiesen. Mit Entscheid vom 26.
Oktober 2005 hiess das Gesundheitsdepartement die Beschwerde teilweise gut,
hob Art. 3 Abs. 3 des Polizeireglements auf und wies die Sache an das
Stadtparlament zurück. Es erwog im Wesentlichen, die 100-tägige
Aufbewahrungsfrist sei unverhältnismässig und verletze sowohl das
informationelle Selbstbestimmungsrecht nach Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 13 Abs. 2 BV sowie die Garantie von Art. 8 Ziff. 1 EMRK.
Diesen Entscheid des Gesundheitsdepartements focht die Politische Gemeinde
St. Gallen beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen an. Sie hielt
dafür, die Aufbewahrung des Aufzeichnungsmaterials während 100 Tagen diene
einem erheblichen öffentlichen Interesse, stelle lediglich einen leichten
Eingriff in verfassungsmässige Rechte dar und sei daher verhältnismässig.
Mit Urteil vom 9. Mai 2006 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde der
Politischen Gemeinde St. Gallen gut und hob den Entscheid des
Gesundheitsdepartements auf. Das Verwaltungsgericht hielt im Wesentlichen
fest, die Aufbewahrungsdauer von 100 Tagen orientiere sich in sachgerechter
Weise an der Strafantragsfrist von Art. 29 StGB, sei für eine effiziente
Verfolgung von Straftaten erforderlich, erweise sich vor dem Hintergrund
leichter Grundrechtseingriffe und vorgesehener Sicherungsmassnahmen als
verhältnismässig und lasse sich verfassungskonform handhaben.

C.
Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts hat Jürg Diggelmann beim
Bundesgericht am 12. Juni 2006 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er rügt
Verletzungen von Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 BV sowie von Art. 8 EMRK
und erachtet eine Aufbewahrungsdauer von 100 Tagen als unverhältnismässig.
Der Stadtrat beantragt mit seiner Vernehmlassung die Abweisung der
Beschwerde. Das Gesundheitsdepartement hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im vorliegenden Verfahren der abstrakten Normkontrolle des beanstandeten
Polizeireglements ist der Beschwerdeführer als möglicherweise Betroffener zur
Beschwerde legitimiert (vgl. BGE 131 I 291 E. 1.3 S. 296). Die Beschwerde ist
unter Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges rechtzeitig erhoben. Auf die
Beschwerde ist einzutreten.

2.
Bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines Erlasses im Rahmen der
abstrakten Normkontrolle ist nach der Rechtsprechung massgebend, ob der
betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen
werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungs- oder EMRK-Garantien
vereinbaren lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale (oder kommunale)
Norm nur auf, sofern sie sich jeglicher verfassungs- und konventionskonformen
Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer
Weise zugänglich bleibt. Dabei wird auf die Tragweite des
Grundrechtseingriffs, die Möglichkeit, bei einer späteren Normkontrolle einen
hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutz zu erhalten, die konkreten
Umstände, unter denen die Norm zur Anwendung kommt, sowie die Möglichkeit
einer Korrektur und die Auswirkungen auf die Rechtssicherheit abgestellt. Der
blosse Umstand, dass die angefochtene Norm in einzelnen Fällen auf eine
verfassungswidrige Weise angewendet werden könnte, führt für sich allein noch
nicht zu deren Aufhebung (BGE 130 I 26 E. 2.1 S. 31, 128 I 327 E. 3.1 S.
334).

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, das Polizeireglement verletze mit der
Aufbewahrung der Aufzeichnungen aus der Überwachung mit Videokameras während
einer Dauer von 100 Tagen Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 BV sowie Art. 8
EMRK. Er stellt die Möglichkeit als solche, dass öffentliche Plätze und
Strassen mit Videokameras überwacht und Aufzeichnungen vorgenommen werden,
nicht in Frage. Es wird auch von keiner Seite in Zweifel gezogen, dass das
Polizeireglement ein kompetenzgemässes formelles Gesetz darstellt, den
Kerngehalt der angerufenen Grundrechte wahrt und damit den Anforderungen an
Einschränkungen von Grundrechten gemäss Art. 36 Abs. 1 und 4 BV genügt.
Umstritten ist ausschliesslich die Frage, ob die Aufbewahrungsdauer von 100
Tagen gemäss Art. 3 Abs. 3 des Polizeireglements - anstelle der 30 Tage, wie
mit dem Entscheid des Gesundheitsdepartements verfügt - im Sinne von Art. 36
Abs. 2 und 3 BV und Art. 8 Ziff. 2 EMRK durch ein hinreichendes öffentliches
Interesse gerechtfertigt und vor dem Hintergrund der angerufenen
verfassungsmässigen Rechte verhältnismässig ist.

3.2 Der Beschwerdeführer ruft neben Art. 8 EMRK sowohl Art. 10 Abs. 2 als
auch Art. 13 Abs. 2 BV an. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht offen
gelassen, ob Art. 10 Abs. 2 BV betroffen ist.
Es ist nicht bestritten, dass die Aufbewahrung des Aufzeichnungsmaterials den
Schutzbereich der Privatsphäre gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK betrifft (BGE 122 I
360 E. 5a S. 362; 124 I 85 E. 2c S. 87; 120 Ia 147 E. 2 S. 149; Urteil EGMR
Perry gegen Grossbritannien, Recueil CourEDH 2003-IX, S. 155, Ziff. 36 ff.;
Urteil Amann gegen die Schweiz, Recueil CourEDH 2000-II, S. 201, Ziff. 44 f.
[VPB 2000 Nr. 144]).
Unter der Herrschaft der alten Bundesverfassung hat das Bundesgericht
festgehalten, dass die Erhebung erkennungsdienstlicher Daten wie auch deren
Aufbewahrung und Bearbeitung in den Schutzbereich der als ungeschriebenes
Verfassungsrecht anerkannten persönlichen Freiheit eingreifen (BGE 122 I 360
E. 5a S. 362, 124 I 85 E. 2b S. 87). Mit der neuen Bundesverfassung haben die
einzelnen Elemente der persönlichen Freiheit in spezifischen Bestimmungen
Eingang gefunden (BGE 127 I 6 E. 5a S. 11). Danach kann die persönliche
Freiheit gemäss Art. 10 Abs. 2 BV als das grundlegende Freiheitsrecht
bezeichnet werden und ist gegenüber anderen Aspekten und insbesondere
gegenüber Art. 13 BV abzugrenzen. Sie betrifft in unmittelbarer Weise die
Integrität des Menschen in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Demgegenüber
schützt Art. 13 BV in besonderer Weise die verschiedenste Aspekte umfassende
Privatsphäre mit ihren spezifischen Bedrohungsformen (BGE 127 I 6 E. 5a S.
13). Dazu gehört namentlich der Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten
gemäss Art. 13 Abs. 2 BV. Dieser Bestimmung kommt - parallel zu Art. 10
Abs. 2 BV - eine auf einen speziellen Schutz ausgerichtete Bedeutung zu (vgl.
BGE 129 V 323; zur Abgrenzung zwischen Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 BV Rainer
J. Schweizer, St. Galler BV-Kommentar, Rz. 4 f. zu Art. 13, mit Hinweisen;
Alexandre Flückiger/Andreas Auer, La vidéosurveillance dans l'oeil de la
Constitution, AJP 2006 S. 933 f.; Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz,
Bern 2005, S. 32; Ruegg/ Flückiger/November/Klauser, Vidéosurveillance et
risques dans l'espace à usage public, Genève 2006, S. 51 f.).
Die Personenidentifikationen zulassende Aufzeichnung und Aufbewahrung von
Überwachungsmaterial gemäss Art. 3 Abs. 2 des Polizeireglements weisen einen
spezifischen Bezug zum Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten auf. Der
Beschwerdeführer macht denn auch geltend, dass gerade die - als zu lang
beanstandete - Aufbewahrungsdauer ihn in seiner Persönlichkeit
beeinträchtige. Die Beschwerde ist damit neben Art. 8 Ziff. 1 EMRK in erster
Linie unter dem Gesichtswinkel des Schutzes vor Missbrauch persönlicher Daten
nach Art. 13 Abs. 2 BV zu prüfen.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, es fehle an jeglichem
öffentlichen Interesse für die Aufbewahrung von Aufzeichnungsmaterial während
einer beschränkten Dauer. Er erachtet indessen eine Dauer von 100 Tagen vor
dem Hintergrund von Art. 13 Abs. 2 BV als unverhältnismässig.
Das Gebot der Verhältnismässigkeit verlangt, dass eine behördliche Massnahme
für das Erreichen des im öffentlichen oder privaten Interesse liegenden
Zieles geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in
Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung zumutbar und
verhältnismässig erweist. Erforderlich ist eine vernünftige
Zweck-Mittel-Relation. Eine Massnahme ist unverhältnismässig, wenn das Ziel
mit einem weniger schweren Grundrechtseingriff erreicht werden kann (BGE 132
I 49 E. 7.2, mit Hinweisen).

4.2 Vorerst sind die im vorliegenden Fall umstrittene Überwachung,
Aufzeichnung und Aufbewahrung des Videomaterials von anderen
Überwachungsmassnahmen und Datenerhebungen abzugrenzen (vgl. Verena Bartsch,
Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen
öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA, Berlin 2004, S.
138 ff.; Ruegg/Flückiger/November/ Klauser, a.a.O., S. 7 ff.).
Überwachungen mittels eines Monitors sind in dem Sinne möglich, dass das
überwachte Geschehen permanent am Bildschirm verfolgt wird; diese erlauben im
Falle besonderer, auf diese Weise festgestellter Ereignisse ein unmittelbares
Einschreiten in das Geschehen durch Sicherheits- oder Polizeikräfte.
Demgegenüber wird bei der örtlich begrenzten Überwachung nach Art. 3 Abs. 2
des Polizeireglements das Geschehen auf öffentlichem Grund lediglich mittels
Videokameras aufgezeichnet. Die Aufzeichnungen unterliegen gemäss den
Feststellungen des Verwaltungsgerichts keiner Echtzeitkontrolle; sie werden
vielmehr erst bei Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens
gesichtet und verwendet (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Polizeireglements). Die
Verwendung des Aufzeichnungsmaterials richtet sich diesfalls nach
strafprozessualen Grundsätzen (vgl. Art. 6 des Strafprozessgesetzes [StG;
Gesetzessammlung 962.1]; Art. 12 f. und Art. 33 ff. des Polizeigesetzes
[PolG; Gesetzessammlung 451.1]).
Art. 3 des Polizeireglements sieht in diesem Sinne zwei unterschiedliche
Überwachungen vor. Es sind dies nach Abs. 1 Überwachungen, die öffentliche
Plätze und Strassen in allgemeiner Weise betreffen und eine
Personenidentifikation nicht zulassen. Die vorliegend im Vordergrund stehende
Überwachung mit der Möglichkeit der Personenidentifikation nach Art. 3 Abs. 2
des Polizeireglements ist hingegen örtlich begrenzt und setzt voraus, dass
der Einsatz der Videokameras zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung geeignet und erforderlich ist; überdies ist die Öffentlichkeit mit
Hinweistafeln auf die Videoüberwachung aufmerksam zu machen (vgl. Bartsch,
a.a.O., S. 190 f.). Das Verwaltungsgericht hielt fest, der Stadrat müsse die
Standorte der Überwachungskameras in einer Verwaltungsverordnung bzw.
Dienstanweisung festlegen und diese könnten einer verfassungsmässigen
Überprüfung unterzogen werden. Darauf sind die kantonalen und städtischen
Behörden ausdrücklich zu behaften.
Die im vorliegenden Fall zu beurteilenden Videoaufzeichnungen werden im
Rahmen der allgemeinen Überwachung gemäss Art. 3 des Polizeireglements
vorgenommen. Insoweit unterscheiden sie sich von der Erhebung
erkennungsdienstlicher Daten, welche anlässlich eines Strafverfahrens vor dem
Hintergrund eines konkreten Delikts auf spezifische Personen ausgerichtet
nach strafprozessualen Regeln getätigt werden. Werden die Videoaufzeichnungen
gemäss Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Polizeireglements in einem Strafverfahren
beigezogen, stellen sie erkennungsdienstliches Material dar, auf welches die
bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Dauer von deren Aufbewahrung und zu
deren Vernichtung Anwendung findet (vgl. BGE 120 Ia 147, 122 I 360, 124 I 80,
128 II 259). Findet das Aufzeichnungsmaterial indessen nicht Eingang in ein
Strafverfahren, lässt sich die genannte bundesgerichtliche Rechtsprechung
wegen der unterschiedlichen Ausrichtung nicht ohne weiteres auf die
Videoaufzeichnungen gemäss Art. 3 des Polizeireglements übertragen.

4.3 Im vorliegenden Fall ist einzig die Verhältnismässigkeit der Dauer der
Aufbewahrung von Videoaufzeichnungen gemäss Art. 3 Abs. 3 des
Polizeireglements zu prüfen. Diese Aufzeichnungen müssen die Voraussetzungen
von Art 3 Abs. 2 des Polizeireglements erfüllen und damit insbesondere für
die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geeignet und erforderlich
sein.

5.
Für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Aufbewahrungsdauer ist vom
Zweck der umstrittenen Massnahme, d.h. vom Zweck der Überwachung und der
Aufbewahrung des Aufzeichungsmaterials auszugehen. Ziel des Einsatzes von
Überwachungsgeräten ist nach Art. 3 Abs. 2 des Polizeireglements die Wahrung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

5.1 Die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird durch die Überwachung nicht
in direkter Weise gewährleistet. Wie dargetan, wird der öffentliche Raum
nicht permanent observiert und dienen die Videokameras nicht dazu, im Falle
besonderer Ereignisse einen unmittelbaren Einsatz von Polizeikräften
auszulösen. Die Überwachung mittels Videoaufzeichnungen soll vielmehr die
Feststellung von Straftaten ermöglichen, personenidentifizierende Beweise
sichern und eine repressive Strafverfolgung sicherstellen.
Die Aufzeichnungen und deren Aufbewahrung während 100 Tagen stellen eine
präventive Massnahme zur Verhütung von Straftaten dar. Es sollen Beweise
sichergestellt und damit eine effiziente Aufdeckung von Straftaten ermöglicht
werden. Mit dem damit verbundenen Abschreckungseffekt soll im Dienste der
Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Gewährleistung der
Sicherheit von Benützern öffentlicher Strassen und Plätze Straftaten begegnet
werden. Es steht nicht in Frage, dass diese Zielsetzung im öffentlichen
Interesse liegt (vgl. Bartsch, a.a.O. S. 185 ff.).
5.2 Unter dem Gesichtswinkel der Erforderlichkeit ist davon auszugehen, dass
die Wirksamkeit der Strafverfolgung in Beziehung zur Dauer der Aufbewahrung
der Aufzeichnungen steht. Bei Straftaten auf öffentlichem Grund - an
abgelegenen Orten, zu nächtlicher Stunde oder aber auch an stark
frequentierten Stellen - bilden solche Aufzeichnungen häufig das einzig
aussagekräftige Beweismaterial. Eine äusserst kurze Aufbewahrungsdauer birgt
die Gefahr, dass im Falle einer erst späteren Entdeckung einer Straftat oder
später eingereichten Anzeige die Aufzeichnungen bereits gelöscht sind und
darauf als Beweismittel nicht mehr zurückgegriffen werden kann. Eine gewisse
Aufbewahrungsdauer ist damit erforderlich, um die durch eine wirksame
Strafverfolgung erhoffte Abschreckungswirkung sicherzustellen.

5.2.1 Polizeikräfte können Straftaten gegen öffentliche Einrichtungen auf den
überwachten Plätzen und Strassen (Graffiti oder Sachbeschädigungen) selber
feststellen, ohne auf Anzeigen angewiesen zu sein. Nach Feststellung solcher
Straftaten kann ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und auf die
Aufzeichnungen als Beweismittel zurückgegriffen werden. Den Polizeikräften
sind entsprechende Kontrollen innert nützlicher Frist möglich und zuzumuten.
Insoweit ist eine längere Aufbewahrungszeit nicht erforderlich, um eine
effektive Strafverfolgung unter Verwendung der Aufzeichnungen zu ermöglichen.

5.2.2 Demgegenüber werden auf dem überwachten öffentlichen Raum begangene
Straftaten gegenüber Personen überwiegend erst auf Anzeigen oder Strafanträge
hin bekannt. Die Betroffenen lösen mit ihren Anzeigen Ermittlungsverfahren
aus, in deren Rahmen auf das Aufzeichnungsmaterial soll zurückgegriffen
werden können. Sollen die Aufzeichnungen zur Wahrung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung eine effektive Strafverfolgung tatsächlich ermöglichen
und fördern, ist erforderlich, dass das Aufzeichnungsmaterial auch
tatsächlich zur Verfügung steht und nicht vorschnell gelöscht wird. Die
Aufzeichnungen müssen daher klar über eine Minimaldauer von einigen wenigen
Tagen hinaus aufbewahrt werden können. Allein daraus lässt sich indessen
nicht bestimmen, ob eine Dauer von 100 Tagen gemäss dem Polizeireglement oder
eine solche von 30 Tagen entsprechend dem Departementsentscheid
verfassungsmässig ist. Hierfür ist vielmehr auf die Verhältnismässigkeit im
engern Sinn abzustellen.

5.3 Nach der Rechtsprechung wiegt die Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen
Daten für sich allein nicht schwer (BGE 120 Ia 147 E. 2b S. 150; vgl. auch
BGE 128 II 259 E. 3.3 S. 269 hinsichtlich Erstellung eines DNA-Profils). Das
gilt grundsätzlich auch für die hier umstrittenen Aufzeichnungen von
Videoüberwachungen, die im allgemeinen Rahmen von Art. 3 Abs. 2 des
Polizeireglements getätigt werden und höchstens, aber immerhin bildliche
Personenidentifikationen zulassen. Diese enthalten in aller Regel keine
weitern personenbezogenen Daten und berühren den Privatbereich der
betroffenen Personen im Allgemeinen nicht. Darüber hinaus ist die
Öffentlichkeit mit Hinweistafeln auf den Einsatz von Überwachungsmassnahmen
aufmerksam zu machen (vgl. zu diesem Erfordernis Bartsch, a.a.O., S. 191).
Der Umstand, dass die Überwachung lediglich örtlich begrenzt eingesetzt wird,
macht den Eingriff für die einzelne betroffene Person nicht leichter.
Umgekehrt wiegt der individuelle Grundrechtseingriff an sich nicht deshalb
schwerer, weil eine grosse Anzahl von Personen betroffen ist. Indessen ist
der Eingriff in die Grundrechte von grösserem Gewicht bei Verwendung des
Aufzeichnungsmaterials für andere Zwecke unter Einsatz von technisch
hochstehenden Aufnahmegeräten, wie sie heute allgemein angewendet werden
(vgl. Auer/Flückiger, a.a.O., S. 934). Dementsprechend sind die Vorkehren zur
Wahrung der Grundrechte auszugestalten.
Vor diesem Hintergrund fällt die Dauer der Aufbewahrung der Aufzeichnungen
ins Gewicht: Eine längere Aufbewahrungsdauer stellt bereits per se einen
schwerer wiegenden Eingriff in das von Art. 13 Abs. 2 BV geschützte
informationelle Selbstbestimmungsrecht dar und erhöht die Gefahr einer
missbräuchlichen Verwendung der Videoaufzeichnungen. Insoweit kommt der vom
Polizeireglement vorgesehenen Aufbewahrungsdauer von 100 Tagen im Vergleich
mit der vom Departement vorgesehenen Dauer von lediglich 30 Tagen eine nicht
unerhebliche Bedeutung zu. Die Dauer von 100 Tagen erscheint zudem im
Vergleich mit andern Regelungen als lang (vgl. Verordnung über die
Videoüberwachung durch die Schweizerischen Bundesbahnen, SR 742.147.2;
Verordnung über die Geländeüberwachung mit Videogeräten, (SR 631.09;
Verordnung über Glücksspiele und Spielbanken, SR 935.521; Bartsch, a.a.O., S.
140).
Umgekehrt ist unter dem Gesichtswinkel einer effektiven Strafverfolgung im
Dienste der Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit den persönlichen
Verhältnissen der von Straftaten betroffenen Personen Rechnung zu tragen.
Hierfür fällt ins Gewicht, dass das Anzeigeverhalten der Betroffenen
weitgehend von persönlichen Umständen abhängt. Es ist nachvollziehbar, dass
zum Beispiel bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität oder gegen
Jugendliche aus Furcht oder Scham oder mannigfaltigen anderen Gründen mit
einer Anzeige oder einem Strafantrag eine gewisse Zeit zugewartet wird. In
Bezug auf die streitige Videoüberwachung bedeutet ein längeres oder allzu
langes Zögern, dass das Aufzeichnungsmaterial bereits gelöscht ist und als
Beweismittel entfällt. Ein nur zögerndes Anzeigeverhalten kann für sich
allein zwar nicht den Ausschlag für einen durch eine lange Aufbewahrungsdauer
verstärkten Grundrechtseingriff bei den erfassten Personen geben. Doch ist
den genannten persönlichen Umständen der durch Straftaten betroffenen
Personen hinreichend Rechnung zu tragen, sollen die Aufzeichnungen zum Schutz
der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eine effektive Strafverfolgung
tatsächlich ermöglichen und fördern. Insbesondere sollen auch besonders
gefährdeten Gruppen trotz anfänglicher Skepsis vor einem Verfahren eine
effiziente Strafverfolgung zugestanden werden. Das sind erhebliche sachliche
Gründe, die eine Aufbewahrungsdauer von 100 anstatt nur 30 Tagen
grundsätzlich rechtfertigen.
Bei dieser Sachlage kommt der Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf die
Bestimmung von Art. 29 StGB und der Regelung der Strafantragsfrist keine
entscheidende Bedeutung zu. Der Beschwerdeführer übersieht mit seinem
Einwand, die Strafantragsfrist sei ein unsachlicher Anknüpfungspunkt, dass
sich das Verwaltungsgericht nur in allgemeiner Weise an Art. 29 StGB
orientierte. Es berücksichtigte differenziert, dass die Strafantragsfrist
erst mit Kenntnis der Täterschaft zu laufen beginnt und damit über 100 Tage
hinausreichen kann und dass Art. 29 StGB für Offizialdelikte von vornherein
nicht anwendbar ist und kein Kriterium für die umstrittene Aufbewahrungsdauer
sein kann.

5.4 Die Verhältnismässigkeit der Aufbewahrung von Überwachungsmaterial
bestimmt sich indes nicht ausschliesslich nach deren Dauer, sondern ist
insbesondere auch vor dem Hintergrund zu beurteilen, wie und von wem dieses
verwendet wird und in welchem Ausmass die Personen, deren Daten aufgezeichnet
sind, vor einem nicht sachgerechten Zugriff auf die Aufzeichnungen und einer
missbräuchlichen Verwendung der Daten geschützt werden.
Art. 3 Abs. 4 des Polizeireglements hält fest, dass eine missbräuchliche
Verwendung des Bildmaterials durch geeignete technische und organisatorische
Massnahmen auszuschliessen ist. Das Polizeireglement präzisiert nicht, was im
Einzelnen unter diesen Massnahmen zu verstehen ist und wie dieser Schutz
verwirklicht werden soll. Das Verwaltungsgericht hält dazu einzig fest, es
könne davon ausgegangen werden, dass der Stadtrat bei der Umsetzung des in
Art. 3 Abs. 4 des Polizeireglements enthaltenen Auftrages hinreichend
wirksame Massnahmen treffen werde. Dem fügt die Stadt St. Gallen an, dass die
Zugriffsberechtigung zu regeln und die Daten vor unbefugter Kenntnisnahme,
Bearbeitung und Entwendung zu sichern seien und dass darüber das städtische
Datenschutzorgan zu wachen habe.
Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts und der Stadt St. Gallen
verbleiben weitgehend im Vagen. Es geht daraus nicht hervor, welche
Massnahmen bereits getroffen worden sind oder angeordnet werden sollen, wie
die Datensicherung sichergestellt wird und mit welcher Unabhängigkeit und mit
welchen Kompetenzen das städtische Datenschutzorgan den Schutz der
Aufzeichnungen vor unsachgemässer Verwendung tatsächlich wahrnehmen kann. Im
Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit wäre eine Regelung im
Polizeireglement angezeigt gewesen. Es ist indes davon auszugehen, dass die
Stadt St. Gallen die kantonalen und auch für Gemeinden geltenden Vorschriften
über den Datenschutz beachtet. Entsprechende Garantien sind insbesondere im
Staatsverwaltungsgesetz (Gesetzessammlung 140.1; siehe Art. 8 ff.) und in der
Datenschutzverordnung (Gesetzessammlung 142.11) enthalten.

5.5 Zusammenfassend ergibt sich, dass eine Aufbewahrungsdauer von 100 Tagen
für die von den Aufzeichnungen Betroffenen einen nicht unerheblichen
Grundrechtseingriff bedeutet (oben E. 5.3) und dass den Polizeikräften eine
Kontrolle der überwachten Plätze und Strassen innert nützlicher Frist
zuzumuten ist (oben E. 5.2.1). Vor diesem Hintergrund ist zu fordern, dass
die Aufzeichnungen der in Frage stehenden Überwachungen ausschliesslich für
strafrechtliche Ermittlungsverfahren Verwendung finden (Art. 3 Abs. 3 Satz 2
des Polizeireglements; oben E. 4.2). Eine weitere Datenbearbeitung sieht das
Polizeireglement nicht vor. Darüber hinaus ist der Stadtrat darauf zu
behaften, nach Art. 3 Abs. 4 des Polizeireglements mit wirksamen Vorkehrungen
sicherzustellen, dass jegliche missbräuchliche Verwendung des
Aufzeichnungsmaterials ausgeschlossen wird. Im Rahmen der abstrakten
Normkontrolle ist am Vollzug dieser gesetzlichen Auflagen nicht zu zweifeln.
Unter diesen Umständen kann eine verfassungs- und EMRK-konforme Anwendung der
Aufbewahrungsdauer von 100 Tagen gemäss Art. 3 Abs. 3 des Polizeireglemetes
angenommen werden.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet.

6.
Danach ist die Beschwerde im Sinne der vorstehenden Erwägungen abzuweisen.
Es rechtfertigt sich, keine Kosten zu erheben (Art. 154 OG). Eine
Parteientschädigung fällt ausser Betracht (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Politischen Gemeinde St. Gallen
sowie dem Gesundheitsdepartement und dem Verwaltungsgericht des Kantons St.
Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Dezember 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: