Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.123/2006
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1P.123/2006 /ggs

Urteil vom 8. Mai 2006

I.  ffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter F raud, Pr sident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steinmann.

J rgen Marc D rr, Beschwerdef hrer,

gegen

Gemeindeversammlung Feusisberg, handelnd durch den Gemeinderat Feusisberg,
8835 Feusisberg,
und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hannes Zehnder,
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer III, Kollegiumstrasse 28,
Postfach 2266, 6431 Schwyz.

Stimmrechtbeschwerde; Gemeindeversammlung vom 9. Dezember 2005,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Schwyz, Kammer III, vom 26. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
Der Gemeinderat von Feusisberg (SZ) lud die Stimmberechtigten unter
Bekanntgabe der Traktanden zur Gemeindeversammlung vom 9. Dezember 2005 ein.
Traktandiert waren unter Ziff. 5 - 9 die Erteilung des Gemeindeb rgerrechts
an mehrere ausl ndische Personen. Zu Beginn der Gemeindeversammlung begr sste
die Gemeindepr sidentin die anwesenden Stimmberechtigten und der
Gemeindeschreiber verlas die Traktandenliste.

J rgen Marc D rr stellte den Antrag, die Traktanden 5 - 9 betreffend
Erteilung des Gemeindeb rgerrechts aus der Traktandenliste zu streichen, da
f r dieses Gesch ft keine rechtliche Grundlage bestehe.

Die Gemeindepr sidentin stellte fest, dass sie den Antrag um Abtraktandierung
- auch vor dem Hintergrund der kantonalen Volksinitiative "Geheime Wahlen und
Abstimmungen an Gemeindeversammlungen" - nicht entgegen nehmen k nne.
Dementsprechend liess sie  ber den Antrag von J rgen Marc D rr nicht
abstimmen.

Vor der Behandlung der Einb rgerungsgesuche (Traktanden 5 - 9) erl uterte die
Gemeindepr sidentin den Stimmberechtigten das Verfahren. Die Erteilung des
Gemeindeb rgerrechts richte sich nach dem neuen Einb rgerungsverfahren im
Kanton Schwyz und den klaren Richtlinien des Regierungsrates vom 26. August
2003. Dementsprechend k nne sie keine Antr ge entgegennehmen, die eine
R ckweisung einer Einb rgerung als Gesamtes oder eine R ckweisung einer
Einb rgerung aufgrund der Zugeh rigkeit zu einer Staatengruppe oder
Religionsgemeinschaft zum Inhalte habe; sie werde nur Antr ge
ber cksichtigen, welche auf ein spezifisches Einb rgerungsgesuch Bezug nehmen
und begr ndet seien.

In der Folge wurden zu den einzelnen Gesuchen keine Antr ge vorgebracht und
s mtliche Einb rgerungsgesuche gutgeheissen.

B.
J rgen Marc D rr erhob in der Folge beim Verwaltungsgericht des Kantons
Schwyz Stimmrechtsbeschwerde und verlangte die Aufhebung der
Gemeindeversammlungsbeschl sse  ber die Traktanden 5 - 9. Die Verletzung in
seinen politischen Rechte erblickt er im Umstand, dass entgegen dem Gesetz
 ber die Organisation der Gemeinden und Bezirke  ber seinen Ordnungsantrag
nicht abgestimmt worden war.
Das Verwaltungsgericht wies die Stimmrechtsbeschwerde mit Urteil vom 26.
Januar 2006 ab. Es f hrte aus, dass die Verordnung  ber vorl ufige Regelungen
zur Erteilung des Gemeindeb rgerrechts dem Gesetz  ber die Organisation der
Gemeinden und Bezirke vorgehe und der Ordnungsantrag von J rgen Marc D rr vor
diesem Hintergrund unzul ssig war. Die Unzul ssigkeit des Ordnungsantrages
ergebe sich auch aus den zur genannten Verordnung ergangenen Weisungen.

C.
Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts hat J rgen Marc D rr beim
Bundesgericht am 24. Februar 2006 staatsrechtliche Be schwerde erhoben. Er
macht geltend, dass die Verordnung  ber vorl ufige Regelungen zur Erteilung
des Gemeindeb rgerrechts dem Gesetz  ber die Organisation der Gemeinden und
Bezirke nicht vorgehe und dieses Gesetz volle G ltigkeit behalte; vor diesem
Hintergrund sei er dadurch in seinen politischen Rechten verletzt worden,
dass in Missachtung des Gesetzes  ber die Organisation der Gemeinden und
Bezirke  ber seinen Ordnungsantrag nicht abgestimmt worden ist.

Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Gemeinde
Feusisberg stellt den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erw gung:

1.
Der Beschwerdef hrer erhebt staatsrechtliche Beschwerde in der Form der
Stimmrechtsbeschwerde gem ss Art. 85 lit. a OG. Dazu ist er als Stimmb rger
von Feusisberg befugt. Entgegen der Auffassung verlangt der Beschwerdef hrer
nicht nur die Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde (Beschwerdeschrift
S. 1), sondern auch die Aufhebung des Entscheides des Verwaltungsgerichts
(Beschwerdeschrift S. 4). Der Umstand, dass er nicht auch noch die Aufhebung
der Beschl sse der Gemeindeversammlung verlangt (vgl. BGE 129 I 185 E. 1.2 S.
188),  ndert an der Zul ssigkeit der Beschwerde nichts. Auf die Beschwerde
ist insoweit einzutreten.

Der Beschwerdef hrer beantragt zudem die Aufhebung des
verwaltungsgerichtlichen Kostenspruchs. Er begr ndet diesen Antrag nicht in
einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG gen genden Weise.
Insoweit ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

2.
F r die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde ist von folgenden Grundlagen
auszugehen.

2.1 Das Gesetz  ber die Organisation der Gemeinden und Bezirke (GOG,
Gesetzessammlung 152.100) enth lt folgende Bestimmungen:
  7 - Befugnisse der Gemeindeversammlung
1Der Gemeindeversammlung als Organ der Gemeinde stehen folgende Befugnisse
zu:
m)Sie erteilt das Gemeindeb rgerrecht, soweit die Gemeinde nach Bundesrecht
oder kantonalem Recht dar ber entscheiden kann.
  26 - Abstimmungen, Reihenfolge
1Der Gemeindepr sident erl utert den Stimmberechtigten den
Abstimmungsvorgang.
2Bei der Abstimmung haben Antr ge auf R ckweisung, Verschiebung oder Trennung
des Gesch ftes den Vorrang. Wird die R ckweisung oder Verschiebung
beschlossen, so geht das Gesch ft an den Gemeinderat zur ck. (...)
2.2 Das Gesetz  ber Erwerb und Verlust des Kantons- und Gemeindeb rgerrechts
(kB G, Gesetzessammlung 110.100) enth lt folgende Bestimmung:
  10 - Zust ndigkeit
F r die Erteilung des Gemeindeb rgerrechts ist die Gemeindeversammlung
zust ndig (  91 der Kantonsverfassung).

2.3 Die Verordnung des Regierungsrates vom 26. August 2003  ber vorl ufige
Regelungen zur Erteilung des Gemeindeb rgerrechts (Gemeindeb rgerrechtsV,
Gesetzessammlung 110.113) enth lt folgende Bestimmungen:
  1 - Geltungsbereich
1Diese Verordnung regelt Zust ndigkeit und Verfahren f r die Erteilung des
Gemeindeb rgerrechts.
2Sie geht abweichenden Vorschriften des Gesetzes  ber Erwerb und Verlust des
Kantons- und Gemeindeb rgerrechts und des Gesetzes  ber die Organisation der
Gemeinden und Bezirke vor.
  3 - Zust ndigkeit und Verfahren
1Die Gemeindeversammlung entscheidet in offener Abstimmung  ber die Erteilung
des Gemeindeb rgerrechts.
2Der Antrag des Gemeinderates zu einem Einb rgerungsgesuch gilt als
angenommen, wenn aus der Versammlungsmitte nicht ein begr ndeter Gegenantrag
gestellt wird.

  4 - Weisungen
Das Departement des Innern erl sst Weisungen zur Behandlung von
Einb rgerungsgesuchen durch den Gemeinderat und die Gemeindeversammlung.

2.4 Mit Urteil vom 12 Mai 2004 (BGE 130 I 140) hatte das Bundesgericht  ber
die Verfassungsm ssigkeit der Gemeindeb rgerrechtsverordnung zu befinden. Es
kam zum Schluss, dass die Verordnung vor dem Hintergrund der
verfassungsrechtlichen Anforderungen an Einb rgerungsverfahren vor der
Verfassung standhalte. In Bezug auf   1 Abs. 2 hielt es fest, dass diese
Bestimmung den Rahmen einer Vollzugsverordnung sprenge und die Verordnung
keinen generellen Vorrang vor dem Gesetzesrecht beanspruchen k nne. Indessen
ergebe sich die Unanwendbarkeit kantonaler Gesetze, welche die
Urnenabstimmung f r Einb rgerungen zuliessen, direkt aus dem Vorrang des
Bundesrechts vor dem kantonalen Recht bzw. des Bundesverfassungsrechts vor
dem Gesetzesrecht (BGE 130 I 140 E. 5.3.2 S. 151). Dementsprechend hob das
Bundesgericht die Bestimmung von   1 Abs. 2 der Gemeindeb rgerrechtsV auf
(BGE 130 I 140 E. 5.4 S. 155). Schliesslich hielt das Bundesgericht fest,
dass die h ngigen Einb rgerungsgesuche innert angemessener Frist gem ss Art.
29 Abs. 1 BV zu behandeln sind (BGE 130 I 140 E. 4.2 S. 147).

3.
3.1  26 GOG umschreibt das Verfahren der Gemeindeversammlungen. Die
Bestimmung geht von der Zul ssigkeit von R ckweisungs- und
Verschiebungsantr gen sowie von Nichteintretensbegehren aus und umschreibt
das Abstimmungsprozedere in Bezug auf Form- und Sachfragen. Das
Gemeindeorganisationsgesetz sieht, soweit ersichtlich, den Ausschluss
bestimmter Antr ge nicht vor (vgl. demgegen ber Art. 74 Abs. 3 ParlG [SR
171.10], wonach das Eintreten in National- und St nderat hinsichtlich
gewisser Gesch fte obligatorisch erkl rt wird). Dies hat indes nicht zur
Folge, dass jegliche Art von formellen Antr gen zul ssig ist. Wie es sich
damit verh lt, ist anhand der konkreten Verh ltnisse zu pr fen.

3.2 Die Gemeindeb rgerrechtsV wurde vom Regierungsrat erlassen, um bis zur
Anpassung des Schwyzer Rechts durch den Gesetzgeber ein verfassungskonformes
Einb rgerungsverfahren in den Gemeinden des Kantons zu erm glichen. Diese
sind verpflichtet,  ber die bei ihnen h ngigen Einb rgerungsverfahren innert
angemessener Frist zu entscheiden. Dabei ist zu ber cksichtigen, dass die
eidgen ssische Einb rgerungsbewilligung, die Voraussetzung f r die
Einb rgerung auf Kantons- und Gemeindeebene ist, grunds tzlich auf drei Jahre
befristet ist (Art. 13 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952  ber
Erwerb und Verlust des Schweizer B rgerrechts [B G; SR 141.0]). Die
Sistierung s mtlicher Einb rgerungsverfahren bis zur f rmlichen Anpassung der
gesetzlichen Grundlagen h tte das Rechtsverweigerungsverbot (Art. 29 Abs. 1
BV) verletzt (BGE 130 I 140 E. 4.2 S. 147 und E. 5.3.5 S. 154).
Im vorliegenden Fall stellte der Beschwerdef hrer den Antrag, alle
Einb rgerungsgesuche aus der Traktandenliste zu streichen. Diesen Antrag
begr ndete er nicht mit der Notwendigkeit zus tzlicher Abkl rungen, sondern
mit der angeblich fehlenden rechtlichen Grundlage. Ziel dieses Antrags war es
offensichtlich, den Entscheid  ber Einb rgerungsgesuche bis zur Umsetzung der
im April 2005 angenommenen Volksinitiative "Geheime Wahlen und Abstimmungen
an Bezirksgemeinden und Gemeindeversammlungen im Kanton Schwyz"
aufzuschieben. Bei Annahme dieses Antrags w ren die Verfahren somit sistiert
worden, bis die von der Volksinitiative verlangte Verfassungs nderung vom
Kantonsrat und vom Volk beschlossen und die erforderlichen gesetzlichen
Anpassungen vorgenommen worden sind. Dies, obwohl die Einb rgerungsgesuche
entscheidungsreif sind - auch der Beschwerdef hrer h lt keine zus tzlichen
Abkl rungen f r erforderlich - und die eidgen ssische
Einb rgerungsbewilligung in einem Fall (Traktandum 8) bereits verl ngert
werden musste. Eine derartige Verfahrenssistierung w rde nach dem oben
Gesagten das Verbot der Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) verletzen.

3.3  berdies ist es nicht Sache der Gemeindeversammlung,  ber die
Rechtm ssigkeit des vom kantonalen Recht vorgegebenen Verfahrens zu befinden
oder gar abzustimmen: H lt ein Stimmberechtigter die geltenden kantonalen
Bestimmungen f r rechtswidrig oder unzureichend, so muss er gegen darauf
gest tzte Beschl sse der Gemeindeversammlung den Rechtsmittelweg wegen
Verletzung seiner politischen Rechte beschreiten. Im vorliegenden Fall w re
allerdings eine darart begr ndete Stimmrechtsbeschwerde von vornherein
aussichtslos gewesen, nachdem die geltende  bergangsregelung in der
Gemeindeb rgerrechtsV vom Bundesgericht als verfassungs- und gesetzeskonform
beurteilt worden ist.

3.4
Die Gemeindepr sidentin durfte daher den Abtraktandierungsantrag des
Beschwerdef hrers als unzul ssig betrachten und ihn nicht zur Abstimmung
entgegennehmen, ohne die politischen Rechte des Beschwerdef hrers zu
verletzen.

4.

Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Praxisgem ss sind f r das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten zu
erheben. Der Beschwerdef hrer hat indes die Gemeinde Feusisberg f r das
bundesgerichtliche Verfahren zu entsch digen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Beschwerdef hrer hat die Gemeinde Feusisberg mit Fr. 1'000.-- zu
entsch digen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdef hrer, der Gemeindeversammlung Feusisberg
und dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer III, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. Mai 2006

Im Namen der I.  ffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Pr sident:  Der Gerichtsschreiber: