Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 61/2004
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U 61/04

Urteil vom 2. Juli 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber Lanz

P.________, 1956, Gesuchsteller, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler,
Untermüli 6, 6302 Zug,

gegen

"Zürich" Versicherungs-Gesellschaft, Alfred-Escher-Strasse 50, 8022 Zürich,
Gesuchsgegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Adelrich Friedli,
Stationsstrasse 66 A, 8907 Wettswil

(Entscheid vom 15. Dezember 2000)

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene P.________ zog sich am 18. Oktober 1993 bei einem
Verkehrsunfall ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS) zu. Die
"Zürich" Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: "Zürich"), bei welcher er
obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert war, kam für die
Heilbehandlung auf und richtete ein Taggeld aus. Gestützt auf neue
medizinische Abklärungen stellte sie die Leistungen mit Verfügung vom 3. Juni
1998 wegen fehlender Unfallkausalität der geltend gemachten Beschwerden auf
den 30. Juni 1998 ein. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 21. Juli
1998 fest.

Auf Beschwerde hin gelangte das Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden zum
Schluss, das Beschwerdebild eines HWS-Schleudertraumas sowie eines leichten
Schädel-Hirntraumas sei ausgewiesen und es sei sowohl der natürliche als auch
der adäquate Kausalzusammenhang der bestehenden Beschwerden zum Unfall vom
18. Oktober 1993 gegeben. Dementsprechend wies das Gericht die Sache zur
Festsetzung der dem Versicherten zustehenden Leistungen an die "Zürich"
zurück (Entscheid vom 22. Februar 2000).

In Gutheissung der vom Unfallversicherer hiegegen eingereichten
Verwaltungsgerichtsbeschwerde hob das Eidgenössische Versicherungsgericht den
kantonalen Entscheid mit Urteil vom 15. Dezember 2000 (U 105/00) auf. Dabei
ging es davon aus, dass die zum typischen Beschwerdebild eines
Schleudertraumas gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben,
gegenüber der ausgeprägten psychischen Problematik aber ganz in den
Hintergrund getreten waren, weshalb die Adäquanzbeurteilung nach den für
psychische Fehlentwicklungen nach Unfällen massgebenden Kriterien zu erfolgen
hat, und gelangte zum Schluss, dass die Adäquanz des Kausalzusammenhangs im
Lichte dieser Kriterien zu verneinen ist.

Mit Urteil vom 7. August 2001 (U 41/01) wies das Eidgenössische
Versicherungsgericht ein von P.________ gestützt auf Art. 136 lit. d OG
(versehentliche Nichtberücksichtigung in den Akten liegender erheblicher
Tatsachen) eingereichtes Revisionsgesuch ab.

B.
Mit Eingabe vom 16. Februar 2002 lässt P.________ gestützt auf Art. 137 lit.
b OG (neue Tatsachen oder Beweismittel) um Revision des Urteils vom 15.
Dezember 2000 ersuchen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des Urteils sei
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts
des Kantons Obwalden vom 22. Februar 2000 abzuweisen und es sei in
Bestätigung dieses Entscheids und in Aufhebung des Einspracheentscheids vom
21. Juli 1998 die Sache zur Festsetzung der gesetzlichen Leistungen an den
Unfallversicherer zurückzuweisen.

Die "Zürich" schliesst auf Abweisung des Revisionsgesuches. Das Bundesamt für
Gesundheit, Abteilung Kranken- und Unfallversicherung, hat sich nicht
vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Soweit der Gesuchsteller mit Eingabe vom 15. Juni 2004 den Ausstand der
Bundesrichter, welche das Urteil vom 15. Dezember 2000 gefällt haben, und des
daran beteiligten Gerichtsschreibers verlangt, hat es mit der Feststellung,
dass das Revisionsbegehren ohnehin in vollständig anderer gerichtlicher
Zusammensetzung beurteilt wird, sein Bewenden.

2.
2.1 Der Gesuchsteller stützt sein Begehren auf Art. 137 lit. b OG (in
Verbindung mit Art. 135 OG). Danach ist die Revision eines
bundesgerichtlichen Urteils zulässig, wenn der Gesuchsteller nachträglich
neue erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet,
die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Im Gesuch ist mit
Angabe der Beweismittel der Revisionsgrund und dessen rechtzeitige
Geltendmachung darzulegen und anzugeben, welche Abänderung des früheren
Entscheides und welche Rückleistung verlangt wird (Art. 140 OG). Das
Revisionsgesuch muss in den Fällen des Art. 137 OG bei Folge der Verwirkung
innert 90 Tagen von der Entdeckung des Revisionsgrundes, frühestens jedoch
vom Eingang der schriftlichen Ausfertigung des Urteils des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts oder vom Abschluss des Strafverfahrens an, beim Gericht
anhängig gemacht werden (Art. 141 Abs. 1 lit. b OG).

2.2 Das vorliegende Revisionsgesuch erfüllt die Anforderungen von Art. 140
OG. Es stützt sich auf eine ärztliche Zeugenaussage im Rahmen des vor dem
Bezirksgericht Zürich in Zusammenhang mit dem Unfall vom 18. Oktober 1993
hängigen Haftpflichtprozesses. Mit der am 17. Februar 2004 der Post
übergebenen Eingabe vom 16. Februar 2004 bleibt die gesetzliche Frist von 90
Tagen gewahrt. Auf das Revisionsgesuch ist daher einzutreten.

3.
3.1 Als "neu" im Sinne von Art. 137 lit. b OG gelten Tatsachen, welche sich
bis zum Zeitpunkt, da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen
prozessual zulässig waren, verwirklicht haben, jedoch der um Revision
ersuchenden Person trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die
neuen Tatsachen müssen ferner erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein,
die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei
zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer andern Entscheidung zu führen.
Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen
erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im
früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil der gesuchstellenden
Person unbewiesen geblieben sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit
den neuen Mitteln bewiesen werden, so hat die Person auch darzutun, dass sie
die Beweismittel im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Entscheidend
ist ein Beweismittel, wenn angenommen werden muss, es hätte zu einem andern
Urteil geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren hievon Kenntnis gehabt
hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der
Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es genügt
daher beispielsweise nicht, dass ein neues Gutachten den Sachverhalt anders
bewertet; vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die
Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. Für die
Revision eines Entscheides genügt es nicht, dass die Gutachterin oder der
Gutachter aus den im Zeitpunkt des Haupturteils bekannten Tatsachen
nachträglich andere Schlussfolgerungen zieht als das Gericht. Auch ist ein
Revisionsgrund nicht schon gegeben, wenn das Gericht bereits im
Hauptverfahren bekannte Tatsachen möglicherweise unrichtig gewürdigt hat.
Notwendig ist vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den
Entscheid wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren oder unbewiesen blieben
(BGE 127 V 358 Erw. 5b, 110 V 141 Erw. 2, 293 Erw. 2a, 108 V 171 Erw. 1; vgl.
auch BGE 118 II 205).

3.2 Der Gesuchsteller macht geltend, auf Grund der Zeugenaussagen des
behandelnden Arztes Dr. med. H.________ im Haftpflichtprozess stehe fest,
dass im Anschluss an den Unfall vom 18. Oktober 1993 objektive Befunde in
Form einer eingeschränkten Beweglichkeit und Fehlhaltung der HWS sowie von
schmerzhaften Druckstellen im Bereich der oberen Extremitäten bestanden
hätten. Dieses Beschwerdebild habe nach Auffassung des Arztes in einem
direkten Zusammenhang mit dem Unfall gestanden und entspreche einem
chronifizierten sog. Schleudertrauma der HWS. Weil während der gesamten Dauer
der Behandlung durch Dr. med. H.________ direkte organische Beschwerden
vorgelegen hätten, falle eine Adäquanzbeurteilung nach den für psychische
Unfallfolgen geltenden Regeln nicht in Betracht, weshalb eine Neubeurteilung
zu erfolgen habe.

3.3 Bei der Zeugeneinvernahme vom 27. November 2003 gab Dr. med. H.________
auf die Frage, welche körperlichen Veränderungen festgestellt worden seien,
an, es habe eine Einschränkung der Beweglichkeit und radiologisch eine
Fehlhaltung der HWS bestanden; zudem seien schmerzhafte Druckstellen (sog.
Triggerpunkte) im Bereich der oberen Extremitäten im Sinne einer
generalisierten Sehnen-Muskelstörung (Tendomyopathie) sowie ein
fortbestehendes Schmerzsyndrom seitens der Lendenwirbelsäule (LWS)
verzeichnet worden.

Diese ärztlichen Feststellungen sind nicht neu, haben doch schon die Ärzte
der Klinik Z.________ im Gutachten vom 14. Oktober 1997 als objektivierbaren
Befund ein ausgeprägtes tendomyotisches Zervikobrachialsyndrom mit
wahrscheinlich schmerzbedingter Einschränkung der HWS-Beweglichkeit
diagnostiziert. Darauf wird im Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 15. Dezember 2000 ausdrücklich Bezug genommen,
wobei auf Grund der gutachterlichen Beurteilung davon auszugehen war, dass
beim bestehenden Beschwerdebild nicht der klinische Befund, sondern die
Schmerzsymptomatik im Vordergrund stand und eine Chronifizierung und
teilweise auch psychische Fixierung der Beschwerden anzunehmen war. Es liegt
bezüglich der HWS-Beschwerden und der Tendomyopathie demnach keine neue
Tatsache vor. Nicht als neu haben auch die von Dr. med. H.________ erwähnten
LWS-Beschwerden zu gelten, welche bereits von den erstbehandelnden Ärzten am
Spital X.________ konstatiert und im Urteil vom 15. Dezember 2000 erwähnt
wurden. Dass das Gericht darauf nicht weiter einging, ist darauf
zurückzuführen, dass die LWS-Symptomatik nach den medizinischen Akten in der
Folge keine wesentliche Rolle mehr spielte. Der Versicherte hat denn auch
weder in der Beschwerde an das kantonale Gericht vom 27. August 1998 noch in
der Vernehmlassung vom 30. Juni 2000 zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde der
"Zürich" oder im Revisionsgesuch vom 29. Januar 2001 Beschwerden an der LWS
geltend gemacht.

3.4 Dem Gesuchsteller geht es im Wesentlichen darum, dass die
Adäquanzbeurteilung nicht - wie im Urteil vom 15. Dezember 2000 erfolgt -
nach den für psychische Unfallfolgen (BGE 115 V 138 ff. Erw. 6), sondern nach
den für Schleudertraumen und schleudertraumaähnliche Verletzungen der HWS
massgebenden Kriterien (BGE 117 V 367 Erw. 6a) vorgenommen wird. Er stützt
sich (unter Hinweis auf Peter Jäger, Darstellung und Kritik der neueren
Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zum adäquaten
Kausalzusammenhang beim Schleudertrauma der Halswirbelsäule, in: HAVE 2003 S.
292) dabei auf die mit Urteil W. vom 18. Juni 2002 (U 164/01, publiziert in
RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437) erfolgte und wiederholt bestätigte (unter anderem
Urteil A. vom 21. März 2003, U 335/02, auszugsweise wiedergegeben in:
Plädoyer 2003/3 S. 61 und HAVE 2003 S. 339) Präzisierung der Rechtsprechung
von BGE 123 V 98 ff. Abgesehen davon, dass das Haupturteil im vorliegenden
Verfahren bereits am 15. Dezember 2000 und damit vor den genannten
Entscheiden ergangen ist, vermöchte indessen nach dem Gesagten eine
möglicherweise unrichtige Würdigung der bereits im Hauptverfahren bekannt
gewesenen Tatsachen eine revisionsweise Neubeurteilung nicht zu begründen
(Erw. 3.1 hievor).

4.
4.1 Das Revisionsverfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario).
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens gehen die Kosten zu Lasten des
Gesuchstellers (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

4.2 Die obsiegende, durch einen Rechtsanwalt vertretene "Zürich" hat keinen
Anspruch auf Parteientschädigung, weil sie als eine mit öffentlichrechtlichen
Aufgaben betraute Organisation gehandelt hat (Art. 159 Abs. 2 OG) und kein
Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung vorliegt (BGE 119 V 456 Erw. 6b).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Gesuchsteller auferlegt und mit
dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden
und dem Bundesamt für Gesundheit, Abteilung Kranken- und Unfallversicherung,
zugestellt.

Luzern, 2. Juli 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: