Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 6/2004
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U 6/04

Urteil vom 31. Januar 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiberin Polla

P.________, 1966, Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 22. Oktober 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1966 geborene P.________ war seit 13. August 2001 als Depotmitarbeiter
bei der Q._________ AG tätig und somit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 3. April 2002 ist P.________ laut Unfallmeldung der
Arbeitgeberin (vom 25. April 2005) beim Beladen einer Wechselpritsche von
einem herunterfallenden Paket am Kopf und am Rücken getroffen worden und
erlitt dabei gemäss Arztzeugnis des Dr. med. D.________, Chirurgische
Poliklinik am Spital X.________, vom 2. Mai 2002 eine Kopfkontusion, wobei er
keine Kontusionszeichen und keine neurologischen Ausfälle feststellte. Die
SUVA richtete Taggelder aus und kam für die Kosten der Heilbehandlung auf.
Mit Verfügung vom 16. Juli 2002 stellte der Unfallversicherer die Übernahme
der Heilbehandlungskosten ab diesem Datum und die Taggeldleistungen per 31.
Juli 2002 ein, da die fortbestehenden Beschwerden psychisch begründet seien,
welche nicht in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis vm
3. April 2002 stünden. Daran hielt die SUVA mit Einspracheentscheid vom 4.
Februar 2003 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt mit Entscheid vom 22. Oktober 2003 ab.

C.
P.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen
Rechtsbegehren, es sei die SUVA zu verpflichten, ihm weiterhin Taggelder zu
entrichten.
Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt
für Gesundheit (BAG) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach den hier anwendbaren allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen
Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (vgl. BGE 129 V 4 Erw. 1.2,
169 Erw. 1, 356 Erw. 1, je mit Hinweisen) ist die umstrittene
Leistungspflicht des Unfallversicherers für die Zeit vom 1. August 2002 bis
31. Dezember 2002 nach den damals - mithin vor In-Kraft-Treten des
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6.
Oktober 2000 (ATSG; SR 830.1) am 1. Januar 2003 - gültig gewesenen
Bestimmungen des UVG zu beurteilen. Demgegenüber ist hinsichtlich einer
allfällig fortbestehenden Leistungspflicht ab 1. Januar 2003 bis zum
Zeitpunkt des Einspracheentscheids (hier: 4. Februar 2003) - welcher
rechtsprechungsgemäss die zeitliche Grenze der richterlichen
Überprüfungsbefugnis bildet (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweis; vgl. auch BGE
129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1, je mit Hinweisen) - die Rechtslage
unter der Herrschaft des ATSG massgebend (zum Ganzen vgl. BGE 130 V 329, 130
V 445; Urteile L. vom 15. September 2004 [U 234/04] Erw. 1.2, A. vom 11.
Oktober 2004 [U 215/04] Erw. 1.2, C. vom 13. Oktober 2004 [U 208/04] Erw.
2.2). Anzufügen bleibt, dass das ATSG am unfallversicherungsrechtlichen
Begriff des natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs als Voraussetzung
für die Leistungspflicht nach UVG nichts geändert hat (Urteil C. vom 5.
November 2004 [U 106/04] Erw. 2; vgl. Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, S. 64 f.
Rz 20 zu Art. 4); die hiezu ergangene Rechtsprechung (siehe nachfolgende
Erwägung 1.2) behält mithin auch nach dem 1. Januar 2003 ihre Gültigkeit.

1.2 Die SUVA hat in ihrem Einspracheentscheid die Bestimmungen über den
Anspruch auf Heilbehandlung (Art. 10 UVG) und Taggeld (Art. 16 UVG) richtig
wiedergegeben. Zutreffend sind auch die Ausführungen der Vorinstanz über die
Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers nach
Art. 6 Abs. 1 UVG vorausgesetzten natürlichen (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V
289 Erw. 1b, 117 V 376 Erw. 3a Hinweisen) und adäquaten Kausalzusammenhang
(BGE 127 V 102, 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen) zwischen dem Unfallereignis
und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod). Dies betrifft
insbesondere auch die Adäquanzbeurteilung bei Unfällen und der in der Folge
eingetretenen psychischen Fehlentwicklung mit Einschränkung der Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit (BGE 115 V 133) sowie die bei Schleudertraumen der HWS,
Schädelhirntraumen und äquivalenten Verletzungen massgebende Rechtsprechung
(BGE 117 V 359 und 369). Das kantonale Gericht hat sodann richtig ausgeführt,
dass die Beurteilung der Adäquanz in denjenigen Fällen, in welchen die zum
typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS oder eines
Schädelhirntraumas gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind,
im Vergleich zu einer bestehenden ausgeprägten psychischen Problematik aber
ganz in den Hintergrund treten, nach der für psychische Fehlentwicklungen
nach Unfällen geltenden Rechtsprechung (BGE 115 V 133) vorzunehmen ist (BGE
127 V 103 Erw. 5b/bb). Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer für die Zeit nach dem 31.
Juli 2002 Anspruch auf Taggelder hat.

2.1 Das kantonale Gericht erwog, es sei nicht zu beanstanden, dass die SUVA,
welche das Vorliegen eines Schädelhirntraumas anerkannt habe, hauptsächlich
gestützt auf den Bericht der Neurologisch-Neurochirurgischen Poliklinik am
Spital X.________, vom 24. Juni 2002 und der Beurteilung des SUVA-Kreisarztes
Dr. med. V.________ vom 2. Juli 2002 zum Schluss gelangt sei, in somatischer
Hinsicht bestünden keine Residuen des Unfalls vom 3. April 2002. Aufgrund der
übereinstimmenden medizinischen Akten sei das Unfallereignis bezüglich der
persistierenden Beschwerden psychischen Ursprungs nicht adäquat kausal, wobei
das Gericht die Adäquanzbeurteilung nach der für die Fälle einer psychischen
Fehlentwicklung nach dem Unfall geltenden Rechtsprechung vornahm. Der
Versicherte führt demgegenüber aus, seit dem Unfall leide er an starken
Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, Angstzuständen, Depressionen und
Schlafstörungen. Vor dem Ereignis habe er unter keinerlei Beschwerden
gelitten, daher sei evident, dass zwischen den geklagten Leiden und dem
Unfallgeschehen ein Kausalzusammenhang bestünde, weshalb die SUVA weiterhin
leistungspflichtig sei.

2.2 Der erstbehandelnde Arzt am Spital X.________, welcher den Versicherten
gleich nach dem Unfall untersuchte, gelangte zum Schluss, es bestehe kein
Hinweis für eine commotio (Arztzeugnis des Dr. med. D.________ vom 2. Mai
2002). Ebenso berichtete der Hausarzt Dr. med. B.________ am 22. Mai 2002 der
SUVA, es läge eine Schädel- und HWS-Kontusion mit vor allem somatoformer
Schmerz-entwicklung, nebst einem rechtsseitigen Lumbovertebralsyndrom vor. In
den Berichten der Neurologisch-Neurochirurgischen Poliklinik am Spital
X.________ (vom 29. Mai und 24. Juni 2002) wurden ein Status nach
Schädelhirntrauma mit leichtgradiger Commotio cerebri, posttraumatische
Spannungskopfschmerzen und vor allem ein posttraumatisches Zervikalsyndrom
ohne neurologische Ausfallsymptomatik, ferner Drehschwindelattaken unklarer
Ätiologie (laut Differenzialdiagnose psychogen verstärkt bei möglicher
somatoformer Störung und posttraumatisch bei Labyrinthkontusion) sowie ein
chronisches Lumbovertebralsyndrom diagnostiziert. Im Anschluss an den Unfall
sowie im weiteren Verlauf traten verschiedene Symptome (wie Kopfschmerzen,
Schwindel, Konzentrationsstörungen, rasche Ermüdbarkeit) auf, welche dem nach
Schleudertraumen der HWS und Schädelhirntraumen nicht selten auftretenden und
deshalb von der Rechtsprechung als für solche Verletzungen typisch
bezeichneten "bunten" Beschwerdebild (BGE 119 V 338 Erw. 1, 117 V 360 Erw.
4b, 382 Erw. 4b) zuzurechnen sind. Ob der Beschwerdeführer lediglich eine
Kopfkontusion oder ein Schädelhirntrauma erlitten hat, kann letztlich aber
aus den nachfolgenden Gründen offen bleiben.

2.3
2.3.1Nach der zitierten Rechtsprechung (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb mit Hinweis
auf BGE 123 V 99 Erw. 2a) hat die Adäquanzprüfung auch dann unter dem
Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall (BGE 115 V 133)
zu erfolgen, wenn die zum typischen Beschwerdebild nach einem Schleudertrauma
der HWS (oder einer gleichgestellten Verletzung) gehörenden
Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zu einer
ausgeprägten psychischen Problematik aber ganz in den Hintergrund treten.
Dieser Rechtsprechung liegt der Sachverhalt zu Grunde, dass sehr bald nach
dem Unfall, gleichsam an diesen anschliessend, die psychische Problematik
derart überwiegt, dass die mit dem Schleudertrauma (oder einer äquivalenten
Verletzung oder einem Schädelhirntrauma) einhergehenden gesundheitlichen
Beeinträchtigungen ("buntes" Beschwerdebild) völlig in den Hintergrund
treten. Soll die Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 99 Erw. 2a in einem späteren
Zeitpunkt angewendet werden, muss geprüft werden, ob im Verlaufe der ganzen
Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt die physischen
Beschwerden gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben und
damit ganz in den Hintergrund getreten sind. Wenn dies zutrifft, ist die
Adäquanz nach der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V
133) zu beurteilen (RKUV 2002 Nr. U 465 S. 439 Erw. 3b).

2.3.2 Bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen physischen (bzw. dem
"bunten" Beschwerdebild zuzurechnenden) und psychischen Anteilen kommt den
medizinischen Feststellungen naturgemäss eine erhebliche Bedeutung zu.
Diesbezüglich steht angesichts der gesamten medizinischen Akten
widerspruchsfrei fest, dass sehr bald nach dem Unfall die psychische
Symptomatik überwog. Der Hausarzt hielt am 22. Mai 2002 die pathologische
Traumaverarbeitung fest und bemerkte am 6. August 2002, die posttraumatische
Belastungsstörung stehe im Vordergrund. Aufgrund des Verdachts auf eine
somatoforme Störung liess denn auch die Neurologisch-Neurochirurgische
Poliklinik  den Beschwerdeführer psychosomatisch abklären. Am 8. August 2002
befand der Psychologe lic. phil. R.________ der Versicherte leide an einer
posttraumatischen Belastungsstörung, an neuropsychologischen
Funktionsstörungen sowie an einer reaktiven depressiv-ängstlichen
Anpassungsstörung. Damit ist mit SUVA und Vorinstanz davon auszugehen, dass
physische Beschwerden (im Rahmen des "typischen" Beschwerdebildes) zwar
anfänglich gegeben waren, jedoch im Verlauf der ganzen Entwicklung vom Unfall
bis zum Beurteilungszeitpunkt gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle
gespielt haben und damit gegenüber der bestehenden psychischen Problematik im
Sinne der Unfallfehlverarbeitung ganz in den Hintergrund getreten sind. Die
Adäquanz des Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und den über den 31.
Juli 2002 hinaus fortbestehenden Leiden ist daher nach der Praxis zu den
psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133) zu beurteilen, wobei die natürliche
Kausalität zwischen dem Unfallereignis und den geklagten Beschwerden bejaht
werden kann.

2.4
2.4.1Wie die Beschwerdegegnerin im vorinstanzlichen Verfahren zu Recht
bemerkt, fällt hierbei auf, dass die Ärzte der
Neurologisch-Neurochirurgischen Poliklinik am Spital X.________ von einem
wesentlich schwereren Unfallgeschehen ausgingen als der erstbehandelnde Arzt
der Chirurgischen Poliklinik am Spital. Den anfänglichen Schilderungen
gemäss, fielen dem Versicherten ein oder zwei (und nicht mehrere) schwere
Pakete auf Kopf und Schulter; er war benommen und blutete leicht aus der
Nase, wobei ihm ein Arbeitskollege aufhalf. Dass er von Paketen begraben
wurde und mehrere Minuten bewusstlos war sowie an einer retrograden Amnesie
litt, steht im Widerspruch zu den "Aussagen der ersten Stunde", welchen
vorrangiger Beweiswert zukommt (BGE 121 V 47 Erw. 2a mit Hinweisen). Im
Rahmen der für die Belange der Adäquanzbeurteilung vorzunehmenden Einteilung
(BGE 115 V 138 Erw. 6) ist das Geschehen vom 3. April 2002 aufgrund des
Unfallhergangs und der erlittenen Verletzungen den mittleren, allerdings im
Grenzbereich zu den leichten Unfällen zuzuordnen (vgl. hiezu die Übersicht
ähnlich gelagerter Unfälle im Urteil R. vom 29. September 2004, Erw. 5.2).
Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs wäre praxisgemäss daher zu bejahen, wenn
ein einzelnes der in die Beurteilung einzubeziehenden Kriterien (besonders
dramatische Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit des Unfalls;
Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzung; ungewöhnlich lange
Dauer der ärztlichen Behandlung; Dauerbeschwerden; ärztliche Fehlbehandlung,
welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert; schwieriger Heilungsverlauf
und erhebliche Komplikationen; Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit; BGE 115
V 140 Erw. 6c/aa) in besonders ausgeprägter Weise erfüllt wäre oder die zu
berücksichtigenden Kriterien insgesamt in gehäufter und auffallender Weise
gegeben wären (BGE 115 V 141 Erw. 6c/bb).

2.4.2 Der Unfall vom 3. April 2002 ereignete sich weder unter dramatischen
Begleitumständen noch war er von besonderer Eindrücklichkeit. Die dabei
erlittenen Verletzungen sind nicht als schwer zu bezeichnen. Ebenso wenig
waren sie aufgrund ihrer besonderen Art erfahrungsgemäss geeignet, psychische
Fehlentwicklungen auszulösen. Die ärztliche Behandlung dauerte zwar lange,
wurde aber zu einem wesentlichen Teil wegen der Folgen der psychischen
Unfallfehlverarbeitung notwendig, wie das kantonale Gericht zu Recht
erkannte. Aus demselben Grund kann auch nicht von einem schwierigen
Heilungsverlauf und erheblichen Komplikationen gesprochen werden. Eine
ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert
hätte, liegt nicht vor. Ebenso sind die Kriterien der körperlichen
Dauerschmerzen sowie einer nach Grad und Dauer erheblichen physisch bedingten
Arbeitsunfähigkeit zu verneinen. Die über den 31. Juli 2002 hinaus
andauernden Beschwerden stehen daher in keinem adäquaten Zusammenhang mit dem
Unfallereignis vom 3. April 2002, sodass die Beschwerdegegnerin ihre
Taggeldleistungen zu Recht einstellte.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 31. Januar 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: