Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 432/2004
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U 432/04

Urteil vom 4. April 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber
Flückiger

N.________, 1952, Beschwerdeführer, vertreten durch die DAS
Rechtsschutz-Versicherung, Seilerstrasse 24, 3001 Bern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 2. November 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1952 geborene N.________ war seit 1978 als Bauarbeiter/Kranführer bei der
Firma S.________ AG, Bauunternehmung, angestellt und damit bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die
Folgen von Unfall und Berufskrankheit versichert. Am 21. Januar 2002 erlitt
er einen Arbeitsunfall, indem er von einem schweren umstürzenden
Schalungselement im Bereich der linken Flanke und des Kreuzes getroffen
wurde. Dabei zog er sich gemäss Arztzeugnis UVG des am Unfalltag aufgesuchten
Dr. med. F.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 22. März 2002 ein
Quetschtrauma im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) und des Beckens zu. In
der Folge nahm er die Arbeit nicht mehr auf. Die SUVA holte weitere Berichte
des Dr. med. F.________ vom 15. April und 26. August 2002 ein und veranlasste
Untersuchungen durch den Kreisarzt Dr. med. L.________ (am 16. April, 24.
Juli und 11. September 2002) sowie einen Aufenthalt in der Klinik X.________,
der vom 22. Mai bis 26. Juni 2002 dauerte. In der Folge stellte sie - nach
Einholung einer Stellungnahme des Dr. med. L.________ vom 21. November 2002
zum Integritätsschaden sowie von Angaben der Arbeitgeberin - die Heilkosten-
und Taggeldleistungen per 31. Januar 2003 ein (Schreiben vom 29. November
2002) und sprach dem Versicherten mit Verfügung vom 20. Dezember 2002 eine
Invalidenrente auf Grund einer Erwerbsunfähigkeit von 13% für die Zeit ab 1.
Februar 2003 sowie eine Integritätsentschädigung für eine Integritätseinbusse
von 5% zu. Daran hielt die Anstalt auf Einsprache hin mit Entscheid vom 13.
Februar 2004 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
ab (Entscheid vom 2. November 2004). Im Verlauf des Rechtsmittelverfahrens
hatte der Versicherte das der Eidgenössischen Invalidenversicherung
erstattete Gutachten von Frau Dr. med. E.________, Neurochirurgie FMH, vom
16. Dezember 2003 und von Dr. med. H.________, Psychiatrie und Psychotherapie
FMH, vom 18. Dezember 2003 einreichen lassen.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt N.________ das Rechtsbegehren
stellen, es sei ihm eine Invalidenrente auf der Basis einer
Erwerbsunfähigkeit von 60% sowie "die gesetzliche Integritätsentschädigung"
zuzusprechen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den für die
Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers vorausgesetzten
natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und eingetretenem
Schaden (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, 119 V 338 Erw. 1, 118 V 289
Erw. 1b) sowie die überdies erforderliche Adäquanz des Kausalzusammenhangs im
Allgemeinen (BGE 129 V 181 Erw. 3.2, 405 Erw. 2.2, 125 V 461 Erw. 5a mit
Hinweisen) und bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 127 V 103 Erw.
5b/bb, 115 V 133 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Das
Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG), welches mit Bezug auf den Zeitraum ab
seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2003 anwendbar ist (BGE 130 V 445 ff. Erw.
1), hat diesbezüglich zu keiner Änderung der Rechtslage geführt. Richtig sind
auch die vorinstanzlichen Erwägungen zum Anspruch auf eine Invalidenrente
(Art. 18 Abs. 1 und 2 UVG in Verbindung mit Art. 8 ATSG) und zur Ermittlung
des Invaliditätsgrades nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG;
BGE 129 V 472, 126 V 75) sowie zur Integritätsentschädigung (Art. 24 f. UVG,
Art. 36 UVV).

2.
Was die somatischen Unfallfolgen anbetrifft, gelangte das kantonale Gericht
gestützt auf die Berichte und Stellungnahmen des Dr. med. F.________, der
Klinik X.________, des Dr. med. L.________ sowie das Gutachten von Frau Dr.
med. E.________ zum Ergebnis, dem Beschwerdeführer sei unter diesem Aspekt
eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit mit Wechselbelastung ganztägig
zumutbar. Dieser Einschätzung ist beizupflichten. Die genannten Berichte
werden den rechtsprechungsgemässen Anforderungen an beweiskräftige
medizinische Stellungnahmen (BGE 125 V 352 Erw. 3a) gerecht und aus den Akten
ergibt sich kein Anlass, die weitgehend übereinstimmenden Ergebnisse in Frage
zu stellen. Der vorinstanzliche Entscheid wird diesbezüglich auch in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht beanstandet.

3.
Was die psychische Komponente anbelangt, hat es die Vorinstanz abgelehnt,
eine daraus resultierende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu
berücksichtigen, da insoweit die Adäquanz des Kausalzusammenhangs nicht
gegeben sei. Der Beschwerdeführer geht demgegenüber von einer Bejahung der
Adäquanz aus.

3.1 Über den Hergang des Unfalls vom 21. Januar 2002 ist den Akten zu
entnehmen, dass der Versicherte ein 414 kg schweres, je 265 cm hohes und
breites Schalungselement mit einem Kran anheben wollte. Da das Element nicht
gesichert war, kippte es jedoch in Richtung des Beschwerdeführers. Dieser
versuchte wegzurennen, wurde jedoch im Bereich der linken Flanke bzw. des
Kreuzes getroffen. Der weitere Sturz des Elementes wurde gestoppt, weil es
auf einen Holzstapel fiel. Der Versicherte arbeitete nach diesem Vorfall
zunächst rund drei Stunden lang weiter und suchte dann Dr. med. F.________
auf, der unter anderem eine massivste Druckdolenz der LWS paravertebral mit
Schürfmarken links über dem Beckenkamm feststellte und ein Quetschtrauma
LWS/Becken diagnostizierte. Das erstellte Röntgenbild ergab keine Fraktur der
Wirbelkörper.

Auf Grund des augenfälligen Geschehensablaufs und der erlittenen Verletzungen
sowie mit Blick auf die entsprechende Praxis (RKUV 1999 Nr. U 330 S. 122 f.
Erw. 4b/bb) ist dieses Ereignis im Rahmen der rechtsprechungsgemäss
vorzunehmenden Kategorisierung (BGE 115 V 138 Erw. 6) als mittelschwerer
Unfall zu qualifizieren, wobei er innerhalb dieser Gruppe nicht zu den
schwereren gehört. Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diese
Einstufung erhobenen Einwände überzeugen nicht. Denn im Rahmen der Einteilung
der Unfälle ist vom objektiv fassbaren Unfallereignis und nicht vom
subjektiven Unfallerlebnis auszugehen (BGE 115 V 139 oben Erw. 6; Urteil P.
vom 7. August 2003, U 290/02, Erw. 4.3 und 4.4). Die Adäquanz des
Kausalzusammenhangs ist somit zu bejahen, wenn eines der massgebenden
unfallbezogenen Kriterien (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa) in besonders
ausgeprägter Weise gegeben ist oder mehrere Kriterien erfüllt sind (BGE 115 V
140 f. Erw. 6c/bb).

3.2 Laut den medizinischen Akten zog sich der Beschwerdeführer ein
Quetschtrauma im Bereich LWS/Becken zu. Die Heilung dieser Verletzungen,
welche weder besonders schwer waren noch auf Grund ihrer Art speziell
geeignet sind, eine psychische Fehlverarbeitung hervorzurufen, begegnete aus
rein somatischer Sicht keinen aussergewöhnlichen Schwierigkeiten. Die
aufgetretenen Komplikationen haben ihren Grund nach Lage der Akten in der
psychischen Fehlverarbeitung, welche bei der Beurteilung der Kriterien
ausgeklammert werden muss. So äusserte Dr. med. F.________ bereits im
Arztzeugnis UVG vom 22. März 2002 und noch deutlicher in seinem Bericht vom
15. April 2002 den Verdacht auf eine Schmerzverarbeitungsstörung. Die
weiteren Untersuchungen bestätigten das weitgehende Fehlen unfallbedingter,
organisch nachweisbarer Befunde, welche die fortbestehenden Beschwerden
erklären könnten. Unter diesen Umständen ist auch das Kriterium des
erheblichen Grades und der langen Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllt
(vgl. dazu RKUV 2001 Nr. U 442 S. 544). Körperliche Dauerschmerzen könnten
nach Ansicht von Dr. med. L.________ (Stellungnahme zum Integritätsschaden
vom 21. November 2002) in relativ geringem Mass auch unter Ausklammerung der
psychischen Anteile vorliegen, sodass allenfalls dieses Kriterium, jedoch
wenig ausgeprägt, gegeben ist. Unter diesen Umständen wäre die Adäquanz
selbst dann zu verneinen, wenn angesichts eines auf einen Menschen
zustürzenden, je 265 cm hohen und breiten, mehr als 400 kg schweren
Gegenstandes das Merkmal der besonderen Eindrücklichkeit als erfüllt
angesehen würde. Denn auch dieses Kriterium liegt jedenfalls nicht in derart
ausgeprägter Weise vor, dass sich die Adäquanz bejahen liesse. Da somit die
unfallbezogenen Kriterien nicht in der praxisgemäss erforderlichen Weise
erfüllt sind, hat die psychische Fehlverarbeitung bei der
Anspruchsbeurteilung ausser Betracht zu bleiben, und es können nur die
somatischen Komponenten berücksichtigt werden.

4.
4.1 Das der Bestimmung des Invaliditätsgrades im Zeitpunkt des Rentenbeginns
(BGE 129 V 223 f. Erw. 4) am 1. Februar 2003 zu Grunde zu legende
Valideneinkommen haben Vorinstanz und SUVA gestützt auf die Angaben der
Arbeitgeberin vom 11. November 2002 auf Fr. 59'831.- festgesetzt. Dieser Wert
wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht nicht beanstandet.

4.2 Für die Ermittlung des Invalideneinkommens ist vom bereits
wiedergegebenen Zumutbarkeitsprofil auszugehen, laut welchem der
Beschwerdeführer eine leichte bis mittelschwere, wechselbelastende Tätigkeit
ganztägig ausüben könnte. Da die von der SUVA beigezogenen Angaben aus der
Dokumentation von Arbeitsplätzen (DAP) den rechtsprechungsgemässen
Anforderungen (BGE 129 V 480 Erw. 4.2.2) nicht gerecht werden, hat die
Vorinstanz korrekterweise auf die Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE)
2002 abgestellt. Ausgehend vom Zentralwert des standardisierten monatlichen
Einkommens der im privaten Sektor mit einfachen und repetitiven Tätigkeiten
beschäftigten Männer von Fr. 4557.- (Tabelle A1, S. 43), nach Anpassung an
die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 41.7 Stunden (vgl. Die
Volkswirtschaft 3/2005, S. 94 Tabelle B9.2) sowie unter Berücksichtigung der
allgemeinen Lohnentwicklung von 2002 auf 2003 (+ 1.4%; Die Volkswirtschaft
3/2005 S. 95 Tabelle B10.2) resultierte ein Jahreslohn von Fr. 57'807.-.
Entgegen der Argumentation in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bietet die
gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers keinen hinreichenden Anlass,
das Invalideneinkommen unter Beschränkung auf den Dienstleistungssektor
festzusetzen. Vielmehr entspricht es der Praxis, in Fällen mit einem
vergleichbaren Zumutbarkeitsprofil auf die Lohnverhältnisse im gesamten
privaten Sektor abzustellen (Urteile Urteile E. vom 15. Dezember 2003 [I
573/01] Erw. 3.2.4.2, G. vom 12. Februar 2003 [I 366/01] Erw. 4, L. vom 19.
Oktober 2001 [I 289/01] Erw. 3c und K. vom 7. August 2001 [U 240/99], Erw.
3c/cc).

Einer als Folge der Behinderung sowie allfälliger weiterer lohnmindernder
Faktoren zu erwartenden Lohneinbusse kann durch die Vornahme eines
prozentualen Abzugs vom Tabellenwert Rechnung getragen werden (dazu BGE 129 V
481 Erw. 4.2.3, 126 V 78 ff. Erw. 5; AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc). Der durch
SUVA und Vorinstanz berücksichtigte Abzug von 10% ist auf Grund der
gesundheitlichen Situation und in Anbetracht der weiteren Umstände - bei
Rentenbeginn 50-jähriger Versicherter mit Niederlassungsbewilligung und
25-jähriger, auf den Baubereich beschränkter Tätigkeit in der Schweiz - nicht
zu beanstanden (vgl. zur Bemessung des Abzugs BGE 126 V 79 f. Erw. 5b und zu
deren Überprüfung im Rechtsmittelverfahren BGE 126 V 81 Erw. 6).

5.
Die SUVA hat dem Beschwerdeführer mit dem vorinstanzlich bestätigten
Einspracheentscheid vom 13. Februar 2004 eine Integritätsentschädigung von 5%
zugesprochen.

5.1 Gestützt auf Art. 25 Abs. 2 UVG und Art. 36 Abs. 2 UVV hat der Bundesrat
im Anhang 3 zur UVV Richtwerte für die Bemessung häufig vorkommender
Integritätsschäden aufgestellt. In Weiterentwicklung der bundesrätlichen
Skala hat die SUVA Feinraster in tabellarischer Form erarbeitet. Soweit diese
lediglich Richtwerte enthalten, mit denen die Gleichbehandlung der
Versicherten gewährleistet werden soll, sind sie mit Anhang 3 zur UVV
vereinbar (BGE 124 V 32 Erw. 1c mit Hinweisen). Tabelle 7 bezieht sich auf
den Integritätsschaden bei Wirbelsäulenaffektionen.

5.2 SUVA-Kreisarzt Dr. med. L.________ nahm am 21. November 2002 zum
Integritätsschaden Stellung. Er erklärte, es sei von einem lumbospondylogenen
Schmerzsyndrom gemäss Schmerzfunktionsskala 1+ (mässige
Beanspruchungsschmerzen) oder 2++ (geringe Dauerschmerzen bei Belastung
verstärkt, auch in Ruhe) der erwähnten Tabelle 7 auszugehen, und am ehesten
gerechtfertigt sei ein Vergleich mit einer Osteochondrose. Gestützt auf diese
medizinische Einschätzung und ausgehend von den für eine Osteochondrose
gegebenen Tabellenwerten von 0-5 respektive 5-10 setzte die SUVA die
Integritätseinbusse auf 5% fest, was das kantonale Gericht bestätigte. Dies
ist nach Lage der Akten nicht zu beanstanden. Die psychische Beeinträchtigung
kann wegen fehlender Adäquanz des Kausalzusammenhangs auch bei der Bemessung
der Integritätsentschädigung nicht berücksichtigt werden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 4. April 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: