Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 46/2004
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U 46/04

Urteil vom 7. Dezember 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Hofer

Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Mythenquai 2, 8002 Zürich,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Adelrich Friedli,
Stationsstrasse 66 A, 8907 Wettswil,

gegen

M.________, 1968, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Felix
Barmettler, Bahnhofstrasse 8, 6403 Küssnacht am Rigi,

Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz

(Entscheid vom 14. Januar 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1968 geborene M.________ war seit 1. Mai 1996 als Gouvernante im Hotel
W.________ tätig. In dieser Eigenschaft war sie bei der "Zürich"
Versicherungsgesellschaft (nachfolgend "Zürich") gegen Unfälle versichert. Am
14. Februar 2002 kam es anlässlich einer von der Polizei im Hotel W.________
durchgeführten Übung, bei welcher eine gesuchte Testperson festzunehmen war,
zu einem Zwischenfall. M.________, welche von der Übung nichts wusste, war
dabei, die Minibar der Hotelzimmer zu kontrollieren. Zu diesem Zweck klopfte
sie auch an die Zimmertür, in welcher die Testperson einquartiert war und
trat ein, nachdem sie keine Antwort erhalten hatte. Gemäss ihren Aussagen
stand sie daraufhin zwei schwarz maskierten Einsatzkräften mit Kampfmütze
gegenüber. Als sie das Zimmer reflexartig habe verlassen wollen, sei sie von
einer dritten Person daran gehindert und von einem der Maskierten an den
Handgelenken festgehalten worden. Dann sei sie ohnmächtig geworden und könne
daher nicht mehr genau sagen, was dann passiert sei. Nach den Angaben der
Polizei wurde M.________ von drei maskierten Polizeigrenadieren angesprochen,
worauf sie stark erschrocken sei. Nachdem das Missverständnis erkannt worden
sei, hätten sie die Masken abgenommen, den Polizeiausweis gezeigt und die
Situation erklärt. Seither leidet M.________ an psychischen Beschwerden und
geht keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Der von ihr gleichentags aufgesuchte
Dr. med. B.________ diagnostizierte gemäss Arztzeugnis vom 3. März 2002 eine
anhaltende (schwere) Angststörung nach psychischem Trauma. Wegen einer
Erschöpfungssymptomatik mit Angst, Traurigkeit, Schlaflosigkeit,
Nahrungsverweigerung, Gedankenkreisen und Gedankeneinengung wies Dr. med.
L.________ sie in die Klinik O.________ ein, wo sie vom 17. Februar bis 8.
März 2002 hospitalisiert war. Laut Bericht vom 10. April 2002
diagnostizierten die Ärzte eine akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0). Vom
20. August bis 26. Oktober 2002 hielt sich die Versicherte in der Klinik
R.________ auf. Dem Bericht der dortigen Ärzte vom 2. Dezember 2002 ist die
Diagnose einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 F43.1)
mit depressiver und psychotischer Verarbeitung und einer schweren depressiven
Episode mit psychotischen Symptomen (ICD-10 F32.3); DD: akute polymorphe
psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie (ICD-10 F23.1) zu
entnehmen. Mit Verfügung vom 27. März 2003 verneinte die "Zürich" das
Vorliegen eines Unfalles und lehnte den Anspruch auf Versicherungsleistungen
ab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 27. Juni 2003 fest.

B.
Die hiegegen von M.________ erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht
des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 14. Januar 2004 gut, indem es die Sache
im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung des Leistungsanspruchs an die
"Zürich" zurückwies.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die "Zürich" Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids und Bestätigung des Einspracheentscheids vom 27.
Juni 2003.

Das kantonale Gericht lässt sich in abweisendem Sinne vernehmen. Das
Bundesamt für Gesundheit und die CSS Versicherung als beigeladener
Krankenversicherer von M.________ verzichten auf eine Vernehmlassung. Ivka
Makrotic beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert
worden. In zeitlicher Hinsicht sind jedoch grundsätzlich diejenigen
Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1); dies ist vorliegend vor
dem 1. Januar 2003 geschehen, da das Schreckereignis vor diesem Datum erfolgt
ist und im Übrigen für die Zeit ab diesem Vorfall Leistungen verlangt werden.
Daran ändert nichts, dass der Einspracheentscheid der "Zürich" erst im Juni
2003 ergangen ist.

1.2 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Unfallbegriff (Art. 6
Abs. 1 UVG, Art. 9 Abs. 1 UVV [in der bis 31. Dezember 2002 in Kraft
gestandenen Fassung] sowie die Voraussetzungen, unter welchen ein
Schreckereignis den Unfallbegriff erfüllt (BGE 129 V 179 Erw. 2.1; RKUV 2000
Nr. U 365 S. 89) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

1.3 In BGE 129 V 180 Erw. 2.2 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
erwogen, zeichne sich der zu beurteilende Vorfall dadurch aus, dass die
versicherte Person keine Verletzungen des Körpers erlitten habe, bereite die
Frage Schwierigkeiten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Unfall
anzunehmen sei, wenn das Ereignis den Körper überhaupt nicht oder doch nur
unwesentlich verletze, hingegen derart wirke, dass es eine psychische Störung
verursache. Maurer (Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 184) mahne
unter Hinweis auf Piccard (in: Gelpke/Schlatter, Unfallkunde für Ärzte und
Juristen, 2. Aufl. Bern 1930, S. 23 ff.) zur Zurückhaltung und spreche
psychischen Affektionen, die weder die Folge einer plötzlichen schweren
Körperschädigung noch auch umgekehrt die unmittelbare Ursache einer solchen
seien, die Eigenschaft eines Unfalles im Rechtssinne ab. Ob bei Ereignissen,
bei denen weder die versicherte Person noch Drittpersonen verletzt oder
getötet werden, namentlich bei deliktischen Handlungen wie Raubüberfall,
Drohung, Erpressung etc. die bisherige Rechtsprechung zum Begriff des
Schreckereignisses modifiziert werden soll, hat das Gericht in diesem Urteil
offen gelassen. Ebenfalls offen gelassen hat es diese Frage wie auch, ob der
Vorfall als ausserordentliches Schreckereignis im Sinne der bisherigen
Rechtsprechung zu qualifizieren sei im Fall C. vom 19. März 2003 (U 15/00),
in welchem es um die Bedrohung mit einem Messer ging. Verneint hat das
Gericht das Vorliegen eines aussergewöhnlichen Ereignisses bei einer
Spitalangestellten, die sich an einer Spritze verletzte, welche vorher für
einen HIV-positiven Patienten mit Hepatitis C gebraucht worden war, wobei
sich herausstellte, dass der Vorfall keine Ansteckung mit dem Virus zur Folge
hatte (BGE 129 V 405 Erw. 3).

1.4 Im erwähnten BGE 129 V 177 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
festgehalten, dass der adäquate Kausalzusammenhang zwischen einem
Schreckereignis ohne körperliche Verletzungen und den nachfolgend
aufgetretenen psychischen Störungen nach der allgemeinen Adäquanzformel zu
beurteilen ist. Es verneinte bei einer Versicherten, die als
Spielsalonaufsicht überraschend nach Geschäftsschluss von einem vermummten
Mann mit der Pistole bedroht und zur Geldherausgabe gezwungen worden war, den
adäquaten Kausalzusammenhang. Von Bedeutung war dabei, dass ein solches
Ereignis nicht geeignet war, einen dauernden, erheblichen psychischen Schaden
mit anhaltender Erwerbsunfähigkeit zu verursachen. Das Gericht folgte dabei
der Auffassung des beteiligten Psychiaters, wonach die übliche und
einigermassen typische Reaktion auf einen solchen Überfall erfahrungsgemäss
darin bestehen dürfte, dass zwar eine Traumatisierung stattfindet, diese aber
vom Opfer in aller Regel innert einiger Wochen oder Monate überwunden wird.
Dieselben Überlegungen kamen auch im Urteil C. vom 19. März 2003 (U 15/00)
zur Anwendung, bei welchem es um eine erpresserische Drohung mit dem Messer
zur Eintreibung von Schulden ging. Obwohl dem Ereignis eine gewisse
Eindrücklichkeit nicht abzusprechen war, kam das Gericht zum Schluss, dass es
nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht geeignet ist, langjährige Angst-
und depressive Zustände auszulösen.

2.
Das kantonale Gericht ging davon aus, dass es sich beim Vorfall vom 14.
Februar 2002 um ein aussergewöhnliches und qualifiziertes Schreckereignis und
damit um einen Unfall im Sinne von Art. 9 Abs. 1 UVV handelt. Dieser stelle
unbesehen des detaillierten Geschehensablaufs ein Ereignis dar, das den
Rahmen von Situationen sprenge, welche bei einer objektiven Betrachtungsweise
als alltäglich oder gewöhnlich qualifiziert werden könnten und sei hiesigen
Realitäten und Vorstellungsvermögen weitgehend fremd. Die Versicherte habe
beim Anblick der maskierten Polizisten durchaus Anlass gehabt zu glauben, es
handle sich um Kriminelle, Terroristen oder - wie sie selber annahm -
Mafiosi. Das Ereignis sei daher von seiner Eindrücklichkeit und Heftigkeit
her geeignet gewesen, selbst einen gesunden Menschen (zumindest
vorübergehend) aus dem seelischen Gleichgewicht zu werfen. Die Vorinstanz
erachtete es zudem als nachvollziehbar, dass das Schreckereignis nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge eine (vorläufige) ganze oder teilweise
Arbeitsunfähigkeit bei der unmittelbar Betroffenen zur Folge hatte. Die
"Zürich" habe daher abzuklären, ob und allenfalls in welchem Zeitpunkt gemäss
dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung die
psychischen Folgen des Ereignisses vom 14. Februar 2002 als abgeklungen zu
gelten hätten und anschliessend über den Umfang des Anspruchs zu befinden.

3.
Auch angesichts des vorliegend zu beurteilenden Vorfalls, bei dem die
Beschwerdegegnerin - im Gegensatz etwa zum bereits erwähnten in BGE 129 V 402
publizierten Fall - keine Verletzungen des Körpers erlitten hat, bereitet die
Frage einmal mehr Schwierigkeiten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein
Unfall anzunehmen ist (vgl. Erw. 1.3).  Angesichts des professionellen
Vorgehens der Polizei ist das Ereignis als aussergewöhnlich zu qualifizieren.
Es löste denn auch verständlicherweise bei der Beschwerdegegnerin - welche
den vermeintlichen Angreifern wehrlos gegenüberstand - einen entsprechenden
psychischen Schock aus. Wie die Beschwerdeführerin indessen zu Recht
einwendet, gilt es den Zwischenfall vom 14. Februar 2002 in seiner Gesamtheit
zu würdigen. Dabei kommt es nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors an,
sondern auf diesen selber (BGE 129 V 180 Erw. 2.1). Auszugehen ist somit vom
augenfälligen Geschehensablauf. Zu diesem gehört, dass sich die Bedrohung
umgehend erkennbarerweise als zweifelsfrei unreal erwies. Damit verliert die
äussere Einwirkung massgebend an Heftigkeit und daher an der notwendigen
Eindeutigkeit ungewöhnlichen Geschehens, so dass ungewiss wird, ob sie
wirklich die Ursache der anhaltenden Störung des seelischen Gleichgewichts
war. Die Frage, ob das Schreckereignis die qualifizierten Merkmale aufweist,
um als Unfallereignis gelten zu können, braucht indessen auch im vorliegenden
Fall nicht abschliessend beurteilt zu werden, wie die nachfolgenden
Erwägungen zeigen (vgl. Erw. 4.2).

4.
4.1 Ob zwischen dem Vorfall vom 14. Februar 2002 und den nachfolgend
aufgetretenen psychischen Beschwerden ein natürlicher Kausalzusammenhang
besteht, hat die Vorinstanz nicht ausdrücklich geprüft. Weil die "Zürich" im
Einspracheentscheid vom 27. Juni 2003 in ihrer Eventualbegründung für den
Fall, dass von einem aussergewöhnlichen Schreckereignis auszugehen sei, den
natürlichen Kausalzusammenhang nicht in Frage gestellt hat, ging sie davon
aus, diese Frage sei nicht streitig. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
bestätigt die "Zürich", dass sie den natürlichen Kausalzusammenhang
stillschweigend bejaht habe. In den medizinischen Unterlagen werde diese
Frage zwar nicht ausdrücklich beantwortet, doch müsse aufgrund der gestellten
Diagnosen einer Angststörung nach psychischem Trauma (Bericht Dr. med.
B.________ vom 3. März 2002), einer akuten Belastungsreaktion (Bericht der
Klinik O.________ vom 10. April 2002) und einer posttraumatischen
Belastungsstörung mit depressiver und psychotischer Verarbeitung (Bericht der
Klinik R.________vom 2. Dezember 2002) davon ausgegangen werden, die Ärzte
hätten angenommen, dass die Gesundheitsstörung ohne das Ereignis vom 14.
Februar 2002 nicht, oder jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt eingetreten
wäre. Der Hausarzt Dr. med. L.________ ging demgegenüber ursprünglich von
einer Erschöpfungsdepression aus (Überweisungsscheiben vom 18. Februar 2002).
Eine Rückweisung der Sache zwecks Einholung eines medizinischen Gutachtens
erübrigt sich. Denn selbst wenn - auch aufgrund zusätzlicher Abklärungen -
der natürliche Kausalzusammenhang zu bejahen ist, fehlt es am adäquaten
Kausalzusammenhang, welcher nach Massgabe der allgemeinen Adäquanzformel zu
beurteilen ist (BGE 129 V 185 Erw. 4.2).
4.2 Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung
ist der Vorfall vom 14. Februar 2002 - unter Berücksichtigung der weiten
Bandbreite der Versicherten - nicht geeignet, eine psychische Störung mit
anhaltender vollständiger Erwerbsunfähigkeit herbeizuführen. Wer bloss einen
Moment lang einer vermeintlichen Gefahr ausgesetzt ist, kann sich
normalerweise vom Schreck rasch erholen, sobald er feststellt, dass die
Gefahr nur in seiner Vorstellung bestand. Es verhält sich somit anders als
bei einer wirklichen Gefahrenlage, die während längerer Zeit in der
Erinnerung haften bleibt und noch als schrecklich empfunden wird. Selbst wenn
das Schreckereignis als Unfall zu qualifizieren wäre, gebricht es somit an
der erforderlichen Voraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs, weshalb
die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin zu verneinen ist.

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der obsiegenden Beschwerdeführerin
wird keine Parteientschädigung zugesprochen, da sie als Unfallversichererin
eine öffentlich-rechtliche Aufgabe im Sinne von Art. 159 Abs. 2 OG wahrnimmt
und die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zusprechung einer Entschädigung
nicht gegeben sind (BGE 128 V 133 Erw. 5b, 123 V 309 Erw. 10, je mit
Hinweisen).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 14. Januar 2004 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der CSS Versicherung AG, Luzern, dem
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG)
zugestellt.

Luzern, 7. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: