Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1E.9/2006
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{T 0/2}
1E.9/2006 /scd

Urteil vom 20. September 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Schilling.

AX.________ und BX.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat René
Brigger,

gegen

Kanton Basel-Stadt, handelnd durch das Baudepartement des Kantons
Basel-Stadt,
Münsterplatz 11, 4001 Basel, und dieses vertreten
durch Advokat Urs Berger,
Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 7,
Stv. Präsidentin, Prof. Dr. Beatrice Wagner Pfeifer, Aeschenvorstadt 4,
Postfach 526, 4010 Basel.

Vorzeitige Besitzeinweisung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil
der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 7, vom 21. Februar 2006.

Sachverhalt:

A.
Der Staatsvertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Bundesrepublik Deutschland vom 25. April 1977 (im Folgenden: "Staatsvertrag";
SR 0.725.122) sieht die Erstellung einer Verbindungsstrasse (Zollfreie
Strasse) zwischen Lörrach und Weil am Rhein über schweizerisches Territorium
vor. Gemäss dem Staatsvertrag bestimmen sich Linienführung und Bau der
Strasse nach dem vom Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt genehmigten
Auflageprojekt. Weitere Bewilligungsverfahren sind, wie das Bundesgericht mit
Urteil vom 27. Juni 1996 bestätigt hat (BGE 122 II 234), nicht erforderlich.
Für den Landerwerb legt Art. 1 Abs. 4 des Staatsvertrages fest, dass die für
den Bau der Verbindungsstrasse beanspruchten Grundstücke vom Kanton
Basel-Stadt nötigenfalls auf dem Wege der Landumlegung oder der Enteignung zu
beschaffen seien. Dafür werde dem Kanton von der Eidgenossenschaft das
Enteignungsrecht übertragen. Das Enteignungsverfahren beschränke sich auf die
Behandlung der Entschädigungsforderungen; Einsprachen und
Planänderungsbegehren seien ausgeschlossen.

B.
Mit Verfügung vom 27. Februar 1995 leitete der Vizepräsident der
Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 7, auf Gesuch des Kantons
Basel-Stadt das Enteignungsverfahren ein. Die Enteignungspläne wurden vom 15.
März bis 13. April 1995 öffentlich aufgelegt. Gemäss diesen Plänen wird von
der Parzelle Nr. 1414 Sektion B (GB Riehen) im Halte von 1519.5 m² eine
Teilfläche von rund 111 m² für den Strassenbau benötigt. Auf der Parzelle Nr.
1414 lastet ein Bauverbot zu Gunsten der Nachbarparzelle Nr. 1432 Sektion B
(GB Riehen), die im Eigentum von AX.________ und BX.________ steht. Diese
beiden stellten während der Auflagefrist sowohl Planänderungsgesuche als auch
Entschädigungsbegehren.
An der Einigungsverhandlung vom 13. Juni 1995 verfügte der Vizepräsident der
Schätzungskommission, dass der Enteigner mit den Enteigneten
Vergleichsgespräche durchzuführen habe. Weiter ordnete er die Aussteckung des
vorgesehenen Lärmschutzdammes an und verfügte verschiedene
Beweissicherungsmassnahmen. So sei vor Inangriffnahme der Bauarbeiten für das
auf der Parzelle Nr. 1432 stehende Wochenend- bzw. Rebhaus (...) ein
Rissprotokoll aufzunehmen und seien beim Hausfundament Setzungsmessungen
durchzuführen. Die Beurteilung der Entschädigungsbegehren für Immissionen
verschob der Vizepräsident auf den Zeitpunkt nach Inbetriebnahme der Strasse.
Die Planänderungsbegehren wurden zuständigkeitshalber dem kantonalen
Baudepartement überwiesen.
Die angeordneten Beweissicherungsmassnahmen wurden im Anschluss an die
Einigungsverhandlung durchgeführt. Dagegen ruhten die Vergleichsverhandlungen
ab 1997 bis zum Abschluss des Bewilligungsverfahrens für die Sanierung und
die strassenbaubedingte Verlegung eines Abwasser-Sammelkanals der deutschen
Gemeinden im Wiesental (vgl. Urteil 1A.26/2002 vom 20. September 2002).

C.
Nach Wiederaufnahme der Vergleichsgespräche im Juni 2003 ersuchte der Kanton
Basel-Stadt mit Eingabe vom 17. Juni 2004 um vorzeitige Besitzeinweisung für
die mit der Bauverbotsdienstbarkeit belastete Parzelle Nr. 1414 auf September
2005. Mit Eingabe vom 13. September 2004 beantragten die Enteigneten
Sistierung des Besitzeinweisungsverfahrens bzw. Abweisung des Gesuchs um
vorzeitige Besitzeinweisung. Mit gleicher Eingabe stellten die Enteigneten
weitere Verfahrensanträge sowie ein Ausstandsbegehren gegen die
Vizepräsidentin der Eidgenössischen Schätzungskommission. Das Ausstandsgesuch
wies die Schätzungskommission am 11. Dezember 2004 ab. Auf die von den
Enteigneten erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde trat das Bundesgericht mit
Urteil vom 28. Februar 2005 nicht ein (1E.2/2005). Am 26. Oktober 2005 teilte
der Kanton Basel-Stadt der Schätzungskommission mit, dass die Parzelle Nr.
1414 aufgrund neuerlicher Verzögerungen erst ab August 2007 beansprucht
werde.
Am 21. Februar 2006 bewilligte die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis
7, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die vorzeitige
Besitzergreifung durch den Enteigner auf den Zeitpunkt der Baufreigabe,
frühestens auf August 2007. Auf den Antrag der Parteien um Behandlung der
unerledigten Einsprache vom 13. April 1995 trat die Schätzungskommission
nicht ein. Im Übrigen wurde der Enteigner verpflichtet, bis zum Zeitpunkt der
Inbesitznahme ein aktuelles Riss- und Zustandprotokoll zu erstellen.

D.
AX.________ und BX.________ haben gegen den Entscheid der Eidgenössischen
Schätzungskommission, Kreis 7, vom 21. Februar 2006
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Sie stellen den Hauptantrag, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und das Gesuch um vorzeitige
Besitzeinweisung sei abzulehnen oder eventuell an die Vorinstanz zur
Neubeurteilung zurückzuweisen. Allenfalls sei die vorzeitige Besitzeinweisung
von der Durchführung der an der Einigungsverhandlung vom 13. Juni 1995
angeordneten Beweissicherungsmassnahmen abhängig zu machen.
Der Kanton Basel-Stadt und die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 7,
beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Entscheide der Schätzungskommissionen oder deren Präsidenten über die
vorzeitige Besitzeinweisung unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an
das Bundesgericht (vgl. Art. 76 Abs. 2 und 6, Art. 77 Abs. 1 des
Bundesgesetzes über die Enteignung [EntG; SR 711]). Die Beschwerdeführer sind
als Eigentümer eines Grundstücks, zu dessen Gunsten eine Bauverbotsservitut
auf der teilenteigneten Nachbarparzelle besteht, zur Beschwerde befugt. Auf
die rechtzeitig und formgerecht eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist einzutreten.

2.
Nach Art. 76 Abs. 1 EntG kann der Enteigner jederzeit verlangen, dass er zur
Besitzergreifung oder zur Ausübung des Rechts schon vor der Bezahlung der
Entschädigung ermächtigt werde, wenn er nachweist, dass dem Unternehmen sonst
bedeutende Nachteile entstünden. Dem Gesuch ist gemäss Art. 76 Abs. 4 EntG zu
entsprechen, sofern die Prüfung der Entschädigungsforderung trotz
Besitzergreifung noch möglich ist oder durch Mittel wie Fotografien, Skizzen
usw. noch gesichert werden kann. Solange jedoch über Einsprachen gegen die
Enteignung und über Begehren nach den Artikeln 7-10 nicht rechtskräftig
entschieden ist, darf dem Gesuch nur insoweit entsprochen werden, als keine
bei nachträglicher Gutheissung nicht wieder gutzumachende Schäden entstehen.
Die Beschwerdeführer machen vor Bundesgericht geltend, dass die von Art. 76
Abs. 1 EntG verlangten bedeutenden Nachteile, die ohne eine vorzeitige
Besitzeinweisung eintreten würden, nicht nachgewiesen seien. Jedenfalls seien
die Vergleichsverhandlungen nicht abgebrochen worden. Zudem wird vorgebracht,
dass der Strassenbau den Zustand der Grundstücke irreversibel verändern
werde, was nach Art. 76 Abs. 4 EntG eine vorzeitige Besitzeinweisung
ausschliesse, solange noch Einsprachen hängig seien. Es sei aber durchaus
möglich, dass den von den Enteigneten gestellten Planänderungsbegehren noch
stattgegeben werde. Weiter seien die in der angefochtenen Verfügung genannten
Beweissicherungsmassnahmen im Vergleich zu den Vorkehren, die an der
Einigungsverhandlung vom Juni 1995 angeordnet worden seien, unvollständig und
müssten ergänzt werden. Schliesslich rügen die Beschwerdeführer, dass der
Zeitpunkt der vorzeitigen Besitzeinweisung nicht näher bestimmt werde,
sondern vage "auf den Zeitpunkt der Baufreigabe, frühestens per August 2007"
festgelegt worden sei. Damit werde die vorzeitige Besitzergreifung
unzulässigerweise "auf Vorrat" bewilligt.
Diese Vorbringen erweisen sich als unbehelflich.

2.1 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung dürfen an den von Art. 76 Abs.
1 EntG verlangten Nachweis, dass dem Unternehmen ohne vorzeitige
Besitzeinweisung bedeutende Nachteile entstünden, keine allzu hohen
Anforderungen gestellt werden (Urteil 1E.14/1992 vom 15. Juli 1992 E. 2b, mit
Hinweis). In der Regel genügt, dass Nachteile glaubhaft gemacht werden, die
etwa darin bestehen können, dass der Bau oder die Sanierung grösserer
Infrastrukturanlagen erheblich verzögert wird; solche Verzögerungen führen
erfahrungsgemäss zu beträchtlichen Mehrkosten und damit zu Mehrbelastungen
der öffentlichen Hand. Im vorliegenden Fall kommt - wie im angefochtenen
Entscheid dargelegt - hinzu, dass die Schweiz völkerrechtlich zum Bau der
zollfreien Strasse verpflichtet ist und deren Realisierung seit Jahren auf
sich warten lässt. Die Schätzungskommission hat daher zu Recht festgestellt,
dass ein weiterer Bauaufschub, der lediglich auf die hier umstrittene
Enteignung zurückzuführen wäre, für das Unternehmen mit einem bedeutenden
Nachteil im Sinne von Art. 76 Abs. 1 EntG verbunden wäre.

2.2 Im vorliegenden Verfahren ist nicht zu prüfen, ob die von den Enteigneten
erhobene Einsprache zulässig sei oder aufgrund des Staatsvertrages
ausgeschlossen werden müsse. Zuständig zur Beurteilung dieser Frage ist die
Einsprachebehörde (vgl. Art. 55 Abs. 1 EntG). Die Frage braucht auch nicht
als Vorfrage entschieden zu werden, da durch die vorzeitige Ergreifung des
Besitzes an einer Teilfläche der Parzelle Nr. 1414 jedenfalls keine Schäden
entstünden, die bei nachträglicher Gutheissung der Planänderungsbegehren der
Enteigneten nicht wieder gutgemacht werden könnten. Die Beschwerdeführer
legen denn auch nicht dar, dass und weshalb die Strasse nach Beginn der
Bauarbeiten nicht noch umgebaut oder wieder entfernt werden könnte. Dass ein
solcher Um- oder Rückbau mit hohen Kosten verbunden sein könnte, spielt im
vorliegenden Zusammenhang keine Rolle, hat doch nicht der Enteignete, sondern
allein der Enteigner das mit der Besitzergreifung verbundene Risiko zu tragen
(BGE 108 Ib 489 E. 2, 110 Ib 52 E. 1a, S. 55, 116 Ib 32 E. 3e S. 37).

2.3 Die an der Einigungsverhandlung vom 13. Juni 1995 vom damaligen
Vizepräsidenten der Schätzungskommission angeordneten
Beweissicherungsmassnahmen sind seinerzeit durchgeführt worden. Gemäss den
bei den Akten liegenden Unterlagen ist der auf Parzelle Nr. 1414 vorgesehene
Lärmschutzdamm ausgesteckt worden. Weiter ist ein Riss- und Zustandsprotokoll
mit Fotos für das Rebhaus ... erstellt und sind bei dieser Liegenschaft
Lärmmessungen vorgenommen worden. Offenbar hat das Vermessungsamt auch
Setzmessungen durchgeführt. Im angefochtenen Entscheid ist der Kanton
Basel-Stadt nunmehr mit der Erstellung eines weiteren, aktuellen Riss- und
Zustandsprotokolls beauftragt worden. Es ist nicht ersichtlich und wird von
den Beschwerdeführern nicht dargelegt, weshalb und inwiefern diese Unterlagen
nicht genügten, um auch nach der Besitzergreifung die angemeldete
Entschädigungsforderung noch zu prüfen. Ebenso wenig wird erklärt, weshalb
die im Jahre 1995 gemachten Feststellungen veraltet und nicht mehr massgebend
sein sollten. Ein solches würde nur zutreffen, wenn die Liegenschaft der
Beschwerdeführer - was niemand behauptet - inzwischen renoviert oder
umgestaltet worden wäre.

2.4 Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, das Schätzungsverfahren hätte
schon längst erledigt werden können, was eine vorzeitige Besitzeinweisung
erübrigt hätte, übersehen sie, dass über ihre Forderung um
Minderwertsentschädigung für die Ferienhaus-Liegenschaft abschliessend erst
nach dem Bau der Strasse entschieden werden kann. Der Vizepräsident der
Schätzungskommission hat an der Einigungsverhandlung vom 13. Juni 1995
ausdrücklich die Ausstellung der Entschädigungsbegehren wegen Immissionen bis
nach Inbetriebnahme der Autostrasse verfügt, ohne dass die Enteigneten
dagegen eingesprochen hätten. Zudem bringen die Beschwerdeführer selbst vor,
dass die Gefahr von Rutschungen bestehe und allfällige bau- bzw.
setzungsbedingte Schäden, die nicht verhindert werden könnten, abgegolten
werden müssten. In diesem Lichte erscheint der Einwand, eine vorzeitige
Besitzeinweisung wäre an sich gar nicht nötig, als zumindest widersprüchlich.

2.5 Was den Zeitpunkt der Besitzergreifung rund eineinhalb Jahre nach deren
Bewilligung betrifft, so ergibt sich aus dem Enteignungsrecht nichts, was
eine derart weit vorausschauende Planung untersagen und den Enteigner
zunächst noch zum Zuwarten verpflichten würde. In diesem Zusammenhang darf
daran erinnert werden, dass zunächst mit einem Baubeginn im September 2005
gerechnet wurde und sich dieser erst im Laufe des Besitzeinweisungsverfahrens
nochmals verschob. Im Übrigen ist schwer verständlich, dass sich die
Enteigneten darüber beklagen, schon heute zu wissen, dass mit dem Strassenbau
im fraglichen Bereich im August 2007 begonnen werden soll. Die
Besitzeinweisung hindert sie denn auch nicht daran, mit dem Enteigner weitere
Vergleichsgespräche zu führen und sich mit diesem allenfalls noch vor der
vorzeitigen Inbesitznahme der Nachbarparzelle zu einigen.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit in allen Punkten unbegründet.

3.
Die praxisgemäss in Enteignungssachen bescheiden zu bemessenden Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens sind der Regel von Art. 116 Abs. 1 EntG
entsprechend dem Kanton Basel-Stadt als Enteigner aufzuerlegen. Dieser hat
den Beschwerdeführern und Enteigneten eine Parteientschädigung auszurichten,
die allerdings angesichts des Verfahrensausgangs herabzusetzen ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Kanton Basel-Stadt auferlegt.

3.
Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Kanton Basel-Stadt und der
Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 7, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. September 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: