Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 452/2004
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U 452/04

Urteil vom 20. Dezember 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Attinger

N._________, 1955, Beschwerdeführer, vertreten durch die Beratungsstelle für
Ausländer, Weinbergstrasse 147, 8006 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 11. November 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1955 geborene N._________ war seit März 1980 als Maschinist in der Firma
F.________ AG angestellt und bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen
und Berufskrankheiten versichert. Am 23. April 2001 erlitt er einen
Arbeitsunfall: Eine grosse, schwere Holzplatte kippte um und streifte ihn auf
der linken Schädelseite am Kopf, wo eine nicht blutende Schürfwunde sichtbar
wurde. Der Versicherte arbeitete am Unfalltag zunächst weiter und verliess
dann den Arbeitsplatz vorzeitig. Gleichentags suchte er seinen Hausarzt, den
Internisten Dr. K._________ auf, der bis 2. Mai 2001 eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit bescheinigte. Anschliessend nahm der Versicherte seine
körperlich anspruchsvolle Tätigkeit wieder uneingeschränkt auf und arbeitete
- unterbrochen durch den Bezug einer Ferienwoche - bis zum 30. Mai 2001. Ab
31. Mai 2001 attestierte Dr. K._________ wiederum eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit wegen eines zervikovertebralen und -zephalen Syndroms bei
einem Status nach "Schleudertrauma und Schädelkontusion am 23.4.01"
(Arztbericht vom 9. Juni 2001). In der Folge ging der Versicherte keiner
Erwerbstätigkeit mehr nach. Die SUVA kam für die Heilbehandlung auf (u.a.
zweimaliger stationärer Aufenthalt in der Klinik R._________ sowie
Hospitalisation in der Klinik G.________) und entrichtete Taggelder. Mit
Verfügung vom 26. August 2002 und Einspracheentscheid vom 2. Dezember 2003
sprach sie N._________ ab 1. September 2002 eine Invalidenrente von 13 % zu.
Im genannten Einspracheentscheid merkte die SUVA allerdings an, "dass keine
Unfallfolgen gegeben sind und der Versicherte eigentlich keinen Anspruch auf
weitere Versicherungsleistungen (mehr) hat".

B.
N._________ erhob gegen den Einspracheentscheid Beschwerde beim
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und beantragte, es sei ihm eine
70%ige (statt der 13%igen) Invalidenrente sowie eine Integritätsentschädigung
von mindestens 30 % zuzusprechen. Nachdem das kantonale Gericht den
Versicherten ausdrücklich auf die drohende Verschlechterung seiner Rechtslage
(reformatio in peius) sowie auf die Möglichkeit eines Rückzugs des
Rechtsmittels aufmerksam gemacht hatte, änderte es den streitigen
Einspracheentscheid in Abweisung der Beschwerde dahin gehend ab, dass
N._________ (auch) keine Invalidenrente zusteht (Entscheid vom 11. November
2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert N._________ seinen
vorinstanzlichen Antrag.

Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid die von der Rechtsprechung für
die Leistungspflicht des Unfallversicherers entwickelten Grundsätze über den
erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden, insbesondere bei Schleudertraumen
der Halswirbelsäule (wie auch bei schleudertraumaähnlichen Einwirkungen und
bei Vorliegen eines Schädel-Hirntraumas) sowie bei psychischen
Beeinträchtigungen nach Unfällen (BGE 129 V 181 ff. Erw. 3 und 4.1, 405 ff.
Erw. 2.2, 4.3 und 4.4, 127 V 102 Erw. 5b, 122 V 415, 119 V 335, 117 V 359,
115 V 133), zutreffend wiedergegeben.

Das kantonale Gericht hat überdies richtig dargelegt, dass die Beurteilung
der Adäquanz in denjenigen Fällen, in welchen die zum typischen
Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS (oder eines
Schädel-Hirntraumas) gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben
sind, im Vergleich zur vorliegenden ausgeprägten psychischen Problematik aber
ganz in den Hintergrund treten, anhand der für psychische Fehlentwicklungen
nach Unfällen geltenden Rechtsprechung (BGE 115 V 133) vorzunehmen ist (BGE
127 V 103 Erw. 5b/bb, 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

2.
Im vorinstanzlichen Entscheid wurde mit an sich nachvollziehbarer Begründung
dargelegt, dass aufgrund der Aktenlage nicht mit dem erforderlichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit von einer am 23. April 2001
erlittenen HWS-Distorsion, einer dem Schleudertrauma äquivalenten Verletzung
oder einem Schädel-Hirntrauma ausgegangen werden kann. Diese Frage braucht
indessen nicht abschliessend beantwortet zu werden. Selbst wenn einer dieser
Verletzungsmechanismen sowie der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfallereignis und den nach August 2001 verbliebenen, organisch nicht
(hinreichend) erklärbaren Beschwerden zu bejahen wären, ist - wie sich aus
den nachfolgenden Erwägungen ergibt - in jedem Fall die adäquate Kausalität
zu verneinen.

3.
Das kantonale Gericht hat die Adäquanz zu Recht anhand der Rechtsprechung zu
den psychischen Unfallfolgen geprüft (BGE 115 V 133), traten doch die zum
typischen ("bunten") Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS (oder
eines Schädel-Hirntraumas) zu zählenden Beeinträchtigungen im Vergleich zur
ausgeprägten psychischen Problematik des Versicherten schon bald völlig in
den Hintergrund (vgl. Erw. 1 hievor in fine; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437
[Urteil U 164/01]): So diagnostizierte Hausarzt Dr. K._________ in seinem
Bericht vom 9. Juni 2001, mithin bereits rund sieben Wochen nach dem
Arbeitsunfall u.a. eine panvertebrale Schmerzausdehnung, ein zunehmendes
neuropsychologisches Beschwerdebild sowie eine ebenfalls zunehmende
depressive Entwicklung mit somatoformen Störungen. Im Austrittsbericht der
Klinik R._________ vom 28. August 2001 war noch von einer "leichten bis
mittelschweren depressiven Episode" die Rede, während im Austrittsbericht
derselben Klinik vom 5. Juni 2002 eine weitere Verschlechterung des
depressiven Zustandsbilds festgestellt wurde, "so dass aktuell mindestens
eine mittelschwere depressive Episode zu diagnostizieren" sei, nebst einer
somatoformen Schmerzstörung. Die Ärzte der Klinik R._________ empfahlen im
zweiten Bericht eine stationäre Weiterbehandlung in der Psychiatrischen
Klinik X.________, während die ambulante Psychotherapie bei der Psychiaterin
Dr. E.________ bereits im fünften Monat nach dem Unfall angelaufen war. Auch
der Neurologe Dr. H.________ betonte in seiner Stellungnahme vom 19. Dezember
2002 die zentrale Rolle, welche der psychiatrischen Behandlung im
vorliegenden Fall zukommt. In den Berichten der behandelnden Psychiaterin Dr.
E.________ vom 22. Februar 2003 und der Klinik G.________ vom 20. Mai 2003
wurde dem Beschwerdeführer eine "schwere" depressive Episode bescheinigt.
Anlässlich der psychiatrischen Untersuchung durch Dr. M.________ vom 15.
September 2003 erschien der Versicherte "wie ein Moribunder" und war affektiv
weder fassbar noch erreichbar; seine Verhaltensweisen erinnerten teilweise an
ein Ganser-Syndrom (Bericht vom 21. September 2003). Aufgrund der gesamten
medizinischen Akten kam der psychischen Problematik schon praktisch
unmittelbar nach dem Unfall, spätestens aber mit der vollständigen
Einstellung jeglicher Erwerbstätigkeit ab 31. Mai 2001 eindeutige Dominanz
zu. Damit konnten die physischen Beschwerden auch im Verlaufe der ganzen
Entwicklung vom Unfallereignis bis zum Beurteilungszeitpunkt (Verfügung der
SUVA vom 26. August 2002/ Einspracheentscheid vom 2. Dezember 2003)
gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.

4.
Im Rahmen der Adäquanzbeurteilung nach BGE 115 V 133 und seitheriger
Rechtsprechung ist eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen
Komponenten der unfallbezogenen Merkmale vorzunehmen und Letztere sind in
diesem Zusammenhang ausser Acht zu lassen (BGE 117 V 367 Erw. 6a in fine; SVR
2003 UV Nr. 12 S. 36 Erw. 3.2.3: vgl. BGE 129 V 184 Erw. 4.1, 407 Erw. 4.4.1,
115 V 140 Erw. 6c/aa, 409 Erw. 5c/aa). Unter dem angeführten Blickwinkel
ergibt sich ohne weiteres, dass im Falle des Beschwerdeführers keines der
heranzuziehenden Adäquanzkriterien erfüllt wird. Es kann diesbezüglich
vollumfänglich auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid
verwiesen werden.

Nach dem Gesagten ist die adäquate Kausalität und demzufolge jeglicher
Leistungsanspruch ab 1. September 2002 selbst dann zu verneinen, wenn das
Unfallereignis vom 23. April 2001 nicht als Bagatellunfall betrachtet,
sondern dem Bereich der mittelschweren Unfälle zugerechnet wird.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 20. Dezember 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: