Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.148/2006
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1P.148/2006 /ggs

Urteil vom 17. Mai 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Nay,
Gerichtsschreiber Störi.

1. X.________,
2.Y.________,
3.Z.________,
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Fürsprecher Konrad Jeker,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Barfüssergasse 28, Postfach 157,
4502 Solothurn,
Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, Amthaus I, Postfach 157, 4502
Solothurn.

Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz; Geldwäscherei,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Solothurn, Strafkammer,
vom 5. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
Die Solothurner Strafverfolgungsbehörden klagten die Gebrüder X.________,
Y.________ und Z.________ beim Amtsgericht Bucheggberg-Wasseramt auf Grund
folgender Schlussverfügungen wegen qualifizierter und gewerbsmässiger
Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen Geldwäscherei an:
A.aSchlussverfügung vom 1. Oktober 2002
"Die Gebrüder X.________ und Y.________ sind gemäss Handelsregisterauszug
Gesellschafter und Geschäftsführer, der dritte Bruder Z.________ lediglich
Gesellschafter der A.________ GmbH in ________. Zweck der Gesellschaft ist
insbesondere die Produktion von Zierhanfstecklingen.
(... Ausführungen zur Erfassung von Hanfkraut durch das BetmG)
Die drei Beschuldigten sind verantwortlich für die Produktion und den
Vertrieb der Hanfstecklinge der A.________ GmbH. X.________ ist gemäss
Aussage vom 16. November 2001 seit 1997 vollberuflich im Hanfanbau und
-handel tätig. Belegt sind gemäss den sich bei den Akten befindlichen
Arbeitsverträgen die Anstellungen bei der A.________ seit 1.2.2000
(X.________ als Gärtner), bzw. 28.2.1999 (Y.________ als Geschäftsführer),
bzw. 1.3.1999 (Z.________ als Gärtner). (..) Ständig und bis am 16. Mai 2002
(Datum der Durchsuchung und Beschlagnahme) wurden in Obergerlafingen unter
erheblichem Aufwand mehrere Tausend Hanfpflanzen gezogen und an diverse
Abnehmer verkauft. Es ist aktenkundig, dass zumindest ein Teil der Abnehmer
der Hanfstecklinge daraus Betäubungsmittel herstellt, was den Beschuldigten
bekannt gewesen sein muss.
Den Beschuldigten ist vorzuwerfen, dass sie die Verwendung der von ihnen
vertriebenen Produkte als Betäubungsmittel in Kauf genommen haben, bzw. mit
dem Verkauf ihrer Hanfstecklinge Betäubungsmittel in Verkehr brachten. (..)
(.. Die Proben weisen mit einer Ausnahme einen THC-Gehalt zwischen 0.9 und
3.0 % und überschreiten damit den für Industriehanf festgelegten Grenzwert
von 0.3)
Den Beschuldigten sind qualifizierte Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz vorzuwerfen, ist doch fraglos von einem
gewerbsmässigen Handel auszugehen, womit ein grosser Umsatz und damit auch
ein grosser Gewinn erzielt wurde, bzw. mit den sichergestellten Pflanzen noch
hätte erzielt werden können. (..) Aus den sichergestellten Unterlagen geht
hervor, dass von den Beschuldigten allein in der Zeit vom 1. Januar 2001 bis
am 30. Mai 2002 Hanfstecklinge für insgesamt ca. 1,75 Millionen Franken
verkauft worden sind. Der Netto-Erlös aus dem Hanfsteckling-Verkauf für die
Zeit vom Juli 1999 bis Dezember 2000 betrug mehr als 1,23 Millionen, der
Betriebsgewinn in der gleichen Zeit nahezu 250'000 Franken. (..)"
A.bSchlussverfügung vom 9. Dezember 2002
"(.. Verweis auf die Schlussverfügung vom 1. Oktober 2002)
Es ist aktenkundig, dass die von den Beschuldigten beherrschte A.________
GmbH in dieser Zeit mit ihrer illegalen Tätigkeit (entspricht dem Vorwurf im
hängigen Verfahren) ganz massive Umsätze und auch Gewinne erzielt hat. Aus
den sichergestellten Unterlagen geht hervor, dass von den Beschuldigten
allein in der Zeit vom 1. Januar 2001 bis am 30. Mai 2002 Hanfstecklinge für
insgesamt ca 1.75 Millionen Franken verkauft worden sind. Der Nettoerlös aus
dem Hanfsteckling-Verkauf betrug für die Zeit vom Juli 1999 bis Dezember 2000
mehr als 1,23 Millionen, der ausgewiesene Betriebsgewinn betrug in der
gleichen Zeit nahezu 250'000 Franken. Gemäss Bericht des
Wirtschaftsdeliktedienstes der Kripo Solothurn vom 16. September 2002 belief
sich der Gewinn der A.________ GmbH für das Geschäftsjahr 2000 auf Fr.
247'168.80 und für das Geschäftsjahr 2001 gar auf Fr. 474'960.85.
Den Beschuldigten wird nun vorgeworfen, sie hätten als Gesellschafter
(Z.________) und zusätzlich Geschäftsführer (X.________ und Y.________) der
A.________ GmbH Gelder aus deren illegaler Tätigkeit in ganz erheblichem
Umfang versteckt. Sie sollen damit Handlungen vorgenommen haben, die geeignet
sind, die Auffindung und die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die
wie sie wissen, aus einem Verbrechen herrühren.

X. ________ ist am 16. November 2001 als Auskunftsperson vom
Betäubungsmitteldienst der Kripo Solothurn zum Hanfhandel der A.________
einvernommen worden. Ausdrücklich wurde er damals darauf aufmerksam gemacht,
dass er sich selber strafbar mache, wenn die von ihm verkauften
Hanfstecklinge für die Betäubungsmittelproduktion verwendet werden. Er gab
damals dem einvernehmenden Polizeibeamten zur Antwort: Wenn Sie bei uns eine
Hausdurchsuchung machen und die Pflanzen mitnehmen, haben Sie nachher sechs
Sozialfälle. Offensichtlich wurden X.________ und seine Brüder damals
'vorgewarnt' und offensichtlich haben sie zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass
die Tätigkeit der A.________ als illegal einzustufen ist. Die Beschuldigten
reagierten auf die Einvernahme und die Mitteilung der KAPO betreffend
möglicher Strafbarkeit damit, dass sie das Postchekkonto der von ihnen
beherrschten Gesellschaft bereits am folgenden Tag 'plünderten' und 40'000
Franken abhoben. Am folgenden Werktag (20. November 2001) haben sie weitere
29'000 Franken abgehoben. Auffallend ist, dass sich ab diesem Datum dann nie
mehr grössere Beträge auf dem Konto befanden. Konkret betrug der Saldo ab
diesem Zeitpunkt in der Regel einige wenige Hundert Franken. Nach
Einzahlungen von höheren Beträgen wurde das Konto jeweils umgehend, d.h. am
gleichen Tag oder sicher innerhalb von ganz wenigen Tagen 'geleert'. Das ist
umso auffallender, als das Konto vor dem 17. November 2001 seit Oktober 1999
nahezu ständig einen Kontostand von mehreren Zehntausend, zeitweilig sogar
mehreren Hunderttausend Franken aufwies. Auffallend ist zudem auch, dass nach
der Einvernahme vom 16. November 2001 mehrere Geschäfts- wie auch Privatkonti
der drei Beschuldigten saldiert wurden, wobei die jeweiligen Saldi zwischen
einigen wenigen bis maximal 6'300 Franken betrugen. (..)"
A.cDas Amtsgericht Bucheggberg-Wasseramt verurteilte die Gebrüder am 5. April
2004 wegen qualifizierter und gewerbsmässiger Verstösse gegen das
Betäubungsmittelgesetz und wegen Geldwäscherei zu bedingten Gefängnisstrafen
zwischen 13 und 18 Monaten. Es hielt für erwiesen, dass die drei als
Verantwortliche der A.________ GmbH in den Jahren 1997 bis 2002 mehrere
Tausend Hanfpflanzen gezogen und verkauften und dabei in Kauf nahmen, dass
diese wenigstens teilweise als Betäubungsmittel verwendet wurden, und dass
sie, nachdem X.________ vom Betäubungsmitteldienst der Kripo Solothurn
erstmals zum Hanfhandel der A.________ GmbH befragt worden war, illegale
Gewinne beiseite schafften, indem sie Firmen- und Privatkonten "plünderten"
und saldierten und grössere Zahlungseingänge auf dem Firmenkonto umgehend
wieder abhoben.

A.d Auf Berufung der Gebrüder hin bestätigte das Obergericht des Kantons
Solothurn am 5. Februar 2006 das erstinstanzliche Urteil im Schuld- und im
Strafpunkt.

B. Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 12. März 2006 wegen Verletzung des
Anklagegrundsatzes beantragen die Gebrüder, dieses obergerichtliche Urteil
aufzuheben.

Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf Vernehmlassung. Das Obergericht
beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Beim angefochtenen Entscheid des Obergerichts handelt es sich um einen
letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Die
Beschwerdeführer sind durch die strafrechtliche Verurteilung in ihren
rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb sie befugt
sind, die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1
lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten
ist.

2.
Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung des Anklagegrundsatzes. In der
Schlussverfügung vom 1.Oktober 2002 betreffend die Verstösse gegen das
Betäubungsmittelgesetz fehle die Darstellung der einzelnen Tatbeiträge und
der Gewerbsmässigkeit. In derjenigen vom 9. Dezember 2002 betreffend die
Geldwäscherei werde nicht aufgeführt, welcher der Beschuldigten den
Tatbestand, wann, auf welche Weise und mit welchem Tatbeitrag verwirklicht
habe, und der für die Verurteilung massgebende Zeitraum werde von der Anklage
nicht abgedeckt.

2.1 Der Anklagegrundsatz verteilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
die Aufgaben zwischen den Untersuchungs- bzw. Anklagebehörden einerseits und
den Gerichten andererseits. Er bestimmt den Gegenstand des
Gerichtsverfahrens. Die Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegten
Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe
genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz
der Verteidigungsrechte des Angeschuldigten und dient dem Anspruch auf
rechtliches Gehör (BGE 120 IV 348 E. 2b S. 353 f. mit Hinweisen). Nach Art. 6
Ziff. 3 lit. a EMRK hat der Angeschuldigte Anspruch darauf, in möglichst
kurzer Frist über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung
in Kenntnis gesetzt zu werden. Diese Angaben schliessen es allerdings nicht
aus, dass eine spätere Verurteilung wegen eines gleichartigen oder
geringfügigeren Delikts erfolgt. Das Gericht ist an den in der Anklage
wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche
Würdigung durch die Anklagebehörde (BGE 126 I 19 E. 2a).

2.2 Aus der Schlussverfügung vom 1. Oktober 2002 geht mit ausreichender
Deutlichkeit hervor, dass den Beschwerdeführern vorgeworfen wird, über ihre
Firma in gemeinsamer Verantwortung als Gesellschafter und, im Fall von
X.________ und Y.________, als Geschäftsführer, in grossem Stil
Hanfstecklinge gezogen und verkauft zu haben, wobei sie wussten oder hätten
wissen müssen, dass diese jedenfalls teilweise der Herstellung von
Betäubungsmitteln dienen würden. Damit wird der strafrechtliche Vorwurf - in
gemeinsamer Verantwortung Drogenhanf angebaut und verkauft und dadurch
Gewinne von mehreren Hunderttausend Franken erzielt zu haben - ausreichend
konkretisiert. Die Beschwerdeführer wussten, was ihnen vorgeworfen wird und
konnten sich dementsprechend dagegen verteidigen; eine weitere
Konkretisierung etwa durch eine Zuordnung der verschiedenen Tatbeiträge auf
die Beschuldigten war verfassungsrechtlich nicht geboten, zumal nach Art. 19
Ziff. 1 BetmG alle erdenklichen Tätigkeiten strafbar sind, die in irgendeiner
Weise zur Förderung des Betäubungsmittelkonsums beitragen. Mit der
Bezifferung der hohen Umsätze und Betriebsgewinne in der Schlussverfügung ist
der Tatvorwurf auch im Hinblick auf das qualifizierende Tatbestandsmerkmal
der Gewerbsmässigkeit offensichtlich ausreichend belegt, und zwar selbst
soweit einzelne Abnehmer die Hanfstecklinge zu einem legalen Verwendungszweck
erwarben.

2.3 In der Schlussverfügung vom 9. Dezember 2002 wird den Beschwerdeführern
vorgeworfen, nachdem sie am 16. November 2001 von den polizeilichen
Ermittlungen Kenntnis erlangt hatten, dem Firmenkonto noch am gleichen Tag
40'000 Franken und am 19. November 2001 29'000 Franken entnommen zu haben. In
der Folge hätten sie darauf geachtet, den Kontostand einige Hundert Franken
nicht übersteigen zu lassen und grössere Einzahlungen umgehend wieder
abgehoben.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer wird auch der Vorwurf der
Geldwäscherei hinreichend konkretisiert, auch wenn nicht im Einzelnen
dargelegt wird, wer wann welche Gelder abhob. Hingegen wird in der Anklage
der Beginn des strafbaren Verhaltens mit dem 16. November 2001 zeitlich genau
festgelegt. Im erstinstanzlichen Urteil wird zwar ausgeführt, der
Geldwäschereitatbestand sei wohl bereits vor diesem Zeitpunkt erfüllt
gewesen; als für die Verurteilung massgebender Deliktszeitraum wird indessen
ausdrücklich die Zeit vom 16. November 2001 bis zum Datum der
Schlussverfügung vom 9. Dezember 2002 festgelegt (Urteil des Amtsgerichts
Bucheggberg-Wasseramt S. 48 oben). Das Obergericht hat dazu ausgeführt, wie
bereits die Vorinstanz "angedeutet" habe, sei davon auszugehen, dass die
Beschwerdeführer bereits vor dem 16. November 2001 gewisse Geldbeträge vom
Geschäftskonto genommen und verheimlicht hätten, weshalb die Begehenszeit für
die Geldwäscherei mit derjenigen für die Betäubungsmitteldelikte
gleichzusetzen sei (angefochtenes Urteil S. 16 unten). Diese Ausdehnung des
Deliktszeitraums auf die Zeit vom 1. Januar 1999 bis 15. November 2001 wird
von der die Anklage bildenden Schlussverfügung vom 9. Dezember 2002 nicht
abgedeckt. Die Beschwerdeführer hatten weder auf Grund der Anklage noch des
erstinstanzlichen Urteils Anlass, sich gegen den Vorwurf zur Wehr zu setzen,
bereits vor dem 16. November 2001 gegen den Geldwäschereitatbestand
verstossen zu haben, die Rüge, das Anklageprinzip sei verletzt, ist in diesem
Punkt begründet.

3.
Die Beschwerde ist somit teilweise gutzuheissen und das angefochtene Urteil
aufzuheben. Die Beschwerdeführer haben in einem untergeordneten Punkt obsiegt
und tragen daher, diesem Ausgang des Verfahrens entsprechend, die Hälfte der
Verfahrenskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Dem Kanton Solothurn sind keine Kosten
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 2 OG), er hat indessen den Beschwerdeführern für
das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene - d.h. eine reduzierte -
Parteientschädigung zu bezahlen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des
Obergerichts des Kantons Solothurn vom 5. Januar 2006 aufgehoben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Der Kanton Solothurn hat den Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Mai 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: