Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.102/2006
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{T 0/2}
1P.102/2006 /ast

Urteil vom 26. Juni 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Scherrer.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Roland Padrutt,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, Obere Vorstadt 38,
5000 Aarau.

Strafverfahren,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 17. November 2005.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde am 14. Januar 2003 von der Kantonspolizei Aargau
festgenommen und befindet sich seither in Haft, seit dem 24. März 2004 im
vorzeitigen Strafvollzug. Es werden ihm zahlreiche Drogendelikte vorgeworfen.
Gemäss Anklageschrift der aargauischen Staatsanwaltschaft vom 28. Juni 2004
soll es sich beim Beschuldigten um die zentrale Figur einer Gruppe von
Betäubungsmittelhändlern handeln.

B.
Mit Urteil vom 13. Oktober 2004 wurde X.________ vom Bezirksgericht Aarau
zahlreicher Drogendelikte für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe
von 10 Jahren verurteilt. Gegen diesen Entscheid reichten sowohl der
Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein.

In teilweiser Gutheissung beider Berufungen hob das Obergericht des Kantons
Aargau den erstinstanzlichen Entscheid mit Urteil vom 17. November 2005 auf
und sprach X.________ der qualifizierten Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 in Verbindung mit
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetMG für schuldig. Hierfür verurteilte es ihn zu
einer Zuchthausstrafe von 12 Jahren.

C.
Mit Eingabe vom 24. Februar 2006 erhebt X.________ staatsrechtliche
Beschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen
Urteils unter Rückweisung an das Obergericht. Die Rückweisung sei mit den
Auflagen zu verbinden, dass eine allfällige Neubeurteilung von einer anderen
Strafkammer des Obergerichts vorzunehmen sei und dass die allenfalls als
nicht verwertbar erklärten Akten vorgängig aus dem Dossier zu entfernen
seien. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie
der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Der Beschwerdeführer
macht geltend, er und die weiteren Mitbeschuldigten und Auskunftspersonen
seien bei den Einvernahmen nicht rechtsgenüglich belehrt worden. Auch die
Konfrontationseinvernahmen seien rechtsungenüglich durchgeführt worden. Zudem
wirft er den kantonalen Instanzen willkürliche Beweiswürdigung,
rechtsungenügliche Übersetzung und fehlerhafte Instruktion der Dolmetscher
vor.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Mit Verfügung vom 20. März 2006 hat der Präsident der I.
öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch um Gewährung
der aufschiebenden Wirkung abgewiesen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal
letztinstanzlichen Entscheid (Art. 86 Abs. 1 OG), gegen den mit
staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung verfassungsmässiger Rechte
geltend gemacht werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG). Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde unter
Vorbehalt von E. 1.2 hiernach einzutreten.

1.2 Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, Verfahrensrechte von
Mitbeschuldigten seien verletzt worden, ist auf seine Rügen mangels
persönlicher Betroffenheit im Sinne von Art. 88 OG nicht einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer bemängelt zunächst, nicht hinreichend über sein
Aussageverweigerungsrecht (Art. 31 Abs. 2 BV) aufgeklärt worden zu sein.

2.1 Neben dem Recht auf Information haben die Betroffenen aufgrund von Art.
31 Abs. 2 BV Anspruch darauf, in für sie verständlicher Art und Weise über
ihre Rechte unterrichtet zu werden (Belehrungspflicht). Dabei beschränkt sich
die Vorschrift aber auf die beispielhafte Erwähnung des Rechts, die nächsten
Angehörigen benachrichtigen zu lassen. Zu diesen Rechten zählt auch das
Schweige- oder Aussageverweigerungsrecht der in einem Strafverfahren
beschuldigten Person (vgl. BGE 130 I 126 E. 2.4 S. 130; Urteil 1P.97/2004 des
Bundesgerichts vom 3. Juni 2004 E. 3.2.2; René Rhinow, Die Bundesverfassung
2000, Basel/Genf/München 2000, S. 220; Andreas Auer/Giorgio Malinverni/Michel
Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Vol. II, Bern 2000, N. 333; Hans
Vest, in: Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, St. Gallen 2002,
Rz. 16 ff. zu Art. 31 Abs. 2; Benjamin Schindler, Miranda Warning - bald auch
in der Schweiz?, in: Strafrecht als Herausforderung [Hrsg. Jürg-Beat
Ackermann], Zürich 1999, S. 467 ff., S. 472 f.; Martin Philipp Wyss, "Miranda
Warnings" im schweizerischen Verfassungsrecht?, Inhalt und Tragweite von Art.
31 Abs. 2 BV, in: recht 2001 Heft 4 S. 132 ff.; Stefan Flachsmann/Stefan
Wehrenberg, Aussageverweigerungsrecht und Informationspflicht in: SJZ 97
[2001] Nr. 14 S. 313 ff.; Sven Zimmerlin, Miranda-Warning und andere
Unterrichtungen nach Art. 31 Abs. 2 BV, in: ZstrR 121/2003 S. 311 ff., S. 317
f.; Marc Forster, Gefangenenrechte und Polizeigewalt, in: Plädoyer 21 [2003]
H. 6, S. 30 ff.). Das Recht auf sofortigen Beizug eines Verteidigers (Anwalt
der ersten Stunde) gehört jedoch nicht zu den Rechten von Art. 31 Abs. 2 BV
(Botschaft VE 96, S. 185, 187; Jean-François Aubert, Petit commentaire de la
Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999,
Zürich/Basel/Genf 2003, Rz. 6 zu Art. 31; Rhinow, a.a.O., S. 220; Zimmerlin,
a.a.O., S. 323). So sieht denn auch der am 1. Januar 2003 in Kraft getretene
§ 62 des Aargauer Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 11. November 1958
(Strafprozessordnung, StPO-AG; AGS 251.100) vor, dass der Beschuldigte vor
der ersten Einvernahme unter anderem darauf hinzuweisen ist, dass er die
Aussage verweigern kann (§ 62 Abs. 1 lit. b StPO-AG).

Nach dem Wortlaut von Art. 31 Abs. 2 BV müssen die Betroffenen die
Möglichkeit haben, diese Rechte effektiv geltend zu machen (Zimmerlin,
a.a.O., S. 323, spricht von der Effektivitätsgarantie).

2.2 Wie das Obergericht richtig festhält, wurde der Beschwerdeführer
anlässlich seiner ersten Einvernahme am 14. Januar 2003 vom einvernehmenden
Polizisten ausdrücklich auf sein Aussageverweigerungsrecht und sein Recht,
einen Verteidiger beizuziehen, hingewiesen. Der Beschwerdeführer hat dies zur
Kenntnis genommen (act. 244). Desgleichen hat der Beschwerdeführer auf
entsprechende Frage hin bestätigt, dass er den Polizisten verstehe, wenn
dieser Englisch mit ihm rede. Zwar sagte er wörtlich: "Ich verstehe ein
bisschen Englisch" (act. 245), seine Antworten stimmten jedoch mit allen
Fragen überein, was zeigt, dass seine Sprachkenntnisse durchaus ausreichend
waren. Abschliessend hatte der Beschwerdeführer auf Nachfrage durch den
Polizisten hin weder Berichtigungen noch Ergänzungen anzubringen. Er hat denn
das Protokoll auch als "vorgelesen und bestätigt" unterschrieben (act. 246).
Zusätzlich hat er jede einzelne Protokollseite unterzeichnet.

2.3 Diese Belehrung über die Rechte gemäss Art. 31 Abs. 2 BV ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Obergericht ist zu Recht davon
ausgegangen, der Beschwerdeführer habe die Unterrichtung über seine Rechte
sowohl sprachlich als auch inhaltlich verstanden. Was der Beschwerdeführer
dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen, zumal er nicht bestreitet, vor
der ersten Einvernahme auf seine Rechte hingewiesen worden zu sein. Weder
Art. 31 Abs. 2 BV noch § 62 StPO-AG sehen vor, dass vor jeder weiteren
Einvernahme eine Aufklärung stattfinden müsste (siehe dazu auch Robert
Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6.
Auflage, Basel/Genf/München 2005, § 61 N. 5 f.).
2.4 Soweit der Beschwerdeführer die seines Erachtens mangelnde Aufklärung der
übrigen Mitbeschuldigten rügt, fehlt es ihm an der persönlichen Betroffenheit
im Sinne von Art. 88 OG, weshalb darauf nicht einzutreten ist (siehe E. 1.4
hiervor). Der Hinweis über das Aussageverweigerungsrecht und den möglichen
Verteidigerbeizug der Mitbeschuldigten (respektive der Auskunftspersonen)
soll vorab deren Verfahrensrechte gewähren, nicht diejenigen des
Beschwerdeführers. Dient aber eine Verfahrensvorschrift nicht oder nicht in
erster Linie dem Beschuldigten, so liegt bei deren Verletzung kein
Beweisverbot vor (Hauser/Schweri/Hartmann, a.a.O., § 60 N. 7). Selbst wenn
also auf die entsprechende Rüge einzutreten wäre und nicht sämtliche
Mitbeschuldigten anlässlich der ersten Befragung umfassend auf ihre Rechte
hingewiesen worden wären, wäre sie grundsätzlich abzuweisen.

3.
Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, die Konfrontationseinvernahmen
seien konventions- respektive verfassungswidrig gewesen, da er nicht bei
allen Einvernahmen anwaltlich vertreten gewesen sei.

3.1 Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des
Angeschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer
Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
Entsprechend sind Beschwerden wie die hier zu beurteilende unter dem
Blickwinkel beider Bestimmungen zu prüfen. Mit der Garantie von Art. 6 Ziff.
3 lit. d EMRK soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen
von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal
angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wurde, das Zeugnis in
Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Dieser Anspruch wird
als Konkretisierung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) auch durch
Art. 32 Abs. 2 BV gewährleistet. Ziel der genannten Normen ist die Wahrung
der Waffengleichheit und die Gewährung eines fairen Verfahrens (Urteil
6P.22/2005 des Bundesgerichts vom 12. Oktober 2005 E. 2.2; BGE 129 I 151 E.
3.1 S. 153 mit ausführlichen Hinweisen). Aussagen von Zeugen und
Auskunftspersonen dürfen in der Regel nur nach erfolgter Konfrontation zum
Nachteil eines Angeschuldigten verwertet werden. Dem Anspruch, den
Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt insofern grundsätzlich ein
absoluter Charakter zu. Er erfährt in der Praxis aber eine gewisse
Relativierung. Er gilt uneingeschränkt nur, wenn dem streitigen Zeugnis
alleinige oder ausschlaggebende Bedeutung zukommt, dieses also den einzigen
oder einen wesentlichen Beweis darstellt (BGE 129 I 151 E. 3.1 S. 154 mit
Hinweisen). Damit die Verteidigungsrechte gewahrt sind, ist erforderlich,
dass die Gelegenheit der Befragung angemessen und ausreichend ist und die
Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann. Der Beschuldigte muss
namentlich in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage prüfen und den
Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die Probe und in Frage stellen zu
können (BGE 129 I 151 E. 4.2 S. 157 mit Hinweisen). Das kann entweder zum
Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Belastungszeuge seine Aussage macht, oder auch
in einem späteren Verfahrensstadium (BGE 125 I 129 E. 6b S. 132 f. mit
Hinweisen).

3.2 Das Obergericht hat sich einlässlich mit dieser Rüge befasst und
eingeräumt, die von der Polizei durchgeführten Konfrontationseinvernahmen
hätten alle ohne Verteidiger des Beschwerdeführers stattgefunden, weshalb sie
den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK sowie Art. 29 Abs. 2 und
Art. 32 Abs. 2 BV nicht genügten. Indes falle auf, dass der amtliche
Verteidiger des Beschwerdeführers mit Brief der Ermittlungsbehörde vom 25.
September 2003 (unter Beilage verschiedener Einvernahmeprotokolle) darüber in
Kenntnis gesetzt worden sei, dass in zirka einem Monat die ersten
Konfrontationseinvernahmen durchgeführt würden. Falls er dabei anwesend sein
wolle, sollte er dies mitteilen (act. 53). In einem weiteren Schreiben vom
24. Oktober 2003 (wiederum unter Beilage der Einvernahmeprotokolle) wurde der
amtliche Verteidiger darüber informiert, dass am 29. Oktober 2003 eine
Konfrontation mit einem Mitbeschuldigten stattfinden werde. Die Polizei bat
erneut um Benachrichtigung, falls er dabei zu sein wünsche (act. 54). Aus dem
Umstand, dass sich der amtliche Verteidiger nicht gemeldet hat, schliesst das
Obergericht, der Beschwerdeführer habe auf die Anwesenheit des amtlichen
Verteidigers anlässlich der Konfrontationseinvernahmen verzichtet. Eine
Verletzung des Konfrontationsrechts sei darum von vornherein zu verneinen.

3.3 Diese Argumentation ist weder konventions-, noch verfassungsrechtlich zu
beanstanden. Nachdem die Polizei den amtlichen Verteidiger rechtzeitig von
den bevorstehenden Konfrontationseinvernahmen in Kenntnis gesetzt und
insbesondere auf eine entscheidende Einvernahme eines Mitbeschuldigten
separat nochmals hingewiesen hatte, waren die kantonalen Behörden nicht
gehalten, zusätzliche Schritte zu unternehmen. Die Einvernahmeprotokolle
wurden dem Verteidiger zudem ebenfalls zugestellt, so dass er jederzeit hätte
reagieren und eine Wiederholung der Einvernahmen beantragen können. Bezieht
sich der Beschwerdeführer auf BGE 120 Ia 48 und fordert, der Verteidiger
hätte von Amtes wegen vorgeladen werden müssen, verkennt er, dass sich die
beiden Fälle nicht vergleichen lassen. Zwar hat das Bundesgericht in BGE 120
Ia 48 E. 2b/bb S. 51 festgehalten, dass auch der amtlich verteidigte
Angeschuldigte Anspruch auf sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung
seiner Parteiinteressen hat. Wird von den Behörden untätig geduldet, dass der
amtliche Verteidiger seine anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum
Schaden des Angeschuldigten in schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann
darin eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte liegen. Ein unfähiger
amtlicher Verteidiger, der wiederholt seine Berufspflichten verletzt, muss
daher rechtzeitig von Amtes wegen ersetzt werden (BGE 120 Ia 48 E. 2b/bb S.
52). Dem Verteidiger im zitierten Entscheid wurden jedoch diverse schwere
Verletzungen der Berufspflicht vorgeworfen, wie etwa krasse Versäumnisse bei
der Aktenrückgabe, mangelnde Vorsorge für Stellvertretungen, ständige Termin-
und Fristversäumnisse und grobe Unregelmässigkeiten bei der Rechnungstellung.
Solche schwerwiegende Verfehlungen des amtlichen Verteidigers wurden im
vorliegenden Fall weder dargetan, noch sind solche ersichtlich. Die Behörden
hatten darum keinen Anlass, weitergehende Massnahmen zu ergreifen.

Sowohl die Praxis des Bundesgerichtes als auch diejenige der Strassburger
Rechtsprechungsorgane verlangen grundsätzlich, dass der Angeschuldigte oder
sein Anwalt zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte rechtzeitig und in
angemessener Weise aktiv werden müssen (BGE 120 Ia 48 E. 2e/bb S. 55; 118 Ia
462 E. 2b/bb S. 466 f. mit Hinweisen; EGMR vom 25. November 1993 i.S.
Imbrioscia c. CH, Série A, vol. 275, Ziff. 40 ff.; EGMR vom 19. Dezember 1989
i.S. Kamasinsky c. A, Série A, vol. 168, Ziff. 65; vgl. Jean-François Egli,
La protection de la bonne foi dans le procès, in: Verfassungsrechtsprechung
und Verwaltungsrechtsprechung, Sammlung von Beiträgen veröffentlicht von der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung des schweizerischen Bundesgerichts, Zürich
1992, S. 239 f.). Wenn eine entsprechende zumutbare Intervention unterbleibt,
kann nach Treu und Glauben und von Grundrechts wegen kein entsprechendes
Tätigwerden der Strafjustizbehörden erwartet werden. Dies gilt nach der
Praxis des Bundesgerichtes insbesondere für das Recht auf Befragung von
Belastungszeugen (BGE 118 Ia 462 E. 5b S. 470 f.) und für den Anspruch des
Angeschuldigten auf Beizug seines Verteidigers zu polizeilichen und
untersuchungsrichterlichen Einvernahmen (BGE 120 Ia 48 E. 2e/bb S. 55 mit
Hinweis).

3.4 Hinzu kommt, dass mit zehn Mitbeschuldigten respektive Auskunftspersonen
am 13. Oktober 2004 vor dem Bezirksgericht Aarau nochmals
Konfrontationseinvernahmen in Anwesenheit des amtlichen Verteidigers
durchgeführt wurden (act. 2331 ff.).

Der Beschwerdeführer hält dazu fest, die Befragten hätten ihre vor der
Polizei gemachten Aussagen anlässlich dieser nachgeholten
Konfrontationseinvernahme nicht im gleichen Umfang bestätigt, sondern diese
sogar zum Teil widerrufen oder zumindest stark relativiert. Wenn das
Obergericht in diesem Zusammenhang behaupte, der Beschwerdeführer habe die
Auskunftspersonen zwischen der polizeilichen und der gerichtlichen
Konfrontation bedroht und sie zu den für ihn günstigeren Aussagen gezwungen,
handle es sich um eine unzulässige Schlussfolgerung. Über diese angeblichen
Bedrohungen sei keinerlei Beweis geführt worden. Die Strafverfolgungsbehörden
selber hätten die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Kollusionshandlungen
erst ermöglicht, indem sie alle Mitbeschuldigten in der Strafanstalt Lenzburg
untergebracht hätten. Es sei willkürlich, Kollusionshandlungen lediglich
während der Strafuntersuchung zu verhindern, um Belastungsaussagen zu
sichern, jedoch die während des Gerichtsverfahrens gemachten, entlastenden
Aussagen wegen angeblicher Bedrohung nicht mehr zuzulassen. Zudem hätten die
beiden Hauptbelastungszeugen dem Obergericht handschriftliche Aussagen
zukommen lassen, in welchen sie die vor der Polizei gemachten Aussagen ein
weiteres Mal widerrufen und präzisiert hätten. Der Beschwerdeführer habe
deshalb die neuerliche Befragung der beiden Zeugen beantragt, was das
Obergericht abgelehnt habe. Dieses Vorgehen des Obergerichts erweise sich als
insgesamt krass willkürlich und verletze das rechtliche Gehör des
Beschwerdeführers massiv.

3.5 Der Widerruf einer Belastungsaussage im Rahmen einer Konfrontation mit
dem Angeschuldigten, führt nicht ohne weiteres zur Unverwertbarkeit der
früheren Aussage. Welche Bedeutung den ursprünglichen Aussagen angesichts des
Widerrufs zukommt, ist eine Frage der freien richterlichen Beweiswürdigung.
Voraussetzung für die Verwertbarkeit der früheren Aussagen ist im Sinne der
vorstehend genannten Rechtsprechung, dass diese dem Belastungszeugen
anlässlich der Konfrontationseinvernahme vorgehalten werden, er zu den
Widersprüchen - auch zur neuen Aussage - befragt wird und der Angeklagte bzw.
sein Verteidiger Gelegenheit erhält, Ergänzungsfragen zu stellen, wobei es
ihm freisteht, ob er von diesem Recht Gebrauch machen will (Urteil
1P.591/1999 des Bundesgerichts vom 2. Februar 2000 E. 2c, publ. in Pra 2000
Nr. 163 mit Hinweisen; Hauser/Schweri/Hartmann, a.a.O., § 54 N. 4). Dass
diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt seien, macht der
Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend.

3.6 Das Obergericht legt in seinem Urteil ausführlich und überzeugend dar,
weshalb der Eindruck erweckt wurde, die am 13. Oktober 2004 zum Teil
widerrufenen, zum Teil stark relativierten Aussagen der Auskunftspersonen
seien unter Druck und Bedrohung durch den Beschwerdeführer entstanden. Mit
Blick auf die Akten (act. 2331 ff.) ist dieser Rückschluss durchaus
nachvollziehbar und mitnichten willkürlich. So mutet insbesondere seltsam an,
dass einer der Befragten Wert darauf legte, dass seine Aussagen für den
Beschwerdeführer übersetzt würden (act. 2346). Offenbar schien ihm wichtiger,
dass der Beschwerdeführer seine neue Aussage höre, als dass das Gericht davon
Kenntnis nehme. Keine der Auskunftspersonen war in der Lage, plausibel
darzulegen, weshalb sie die früher gemachten Aussagen nicht vollumfänglich
bestätigen konnten. Insgesamt ist hierzu auf die schlüssige Argumentation des
Obergerichts zu verweisen (Urteil des Obergerichts vom 17. November 2005, S.
24 ff.).
3.7 In Bezug auf die an der Berufungsverhandlung nicht mehr angehörten
Hauptbelastungszeugen ist dem Beschwerdeführer zuzugestehen, dass sich das
Obergericht im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich dazu äussert, weshalb
es von einer weiteren Befragung absieht. Indes liegt keine Verletzung des
rechtlichen Gehörs vor, wenn ein Gericht auf die Abnahme beantragter
Beweismittel verzichtet, weil es auf Grund der bereits abgenommenen Beweise
seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener
Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere
Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 124 I 208 E. 4a S. 211; 122 II 464
E. 4a S. 469, je mit Hinweisen). Auch sind die Begründungspflicht und der
Anspruch auf Begründung nicht bereits dadurch verletzt, dass sich die
urteilende Behörde nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt.
Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte
beschränken (vgl. BGE 126 I 97 E. 2b S. 102; 124 II 146 E. 2a S. 149; 124 V
180 E. 1a S. 181; 123 I 31 E. 2c S. 34; 121 I 54 E. 2c S. 57, je mit
Hinweisen).

Die beiden Zeugen wurden bereits vor dem Bezirksgericht Aarau angehört. Im
angefochtenen Urteil verweist das Obergericht zunächst auf ein Schreiben,
welches einer der beiden Zeugen respektive Mitbeschuldigten am 26. März 2004
verfasst hatte; danach seien alle Beschuldigungen, welche er gegen den
Beschwerdeführer und einen anderen Mitbeteiligten erhoben habe, unwahr und
gelogen. Nur rund zehn Tage später ersuchte dessen Verteidiger um die
Verlegung seines Mandanten in eine andere Strafanstalt, mit der Begründung,
letzterer sei mit mehreren Mitbeschuldigten (u.a. dem Beschwerdeführer)
inhaftiert und fürchte um seine Gesundheit (act. 2214). Sodann zieht das
Obergericht in Erwägung, der Inhalt der beiden ihm eingereichten Briefe sei
auffallend ähnlich. Es werde darin ausgeführt, die beiden Belastungszeugen
hätten gegenüber der Polizei in Bezug auf den Beschwerdeführer die Unwahrheit
gesagt. Unter den gegebenen Umständen drängt sich für das Obergericht
unweigerlich der Eindruck auf, all diese Briefe seien im Hinblick auf die
jeweils bevorstehenden Gerichtsverhandlungen auf Veranlassung des
Beschwerdeführers geschrieben worden. Daraus wird deutlich, dass sich das
Obergericht von einer nochmaligen Befragung der Belastungszeugen keine neuen
Erkenntnisse versprach. Gegen diese antizipierte Beweiswürdigung ist
verfassungsrechtlich nichts einzuwenden.

4.
Der Beschwerdeführer rügt überdies, die Dolmetscher seien in der Mehrheit der
Fälle nicht rechtsgenüglich über ihre Wahrheitspflicht aufgeklärt worden
(Art. 307 StGB), weshalb die entsprechenden Protokolle nicht verwertbar
seien. Lediglich bei den Konfrontationseinvernahmen seien die Dolmetscher
ausnahmslos belehrt worden. Andere Belehrungen seien nicht dokumentiert.
Somit würden die meisten Einvernahmen der Belastungszeugen an einem nicht
rückgängig zu machenden Mangel leiden. Zudem seien aus vielen Protokollen die
Namen der Übersetzer nicht ersichtlich, weshalb für die Verteidigung die
Qualifikationen des Dolmetschers nicht überprüfbar gewesen seien.

4.1 Das Obergericht nimmt im angefochtenen Entscheid zu diesen Vorwürfen
Stellung und hält zunächst fest, es sei gerichtsnotorisch, dass die im Kanton
Aargau tätigen Gerichtsdolmetscher in jedem Verfahren vor ihrem ersten
Einsatz auf ihre Pflicht zur wahrheitsgemässen Übersetzung und die Folgen
einer falschen Belehrung aufgeklärt würden. Beim Erfordernis, die Dolmetscher
bei jeder einzelnen Einvernahme von Neuem zu belehren, handle es sich um eine
Ordnungsvorschrift, die im Fall der Missachtung der Verwertbarkeit der
betreffenden Einvernahmen nicht entgegenstehe. Auch die Verwendung von
Namenkürzeln sei insbesondere in Verfahren, in welchen der Dolmetscher mit
Repressalien seitens des Angeklagten oder von Tatbeteiligten rechnen müsse,
durchaus üblich. Abgesehen davon habe der Beschwerdeführer offensichtlich
gewusst, wer hinter den (nur) teilweise verwendeten Abkürzungen stehe, wie
das Plädoyer des frei gewählten Verteidigers vor Obergericht zeige.
Andernfalls hätte er bei den Ermittlungsbehörden detailliert nachfragen
können, für welche Übersetzer die Kürzel in den Protokollen gesetzt worden
waren. Selbst bei der Annahme, die Dolmetscher seien zwingend vor jeder
Einvernahme auf ihre Pflichten aufmerksam zu machen und müssten durch
Namensangabe erkennbar sein, seien die Einvernahmeprotokolle verwertbar. Das
öffentliche Interesse an der Bekämpfung des im grossen Stil aufgezogenen
Drogenhandels überwiege das private Interesse des Beschwerdeführers daran,
dass ihn belastende Protokolle nicht verwertet werden dürften.

4.2 Nicht zu überzeugen vermag der pauschale Einwand des Obergerichts, es sei
gerichtsnotorisch, dass die Dolmetscher jeweils vor dem ersten Einsatz über
ihre Pflichten belehrt würden (vgl. BGE 129 I 85 E. 4.3 S. 90). Im
vorliegenden Fall gilt es indes zu berücksichtigen, dass die Belehrung bei
den Konfrontationseinvernahmen jeweils stattgefunden hat und dokumentiert
ist. Dies gesteht der Beschwerdeführer selber zu. Zudem sind die Dolmetscher
in den Protokollen zumindest mit einem Kürzel angegeben, so dass es ein
Leichtes ist, deren Namen bei den Behörden in Erfahrung zu bringen. Zum Teil
ergibt sich dieser auch aus anderen Protokollen, in welchen der Name voll
ausgeschrieben wurde. Ein solches Beispiel hat der freie Verteidiger
anlässlich seines Plädoyers vor Obergericht offensichtlich selber gemacht ("H
für Hamami", Plädoyernotizen S. 8). Nach der Rechtsprechung können in
Abwägung der entgegenstehenden Interessen auch gewisse unrechtmässig
beschaffte Beweise zu Lasten eines Angeschuldigten verwendet werden. Je
schwerer die zu beurteilende Straftat ist, umso eher überwiegt das
öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse des
Angeklagten daran, dass der fragliche Beweis unverwertet bleibt (BGE 109 Ia
244 E. 2b S. 246; 120 Ia 314 E. 2c S. 320; Hauser/Schweri/Hartmann, a.a.O.,
§ 60 N. 6). Mitzuberücksichtigen ist dabei auch, ob das rechtswidrig erlangte
Beweismittel an sich zulässig und auf gesetzmässigem Weg erreichbar gewesen
wäre (BGE 96 I 437 E. 3b S. 440 f). In Anbetracht der schweren Drogendelikte,
welche dem Beschwerdeführer vorgeworfen werden und mit welchen er die
Gesundheit zahlreicher Menschen stark gefährdet hat, und den nur zum Teil
mangelhaft erfolgten Einvernahmen, kann der Argumentation des Obergerichts
gefolgt werden, wonach die Protokolle dennoch verwertbar seien. Gleiches gilt
für die ersten Einvernahmen, in welchen der Polizist selber auf Englisch
übersetzt hat, zumal der Beschwerdeführer nie geltend gemacht hat, er
verstehe ihn nicht. Die schlüssige Beantwortung der Fragen belegt, dass
offenkundig keine wesentlichen Verständigungsprobleme bestanden haben.
Soweit der Beschwerdeführer fehlerhafte Übersetzungen rügt, handelt es sich
um durch keinerlei Anhaltspunkte belegte Behauptungen, auf welche nicht
einzutreten ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f.;
129 I 185 E. 1.6 S. 189; 127 I 38 E. 3c und 4 S. 43).

5.
Demzufolge ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Der Beschwerdeführer hat um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung ersucht. Da die Voraussetzungen erfüllt sind, ist dem Ersuchen
im Sinne von Art. 152 Abs. 1 und 2 OG stattzugeben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Fürsprecher Roland Padrutt, Lenzburg, wird als unentgeltlicher
Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 26. Juni 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: