Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 69/2004
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U 69/04

Urteil vom 7. Juni 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Jancar

B.________, 1944, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dominique Erhart,
Bettenstrasse 5, 4123 Allschwil,

gegen

Winterthur Versicherungen, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 5. Januar 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1944 geborene B.________ war seit 1988 Geschäftsführer der Firma
X.________ AG und damit bei den Winterthur Versicherungen (nachfolgend
Winterthur) unfallversichert. Am 6. Oktober 2000 stürzte er bei einer
Pferdevorführung vom Pferd. Am 9. Oktober 2000 begab er sich zu Dr. med.
S.________, Facharzt FMH für Allgemeinmedizin, der eine axiale Stauchung der
Halswirbelsäule (HWS) mit konsekutivem zervikocephalem und zervikobrachialem
Syndrom diagnostizierte und ab 14. November 2000 von einer 50%igen
Arbeitsunfähigkeit ausging (Bericht vom 17. Mai 2001). Die Winterthur
richtete die gesetzlichen Leistungen aus (Heilbehandlung und Taggeld). Zur
Abklärung der Verhältnisse zog sie diverse Arztberichte sowie ein Gutachten
des Rheumatologen Dr. med. J.________, vom 5./12. Juni 2002 bei, der folgende
Diagnose stellte: chronisches zervikocephales und zervikobrachiales Syndrom
bei Status nach Sturz am 6. Oktober 2000 und degenerativen Veränderungen der
HWS sowie Protrusionen C4/5 und C5/6; Status nach traumatischer
Brustwirbelkörperfraktur (BWK) und operativer Fusion BWK 6/7 1971 mit
konsekutiver Hyperkyphose der Brustwirbelsäule (BWS) und entsprechend
kompensatorisch verstärkter Zervikallordose. Weiter holte die Winterthur ein
zuhanden der Invalidenversicherung erstelltes Gutachten des Rheumatologen Dr.
med. A.________, vom 8. August 2002 ein, der Folgendes diagnostizierte:
tendomyotisches Zervikalsyndrom bei degenerativen Veränderungen im mittleren
Drittel; Tendomyogelosen im Schultergürtel mit Kettentendinosen im rechten
Arm; Status nach Reitunfall vom Oktober 2000 mit passagerer Zervikalgie;
Brustkyphose bei Status nach Kompressionsfraktur von Th7 1971; subjektive
bzw. teils auch funktionelle Schmerzsyndrome lumbal und inkonstant am Becken
und beiden Beinen. Mit Verfügung vom 26. August 2002 stellte die Winterthur
ihre Leistungen auf den 30. Juni 2002 ein, da kein natürlicher
Kausalzusammenhang zwischen dem somatischen Beschwerdebild und dem Unfall vom
6. Oktober 2000 bestehe. Hinsichtlich allfälliger psychischer Beschwerden
fehle die adäquate Kausalität zum Unfall. Die dagegen erhobene Einsprache
wies die Winterthur mit Entscheid vom 20. November 2002 ab.

B.
Hiegegen erhob der Versicherte beim Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
Beschwerde. Er reichte neu Berichte des Dr. med. S.________ vom 29. August
2002 sowie 9. Januar und 24. März 2003, des Dr. med. F.________, Arzt für
Allgemeinmedizin, vom 24. März 2003 sowie des Radiologen Prof. Dr. med.
W.________, vom 20. März 2003 ein. Das kantonale Gericht zog die Akten der
Invalidenversicherung bei mit einem Gutachten des Psychiaters Dr. med.
F.________, vom 3. Februar 2003. Dieser diagnostizierte eine
Anpassungsstörung (ICD-10: F43.23). Mit Entscheid vom 5. Januar 2004 wies das
kantonale Gericht die Beschwerde ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des
kantonalen Entscheides sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Die Winterthur schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Gesundheit (BAG), Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung, auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch
auf Leistungen der Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG) und die Grundsätze
über den für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten
natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen
Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 123 V 45 Erw. 2b, 121 V 329 Erw.
2a, je mit Hinweisen; SVR 2000 UV Nr. 8 S. 26 Erw. 2), die vorausgesetzte
Adäquanz des Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 127 V 102 Erw. 5b/aa,
125 V 461 Erw. 5a, je mit Hinweisen) und bei psychischen Unfallfolgen im
Besonderen (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb, 115 V 133 ff.; RKUV 2001 Nr. U 412 S.
80) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Ausführungen zur Aufgabe des
Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit
Hinweisen), zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung und zum Beweiswert eines
Arztberichts (BGE 125 V 352 Erw. 3a). Beizupflichten ist im Weiteren den
Erwägungen der Vorinstanz, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene
Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird
verwiesen.

1.2 Zu ergänzen ist, dass die Verwaltung als verfügende Instanz und - im
Beschwerdefall - das Gericht eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen
dürfen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind (Kummer, Grundriss des
Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1984, S. 136). Im Sozialversicherungsrecht
hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes
vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen.
Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den
Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die Richterin haben vielmehr jener
Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von allen möglichen
Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 126 V 360 Erw. 5b,
125 V 195 Erw. 2, je mit Hinweisen).
Führen die von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen die Verwaltung oder das
Gericht bei pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung, ein bestimmter
Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten und es könnten
weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern,
so ist auf die Abnahme weiterer Beweise zu verzichten (antizipierte
Beweiswürdigung; Kieser, Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung,
S. 212, Rz 450; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege
des Bundes, 2. Aufl., S. 39, Rz 111 und S. 117, Rz 320; Gygi,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 274; vgl. auch BGE 122 II 469
Erw. 4a, 122 III 223 Erw. 3c, 120 Ib 229 Erw. 2b, 119 V 344 Erw. 3c mit
Hinweis). In einem solchen Vorgehen liegt kein Verstoss gegen das rechtliche
Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV (SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b; zu Art. 4
Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 124 V 94 Erw.
4b, 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweis).

2.
2.1 Der Versicherte bringt vor, es bestehe ein natürlicher Kausalzusammenhang
zwischen dem Reitunfall vom 6. Oktober 2000 und den somatischen Beschwerden.

Diesbezüglich hat die Vorinstanz zu Recht festgestellt, dass gestützt auf die
ärztlichen Stellungnahmen keine morphologischen Schädigungen, die auf den
Sturz vom Pferd vom 6. Oktober 2000 zurückgeführt werden könnten, vorlägen.
Dies ergibt sich insbesondere aus den rheumatologischen Gutachten der Dres.
med. J.________ vom 5./12. Juni 2002 und A.________ vom 8. August 2002, ist
aber auch aus den Berichten des Neurologen PD Dr. med. R.________, Spital
Y.________, vom 27. Dezember 2001, des Prof. Dr. med. W.________ vom 21.
Februar 2002 und des Dr. med. H.________, beratender Arzt der Winterthur, vom
29. Oktober 2002 ersichtlich.

Dr. med. J.________ führte aus, die erhobenen somatischen Befunde stünden nur
möglicherweise in einem natürlichen Kausalzusammenhang mit dem Unfall vom 6.
Oktober 2000. Dr. med. A.________ legte dar, aus rheumatologischer Sicht sehe
er keine Leistungsverminderung des Versicherten in der bisherigen Tätigkeit
als Geschäftsführer. Und Dr. med. R.________ stellte fest, eine neurologische
Grundlage der ausgedehnten Beschwerden, die seit dem Unfall vom Oktober 2000
stetig zugenommen hätten, könne nicht gefunden werden.

2.2 Was dagegen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, vermag
nicht zu überzeugen:
Wenn Dr. med. J.________ im Gutachten vom 5./12. Juni 2002 ausgeführt hat,
dass eine psychiatrische Mitbegutachtung unabdingbar sei, bezieht sich diese
Frage nicht auf die somatischen Folgen des Unfalles, sondern auf die
psychischen (Erw. 3 hienach).
Wenn Prof. Dr. med. W.________ im Bericht vom 20. März 2003 dargelegt hat,
der Versicherte hätte ohne den Reitunfall weiterhin langfristig
beschwerdefrei leben können, bedeutet dies nicht, dass er den natürlichen
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den somatischen Folgen bejaht;
vielmehr können auch psychische Unfallfolgen oder weitere Ursachen dazu
geführt haben, dass der Versicherte den von ihm intensiv ausgeübten Reitsport
seit dem Unfall nicht mehr in gleicher Weise betreiben kann.

3.
3.1 Die Invalidenversicherung holte ein Gutachten des Psychiaters Dr. med.
F.________ vom 3. Februar 2003 ein, der eine Anpassungsstörung (ICD-10:
F43.23) diagnostizierte. Es könnte eine verminderte Leistungsfähigkeit
angenommen werden, die aus rein psychiatrischer Sicht allerdings 30 % nicht
übersteigen dürfte. Grundsätzlich sollte es dem Versicherten möglich sein,
seine bisherige Tätigkeit weiter auszuüben; er benötige vermehrt Pausen, auch
dürfte er etwas verlangsamt sein. Die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
bestehe seit dem Unfall im Oktober 2000.

Der Versicherte macht geltend, der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfall vom 6. Oktober 2000 und den psychischen Beschwerden sei nicht geklärt
worden. Diesbezüglich liege eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör (Prüfungspflicht des massgeblichen Sachverhaltes) vor.

Die Vorinstanz hat zu Recht auf weitere Abklärungen in dieser Hinsicht
verzichtet (Erw. 1.2 hievor), da der adäquate Kausalzusammenhang aus
nachfolgenden Gründen ohnehin verneint werden muss.

3.2 Bei der Frage des adäquaten Kausalzusammenhanges zwischen dem Unfall und
den psychischen Folgeschäden ist nach BGE 115 V 140 ff. vorzugehen. Die
Parteien gehen übereinstimmend von einem mittelschweren Unfall im
Grenzbereich zu den leichten Unfällen aus. Damit die Adäquanz bejaht werden
könnte, müsste somit ein einzelnes der in die Beurteilung einzubeziehenden
Kriterien in besonders ausgeprägter Weise erfüllt sein oder es müssten die zu
berücksichtigenden Kriterien in gehäufter oder auffallender Weise gegeben
sein (BGE 115 V 141 Erw. 6c/bb). Diese Voraussetzungen treffen nicht zu, wie
die folgenden Erwägungen zeigen:
3.2.1Der Unfall vom 6. Oktober 2000 hat sich nicht unter besonders
dramatischen Begleitumständen ereignet und war auch nicht von besonderer
Eindrücklichkeit, zumal der Versicherte nach dem Sturz vom Pferd ohne fremde
Hilfe aufstehen konnte.

3.2.2 Der Beschwerdeführer hat keine schweren Verletzungen oder Verletzungen
besonderer Art erlitten, welche geeignet sind, eine psychische
Fehlentwicklung auszulösen.

3.2.3 Von einer ärztlichen Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich
verschlimmert hat, kann nicht gesprochen werden.

3.2.4 Seit dem Unfall vom 6. Oktober 2000 steht der Versicherte in
medikamentöser Behandlung. Zudem hat er diverse physiotherapeutische
Massnahmen absolviert, vor allem Krankengymnastik, Bewegungsbad,
Elektrotherapie, Massage und Fango. Vom 17. April bis 23. Mai 2001 war er bei
der Klinik Z.________ in Behandlung. Vom 13. August bis 1. September 2001 war
er in der Rehabilitationsabteilung des Spitals Y.________ hospitalisiert.
Gemäss dem Gutachten des Dr. med. A.________ vom 8. August 2002 ging der
Versicherte noch regelmässig nach Bad W.________ schwimmen; dies täte ihm so
gut, dass er offensichtlich keine weitere Behandlung benötige. Zu beachten
ist weiter, dass die Behandlung auch den degenerativ bedingten
HWS-Beschwerden diente. Das Kriterium der ungewöhnlich langen Dauer der
ärztlichen Behandlung ist unter diesen Umständen höchstens teilweise erfüllt.

3.2.5 Das Kriterium der unfallbedingten körperlichen Dauerschmerzen ist
ebenfalls lediglich teilweise erfüllt. Immerhin ist festzuhalten, dass die
Schmerzen dank der vom Versicherten wahrgenommenen Therapien gelindert werden
konnten.

3.2.6 Aus der blossen Dauer der ärztlichen Behandlung und den geklagten
Beschwerden kann nicht schon auf einen schwierigen Heilungsverlauf und
erhebliche Komplikationen geschlossen werden. Vielmehr bedarf es hiezu
besonderer Gründe, welche die Heilung beeinträchtigt haben (Urteil F. vom 10.
September 2003 Erw. 4.3, U 343/02). Solche Gründe sind hier nicht
ersichtlich.

3.2.7 Gemäss Bericht des Dr. med. S.________ vom 17. Mai 2001 war der
Versicherte seit 14. November 2000 zu 50 % arbeitsunfähig. Ab 26. September
2001 war er aus rheumatologischer Sicht noch zu 25 % arbeitsunfähig (Bericht
des Spitals Y.________ vom 4. Oktober 2001). Zu beachten ist auch in diesem
Rahmen, dass die Arbeitsunfähigkeit durch die degenerativ bedingten
HWS-Beschwerden mitverursacht war. Gemäss den Gutachten der Dres. med.
J.________ vom 5./12. Juni 2002 und A.________ vom 8. August 2002 lag keine
physisch bedingte Arbeitsunfähigkeit mehr vor, die überwiegend wahrscheinlich
auf den Unfall vom 6. Oktober 2000 zurückzuführen ist. Das Kriterium des
Grades und der Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit ist unter
diesen Umständen nicht erfüllt.

3.2.8 Nach dem Gesagten sind lediglich die Kriterien der Dauerbeschwerden und
der langen Dauer der ärztlichen Behandlung teilweise zu bejahen. Da im
Übrigen keines der für die Adäquanzbeurteilung massgebenden Kriterien erfüllt
ist, reicht dies nicht aus, um dem Unfall vom 6. Oktober 2000 eine rechtlich
massgebende Bedeutung für die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
zuzuschreiben. Mangels eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen
Unfallereignis und den psychischen Beschwerden ist die vorinstanzlich
bestätigte Leistungseinstellung auf den 30. Juni 2002 zu Recht erfolgt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 7. Juni 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: