Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.313/2006
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{T 0/2}
1P.313/2006 /fun

Sitzung vom 22. November 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Nay, Reeb, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Forster.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Gehrig,

gegen

1.A.________ und B.________ sowie zwei Mitbeteiligte, alle vertreten durch
Rechtsanwalt Stephan Kamer,
2.C.________, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Remigius Küchler,
3.D.________ sowie 13 Mitbeteiligte, alle vertreten durch Rechtsanwältin Dr.
Heidi Pfister-Ineichen,
4.E.________ sowie 20 Mitbeteiligte,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Widmer,
5.1 F.________,
5.2 G.________,
5.3 H.________ und I.________,
5.4 J.________,
5.5 K.________,
5.6 L.________,
5.7 M.________,
5.8 N.________ und O.________,
5.9 P.________,
5.10Q.________,
5.11R.________,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Urs Rudolf,
Beschwerdegegner,
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Hirschengraben 16, 6002 Luzern.

Strafverfahren, Appellation

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer,
vom 14. März 2006.

Sachverhalt:

A.
Mit Strafurteil vom 14. Januar 2005 sprach das Kriminalgericht des Kantons
Luzern X.________ des gewerbsmässigen Betruges sowie der mehrfachen
Urkundenfälschung schuldig und verurteilte ihn zu viereinhalb Jahren
Zuchthaus und acht Jahren Landesverweisung. Gegen das begründete Urteil
appellierten X.________ (nachfolgend: Appellant) am 23. Juni 2005 sowie ein
Teil der Privatklägerschaft am 24. bzw. 27. Juni 2005 beim Obergericht des
Kantons Luzern. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern erhob am 6. Juli
2005 Anschlussappellation.

B.
Mit prozessleitender Verfügung 10. Januar 2006 wurde der Appellant vom
Obergericht unter Androhung von Säumnisfolgen auf den 14. März 2006 zur
Berufungsverhandlung vorgeladen. Am 13. Februar 2006 stellte der in
Deutschland wohnhafte Appellant ein Gesuch um Dispensation vom persönlichen
Erscheinen an der Berufungsverhandlung. Mit prozessleitender Verfügung vom
14. Februar 2006 wies das präsidierende Mitglied des Obergerichtes das
Dispensationsgesuch "im Sinne der Erwägungen" ab. In den Erwägungen stellte
das Obergericht dem Appellanten (für den Fall der Bestätigung einer
unbedingten Freiheitsstrafe) dessen sofortige Verhaftung anlässlich der
Berufungsverhandlung in Aussicht.

C.
Zur Berufungsverhandlung vom 14. März 2006 erschien der Appellant nicht. Er
liess sich jedoch durch seinen Verteidiger vertreten. Mit
verfahrensabschliessendem Entscheid vom 14. März 2006 schrieb das Obergericht
des Kantons Luzern, II. Kammer, das Appellationsverfahren als erledigt von
der Geschäftskontrolle ab. Gleichzeitig wurde das Verfahren betreffend die
Zivilansprüche von drei Privatklägern sowie betreffend Einziehung von
Vermögenswerten und Verwendung zugunsten von Geschädigten vom
Appellationsverfahren abgetrennt und separat weitergeführt. Die
Gerichtskosten des Berufungsverfahrens wurden dem Appellanten auferlegt, und
dieser wurde verpflichtet, vier privatklägerischen Anwälten sowie einer
privatklägerischen Anwältin (für deren Bemühungen anlässlich der
Berufungsverhandlung) je eine Parteientschädigung zu bezahlen.

D.
Gegen den Entscheid des Obergerichtes vom 14. März 2006 gelangte X.________
mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 26. Mai 2006 an das Bundesgericht. Er
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung der
Streitsache zur Neubeurteilung.

Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Luzern schliessen mit
Stellungnahmen vom 12. bzw. 13. Juni 2006 je auf Abweisung der Beschwerde.
Rechtsanwalt Urs Rudolf beantragt mit Vernehmlassung vom 19. Juli 2006 (und
im Namen der privaten Beschwerdegegner 5.1-5.11) die Abweisung der Beschwerde
unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Rechtsanwalt Stephan Kamer hat am 16.
Juni 2006 für seine Mandantschaft auf eine Stellungnahme ausdrücklich
verzichtet. Von den übrigen Prozessbeteiligten sind innert angesetzter Frist
keine Vernehmlassungen eingegangen. Mit prozessleitender Verfügung vom 7.
Juli 2006 hat das Bundesgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung
zuerkannt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Eintretenserfordernisse von Art. 84 ff. OG sind erfüllt. Beim
angefochtenen Abschreibungsbeschluss handelt es sich um einen
letztinstanzlichen verfahrensabschliessenden Entscheid in Strafsachen (vgl.
Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer ist legitimiert, die Abschreibung
der von ihm erhobenen Appellation als grundrechtswidrig anzufechten (vgl.
Art. 88 i.V.m. Art. 84 Abs. 1 lit. a OG).

2.
Der angefochtene Entscheid wird wie folgt begründet: Der Beschwerdeführer sei
"an der Appellationsverhandlung vom 14. März 2006 trotz der über seinen
Verteidiger zugestellten Vorladung vom 10. Januar 2006 nicht erschienen".
Gemäss § 242 Abs. 1 StPO/LU falle daher "die Appellation dahin". Zwar habe
sich der Appellant an der Berufungsverhandlung durch seinen Verteidiger
vertreten lassen; dieser sei auch "zum Plädoyer bereit" gewesen und habe an
der Appellation festgehalten. Nach Luzerner Strafprozessrecht könne der
Verteidiger jedoch "nicht einfach als Stellvertreter für den Angeklagten
handeln". Es genüge "in der Regel nicht, dass der Verteidiger allein an der
Verhandlung teilnimmt". "Die Aussagen und der persönliche Eindruck des
Angeschuldigten" seien "für die Wahrheitsfindung und für die Strafzumessung
von grosser Bedeutung". Gerade dies treffe "auf den vorliegenden Fall
besonders zu, zumal die Staatsanwaltschaft in ihrer Anschlussappellation" die
Ausfällung einer noch "um ein Jahr höheren Strafe" beantragt habe.

Zwar sei der Praxis des Bundesgerichtes Rechnung zu tragen, wonach "ein
schuldhaftes Nichterscheinen" des Appellanten unter gewissen Umständen
"keinen Rechtsnachteil zur Folge" haben dürfe. Im vorliegenden Fall sei sich
"der anwaltlich verbeiständete Angeklagte" jedoch "der Tragweite seiner
unterlassenen persönlichen Teilnahme bewusst" gewesen. Daher habe der
Beschwerdeführer "durch seine selbstbestimmte Abwesenheit nicht nur auf sein
Recht auf persönliches Erscheinen" verzichtet, "sondern auch auf die
Appellation". "Aus dem Erscheinen des zum Plädoyer bereiten Verteidigers vor
Obergericht" könne "nicht abgeleitet werden, dass der Angeklagte diesen
stellvertretend für sich zum gewillkürten Auftreten vor Obergericht
ermächtigt hat". Vielmehr habe der Beschwerdeführer "durch seine
unentschuldigte Abwesenheit" bekundigt, dass er "kein Interesse an dem durch
seinen Verteidiger damals eingelegten Rechtsmittel" mehr gehabt bzw. "auf
seine Appellation verzichtet" habe. Und schliesslich sei der Beschwerdeführer
"vor Kriminalgericht wirksam verteidigt" worden (angefochtener Entscheid, S.
7-10, E. 1.3-2.2.4).

3.
Der Beschwerdeführer rügt, die Abschreibung der Appellation verletze seine
grundrechtlich geschützten Verteidigungs- und Verfahrensrechte (namentlich
Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK,
Art. 14 Ziff. 3 UNO-Pakt II). Nach Eingang der Vorladung habe er durch seinen
Verteidiger ein Gesuch um Dispensation vom persönlichen Erscheinen an der
Appellationsverhandlung stellen lassen. Das Obergericht habe nicht nur das
Dispensationsgesuch abgewiesen, sondern ihm, dem Beschwerdeführer,
gleichzeitig ausdrücklich angedroht, ihn bei einer Bestätigung des
erstinstanzlichen Schuldspruches "unmittelbar nach der Berufungsverhandlung"
verhaften zu lassen. Zwar sei er in der Folge zur mündlichen
Appellationsverhandlung nicht persönlich erschienen. Sein Verteidiger sei
jedoch anwesend gewesen, habe (im Namen des Beschwerdeführers) an der
Appellation ausdrücklich festgehalten und sich bereit erklärt, "die Berufung
zu begründen". Von einem Rückzug der Appellation oder einem Verzicht darauf
könne keine Rede sein.

4.
Nach luzernischem Strafprozessrecht ist der Angeklagte, der zu einer
Freiheitsstrafe von mehr als zehn Tagen verurteilt worden ist, zur
Appellation berechtigt (§ 233 Ziff. 1 StPO/LU). Die Appellation ist innert
zehn Tagen seit Zustellung des begründeten Urteils schriftlich bei der
Obergerichtskanzlei zu erklären (§ 234bis StPO/LU). Erscheint der Appellant
nicht zur Verhandlung, fällt die Appellation dahin (§ 242 Abs. 1 StPO/LU).
Der Angeklagte kann jedoch wegen Krankheit, Landesabwesenheit oder aus
anderen wichtigen Gründen von der persönlichen Teilnahme an der
Berufungsverhandlung entbunden werden (§ 170 Abs. 1 i.V.m. § 240 Abs. 1
StPO/LU). Der Angeklagte kann seine Parteirechte im Rahmen der
Strafprozessordnung entweder selber ausüben oder sich durch einen Verteidiger
verbeiständen lassen (§ 33 Abs. 1-2 StPO/LU). Bei Gerichtsverfahren in
Kriminalstrafsachen muss er durch einen Verteidiger verbeiständet sein (sog.
"notwendige" Verteidigung, § 33 Abs. 3 Ziff. 3 i.V.m. §§ 12 und 240 Abs. 1
StPO/LU). Wenn sich der Angeklagte nicht selbst verteidigt, hält der
Verteidiger den Parteivortrag (§ 179 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. § 240 Abs. 1
StPO/LU).

5.
Gemäss Art. 32 Abs. 3 BV hat jede strafrechtlich verurteilte Person das
Recht, das Urteil von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen; ausgenommen
sind die Fälle, in denen das Bundesgericht als einzige Instanz urteilt. Ein
analoger Anspruch ergibt sich auch aus dem Völkerrecht (Art. 2 Ziff. 1 des
Siebten Zusatzprotokolls zur EMRK [7. ZP/EMRK, SR 0.101.07]; Art. 14 Ziff. 5
UNO-Pakt II [SR 0.103. 2]). Zu beachten sind sodann die grundrechtlich
geschützten allgemeinen Parteirechte bzw. die besonderen Verteidigungsrechte
des Angeklagten. So hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und
Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte sowie auf eine Treu
und Glauben respektierende faire Behandlung (Art. 9 und Art. 29 Abs. 1 BV,
Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Jede angeklagte Person muss die Möglichkeit haben, die
ihr zustehenden Verteidigungsrechte geltend zu machen (Art. 32 Abs. 2 Satz 2
BV). Insbesondere besteht gestützt auf Art. 32 Abs. 2 BV ein Anspruch des
Angeklagten, dass sein Verteidiger an der Haupt- bzw. Berufungsverhandlung
teilnehmen kann (BGE 131 I 185 E. 3.1 S. 191 mit Hinweisen).

Das Bundesgericht prüft frei, ob die betreffenden Grundrechtsgarantien bei
der Anwendung des kantonalen Prozessrechtes missachtet worden sind (vgl. BGE
131 I 185 E. 2.1 S. 188; 127 I 213 E. 3b S. 216 mit Hinweisen).

6.
Nach der Praxis des Bundesgerichtes stellt in Fällen der notwendigen
Verteidigung die Durchführung der Berufungsverhandlung ohne Anwesenheit des
Rechtsbeistands einen Verstoss gegen die Verteidigungsrechte des Angeklagten
dar (BGE 131 I 185 E. 3.2.3 S. 191 f., mit Hinweis auf BGE 113 Ia 218 E. 3c
S. 223). Selbst wenn der Appellant trotz ordnungsgemässer Vorladung und ohne
Entschuldigung zur Berufungsverhandlung nicht erscheint, darf ihm das Recht,
von einem Anwalt an dieser Verhandlung wirksam verteidigt zu werden, nicht
verunmöglicht werden; auch in einer solchen Konstellation hat er Anspruch auf
amtliche Verteidigung (BGE 131 I 185 E. 3.2.3 S. 192, mit Hinweis auf BGE 127
I 213 E. 3a S. 216).

In BGE 127 I 213 erwog das Bundesgericht, dass der Appellant mit seinem
unentschuldigten Nichterscheinen zwar sein Recht auf persönliche Anwesenheit
verwirkt habe. Hingegen habe er damit weder auf die Appellation verzichtet,
noch auf sein Recht, durch einen Offizialverteidiger vertreten zu werden (BGE
127 I 213 E. 4 S. 217). Die Versagung von Verteidigungsrechten (im Sinne von
Art. 32 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 3 BV) wegen unentschuldigter Säumnis stelle
eine unverhältnismässige Massnahme dar. Wegen der zentralen Bedeutung der
persönlichen Anwesenheit des Beschuldigten für ein faires Strafverfahren
müsse zudem der Verzicht auf das Anwesenheitsrecht soweit möglich durch die
Sicherstellung einer wirksamen Verteidigung ausgeglichen werden (BGE 127 I
213 E. 4 S. 218).

Das Kassationsgericht des Kantons Zürich erkannte in einem publizierten
Urteil vom 27. Oktober 1997 (und gestützt auf seine jahrzehntelange Praxis)
einen Verstoss gegen die Grundrechte, "wenn die Berufungsinstanz wegen
unentschuldigten Ausbleibens des appellierenden Angeklagten Rückzug der
Berufung annimmt, sofern gleichzeitig der Verteidiger anwesend und zur
Begründung der Berufung bereit ist" (ZR 97 [1998] Nr. 29, S. 86 ff. mit
Hinweisen). Ein Verlust des Anspruches auf Berufung (wie ihn Art. 32 Abs. 3
BV unterdessen ausdrücklich gewährleistet) könne nur bei sogenanntem
"Totalversäumnis" eintreten (Ausbleiben sowohl des Appellanten als auch des
Ver-teidigers).

Nach der neuen ausdrücklichen Vorschrift der Zürcher Strafprozessordnung (§
423 StPO/ZH, in Kraft seit 1. Januar 2005) genügt es, wenn der Appellant oder
sein Verteidiger an der Berufungsverhandlung anwesend ist. Das
unentschuldigte Nichterscheinen des Appellanten führt nicht zur Abschreibung
des Berufungsverfahrens, sondern zur Durchführung des Abwesenheitsverfahrens
(vgl. Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, Rz. 1041, Fn.
269).

Eine ähnliche Regelung (Rechtsverlust nur bei "Totalversäumnis") enthält auch
der bundesrätliche Entwurf zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung
(EStPO/2006, BBl 2006 1389 ff.): Die Berufung "gilt als zurückgezogen", wenn
der Appellant "der mündlichen Berufungsverhandlung unentschuldigt fernbleibt
und sich auch nicht vertreten lässt" (Art. 414 Abs. 1 lit. a EStPO/2006). Ein
Abwesenheitsverfahren findet statt, wenn "die Staatsanwaltschaft oder die
Privatklägerschaft die Berufung im Schuld- oder Strafpunkt erklärt" und der
Angeklagte der Berufungsverhandlung unentschuldigt fernbleibt (Art. 414 Abs.
2 EStPO/2006).
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte folgt (gestützt auf die
EMRK bzw. das 7. ZP/EMRK) in seiner Praxis diesen oben dargelegten
Grundsätzen (vgl. EGMR vom 22. September 1994 i.S. Lala und Pelladoah c. NL,
Série A, vol. 297-A und 297-B, AJP 1995 S. 668 f.; EGMR vom 23. November 1993
i.S. Poitrimol c. F, Série A, vol. 277-A, AJP 1994 S. 804 f.).

7.
Wie sich im vorliegenden Fall aus den Akten ergibt, ist der Beschwerdeführer
anwaltlich verbeiständet. Da er vom Kriminalgericht erstinstanzlich zu
viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, handelt es sich um einen Fall
der notwendigen Verteidigung (vgl. § 33 Abs. 3 Ziff. 3 StPO/LU). Am 23. Juni
2005 hat der Beschwerdeführer frist- und formgültig Appellation erhoben. Mit
prozessleitender Verfügung vom 10. Januar 2006 wurde er vom Obergericht unter
Androhung von Säumnisfolgen auf den 14. März 2006 zur Berufungsverhandlung
vorgeladen. Die betreffende persönliche Vorladung an den Angeklagten wurde
dessen Verteidiger zugestellt.

Am 13. Februar 2006 stellte der in Deutschland wohnhafte Beschwerdeführer ein
Gesuch um Dispensation vom persönlichen Erscheinen an der
Berufungsverhandlung. Er wies darauf hin, dass er "in tatsächlicher Hinsicht
voll geständig" sei und dass sein Verteidiger "das angefochtene Urteil mit
rechtlichen Argumenten in Frage stellen" werde. Daher erscheine seine
persönliche Anwesenheit an der Appellationsverhandlung "entbehrlich". Darüber
hinaus habe das Bundesamt für Migration am 10. August 2005 eine
Einreisesperre gegen ihn, den Beschwerdeführer, verfügt.

Mit prozessleitender Verfügung vom 14. Februar 2006 wies das präsidierende
Mitglied des Obergerichtes das Dispensationsgesuch "im Sinne der Erwägungen"
ab. Es erwog, dass das Bundesamt für Migration zwar eine Einreisesperre gegen
den Appellanten "bis am 9. August 2010 verhängt" habe. Es stehe dem
Beschwerdeführer jedoch "offen, bei diesem Bundesamt als zuständige Behörde
eine ausdrückliche Bewilligung für das Betreten der Schweiz im Hinblick auf
die Appellationsverhandlung einzuholen". Zwar könne das Obergericht "wegen
Krankheit, Landesabwesenheit oder aus anderen wichtigen Gründen" Angeklagte
vom persönlichen Erscheinen an der Berufungsverhandlung dispensieren. Im
Hinblick auf die "strittige Strafzumessung" sei hier jedoch die persönliche
Anwesenheit des Appellanten "zwingend".

In der gleichen Verfügung vom 14. Februar 2006 erwog das präsidierende
Mitglied des Obergerichtes zusätzlich, dass sich "vorliegend auch die Frage"
stelle, "ob dem Angeklagten das freie Geleit zu gewähren sei". Ein freies
Geleit könne den Beschwerdeführer "nur vor einer Untersuchungshaft" schützen,
es falle jedoch "bei einer allfälligen Verurteilung durch das Obergericht"
dahin. "Das Obergericht" behalte "sich demnach vor, den Angeklagten im Fall
eines Schuldspruchs und einer unbedingten Freiheitsstrafe nach
Urteilseröffnung im Nachgang zur Appellationsverhandlung verhaften zu
lassen".

In der Folge erschien der Beschwerdeführer nicht persönlich an der
Berufungsverhandlung vom 14. März 2006. Er liess sich dort jedoch durch
seinen Verteidiger vertreten. Dieser erklärte im Namen des Beschwerdeführers
ausdrücklich, dass er an der Appellation festhalte und auch bereit sei, diese
zu begründen. Das Obergericht schrieb die Appellation dennoch "als erledigt"
von der Geschäftskontrolle ab mit der Begründung, durch sein Nichterscheinen
habe der Beschwerdeführer auf Appellation "verzichtet" bzw. sein
"Desinteresse" daran erklärt.

8.
Die Luzerner Praxis, wonach die Appellation (bei unentschuldigtem Ausbleiben
des Angeklagten) selbst dann ersatzlos abgeschrieben wird, wenn der
Verteidiger zur Appellationsverhandlung erscheint, hält vor Art. 32 BV und
der oben dargelegten Rechtsprechung nicht stand.

8.1 Die prozessuale Pflicht des Angeklagten zum persönlichen Erscheinen an
der Hauptverhandlung (wie auch sein Recht auf persönliche Teilnahme) ist ein
sehr wichtiges Element des Strafverfahrens (vgl. Robert Hauser/Erhard
Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel
2005, § 81 Rz. 10-13). Dies gilt grundsätzlich auch für das
Appellationsverfahren. Allerdings dürfen kantonale Verfahrensvorschriften die
verfassungsmässigen Grundrechte auf Appellation und wirksame Verteidigung
nicht unterlaufen und aushöhlen. Zwar kann unentschuldigtes Ausbleiben des
Angeklagten prozessuale Konsequenzen nach sich ziehen. Zu denken wäre
namentlich an die Durchführung eines Abwesenheitsverfahrens, an Kostenfolgen
oder an Auswirkungen auf Fragen der Beweiswürdigung. Das verfassungsmässige
Grundrecht auf Appellation und wirksame Verteidigung wird jedoch unterlaufen,
wenn als Folge des unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten die Berufung
selbst dann als "zurückgezogen" abgeschrieben wird, wenn der Verteidiger zur
Berufungsverhandlung antritt und bereit ist zu plädieren. Eine solche
Konsequenz erscheint nach der dargelegten Rechtslage unverhältnismässig und
verfassungswidrig. Eine Verwirkung der Appellation kann nur bei einem
sogenannten "Totalversäumnis" im Sinne der dargelegten Praxis
(unentschuldigtes Ausbleiben sowohl des Angeklagten als auch des
Verteidigers) in Frage kommen.

Schon aus diesem Grund ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene
Abschreibungsbeschluss aufzuheben.

8.2 Von diesen grundsätzlichen Erwägungen abgesehen, erscheint das
prozessuale Vorgehen der kantonalen Justizbehörden im vorliegenden konkreten
Fall auch noch aus zusätzlichen Gründen unfair, überspitzt formalistisch und
unverhältnismässig. Nach Treu und Glauben (Art. 9 BV) kann hier nicht von
einem (konkludenten) "Verzicht" auf die ausdrücklich erklärte Appellation
ausgegangen werden. Mit einem Verzicht auf persönliche Anwesenheit an der
Berufungsverhandlung nimmt der Appellant zwar freiwillig eine gewisse
Schwächung seiner prozessualen Stellung und seiner Verteidigungsmöglichkeiten
in Kauf. Damit verzichtet er jedoch nicht vollständig auf das Rechtsmittel
der Appellation bzw. auf jegliche Verteidigung (vgl. BGE 131 I 185 E. 3.2.3
S. 191 f.; 127 I 213 E. 4 S. 217 f.). Hier kommt noch hinzu, dass ein
gesetzlicher Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt und der Angeklagte
erstinstanzlich zu einer Strafe von viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt
wurde. Ausserdem war der Beschwerdeführer zur erstinstanzlichen
Hauptverhandlung persönlich erschienen.

9.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten gutzuheissen und der angefochtene
Abschreibungsbeschluss aufzuheben.

Bei diesem Verfahrensausgang ist dem Beschwerdeführer eine angemessene
Parteientschädigung zuzusprechen. Die privaten Beschwerdegegner 5 haben sich
am Verfahren förmlich beteiligt und sind mit ihren Anträgen unterlegen,
weshalb die Parteientschädigung ihnen aufzuerlegen ist (Art. 159 OG).
Hingegen rechtfertigt es sich, im vorliegenden Fall auf die Erhebung einer
Gerichtsgebühr zu verzichten (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 14. März 2006 wird
aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Die privaten Beschwerdegegner 5 haben dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu entrichten.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht, II. Kammer, des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. November 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: