Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.324/2006
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2006
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2006


{T 0/2}
1P.324/2006 /ggs

Urteil vom 26. Oktober 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Haag.

Ehepaar X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr.
Andreas Brauchli,

gegen

Y.________ AG,
Verein Z.________,
Beschwerdegegner,
Politische Gemeinde Weinfelden, vertreten durch den Gemeinderat,
Frauenfelderstrasse 8, Postfach, 8570 Weinfelden,
Amt für Umwelt des Kantons Thurgau, Bahnhofstrasse 55, 8510 Frauenfeld,
Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau, Verwaltungsgebäude,
Postfach, 8510 Frauenfeld,
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570
Weinfelden.

Baubewilligung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 16. Februar 2005.
Sachverhalt:

A.
Der Verein Z.________ ist Eigentümer der insgesamt rund 3'000 m2 umfassenden
Parzellen Nrn. 2847, 3099, 4757, 4758, 4759 und 4760 in der Politischen
Gemeinde Weinfelden. Nach dem kommunalen Zonenplan und Baureglement vom 30.
März 2000 (BR) befinden sich die Grundstücke in der Wohnzone für Ein- und
Zweifamilien- sowie Reihenhäuser (W2ER), für welche die Ausnützungsziffer
0.40 und die Lärm-Empfindlichkeitsstufe II gilt (Art. 23b BR). Das Areal wird
im Westen und Osten durch bereits überbaute dreigeschossige Wohnzonen für
Mehrfamilienhäuser (W3) begrenzt. Nördlich schliessen ebenfalls überbaute, in
der W2ER gelegene Grundstücke an. lm Süden des Gebiets fliesst der
kanalisierte Bach "Giessen". Entlang dem südlichen Ufer dieses Gewässers
verläuft die Freiestrasse mit einem durchschnittlichen Verkehrsaufkommen
(DTV) von 8'000 Fahrzeugen pro Tag.

Die Y.________ AG reichte am 9./13. Januar 2004 ein Baugesuch ein, um das
bestehende Clubhaus abzubrechen und das Areal mit fünf allein stehenden
Einfamilienhäusern zu überbauen. Die Baugrundstücke sollen über eine
Stichstrasse von der nördlich des Baugebiets gelegenen Thomas
Bornhauser-Strasse her erschlossen werden.

Während der Auflagefrist erhob das Ehepaar X.________, Eigentümer der östlich
an das Areal angrenzenden Parzelle Nr. 3854, Einsprache gegen das
Bauvorhaben, welche von der Gemeindebehörde abgewiesen wurde. Gegen diesen
Entscheid reichten die Eheleute X.________ beim Departement für Bau und
Umwelt des Kantons Thurgau Rekurs ein. Eine nachträgliche Verfügung des Amtes
für Umwelt des Kantons Thurgau, mit welcher die Unterschreitung des
Gewässerabstands erlaubt wurde, fochten die Eheleute X.________ ebenfalls
beim Departement für Bau und Umwelt an. Dieses hiess beide Rechtsmittel mit
Entscheid vom 7. September 2004 teilweise gut, soweit es darauf eintrat.

Eine Beschwerde der Eheleute X.________ gegen den Entscheid des Departements
hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Urteil vom 16. Februar
2005 im Sinne der Erwägungen seines Entscheids teilweise gut. Es wies die
Sache zur ergänzenden Beurteilung an das Departement für Bau und Umwelt
zurück.
Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts gelangten die Eheleute X.________
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtlicher Beschwerde an das
Bundesgericht, welches mit Urteil vom 11. Oktober 2005 auf die
staatsrechtliche Beschwerde nicht eintrat und die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abwies, soweit darauf eingetreten werden
konnte.

Am 5. Januar 2006 entschied das Departement für Bau und Umwelt, dass ein
abgeändertes Projekt für die Tiefgaragenlüftung und ein abgeändertes
Entwässerungsprojekt inklusive Versickerungsanlage einzureichen sei. Gegen
das neu vom 22. Februar bis 13. März 2006 aufgelegte Baugesuch reichten die
Eheleute X.________ erneut Einsprache ein und hielten an ihren bisherigen
Einwänden gegen das Bauvorhaben fest. Der Gemeinderat Weinfelden wies diese
Einsprache am 25./27. April 2006 ab, soweit er darauf eintreten konnte.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 26. Mai 2006 beantragen die Eheleute
X.________ die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 16. Februar
2005. Sie rügen die Verletzung der Art. 8, 9 und 29 BV.

C.
Die Gemeinde Weinfelden verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Das
Departement für Bau und Umwelt beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, und
das Verwaltungsgericht stellt den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen,
soweit darauf eingetreten werden könne.

Mit Eingabe vom 13. September 2006 haben die Beschwerdeführer auf die
Stellungnahme des Verwaltungsgerichts repliziert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Beim angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts handelt es sich um einen
letztinstanzlichen kantonalen Entscheid über eine Baubewilligung im Sinne des
Art. 22 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR
700). Dieser ist mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte anfechtbar (Art. 84 ff. OG, Art. 34 Abs. 1 und 3
RPG).

1.1 Die im bundesgerichtlichen Entscheid 1A.130/2005 und 1P.296/2005 vom 11.
Oktober 2005 genannten Eintretensvoraussetzungen sind nunmehr erfüllt. Der
Gemeinderat Weinfelden hat über die gemäss dem Rückweisungsentscheid des
Verwaltungsgerichts noch zu behandelnden Fragen mit Verfügung vom 27. April
2006 neu entschieden. Diese Verfügung bildet zusammen mit dem
Rückweisungsentscheid des Verwaltungsgerichts vom 16. Februar 2005, in
welchem über die hier umstrittenen baurechtlichen Fragen bereits definitiv
befunden wurde, einen Endentscheid gemäss Art. 87 OG. Da die Beschwerdeführer
nur die schon in diesem Rückweisungsentscheid abschliessend beurteilten
Punkte, nicht aber auch die neue gemeinderätliche Verfügung beanstanden
wollen (vgl. S. 3 f. der Beschwerdeschrift), brauchen sie das
Verwaltungsgericht nicht erneut anzurufen (BGE 121 I 1 E. 5a/bb S. 11 mit
Hinweisen). Sie können im Anschluss an den neuen Einspracheentscheid des
Gemeinderats direkt mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht
gelangen und dürfen sich dabei, da sie die neue Verfügung des Gemeinderats
akzeptieren, darauf beschränken, lediglich die Aufhebung der noch
umstrittenen Teile des Verwaltungsgerichtsurteils vom 16. Februar 2005 zu
verlangen (vgl. BGE 122 I 39 E. 1a/bb S. 42 f.; 117 Ia 251 E. 1b am Ende S.
255).

1.2 Nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 88 OG kann mit der
staatsrechtlichen Beschwerde nur die Verletzung rechtlich geschützter eigener
Interessen gerügt werden. Zur Verfolgung bloss tatsächlicher Vorteile steht
dieses Rechtsmittel nicht zur Verfügung. Die eigenen rechtlichen Interessen,
auf die sich ein Beschwerdeführer berufen muss, können entweder durch
kantonales oder eidgenössisches Gesetzesrecht oder aber unmittelbar durch ein
angerufenes spezielles Grundrecht geschützt sein, sofern sie auf dem Gebiet
liegen, welches die betreffende Verfassungsbestimmung beschlägt (BGE 123 I 41
E. 5b S. 42 f.; 122 I 373 E. 1 S. 374, je mit Hinweisen).

Nach der Praxis des Bundesgerichts sind die Eigentümer benachbarter
Grundstücke befugt, die Erteilung einer Baubewilligung anzufechten, wenn sie
die Verletzung von Bauvorschriften geltend machen, die ausser den Interessen
der Allgemeinheit auch oder in erster Linie dem Schutz der Nachbarn dienen.
Zusätzlich müssen sie dartun, dass sie sich im Schutzbereich der Vorschriften
befinden und durch die behaupteten widerrechtlichen Auswirkungen der Baute
betroffen werden (BGE 125 II 440 E. 1c S. 442 f.; 119 Ia 362 E. 1b; 118 Ia
232 E. 1a, je mit Hinweisen).

Trotz fehlender Legitimation in der Sache selbst kann ein Beschwerdeführer
aufgrund seiner Parteistellung im kantonalen Verfahren die Verletzung von
Verfahrensvorschriften rügen, deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung darstellt (BGE 129 I 217 E. 1.4; 129 II 297 E. 2.3 S. 301;
127 II 161 E. 3b S. 167, je mit Hinweisen). Dagegen setzt die Rüge, ein
Entscheid sei mangelhaft begründet, nach ständiger Rechtsprechung die
Legitimation in der Sache voraus, weil die Beurteilung dieser Frage nicht von
der Prüfung in der Sache selbst getrennt werden kann. Dies ist der Fall, wenn
gerügt wird, die Begründung sei unvollständig, zu wenig differenziert oder
materiell unzutreffend. Etwas anderes gilt nur bei gänzlichem Fehlen einer
Begründung, da diese Frage getrennt von der Prüfung der Sache selbst
beurteilt werden kann (BGE 129 I 217 E. 1.4 mit Hinweisen).

1.3 Die Beschwerdeführer beanstanden den Entscheid des Verwaltungsgerichts in
Bezug auf insgesamt vier Themenkreise (Ausnützung, Erschliessung,
Gewässerabstand, Grenzabstand). Das Bundesgericht hat in ständiger
Rechtsprechung anerkannt, dass Bestimmungen über den Immissionsschutz, die
Ausnützungsziffern und die zulässigen Baumasse und -abstände auch dem Schutz
der Nachbarn dienen (BGE 127 I 44 E. 2d S. 47 mit Hinweisen). Die
Beschwerdeführer legen jedoch nicht im Einzelnen dar, inwiefern sie durch die
behaupteten widerrechtlichen Auswirkungen der umstrittenen Baubewilligung in
ihren eigenen rechtlich geschützten Interessen betroffen sind.

1.3.1 In Bezug auf die Ausnützung der Baugrundstücke berufen sie sich in
allgemeiner Weise darauf, dass von den Neubauten negative Immissionen
ausgingen und diese die Wohn- und Lebensqualität auf den Nachbargrundstücken
beeinträchtigt würden. Damit legen sie keine eigene Betroffenheit in
rechtlich geschützten Interessen dar. Soweit die Beschwerdeführer die
Berechnung der anrechenbaren Bruttogeschossflächen kritisieren, führt das
Verwaltungsgericht im Übrigen willkürfrei aus, dass die Baupolizeibehörde die
Verwendung nicht angerechneter Flächen zu Wohnzwecken jederzeit überprüfen
und gegebenenfalls korrigieren kann. Eine künftige, allenfalls rechtswidrige
Nutzung der bewilligten Bauten ist nicht Gegenstand des angefochtenen
Entscheids.

1.3.2 Auch bezüglich des Gewässerabstands und der Grenzabstände zeigen die
Beschwerdeführer nicht auf, inwiefern sich die Unterschreitung der
gesetzlichen Abstände auf ihre eigene Rechtsstellung auswirkt. In Bezug auf
die Grenzabstände ergibt sich im Übrigen aus dem von den Beschwerdeführern
ins Recht gelegten Situationsplan, dass die Neubauten zum Grundstück Nr. 3854
der Beschwerdeführer hin den gesetzlichen Grenzabstand von 6 Metern nicht
unterschreiten.

1.3.3 Zudem sind Nachbarn in Anwendung von Art. 88 OG zur Rüge befugt, die
Zufahrt zum Nachbargrundstück sei ungenügend, wenn ihnen eine
Beeinträchtigung der eigenen Zufahrt droht (BGE 115 Ib 347 E. 1c/bb; Urteile
des Bundesgerichts vom 12. Juli 1978, in: ZBl 79/1978, S. 538 E. 1d, und
1A.93/2005, 1P.251/2005 vom 23. August 2005, E. 1.4 mit Hinweisen). Die
Beschwerdeführer machen nicht geltend und es ist auch nicht ersichtlich, dass
die behaupteten Mängel der Erschliessung ihre eigene Zufahrt in erheblichem
Mass beeinträchtigen. Sie berufen sich einzig auf öffentliche Interessen und
legen nicht dar, inwiefern der angefochtene Entscheid die ordnungsgemässe
Erschliessung ihres Grundstücks einschränken könnte.

1.3.4 Auf die erwähnten Rügen kann somit mangels Legitimation der
Beschwerdeführer in der Sache nicht eingetreten werden.

1.4 Im Zusammenhang mit den genannten Rügen werfen die Beschwerdeführer dem
Verwaltungsgericht in zweifacher Hinsicht eine Verletzung der
Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV) vor. Diese Rüge ist nach den
Ausführungen in E. 1.2 hiervor grundsätzlich zulässig, soweit eine Begründung
gänzlich fehlt.

1.4.1 Dies trifft auf die Rüge, das Verwaltungsgericht habe zur Auslegung von
§ 10 PBV nicht Stellung genommen, nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat sich
mit dieser Bestimmung in E. 4a des angefochtenen Entscheids
auseinandergesetzt. Ob die dort gegebene Begründung materiell zutrifft, ist
im vorliegenden Fall nach der in E. 1.2 wiedergegebenen Rechtsprechung nicht
zu prüfen.

1.4.2 Schliesslich kritisieren die Beschwerdeführer, das Verwaltungsgericht
habe zur Problematik, dass Ausnahmebewilligungen zur Unterschreitung des
Gewässerabstands nach § 80 PBG nur in Einzelfällen erteilt werden dürften,
keine Stellung genommen. Auch dieser Kritik kann nicht gefolgt werden. Das
Verwaltungsgericht führt in E. 5b des angefochtenen Entscheids aus, mit der
erlaubten Unterschreitung des Gewässerabstands werde nicht mehr gestattet,
als in der näheren Umgebung der Bauparzellen ohnehin zugelassen worden sei.
Die Verringerung des Gewässerabstands zu verweigern, würde eine
rechtsungleiche Behandlung bedeuten. Damit hat sich das Verwaltungsgericht
mit der von den Beschwerdeführern aufgeworfenen Problematik auseinander
gesetzt. Eine inhaltliche Überprüfung der verwaltungsgerichtlichen Erwägungen
können die Beschwerdeführer mangels Legitimation in der Sache nicht verlangen
(vgl. E. 1.2 und 1.3.2 hiervor).

2.
Es ergibt sich somit, dass auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht
eingetreten werden kann.

Bei diesem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens den
Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 156 Art. 1 und 7 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Politischen Gemeinde Weinfelden, dem Amt
für Umwelt und dem Departement für Bau und Umwelt sowie dem
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Oktober 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: