Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.135/2006
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{T 0/2}
1P.135/2006 /scd

Urteil vom 14. August 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Schilling.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Beat Keller,

gegen

Gemeinde Niederglatt, 8172 Niederglatt, vertreten durch Rechtsanwalt Dr.
Peter Bösch,
Baurekurskommission I des Kantons Zürich,
Selnaustrasse 32, Postfach, 8090 Zürich,
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer,
Militärstrasse 36, Postfach, 8090 Zürich.

Baubewilligung und Befehl,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 1. Abteilung,

1. Kammer, vom 25. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
Am 15. März 2004 erteilte der Gemeinderat Niederglatt X.________ die
Baubewilligung für den Umbau des Mehrfamilienhauses Alte Poststrasse 19/21
unter dem Vorbehalt, dass Revisionspläne nachgereicht würden. Mit Beschluss
vom 10. Mai 2004 bewilligte der Gemeinderat die eingereichten Revisionspläne,
die unter anderem eine Dachaufstockung vorsehen.
Anlässlich der Schlusskontrolle vom 17. Februar 2005 stellte das kommunale
Kontrollorgan fest, dass die Kniestockhöhe (Höhe der senkrechten Aussenmauer
des Dachgeschosses) gegenüber dem bewilligten Bauprojekt angehoben worden war
und das maximale Mass um ca. 20 cm überschreite. Mit Beschluss vom 4. April
2005 verweigerte der Gemeinderat Niederglatt die baurechtliche Bewilligung
für die nicht planmässigen Bauteile, weil diese das Dachgeschoss zu einem -
ge-mäss der Zonenordnung unzulässigen - weiteren Vollgeschoss werden liessen.
Gleichzeitig ordnete der Gemeinderat unter Androhung der Ersatzvornahme an,
dass das Dach bis spätestens 30. September 2005 so zu ändern sei, dass die
zulässige Kniestockhöhe von 90 cm nicht überschritten werde.

B.
X.________ erhob gegen den Gemeinderatsbeschluss Rekurs an die
Baurekurskommission I. Diese hiess den Rekurs am 2. September 2005 im Sinne
der Erwägungen teilweise gut. Die Baurekurskommission I erwog, dass der
Befehl zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands zu Recht ergangen
sei, aber nicht verlangt werden könne, dass der ganze Dachstock abgebrochen
und vorschriftsgemäss wieder aufgebaut werde. Vielmehr genüge eine
Aufdoppelung des Bodens oder des Dachs zur Wiederherstellung der zulässigen
Höhe des Dachgeschosses.
Gegen den Rekursentscheid reichten sowohl X.________ als auch der Gemeinderat
Niederglatt beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde ein. Dieses
vereinigte die beiden Beschwerdeverfahren und wies mit Urteil vom 25. Januar
2006 die Beschwerde von X.________ ab. Dagegen hiess es die Beschwerde des
Gemeinderates Niederglatt gut und stellte dessen Beschluss vom 4. April 2005
wieder her.

C.
X. ________ hat gegen den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichtes
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Willkürverbotes (Art. 9 BV),
des Anspruchs auf rechtliches Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) und der
Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) erhoben. Er stellt den Antrag, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des
Sachverhaltes und zu neuer Entscheidung an das Verwaltungsgericht
zurückzuweisen.
Der Gemeinderat Niederglatt und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
beantragen Abweisung der Beschwerde, soweit auf diese einzutreten sei. Die
Baurekurskommission I ersucht um Gutheissung der Beschwerde hinsichtlich der
angeordneten Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes.
Im zweiten Schriftenwechsel haben die Parteien an ihren Standpunkten und
Anträgen festgehalten.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, mit dem die
Wiederherstellungsverfügung der Gemeindebehörde bestätigt worden ist. Der
Beschwerdeführer ist als Adressat der kommunalen Verfügung zur
staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 88 OG). Auf die form- und
fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer bestreitet vor Bundesgericht nicht mehr, dass die
Kniestockhöhe des umgebauten vierten Geschosses der fraglichen Liegenschaft
die bewilligte und für ein Dachgeschoss zulässige Höhe von 90 cm
überschreitet. Er räumt ein, dass zur Bestimmung der Kniestockhöhe auf die
konstruktiv wesentlichen Dachteile abzustellen ist und nicht auf allfällige
Deckenverkleidungen, die eine andere Neigung als das Dach selbst aufweisen
können. Dagegen wird in der staatsrechtlichen Beschwerde gerügt, dass der vom
Verwaltungsgericht gutgeheissene Abbruch des Dachgeschosses
unverhältnismässig sei und der Entscheid insofern auf einer offensichtlich
unrichtigen tatsächlichen Annahme beruhe. Das Verwaltungsgericht habe die
falsche Feststellung der Baurekurskommission I, wonach das Gebäude in
Abweichung von den bewilligten Revisionsplänen neu eine Firsthöhe von 4,84 m
gegenüber den ursprünglich bewilligten 4 m aufweise, unbesehen übernommen.
Tatsächlich erreiche das dreigieblige Gebäude nach dem Umbau Firsthöhen von
4,85 m, wo 5 m bewilligt worden seien, und eine Firsthöhe von 3,84 m, wo 4 m
bewilligt worden seien. Die Abweichung vom gesetzmässigen Zustand sei daher
weit weniger schwer wiegend, als das Verwaltungsgericht aufgrund seiner
willkürlichen Sachverhaltsfeststellung beim Wiederherstellungsentscheid
angenommen habe.

2.1 Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, ein Abbruchbefehl sei nach
ständiger Rechtsprechung dann unverhältnismässig, wenn die Abweichung vom
gesetzmässigen Zustand gering sei und die berührten allgemeinen Interessen
den Schaden, der dem Eigentümer durch den Abbruch entstünde, nicht zu
rechtfertigen vermöchten. Wie die Baurekurskommission im vorliegenden Fall zu
Recht festgehalten habe, sei das erstellte Geschoss unter keinem Titel
bewilligungsfähig. Die Abweichung vom gesetzmässigen Zustand sei schwer
wiegend, da das Bauprojekt nun ein zusätzliches, unzulässiges Vollgeschoss
aufweise. Die Abweichung vom Kniestockmass von 90 cm sei, insbesondere im
Hinblick auf die Auswirkungen auf die Firsthöhe, erheblich. Bei Erstellung
der Baute gemäss den bewilligten Plänen, also mit einem gesetzesmässigen
Kniestock von maximal 90 cm und einer Dachneigung von 45°, wäre der First
rund 85 cm weniger hoch. Dass die Firsthöhe als solche die gemäss Bauordnung
absolut zulässige Höhe nicht überschreite, könne nicht massgebend sein. Im
Übrigen sei die vom Gemeinderat Niederglatt verlangte Änderung des Daches -
was noch näher ausgeführt wird - auch aus Gründen der Rechtsgleichheit und
der baurechtlichen Ordnung erforderlich.
In seiner im bundesgerichtlichen Verfahren eingereichten Vernehmlassung
stellt das Verwaltungsgericht erneut fest, der Beschwerdeführer verkenne,
dass sich eine Veränderung der Kniestockhöhe auf die Dachneigung und damit
auch auf die Firsthöhe auswirke. Insoweit sei der beschwerdeführerische
Einwand, das Verwaltungsgericht habe ausser Acht gelassen, dass die
Abweichung der bewilligten Firsthöhe lediglich 4 cm und nicht 84 cm betrage,
haltlos.

2.2 Es ist unklar, weshalb das Verwaltungsgericht zur Auffassung gelangt ist,
eine Veränderung der Kniestockhöhe bzw. eine Erhöhung der Aussenmauern des
Dachgeschosses müsse sich zwingend auf die Dachneigung auswirken. Eine solche
Erhöhung der Mauern kann auch lediglich zu einer entsprechenden Anhebung des
Daches bzw. des Firstes unter Beibehaltung der Dachneigung führen. Aus den
vorliegenden Akten ergibt sich nichts, das dafür spräche, dass beim
fraglichen Gebäude die bewilligte Dachneigung von 45° verändert worden wäre.
Fest steht, dass die Deckeninnenverkleidung eine andere, steilere Neigung als
das Dach aufweist, was sich - wie heute unbestritten ist - nicht auf die
Messweise der Kniestockhöhe auswirken darf. Dagegen behauptet auch die
Gemeinde Niederglatt nicht, dass die Dachneigung verändert worden wäre und
die bewilligte Firsthöhe um 85 cm überschritten würde. Es trifft entgegen den
Erwägungen des Verwaltungsgerichtes auch nicht zu, dass eine Firsthöhe von
rund 4,85 m gerade nur die gemäss Bauordnung absolut zulässige Höhe einhalten
würde. Der Gemeinderat Niederglatt hat seinerzeit in der Baubewilligung vom
15. März 2004 ausgeführt, dass die "zulässige Gebäudehöhe von 11.4 m sowie
die maximale Firsthöhe von 7.0 m ... nach den Planeinträgen mit Werten von
10.5 resp. 5 m eingehalten" seien. Damit hat der Gemeinderat sinngemäss eine
Firsthöhe von 5 m genehmigt. Aus der Bewilligung vom 10. Mai 2004 ergibt sich
insoweit nichts anderes. Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die
Aussage des Verwaltungsgerichts, der First der fraglichen Baute sei 85 cm
höher als bewilligt, offensichtlich unzutreffend ist.
Da das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der
kommunalen Wiederherstellungsverfügung der Firsthöhe des fraglichen Gebäudes
entscheidendes Gewicht beigemessen hat, ist der angefochtene Entscheid, der
auf einer klar unrichtigen Sachverhaltsfestellung beruht, in Gutheissung der
Beschwerde aufzuheben.

3.
Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, anstelle des Verwaltungsgerichtes zu
entscheiden, ob die Wiederherstellungsverfügung der Gemeinde Niederglatt auch
dann verhältnismässig sei, wenn das äussere Erscheinungsbild der fraglichen
Baute von den bewilligten Plänen nicht oder nur geringfügig abweicht. Das
Verwaltungsgericht wird in dieser Sache neu zu befinden haben.

4.
Von der Erhebung bundesgerichtlicher Kosten ist im Hinblick auf Art. 156 Abs.
2 OG abzusehen. Dagegen ist die Gemeinde Niederglatt zu verpflichten, dem
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Parteientschädigung von Fr. 3'500.-- auszurichten (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene
Entscheid des Verwaltungsgerichtes des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1.
Kammer, vom 25. Januar 2006 aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Die Gemeinde Niederglatt wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'500.-- zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Gemeinde Niederglatt, der
Baurekurskommission I und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1.
Abteilung, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. August 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: