Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.302/2006
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{T 0/2}
1P.302/2006 /scd

Urteil vom 20. Juli 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiberin Gerber.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Y.________,

gegen

Präsident des Strafgerichts des Kantons
Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 16, 4410 Liestal.

Verweigerung einer Akontozahlung des Offizialverteidigerhonorars,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Präsidenten des
Strafgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Gegen X.________ ist ein Strafverfahren vor dem Strafgericht des Kantons
Basel-Landschaft wegen gewerbsmässigen Betrugs hängig. Er wird amtlich
verteidigt von Advokat Y.________.

Am 3. April 2006 reichte der Offizialverteidiger eine Zwischenrechnung für
das 1. Quartal 2006 in Höhe von Fr. 48'726.55 ein. Mit Verfügung vom 26.
April 2006 bewilligte der Präsident des Strafgerichts eine Akontozahlung von
Fr. 27'963.85 mit dem Hinweis, dass über den Differenzbetrag zur Honorarnote
das Gericht zu befinden haben werde.

Bereits bei der Akontozahlung für den Zeitraum vom 1. Dezember 2004 bis 21.
Juli 2005 hatte der Präsident des Strafgerichts nur Fr. 15'000.-- anstatt der
mit Zwischenrechnung vom 25. Juli 2005 verlangten Fr. 20'043.10 bewilligt.

B.
Mit Schreiben vom 28. April 2006 teilte der Offizialverteidiger dem
Präsidenten des Strafgerichts mit, dass er sich aus wirtschaftlicher
Notwendigkeit veranlasst sehe, sein Mandat mit sofortiger Wirkung
niederzulegen und dies nur weiterführen könne, wenn seine Ausstände umgehend
und vollumfänglich bezahlt würden. Er ersuchte um eine Begründung für die
Verfügung vom 26. April 2006 und um sofortige Überweisung der ausstehenden
Honoraransprüche in Höhe von Fr. 53'769.65 nebst Zins zu 5% auf Fr. 5'043.10
seit 13. Dezember 2005. Eventualiter sei sofort eine ausserordentliche
Kammersitzung einzuberufen, um über die Honoraransprüche zu entscheiden.

C.
Mit Verfügung vom 3. Mai 2006 stellte der Präsident des Strafgerichts fest,
dass Advokat Y.________ das Mandat als Offizialverteidiger fortzuführen habe;
die Überweisungen erfolgten jeweils im Umfang der verfügten Akontozahlungen.
In der Begründung erläuterte der Präsident, dass die Honorarnote vom 3. April
2006 einzig bei der Position für die Aufwendungen des Volontärs korrigiert
worden sei, indem anstelle eines nach Stunden berechneten Honorars (316,83
Stunden à Fr. 90.-- = Fr. 30'681.80) eine Pauschale von Fr. 10'000.--
berücksichtigt worden sei, was einem durchschnittlichen Volontärslohn für 4
Monate entspreche. Dagegen sei das Honorar für die Arbeitsleistungen des
Offizialverteidigers vollumfänglich zur Auszahlung freigegeben worden.

D.
Gegen die Verfügung vom 3. Mai 2006 erhob X.________ am 10. Mai 2006
Beschwerde beim Kantonsgericht Basel-Landschaft.

Vorsorglich, für den Fall, dass das Kantonsgericht auf die Beschwerde nicht
eintrete, erhob X.________ am 22. Mai 2006 staatsrechtliche Beschwerde ans
Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung; der
Strafgerichtspräsident Liestal sei anzuweisen, das ausstehende
Offizialverteidigerhonorar von Fr. 26'075.80 zur Auszahlung freizugeben.
Zudem ersucht er um Gewährung der aufschiebenden Wirkung und um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

E.
Der Strafgerichtspräsident beantragt, auf die staatsrechtliche Beschwerde sei
nicht einzutreten; eventualiter sei sie abzuweisen.

F.
Mit Verfügung vom 6. Juni 2006 wurde das Gesuch um aufschiebende Wirkung
abgewiesen.

G.
Mit Beschluss vom 30. Mai 2006 wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft die
Beschwerde gegen die Nichtbewilligung der Mandatsniederlegung ab; auf alle
anderen Beschwerdepunkte trat es nicht ein.

Mit Schreiben vom 13. Juli 2006 hielt der Beschwerdeführer an seiner
staatsrechtlichen Beschwerde fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die angefochtene Verfügung des Strafgerichtspräsidenten über Akontozahlungen
an den Offizialverteidiger ist kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG).
Das Kantonsgericht ist auf die dagegen gerichtete Beschwerde am 30. Mai 2006
nicht eingetreten, weil die kantonale Strafprozessordnung vom 3. Juni 1999
[StPO/BL] gegen verfahrensleitende Entscheide des Strafgerichtspräsidiums
kein Beschwerderecht einräume.

2.
Näher zu prüfen ist die Legitimation des Beschwerdeführers. Mit
staatsrechtlicher Beschwerde kann lediglich die Verletzung in rechtlich
geschützten eigenen Interessen gerügt werden (Art. 88 OG). Zur Verfolgung
bloss tatsächlicher Interessen ist die staatsrechtliche Beschwerde nicht
gegeben.

2.1 Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist der amtliche
Verteidiger legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend zu machen,
sein Honorar sei willkürlich zu niedrig oder unter Verletzung von
Verfahrensgarantien festgesetzt worden (BGE 131 I 217, nicht veröffentlichte
E. 1; 109 Ia 107 nicht veröffentlichte E. 1b). Im vorliegenden Fall hat
jedoch der amtliche Verteidiger nicht in eigenem Namen, sondern
ausschliesslich im Namen seines Mandanten Beschwerde erhoben.

2.2 Dieser hat in aller Regel kein eigenes rechtliches Interesse an der
Anfechtung des Honorarbetrags, weil der amtliche Verteidiger sich von der
verbeiständeten Partei auch dann nicht bezahlen lassen darf, wenn ihm die
öffentlichrechtliche Entschädigung ungenügend erscheint (vgl. BGE 122 I 322
E. 3b S. 325 f.; 108 Ia 11 E. 1 S. 12 f.; für den Kanton Basel-Landschaft
vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 StPO/BL). Demzufolge tritt das Bundesgericht
regelmässig auf staatsrechtliche Beschwerden des Mandanten gegen
Honorarfestsetzungen des amtlichen Verteidigers nicht ein (vgl. Entscheide
1P.463/1992 vom 25. Februar 1994 E. 1b/aa; 1P.444/1990 vom 2. November 1990
E. 1b; 1P.705/1989 vom 26. März 1990 E. 2).

2.3 Immerhin hat das Bundesgericht in zwei unveröffentlichten Entscheiden
festgehalten, dass eine krass ungenügende Entschädigung für den amtlichen
Verteidiger mittelbar den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bzw. auf
eine effektive Verteidigung verletzen könne (Entscheide P.390/1984 vom 13.
September 1984 E. 4 und 1P.705/1989 vom 26. März 1990 E. 2; vgl. auch Robert
Levi, Schwerpunkte der strafprozessualen Rechtsprechung des Bundesgerichts
und der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: ZStrR 102/1985
S. 357).

Das Bundesgericht liess in diesen Entscheiden offen, ob diese Rüge auch von
der verbeiständeten Partei erhoben werden könne; Voraussetzung sei
jedenfalls, dass diese geltend mache, nicht hinreichend verteidigt worden zu
sein (1P.705/1989 vom  26. März 1990 E. 2). Im vorliegenden Fall wäre diese
Voraussetzung wohl erfüllt, macht der Beschwerdeführer doch geltend, dass
eine effektive und effiziente Verteidigung aufgrund der verfügten
Honorarkürzungen nicht mehr gewährleistet sei.

Die Frage der Legitimation kann jedoch offen bleiben, wenn auf die Beschwerde
schon aus anderen Gründen nicht eingetreten werden kann.

3.
Mit der angefochtenen Verfügung wird nicht definitiv über den Honoraranspruch
des amtlichen Verteidigers entschieden, sondern lediglich eine Akontozahlung
bestätigt. Dabei handelt es sich um eine vorläufige Zahlung; die Festlegung
der angemessenen Entschädigung des amtlichen Verteidigers erfolgt erst durch
das Strafgericht im verfahrensabschliessenden Entscheid (vgl. § 21 Abs. 1
StPO/BL). Die angefochtene Verfügung ist deshalb als Zwischenentscheid zu
qualifizieren.

3.1 Abgesehen von Entscheiden über die Zuständigkeit oder Ausstandsbegehren
(Art. 87 Abs. 1 OG) können selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide
nur dann selbständig mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden,
wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 87
Abs. 2 OG). Dabei muss es sich um einen Nachteil rechtlicher Natur handeln,
der auch mit einem späteren günstigen Entscheid nicht gänzlich behoben werden
kann (BGE 127 I 92 E. 1c S. 94 f. mit Hinweisen).

3.2 Im vorliegenden Fall wird das Strafgericht in seinem
verfahrensabschliessenden Entscheid über den Entschädigungsanspruch des
amtlichen Verteidigers entscheiden. Dagegen kann an das Kantonsgericht
appelliert werden (vgl. Beschluss des Kantonsgerichts vom 30. Mai 2006, E.
1.1 S. 5 oben). Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid steht
schliesslich die Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte ans
Bundesgericht offen.

3.3 Die Befürchtung des Beschwerdeführers, der Offizialverteidiger werde
aufgrund der gekürzten Akontozahlungen seine Bemühungen drastisch reduzieren,
so dass eine effektive und effiziente Verteidigung nicht mehr gewährleistet
sei, erscheint unbegründet:

Advokat Y.________ ist aufgrund seiner fortgeltenden Bestellung zum
Offizialverteidiger verpflichtet, die Interessen seines Mandanten nach bestem
Wissen und Gewissen wahrzunehmen; falls er seine Pflichten vernachlässigt,
hat er aufsichtsrechtliche Konsequenzen zu gewärtigen (BGE 126 I 207 E. 2b S.
211). Das Strafgericht ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Angeklagte
seine Rechte auf ein faires Verfahren und auf wirksame Verteidigung auch
wirklich wahrnehmen kann (BGE 113 Ia 218 E. 3c S. 222 f.) und muss notfalls
geeignete Massnahmen zu deren Sicherung ergreifen (vgl. Urteil des EGMR vom
10. Oktober 2002 i.S. Czekalla c. Portugal, publ. in Recueil CourEDH
2002-VIII S. 43, §§ 60 mit Hinweisen zur EGMR-Rechtsprechung).

3.4 Nach dem Gesagten hat der angefochtene Zwischenentscheid keinen nicht
wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge, soweit er gekürzte Akontozahlungen
an den amtlichen Verteidiger bewilligt. Insoweit kann auf die
staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden.

4.
Der Beschwerdeführer rügt überdies eine formelle Rechtsverweigerung, weil der
Antrag auf Durchführung einer ausserordentlichen Kammersitzung nicht
behandelt worden sei. Diese Rüge kann grundsätzlich auch im Zusammenhang mit
einem kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid erhoben werden (vgl.
Entscheid 1A.169/2004   vom 18. Oktober 2004 E. 1.2, publ. in Pra 2005 Nr. 58
S. 447 und   ZBl 106/2005 S. 540). Fraglich ist allerdings, ob der
Beschwerdeführer zu dieser Rüge legitimiert ist, nachdem nicht er, sondern
sein Offizialverteidiger den Antrag gestellt hatte. Die Frage kann jedoch
offen bleiben, weil die Rüge offensichtlich unbegründet ist.

Zwar enthält das Dispositiv der angefochtenen Verfügung keine ausdrückliche
Ablehnung des Antrags auf Einberufung einer ausserordentlichen Kammersitzung.
Disp.-Ziff. 2 bestimmt jedoch, dass die Überweisungen jeweils im Umfang der
verfügten Akontozahlungen erfolgen. Dies ist, wie sich aus den Erwägungen der
Verfügung klar ergibt, so zu verstehen, dass es bei den vom
Strafgerichtspräsidenten verfügten Akontozahlungen bleibt und keine
ausserordentliche Kammersitzung einberufen wird, um über die Akontozahlungen
zu befinden. In E. 3 (S. 3) der Verfügung wird festgehalten, dass das
Strafgericht erst nach Abschluss des Verfahrens, in der Urteilsberatung, über
die angemessene Entschädigung des Offizialverteidigers befinden werde, wenn
es die Bemühungen und Auslagen des Offizialverteidigers definitiv beurteilen
könne.
Damit wurde der Antrag des Offizialverteidigers auf Einberufung einer
ausserordentlichen Kammersitzung in der angefochtenen Verfügung behandelt und
abgewiesen.

5.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist.

Der Beschwerdeführer hat die unentgeltliche Rechtspflege beantragt. Sein
Begehren war jedoch angesichts der Rechtsprechung zu Art. 87 OG, die hohe
Anforderungen an den nicht wiedergutzumachenden Nachteil stellt, auch im
Bereich der notwendigen Verteidigung (vgl. insbesondere den oben zitierten
BGE 126 I 207 zur Bewilligung des Wechsels des amtlichen Verteidigers), von
vornherein aussichtslos. Die Rüge der Rechtsverweigerung war offensichtlich
unbegründet. Das Gesuch ist daher abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 OG).

Demzufolge trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 156 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Präsidenten des Strafgerichts
des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Juli 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: