Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.224/2006
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{T 0/2}
1P.224/2006 /ggs

Urteil vom 2. Oktober 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Haag.

X. ________, Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Simon
Schaltegger,
Baukommission Kilchberg, Alte Landstrasse 110, Postfach 451, 8802 Kilchberg,
Baurekurskommission II des Kantons Zürich, Selnaustrasse 32, Postfach, 8090
Zürich.

Inanspruchnahme eines Drittgrundstücks,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der Baurekurskommission II
des Kantons Zürich Nr. 67 vom 14. März 2006.
Sachverhalt:

A.
Mit Beschluss vom 24. Oktober 2005 bewilligte die Baukommission Kilchberg
Y.________, Eigentümerin der Parzelle Kat.-Nr. 1884, die vorübergehende
Inanspruchnahme eines Teils des Nachbargrundstücks Kat.-Nr. 1886 an der
Paradiesstrasse 45 in Kilchberg zur Sanierung der an der gemeinsamen
Grundstücksgrenze bestehenden Stützmauer. Gegen diesen Beschluss gelangte
X.________, Eigentümerin des beanspruchten Nachbargrundstücks Kat.-Nr. 1886
an die kantonale Baurekurskommission II. Sie verlangte unter anderem die
Reduktion des beanspruchten Landstreifens von 5.5 m Breite auf 1 bis 1.5 m
sowie die Durchführung eines Augenscheins. Die Baurekurskommission wies den
Rekurs am 14. März 2006 ab.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 18. April 2006 beantragt X.________ im
Wesentlichen die Aufhebung des Entscheids der Baurekurskommission wegen
Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und
Missachtung des Willkürverbots (Art. 9 BV).

Die Baurekurskommission hat sich zur Beschwerde nicht geäussert. Die Gemeinde
Kilchberg und Y.________ beantragen Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. X.________ hält in ihrer Replik an ihren Anträgen und
Rechtsauffassungen fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich nach § 330 lit. c des
Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zürich vom 7. September 1975 (PBG/ZH)
um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid. Dagegen steht die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte zur
Verfügung (Art. 84 ff. OG). Die Beschwerdeführerin ist als Eigentümerin der
beanspruchten Parzelle in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen
und damit zur Beschwerdeführung berechtigt (Art. 88 OG).

1.2 Das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren führt nicht das vorangegangene
kantonale Verfahren weiter, sondern stellt als ausserordentliches
Rechtsmittel ein selbständiges staatsrechtliches Verfahren dar, das der
Kontrolle kantonaler Hoheitsakte unter dem spezifischen Gesichtspunkt
verfassungsmässiger Rechte dient (BGE 117 Ia 393 E. 1c S. 395). Die als
verletzt erachteten verfassungsmässigen Rechte oder deren Teilgehalte sind zu
bezeichnen; überdies ist in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des
angefochtenen Entscheids im Einzelnen darzustellen, worin die Verletzung der
angerufenen Verfassungsrechte bestehen soll (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Im
staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und
detailliert erhobene Rügen (Rügeprinzip), welche soweit möglich zu belegen
sind. Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 130 I 258 E.
1.3 S. 261 f.; 129 I 185 E. 1.6 S. 189; 127 I 38 E. 3c S. 43; 117 Ia 393 E.
1c S. 395, je mit Hinweisen). Die vorliegende Beschwerde enthält teilweise
appellatorische Kritik und entspricht auch im Übrigen nicht in jeder Hinsicht
den gesetzlichen Begründungsanforderungen (s. nachfolgend E. 2.3).
1.3 Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist somit nur unter dem Vorbehalt
gehörig begründeter Rügen einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Baurekurskommission habe
zu Unrecht keinen Augenschein durchgeführt und ihre Anträge betreffend die
Zufahrtsmöglichkeiten zum Grundstück nicht behandelt, was ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV verletze.

2.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst unter
anderem das Recht des Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu
werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder
sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den
Entscheid zu beeinflussen (BGE 126 I 15 E. 2a/aa; 124 I 49 E. 3a S. 51, 241
E. 2, je mit Hinweisen). Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt, dass
der Richter rechtzeitig und formrichtig angebotene erhebliche Beweismittel
abzunehmen hat (BGE 122 I 53 E. 4a, mit Hinweisen). Dies verwehrt ihm
indessen nicht, einen Beweisantrag abzulehnen, wenn er ohne Willkür in
freier, antizipierter Würdigung der beantragten zusätzlichen Beweise zur
Auffassung gelangen durfte, dass weitere Beweisvorkehren an der Würdigung der
bereits abgenommenen Beweise voraussichtlich nichts mehr ändern würden (BGE
124 I 208 E. 4a S. 211; 122 II 464 E. 2a; 122 III 219 E. 3c; 122 IV 157 E.
1d, je mit Hinweisen). Das Bundesgericht greift auf staatsrechtliche
Beschwerde hin nur ein, wenn die Beweiswürdigung offensichtlich unhaltbar
ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, auf einem
offensichtlichen Versehen beruht oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 124 I 208 E. 4a S. 211 mit
Hinweisen).

2.2 Die Baurekurskommission führt im angefochtenen Entscheid aus, die
örtlichen Begebenheiten seien ihr bereits aus einem früheren Augenschein im
Verfahren G.-Nr. R2.2003.00101 bekannt. Damals sei die Beständigkeit der hier
streitbetroffenen Stützmauer zu beurteilen gewesen. Die Beschwerdeführerin
bestreitet nicht, dass die Baurekurskommission II bereits im genannten
Verfahren im Juni 2003 einen Augenschein durchgeführt hat. Sie macht jedoch
geltend, dass die örtlichen Verhältnisse und insbesondere die
Zufahrtssituation nicht Gegenstand der damaligen Abklärungen gewesen seien
und die anwesenden Personen sich nach knapp 3 Jahren nicht an die Stützmauer
erinnern könnten. Der Augenschein vom Juni 2003 sei keinesfalls geeignet
gewesen, der Baurekurskommission die örtlichen Begebenheiten für das aktuelle
Verfahren hinreichend bekannt zu machen. Der Verzicht auf einen Augenschein
verletze in willkürlicher Art und Weise Art. 29 Abs. 2 BV und § 7 des
kantonalen Rechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG/ZH).

2.3 Soweit sich die Beschwerdeführerin auf § 7 VRG/ZH beruft, erscheint ihre
Rüge nicht hinreichend begründet, da sie sich mit dieser Bestimmung nicht
auseinandersetzt und nicht aufzeigt, inwiefern sie willkürlich angewendet
worden sein soll (vgl. E. 1.2 hiervor). Zur Rüge der Verletzung von Art. 29
Abs. 2 BV ergibt sich, dass das Vorgehen der Baurekurskommission unter
Berücksichtigung der in E. 2.1 hiervor zitierten Rechtsprechung nicht zu
beanstanden ist. Die Baurekurskommission durfte in antizipierter
Beweiswürdigung davon ausgehen, die Zufahrtssituation sei ihr hinreichend
bekannt, auch wenn der Augenschein bereits knapp drei Jahre zurücklag und
damals nicht die Zufahrtssituation selbst, sondern die angrenzende Mauer zu
besichtigen war. Aufgrund der Lage der defekten Mauer unmittelbar neben der
Zufahrt auf Parzelle Nr. 1886 erscheint es nicht willkürlich, dass die
Baurekurskommission ihre Ortskenntnisse zur Beurteilung der vorliegenden
Streitfragen als ausreichend bezeichnete.

3.
Die Beschwerdeführerin rügt weiter eine willkürliche Auslegung und Anwendung
von § 229 PBG/ZH.

3.1 Nach § 229 Abs. 1 PBG/ZH ist jeder Grundeigentümer berechtigt,
Nachbargrundstücke zu betreten und vorübergehend zu benutzen, soweit es,
Vorbereitungshandlungen eingeschlossen, für die Erstellung, die Veränderung
oder den Unterhalt von Bauten, Anlagen, Ausstattungen und Ausrüstungen nötig
ist und soweit dadurch das Eigentum des Betroffenen nicht unzumutbar
gefährdet oder beeinträchtigt wird. Dieses Recht ist möglichst schonend und
gegen volle Entschädigung auszuüben (§ 229 Abs. 2 PBG/ZH). Das Bundesgericht
prüft Anwendung und Auslegung dieser Vorschrift auf Willkür hin. Nach der
ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt Willkür in der Rechtsanwendung vor,
wenn der angefochtene kantonale Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit
der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid
jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis
unhaltbar ist; dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar
zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 131 I 467 E. 3.1; 127 I 54 E. 2b S.
56, 60 E. 5a S. 70, je mit Hinweisen).

3.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die nach § 229 Abs. 1 PBG/ZH
vorzunehmende Interessenabwägung sei völlig einseitig zugunsten der Bauherrin
erfolgt und berücksichtige in keiner Weise die besonderen Verhältnisse und
die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme für die Betroffenen. So sei der
beanspruchte Boden der einzige Zugang zu ihrem im steilen Hang gelegenen
Grundstück. Der Zugang von der privaten Zufahrtstrasse zu ihrem Grundstück
werde faktisch vollständig blockiert. Dies gelte nicht nur für die
Erreichbarkeit zu Fuss, sondern auch für die Zufahrt für Besucher,
Lieferanten und Handwerker und die fünf Personenwagen, die auf dem Grundstück
üblicherweise abgestellt würden und für die keine zumutbaren Ersatzparkplätze
zur Verfügung stünden. Die Vorteile einer Inanspruchnahme des Platzes auf
einer Breite von 5.5 Metern statt 1 - 1.5 Metern stehe in keinem Verhältnis
zu den Behinderungen bei Zugang und Nutzung des Grundstücks, welche die
Betroffenen zu erdulden hätten. Auch die Wiederherstellung des beanspruchten
Platzes sei aufwändiger, als von der Baurekurskommission im angefochtenen
Entscheid angenommen. Schliesslich ergebe sich aus eigenen Erfahrungen,
welche die Beschwerdeführerin aus dem Ersatz einer Stützmauer auf ihrem
Grundstück gewonnen habe, dass die Inanspruchnahme ihres Bodens objektiv gar
nicht erforderlich sei, da die hier betroffene Mauer auch von oben, d.h. vom
Grundstück der Beschwerdegegnerin her ersetzt werden könne.

3.3 Die Gemeinde Kilchberg legt in ihrer Stellungnahme dar, ihre
Baukommission wie auch die kantonale Baurekurskommission seien klar der
Ansicht, dass die vorgesehene Beanspruchung des Nachbargrundstücks auf einer
Breite von 5.5 m entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze für die Sanierung
der Stützmauer unumgänglich sei. Die Sanierung könne aufgrund der steilen
Hanglage nicht vom Grundstück der Bauherrschaft her erfolgen. Die Breite von
5.5 m sei nötig, da sonst nicht mit dem Bagger gearbeitet werden könne. Die
bewilligte Bauzeit sei anstelle der beantragten 3 Monate auf 2 Monate
beschränkt worden. Zudem seien die täglichen Arbeitszeiten zum Schutz der
Nachbarn eingeschränkt worden. Der Zugang zur Liegenschaft werde zwar
behindert, doch bleibe die Zugänglichkeit zu Fuss jederzeit gewährleistet.
Für die Parkierung von fünf Personenwagen habe die Beschwerdeführerin im
Übrigen keine Bewilligung. Die Wiederherstellung des früheren Zustands auf
dem Grundstück der Beschwerdeführerin sei schliesslich unverzüglich nach
Beendigung der Bauarbeiten auf Kosten der Bauherrschaft vorzunehmen.

3.4 Die Prüfung der vorliegenden Angelegenheit ergibt, dass die Gemeinde die
Massnahmen ergriffen hat, die zur möglichst schonenden Inanspruchnahme des
Grundstücks der Beschwerdeführerin nötig sind. Jedenfalls kann im
angefochtenen Entscheid in Bezug auf die Interessenabwägung kein Verstoss
gegen das Willkürverbot erblickt werden. Dies betrifft sowohl die
Erforderlichkeit der Beanspruchung des Nachbargrundstücks als auch die Breite
des zur Verfügung zu stellenden Landstreifens. So erscheint die Steilheit des
Geländes und insbesondere der Parzelle der Beschwerdegegnerin als
unbestritten. Die Verwendung eines Baggers setzt offensichtlich eine
hinreichende Breite des Landstreifens voraus. Gleichzeitig ermöglicht dieses
Vorgehen aber auch, die Arbeiten innert kürzerer Zeit abzuschliessen, was
zweifellos im Interesse der Beschwerdeführerin liegt. Dass der Zugang zur
Liegenschaft während einer beschränkten Zeit von 2 Monaten nicht mehr
vollumfänglich gewährleistet werden kann, hat die Beschwerdeführerin unter
Beachtung der vorliegenden Umstände im Lichte von § 229 PBG/ZH hinzunehmen.
Daran ändern auch die zusätzlichen Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer
Replik nichts. Ihre Rüge der Verletzung des Willkürverbots geht fehl. Auch in
Bezug auf die Regelung der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands nach
Abschluss der Arbeiten liegt kein Verstoss gegen das Willkürverbot vor, da
die Gemeinde diesbezüglich ebenfalls die erforderlichen Anordnungen getroffen
hat und die Baurekurskommission diese willkürfrei bestätigt hat.

4.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen
ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang sind die
Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der Beschwerdeführerin aufzuerlegen
(Art. 156 Abs. 1 OG). Diese hat die private Beschwerdegegnerin zudem
angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Baukommission Kilchberg und der
Baurekurskommission II des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Oktober 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: