Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1E.2/2006
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1E.2/2006 /gij

Urteil vom 31. März 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Schilling.

1. Reinhard und Cornelia Ammann-Suter,
2.Erich und Andreau Andermatt-Müller,
3.Heinrich Arnet,
4.Jakob und Martha Bachmann,
5.Susanna Bandow-Zwingenberger,
6.Rolf und Gisela Bedognetti,
7.Erika Beiersdörfer,
8.Benedikt und Elsbeth Binswanger,
9.Bilco AG, Herr Louis Rossel,
10.Félix Dony,
11.Erbengemeinschaft Hans Langenegger, vertreten durch Hans Langenegger,
12.Flavio und Sandra Faoro,
13.Peter V. Germann,
14.Carl Gottschalk,
15.Hans Gretener und Ingeborg Zamel,
16.Walter und Esther Grob,
17.Hans und Angela Gygli,
18.A. und C. Hall,
19.Friedrich und Alice Henseler,
20.Martin Hotz,
21.Fritz und Heidi Huber Hess,
22.Ernst und Heidi Kaspar-Wägeli,
23.Hansjörg und Gaby Keller,
24.Christian und Karin Kienzle,
25.Markus Letsch,
26.Jürg und Sandra Longhi,
27.Salvatore und Susanne Martino,
28.Otmar und Nelli Müller,
29.Edith Rossel,
30.Bruni Sasse,
31.Ulrich und Verena Scheidegger,
32.Rudolf und Ursula Schwab,
33.Patrick und Monika Sidler,
34.Otmar und Margrit Sidler,
35.Peter und Nicole Spahni,
36.Jürg Spiegelberg,
37.Markus und Alicia Steiner,
38.Rolf Strohmeier,
39.Georg und Elisabeth Stucky-Leuenberger,
40.Tennisclub Baar, Hans-Peter Frey,
41.Pius und Marlies Tschalèr,
42.Claus Wehlen,
43.Rico und Marie-France Wieser,
44.Heinz Wihler,
45.Heidy Wyss,
46.Walter und Helen Zürcher-Kaeslin,
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Neese,

gegen

Nordostschweizerische Kraftwerke AG (NOK),
Schweizerische Bundesbahnen (SBB), Division Infrastruktur, Geschäftsbereich
Energie, Energieproduktion Netz, vertreten durch Nordostschweizerische
Kraftwerke AG (NOK),
Beschwerdegegnerinnen,

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
(UVEK), Bundeshaus Nord, 3003 Bern.

Enteignung von nachbarrechtlichen Abwehransprüchen
in Zusammenhang mit der Errichtung der
110 kV-NOK-Leitung Altgass-Horgen sowie der
132 kV-SBB-Übertragungsleitung Rotkreuz-Sihlbrugg (Neubau einer
Gemeinschaftsleitung),

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Eidgenössischen
Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), vom 24.
November 2005.

Sachverhalt:

A.
Das Eidgenössische Starkstrominspektorat genehmigte am 21. April 1997 die ihm
von der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG (NOK) und den Schweizerischen
Bundesbahnen (SBB) vorgelegten Detailprojekte für zwei teilweise gemeinsam
geführte Hochspannungsleitungen, nämlich die 110 kV-Leitung Altgass - Horgen
der NOK und die 132 kV-Leitung Rotkreuz - Sihlbrugg der SBB. Gegen die
Plangenehmigungsverfügung führten verschiedene Einwohner der Gemeinde Baar
beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (heute:
Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
[UVEK]) mit einer gemeinsamen Eingabe Verwaltungsbeschwerde. Das Departement
wies die Beschwerde am 26. April 2001 ab, soweit auf sie einzutreten und sie
nicht gegenstandslos geworden war. Gegen den Beschwerdeentscheid reichten die
Einwohner der Rechtsmittelbelehrung entsprechend beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Diese wurde schliesslich an den gemäss
altem Verfahrensrecht zuständigen Bundesrat überwiesen. Der Bundesrat wies
die Beschwerde der Nachbarn der projektierten Leitung mit Entscheid vom 29.
Mai 2002 ab. Auf eine von den Nachbarn gegen den Bundesratsentscheid erhobene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde trat das Bundesgericht am 19. Juli 2002 nicht
ein (1A.144/2002).

B.
Mit Eingabe vom 22. Oktober 2003 ersuchten die NOK und die SBB die
Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 9, um Eröffnung des
Enteignungsverfahrens zum Erwerb der für den Bau der Gemeinschaftsleitung
benötigten Rechte. Die Enteignerinnen stellten zugleich Antrag auf
Durchführung eines abgekürzten Verfahrens im Sinne von Art. 33 lit. a des
Bundesgesetzes über die Enteignung. Der stellvertretende
Schätzungskommissions-Präsident gab diesem Gesuch mit Verfügung vom 19.
Januar 2004 statt und ordnete an, dass die öffentliche Planauflage durch
persönliche Anzeigen ersetzt werde. Gegen diese Verfügung erhob die
Einwohnergemeinde Baar, die zu den ins Enteignungsverfahren einbezogenen
Grundeigentümern zählt, Verwaltungsgerichtsbeschwerde und machte geltend,
dass die Voraussetzungen für ein abgekürztes Verfahren nicht gegeben seien.
Das Bundesgericht wies die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 21.
April 2004 (1E.2/2004) ab, soweit auf sie einzutreten war.

C.
Im Anschluss an das bundesgerichtliche Urteil vom 21. April 2004 ersuchten
erneut zahlreiche Nachbarn der künftigen Leitung um Einbezug in das gegenüber
7 Grundeigentümern eröffnete Enteignungsverfahren, um sich gegen die
Unterdrückung ihrer nachbarrechtlichen Abwehrrechte zur Wehr setzen zu
können.
Mit Verfügung vom 14. Oktober 2004 leitete der stellvertretende
Schätzungskommissions-Präsident ein zusätzliches Verfahren ein und setzte den
Gesuchstellern Frist zur Einreichung von Einsprachen an. Diese erhoben mit
gemeinsamer Eingabe vom 16. November 2004 Einsprache und verlangten, dass den
Elektrizitätsgesellschaften das Enteignungsrecht verweigert werde. Eventuell
sei die Gemeinschaftsleitung auf dem Gebiet der Gemeinde Baar zu verkabeln
oder allenfalls die Linienführung der Leitung abzuändern.
Nach ergebnislos verlaufener Einigungsverhandlung überwies der
stellvertretende Präsident der Schätzungskommission die Einsprache dem UVEK
zum Entscheid. Dieses wies die Einsprache mit Entscheid vom 24. November 2005
ab und stellte fest, dass die Elektrizitätsgesellschaften nicht zur
Enteignung von nachbarrechtlichen Abwehransprüchen zu ermächtigen seien.

D.
Gegen den Entscheid des UVEK vom 24. November 2005 haben 46 Einsprecher mit
einer gemeinsamen Eingabe Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Sie stellen
den Antrag, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die Einsprache
gutzuheissen. Eventuell sei eine Planänderung in dem Sinne anzuordnen, dass
die Gemeinschaftsleitung auf dem Gebiet der Einwohnergemeinde Baar erdverlegt
werden müsse. Allenfalls seien durch das Bundesgericht selbst weitere
Abklärungen zum Sachverhalt vorzunehmen und sei eine
Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.

E. Die NOK und die SBB verlangen, dass die Legitimation der Beschwerdeführer
überprüft werde und deren Begehren abgewiesen würden, soweit darauf
einzutreten sei. Das UVEK hat auf Vernehmlassung verzichtet.

F.
Das Gesuch der Beschwerdeführer um Erteilung der aufschiebenden Wirkung ist
mit Verfügung vom 3. Februar 2006 abgewiesen worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist der Entscheid des in der Sache zuständigen Departementes über
eine enteignungsrechtliche Einsprache (vgl. Art. 55 Abs. 1 des Bundesgesetzes
über die Enteignung [EntG, SR 711]). Solche Einspracheentscheide unterliegen
grundsätzlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit (Art. 99 Abs. 1 lit. c OG). Das
Departement hat im vorliegenden Verfahren indes nur darüber befunden, ob die
Einsprechenden durch das umstrittene Projekt in ihren nachbarrechtlichen
Ansprüchen betroffen seien; mit den gestellten Planänderungsbegehren hat es
sich nicht befasst. Auch das Bundesgericht hat daher im vorliegenden
Verfahren lediglich darüber zu entscheiden, ob die Beschwerdeführer zu den
Enteigneten zählen. Wäre dies - entgegen dem Departement - zu bejahen, wäre
die Sache zu materieller Beurteilung an die erstinstanzliche
Einsprachebehörde zurückzuweisen. Auf die in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Begehren um Planänderung und um
Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ist daher von vornherein
nicht einzutreten.

2.
Das UVEK hat im angefochtenen Entscheid die Befugnis der Beschwerdeführer zur
Erhebung einer enteignungsrechtlichen Einsprache bejaht, weil diese in einer
besonders nahen Beziehung zur geplanten Hochspannungsleitung stünden und
durch das Projekt stärker betroffen würden als jedermann. Hierauf hat das
UVEK jedoch verneint, dass von der Leitung übermässige, die nachbarlichen
Abwehrrechte beschränkende Einwirkungen ausgehen werden, und die Einsprache
abgewiesen. Damit hat das Departement die Frage der Legitimation im
enteignungsrechtlichen Einspracheverfahren mit jener der Beschwerdebefugnis
im Plangenehmigungsverfahren vermischt. Die Berechtigung zur Teilnahme am
Plangenehmigungsverfahren einerseits und am Enteignungsverfahren andererseits
beurteilt sich nicht nach den gleichen Kriterien. Die beiden
Legitimationsfragen sind daher insbesondere in altrechtlichen Verfahren, in
denen das enteignungsrechtliche Einspracheverfahren dem
Plangenehmigungsverfahren folgt, sorgfältig auseinander zu halten.

2.1 Es ist unbestritten, dass die Nachbarn der geplanten
Hochspannungsleitung, sofern sie die Leitung sehen, deren Koronageräusche
hören oder sich im weiteren Bereich der nichtionisierenden Strahlung befinden
werden, durch das Projekt stärker betroffen sind als die Allgemeinheit. Die
Nachbarn können deshalb ihre schutzwürdigen Interessen im
Plangenehmigungsverfahren geltend machen und ihre Einwendungen gegen das Werk
vorbringen. Dass den Nachbarn im bereits abgeschlossenen
Plangenehmigungsverfahren die Einsprache- und Beschwerdebefugnis abgesprochen
worden wäre und sie deshalb im enteignungsrechtlichen Einspracheverfahren
nachträglich noch zugelassen werden müssten (vgl. BGE 108 Ib 245), wird von
niemandem geltend gemacht.

2.2 Die Teilnahme an dem der Plangenehmigung folgenden enteignungsrechtlichen
Einspracheverfahren ist auf die Enteigneten beschränkt. Einspracheberechtigt
sind nur jene Personen, in deren Rechte durch den Bau oder den Betrieb des
Werkes eingegriffen wird. Zum Kreis der Einsprache- und Beschwerdebefugten
gehören somit auch die Nachbarn, die im Hinblick auf das öffentliche
Interesse am Werk dessen übermässige Immissionen dulden müssen (vgl. Art. 5
Abs. 1 EntG).
Nun hat das Bundesgericht schon in seinem Urteil vom 21. April 2004
(1E.2/2004) erklärt, es könne nach den Feststellungen der Fachbehörden
ausgeschlossen werden, dass von der hier umstrittenen Leitung übermässige
Einwirkungen auf die Nachbarn ausgingen. Es könne daher im
enteignungsrechtlichen Verfahren mit der erforderlichen Sicherheit verneint
werden, dass nachbarrechtliche Abwehransprüche verletzt würden. Das
Departement stimmt im angefochtenen Entscheid diesen Ausführungen zu. Es
hätte daher feststellen müssen, dass die einsprechenden Nachbarn nicht zu den
Enteigneten zählen und es an der Befugnis zur Teilnahme am
enteignungsrechtlichen Verfahren fehlt. Die Beschwerdeführer bringen denn
auch in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts vor, das die Erkenntnisse
des Plangenehmigungsverfahrens und der früheren Urteile als unzutreffend oder
unvollständig erscheinen liesse.

2.3 An der fehlenden Legitimation der Beschwerdeführer im
enteignungsrechtlichen Einspracheverfahren ändert im Übrigen nichts, dass das
nach altem Recht durchgeführte Plangenehmigungsverfahren an den Bundesrat
führte und die Nachbarn seinerzeit gestützt auf Art. 6 EMRK richterliche
Beurteilung verlangten. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung steht nur den
in ihren Rechten Betroffenen ein Anspruch auf gerichtliche Beurteilung im
Sinne von Art. 6 EMRK zu. Dagegen findet Art. 6 EMRK keine Anwendung, wenn
bloss tatsächliche Interessen und eine faktische Beeinträchtigung von
Nutzungsmöglichkeiten geltend gemacht werden oder die Einhaltung rein
öffentlichrechtlicher Bestimmungen gefordert wird (vgl. BGE 127 I 144 E. 2c
S. 45 f. mit zahlreichen Hinweisen, 127 II 306 E. 5 S. 309, 128 II 59 E. 2).
Es besteht daher auch im Lichte von Art. 6 EMRK kein Grund, vorliegend
ausnahmsweise auch Nicht-Enteignete in ein enteignungsrechtliches
Einspracheverfahren einzubeziehen.

3.
Sind die Beschwerdeführer nach dem Gesagten nicht zur enteignungsrechtlichen
Einsprache legitimiert, so ist auf ihre Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
einzutreten. Die Kostenfolgen richten sich dementsprechend nicht nach den
Spezialbestimmungen des Enteignungsrechts, sondern nach den allgemeinen
Verfahrensvorschriften. Die bundesgerichtlichen Kosten sind demgemäss den
unterliegenden Beschwerdeführern zu überbinden (Art. 156 Abs. 1 OG). Von der
Zusprechung einer Parteientschädigung an die Elektrizitätsgesellschaften ist
im Hinblick auf Art. 159 Abs. 2 OG abzusehen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Eidgenössischen Departement für Umwelt,
Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sowie - zur Kenntnisnahme - dem
stellvertretenden Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis
9 (Dr. Thomas Willi), schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. März 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: