Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.325/2006
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{T 0/2}
1P.325/2006 /scd

Urteil vom 4. August 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Aeschlimann, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Fonjallaz, Eusebio,
Gerichtsschreiber Pfäffli.

X. ________, Beschwerdeführerin,

gegen

Gemeinde Thal, 9425 Thal, vertreten durch das Gemeindepräsidium, Robert
Raths, Kirchplatz 4, Postfach, 9425 Thal,
Staatsanwaltschaft des Kantons St.Gallen, Untersuchungsamt Altstätten,
Luchsstrasse 11, Postfach, 9450 Altstätten,
Anklagekammer des Kantons St. Gallen, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.

Eröffnung eines Strafverfahrens,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
vom 10. Mai 2006.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
X. ________ reichte bei der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eine
als "Klage" bezeichnete Eingabe ein, welche sich sinngemäss gegen die
Verantwortlichen der Gemeinde Thal, insbesondere die Mitarbeiter des dortigen
Sozialamtes, richtet. Die Eingabe steht im Zusammenhang mit der
Alimentenbevorschussung durch die Gemeinde Thal.

Die Staatsanwaltschaft nahm die Eingabe als Strafanzeige entgegen und
überwies sie zuständigkeitshalber der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
zwecks Durchführung des Ermächtigungsverfahrens. Am 10. Mai 2006 entschied
die Anklagekammer, dass kein Strafverfahren zu eröffnen sei. Sie führte aus,
dass aus den Akten keine konkreten Anhaltspunkte für ein strafbares
Verhalten, namentlich auch hinsichtlich der sinngemäss geltend gemachten
Straftatbestände des Amtsmissbrauchs und der ungetreuen Geschäftsführung,
ersichtlich seien.

2.
Gegen diesen Entscheid reichte X.________ am 28. Mai 2006 eine als
"Einsprache" bezeichnete Eingabe bei der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
ein. Diese überwies die Eingabe mit Schreiben vom 31. Mai 2006 dem
Bundesgericht zur weiteren Behandlung. Der Sache nach handelt es sich dabei
um eine staatsrechtliche Beschwerde.

Das Bundesgericht verzichtet auf die Einholung von Vernehmlassungen.

3.
Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der durch eine angeblich strafbare
Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die
Nichteröffnung oder Einstellung eines Strafverfahrens staatsrechtliche
Beschwerde zu erheben. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht,
steht ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der
Geschädigte als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf
seinen Antrag hin verfolgt wird. Unbekümmert um die fehlende Legitimation in
der Sache selbst ist der Geschädigte aber befugt, mit staatsrechtlicher
Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren
Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG
erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus
einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren
teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem Sinne nach kantonalem Recht
Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem
kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung
zustehen (BGE 128 I 218 E. 1.1).

Der in der Sache selbst nicht Legitimierte kann beispielsweise geltend
machen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei
nicht angehört worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu
stellen, oder habe nicht Akteneinsicht nehmen können. Hingegen kann er weder
die Würdigung der beantragten Beweise noch die Tatsache rügen, dass seine
Anträge wegen Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung
abgelehnt wurden. Die Beurteilung dieser Fragen kann von der Prüfung der
materiellen Sache nicht getrennt werden. Auf eine solche hat der in der Sache
selbst nicht Legitimierte jedoch keinen Anspruch (BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb mit
Hinweisen).

3.1 Etwas anderes gilt für das Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG. Seine
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ist insoweit auf
materiellrechtliche Fragen erweitert. Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer, wer
durch eine Straftat in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen
Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, unabhängig davon, ob der
Täter ermittelt worden ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat. Mit der
gesetzlichen Beschränkung auf unmittelbare Eingriffe sollen namentlich
Vermögensdelikte wie Diebstahl und Betrug von der Opferhilfe ausgenommen
werden. Das Bundesgericht hat sodann erkannt, dass Amtsmissbrauch und
Begünstigung grundsätzlich keine Opferstellung im Sinne des OHG nach sich
ziehen (BGE 120 Ia 157 E. 2d/aa S. 162). Das Gleiche muss auch für die
ungetreue Amtsführung gelten.

3.2 Für die von der Anklagekammer untersuchten Straftatbestände des
Amtsmissbrauchs und der ungetreuen Amtsführung kommt der Beschwerdeführerin
somit keine Opferstellung zu. Das Gleiche gilt für den in der
staatsrechtlichen Beschwerde behaupteten Betrug. Somit kann der
Beschwerdeführerin keine gegenüber der Praxis zu Art. 88 OG erweiterte
Legitimation zuerkannt werden. Sie ist deshalb nach der angeführten
Rechtsprechung in der Sache selbst nicht legitimiert und kann nur die
Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren Missachtung eine
formelle Rechtsverweigerung darstellt. Eine Verletzung von Verfahrensrechten
im dargelegten Sinn rügt die Beschwerdeführerin nicht, weshalb auf die
vorliegende Beschwerde nicht einzutreten ist.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wären die bundesgerichtlichen Kosten
der Beschwerdeführerin aufzuerlegen. Ausnahmsweise kann jedoch von der
Erhebung von Verfahrenskosten abgesehen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Gemeinde Thal, der
Staatsanwaltschaft, Untersuchungsamt Altstätten, und der Anklagekammer des
Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. August 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: