Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 75/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


U 75/04

Urteil vom 16. April 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Schön; Gerichtsschreiber Hadorn

D.________, 1970, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Patrick
Wagner, Schaffhauserstrasse 28, 4332 Stein,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 21. Januar 2004)

Sachverhalt:

A.
D. ________ (geb. 1970) ist bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs-
und Nichtberufsunfällen versichert. Er bezog auf Grund eines Unfalls vom 22.
Januar 2001 von der SUVA die gesetzlichen Leistungen. Mit Verfügung vom 14.
Mai 2003 setzte die Anstalt das bis anhin ausgerichtete volle Taggeld ab 16.
Juni 2003 auf 50 % herab und entzog einer allfälligen hiegegen gerichteten
Einsprache die aufschiebende Wirkung. D.________ liess Einsprache erheben und
unter anderem beantragen, die aufschiebende Wirkung sei wieder herzustellen.
Dies lehnte die SUVA mit Zwischenentscheid vom 30. Mai 2003 ab.

B.
Beschwerdeweise liess D.________ erneut den Entzug der aufschiebenden Wirkung
anbegehren. Zugleich ersuchte er um Durchführung einer öffentlichen
Gerichtsverhandlung. Mit Entscheid vom 21. Januar 2004 wies das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Beschwerde ab.

C.
D.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, die
Sache sei zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung an das kantonale
Gericht zurückzuweisen. Eventuell sei die aufschiebende Wirkung der
Einsprache wieder herzustellen.

Die SUVA enthält sich ausdrücklich einer Stellungnahme, während das Bundesamt
für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne
von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung.
Als Verfügungen gelten gemäss Art. 5 Abs. 2 VwVG auch Zwischenverfügungen im
Sinne von Art. 45 VwVG, zu welchen Entscheide über die aufschiebende Wirkung
gehören (Art. 45 Abs. 2 lit. g und Art. 55 VwVG). Solche Verfügungen sind
nach Art. 45 Abs. 1 VwVG nur dann selbstständig anfechtbar, wenn sie einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Für das
letztinstanzliche Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss
Art. 129 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 101 lit. a OG die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Zwischenverfügungen nur zulässig ist,
wenn sie auch gegen die Endverfügung offen steht (BGE 124 V 85 Erw. 2 mit
Hinweisen).

1.2 Beim Entscheid der Vorinstanz vom 21. Januar 2004 handelt es sich um eine
Zwischenverfügung im Sinne von Art. 45 VwVG. Der Rechtsmittelzug für die
Anfechtung von Zwischenverfügungen folgt nach dem Grundsatz der Einheit des
Verfahrens dem Rechtsweg, der für die Anfechtung von Endverfügungen
massgebend ist (BGE 124 V 85 Erw. 2, 116 V 133 mit Hinweisen). Da
Endverfügungen der Vorinstanz im Bereich der Unfallversicherung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht
unterliegen, ist deren Zwischenentscheid gemäss Art. 45 Abs. 1 VwVG unter der
Voraussetzung selbstständig anfechtbar, dass sie für den Beschwerdeführer
einen nicht wieder gut zu machenden Nachteil bewirken kann. Nach der
Rechtsprechung liegt ein derartiger Nachteil insbesondere dann vor, wenn die
plötzliche Einstellung finanzieller Unterstützung eine Person aus dem
wirtschaftlichen Gleichgewicht bringen und zu kostspieligen oder sonstwie
unzumutbaren Massnahmen zwingen würde (BGE 119 V 487 Erw. 2b). Vorliegend
geht es um die hälftige Reduktion eines Taggeldes. Der dadurch drohende
Nachteil kann bejaht werden, weshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
einzutreten ist.

2.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Entzug der
aufschiebenden Wirkung (Art. 11 Abs. 1 und 2 ATSV; Art. 45, 55 und 56 VwVG)
sowie die dazu ergangene Rechtsprechung, namentlich zu der beim Entzug der
aufschiebenden Wirkung vorzunehmenden Interessenabwägung (SVR 2003 UV Nr. 10
S. 31 Erw. 7.2; vgl. auch BGE 124 V 88 Erw. 6a; BGE 105 V 269 Erw. 3),
richtig dargelegt. Ferner trifft zu, dass diese Interessenabwägung sowohl
beim Entzug der aufschiebenden Wirkung (Art. 55 VwVG) als auch bei der
Anordnung vorsorglicher Massnahmen (Art. 56 VwVG) die selbe ist (BGE 117 V
188 Erw. 2b), weshalb offen bleiben kann, ob die streitige Verfügung über die
Reduzierung des Taggeldes eine der aufschiebenden Wirkung nicht zugängliche
negative Verfügung darstellt. Darauf wird verwiesen. Im Urteil S. vom 24.
Februar 2004 (I 46/04) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht ferner
erwogen, dass sich durch das In-Kraft-Treten von ATSG und ATSV nichts an der
bisherigen Rechtsprechung zum Entzug der aufschiebenden Wirkung von
Einsprachen und Beschwerden geändert hat und sich auch keine Praxisänderung
aufdrängt.

3.
Der Beschwerdeführer verlangt die Rückweisung an die Vorinstanz zwecks
Durchführung einer öffentlichen Gerichtsverhandlung, nachdem das kantonale
Gericht seinen gleichlautenden, in korrekter Form gestellten Antrag abgelehnt
hat. Es gilt jedoch zu beachten, dass im vorliegenden Prozess lediglich ein
Zwischenentscheid über den Entzug der aufschiebenden Wirkung im Streit liegt.
Über ein Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist
unverzüglich zu entscheiden (Art. 55 Abs. 3 VwVG; für die Einsprache vgl.
Art. 11 Abs. 2 ATSV). Demgemäss ist das Gericht nicht gehalten, zeitraubende
Abklärungen zu treffen, sondern stellt in erster Linie auf die ihm zur
Verfügung stehenden Akten ab. Der vermutliche Ausgang des Hauptprozesses
fällt dabei lediglich in Betracht, soweit die Aussichten eindeutig sind (BGE
117 V 191 Erw. 2b, 110 V 45 Erw. 5b). Die Durchführung einer mündlichen
Gerichtsverhandlung in einem Zwischenentscheidverfahren würde die
Prozessdauer über Gebühr verlängern und erscheint als zeitaufwendige
Beweismassnahme für dieses Verfahrensstadium problematisch. Hinzu kommt, dass
das Urteil über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht die
endgültige Entscheidung im Hauptprozess vorwegnehmen darf (BGE 119 V 503;
Urteil P. vom 11. Juli 1995, C 145/95). Indem der Versicherte die
Durchführung einer mündlichen Gerichtsverhandlung beantragt, um dort zu
beweisen, dass er entgegen den Annahmen der SUVA zu 100 % arbeitsunfähig sei,
strebt er gerade dies an: es würde Beweis geführt über den Streitpunkt des
Hauptprozesses, nämlich den Umfang der ihm verbliebenen Restarbeitsfähigkeit
und damit einhergehend auch über das Ausmass des von der SUVA geschuldeten
Taggeldes. Hierüber ist jedoch nicht bereits im Verfahren über der
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden, sondern erst im
Hauptprozess. Dieser ist im Weiteren noch gar nicht vor der Vorinstanz
hängig, befindet er sich doch erst im Einspracheverfahren vor der SUVA. Diese
hat beispielsweise noch die Möglichkeit, die angefochtene Verfügung
aufzuheben, weshalb eine Rückweisung an das kantonale Gericht zur
Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus diesem Grund nicht in Frage
kommt. Damit ist der Hauptantrag des Beschwerdeführers auf eine mündliche
Verhandlung vor der Vorinstanz abzuweisen. Ein Verstoss gegen Art. 6 Abs. 1
EMRK ist in diesem Ergebnis nicht zu erblicken. Dem Beschwerdeführer ist es
unbenommen, in einem allfälligen Hauptprozess eine derartige Verhandlung zu
beantragen. Damit bleibt sein Anspruch auf das rechtliche Gehör ausreichend
gewahrt.

4.
Nach dem Gesagten bleibt zu prüfen, ob die SUVA der Einsprache die
aufschiebende Wirkung zu Recht entzogen hat.

4.1 Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, würde der
Beschwerdeführer bei Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bis zum
Abschluss des Hauptverfahrens weiterhin ein volles Taggeld beziehen und
müsste im Unterliegensfall materiell zu Unrecht bezogene Leistungen
zurückerstatten, wobei er sich nicht mit dem Hinweis auf den guten Glauben
gegen die Rückforderung wehren könnte (BGE 105 V 269 Erw. 3). Dabei liegt das
Risiko auf der Hand, dass diese Leistungen nicht mehr erhältlich sein werden.
Demgegenüber vermag der Beschwerdeführer ein eigenes Interesse nur mit der
eventuellen Notwendigkeit, während der Dauer des Beschwerdeverfahrens die
Fürsorge in Anspruch nehmen zu müssen, sowie der fehlenden Verzinslichkeit
einer allfälligen Nachzahlung geltend zu machen. Die Rechtsprechung hat das
Interesse der Verwaltung an der Vermeidung möglicherweise nicht mehr
einbringlicher Rückforderungen gegenüber demjenigen von Versicherten, nicht
in eine vorübergehende finanzielle Notlage zu geraten, oft als vorrangig
gewichtet, insbesondere wenn auf Grund der Akten nicht mit grosser
Wahrscheinlichkeit feststand, dass die versicherte Person im Hauptprozess
obsiegen werde (BGE 105 V 269 Erw. 3; AHI 2000 S. 185 Erw. 5 mit Hinweisen).

4.2 Vorliegend steht entgegen den Behauptungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angesichts der medizinischen Akten nicht fest,
dass der Beschwerdeführer im Hauptverfahren obsiegen wird. Ob die
Taggeldherabsetzung richtig war, wird erst die eingehende Prüfung dieser
Unterlagen durch die SUVA im Einspracheverfahren zeigen. Unter solchen
Umständen entspricht das Ergebnis der vorinstanzlichen Interessenabwägung der
geltenden Rechtsprechung. Die übrigen Einwendungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen daran nichts zu ändern.

5.
Das Verfahren um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in einem
Leistungsprozess ist kostenfrei (BGE 121 V 178 Erw. 4a).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.-- wird dem Beschwerdeführer
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 16. April 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: