Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 383/2004
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U 383/04

Urteil vom 17. August 2005

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari,
Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber
Krähenbühl

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Birmensdorferstrasse 94, 8024
Zürich, Beschwerdeführerin,

gegen

B.________, 1934, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Markus Schmid,
Steinenschanze 6, 4051 Basel

Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal

(Entscheid vom 19. Mai 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 8. Dezember 2003 und Einspracheentscheid vom 9. Januar 2004
lehnte es die Helsana Versicherungen AG ab, ihrem Versicherten B.________ auf
den gemäss Verfügung vom 11. November 2003 für die Zeit ab 1. März 1992 bis
31. Januar 1999 zugesprochenen Taggeldern und den seit 1. Februar 1999
aufgelaufenen Rentenbetreffnissen, welche alle am 14. November 2003 zur
Auszahlung gelangten, die geltend gemachten und mit Fr. 16'963.75 bezifferten
Verzugszinsen zu gewähren.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft
mit Entscheid vom 19. Mai 2004 gut, indem es den angefochtenen
Einspracheentscheid aufhob und die Helsana anwies, über den dem
Beschwerdeführer zustehenden Verzugszins im Sinne der Erwägungen, d.h. nach
Erstellung einer Verzugszinsberechnung, neu zu verfügen.

C.
Die Helsana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren um Aufhebung
des kantonalen Entscheids und Bestätigung ihres Einspracheentscheids vom 9.
Januar 2004. Als Eventualantrag führt sie aus, sollte der vorinstanzliche
Entscheid bestätigt werden, sei bei der Berechnung der Verzugszinsen die von
den Unfallversicherern befürwortete Methode zur Anwendung zu bringen.

B. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen,
soweit darauf einzutreten ist. Das Bundesamt für Gesundheit trägt ebenfalls
auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Nach
Art. 26 Abs. 1 ATSG sind für fällige Beitragsforderungen und
Beitragsrückerstattungsansprüche Verzugs- und Vergütungszinsen zu leisten
(Satz 1); der Bundesrat kann für geringe Beträge und kurzfristige Ausstände
Ausnahmen vorsehen (Satz 2). Sofern die versicherte Person ihrer
Mitwirkungspflicht vollumgänglich nachgekommen ist, werden die
Sozialversicherungen laut Abs. 2 derselben Bestimmung für ihre Leistungen
nach Ablauf von 24 Monaten nach der Entstehung des Anspruchs, frühestens aber
12 Monate nach dessen Geltendmachung verzugszinspflichtig.

1.2 Nach der bis zum In-Kraft-Treten des ATSG geltenden Rechtsprechung wurden
im Bereich der Sozialversicherung grundsätzlich keine Verzugszinsen
geschuldet, sofern sie nicht ausdrücklich gesetzlich vorgesehen waren. Nur
ausnahmsweise hat das Eidgenössische Versicherungsgericht Verzugszinsen
zugesprochen, wenn "besondere Umstände" vorlagen. Solche Umstände erachtete
das Gericht als gegeben bei widerrechtlichen oder trölerischen Machenschaften
der Verwaltungsorgane. Die Verzugszinspflicht setzte im Übrigen neben der
Rechtswidrigkeit auch ein schuldhaftes Verhalten der Verwaltung voraus. Dabei
hat es das Gericht abgelehnt, die Verzugszinspflicht generell für bestimmte
Gruppen von Fällen (etwa gerichtlich festgestellte Rechtsverzögerungen) zu
bejahen. Wegleitend dafür war die Überlegung, dass die Auferlegung von
Verzugszinsen im Sozialversicherungsrecht nur ausnahmsweise und in
Einzelfällen gerechtfertigt ist, bei denen das Rechtsempfinden in besonderer
Weise berührt wird (vgl. BGE 130 V 334 Erw. 6.1, 127 V 446 Erw. 4, 119 V 81
Erw. 3a, je mit Hinweisen).

1.3 Art. 82 Abs. 1 ATSG sieht unter anderem vor, dass materielle Bestimmungen
dieses Gesetzes auf die bei seinem In-Kraft-Treten laufenden Leistungen und
festgesetzten Forderungen nicht anwendbar sind (Satz 1). Wie das
Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 130 V 329 erkannt hat, kann aus
dieser Bestimmung nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass für die
Anwendbarkeit materieller Bestimmungen des neuen Gesetzes bezüglich im
Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens (1. Januar 2003) noch nicht festgesetzter
Leistungen der Verfügungszeitpunkt massgebend ist; abgesehen von den in Abs.
1 Satz 2 der Übergangsbestimmung spezifisch normierten Tatbeständen hat man
sich nach den übergangsrechtlichen Grundsätzen zu richten, welche für den
Fall einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen die Rechtssätze anwendbar
erklären, die bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts
galten (BGE 130 V 332 f. Erw. 2.2 und 2.3).

2.
Der rechtlich massgebende Sachverhalt, von welchem ein allfälliger Anspruch
auf Verzugszinsen auf den am 14. November 2003 ausbezahlten Taggeld- und
Renten-Nachzahlungen abhängt, hat sich teilweise vor und teilweise nach dem
In-Kraft-Treten des ATSG verwirklicht. Für den Zeitraum bis 31. Dezember 2002
erfolgt die Prüfung der materiellen Anspruchsvoraussetzungen daher nach den
in Erw. 1.2 hievor dargelegten Grundsätzen (vgl. dazu insbesondere BGE 119 V
81 Erw. 3a). Für die Zeit danach (ab 1. Januar bis 14. November 2003) stützt
sich die Beurteilung hingegen auf die Bestimmung von Art. 26 Abs. 2 ATSG
(vgl. BGE 130 V 334 Erw. 6 Ingress).

2.1 Was die Zeit bis 31. Dezember 2002 anbelangt, war die Beschwerde führende
Versicherungsgesellschaft zunächst der Ansicht, dem Versicherten keine
Leistungen zu schulden, was schliesslich sogar zur gerichtlichen Beurteilung
gelangte. Obschon das damalige Versicherungsgericht des Kantons
Basel-Landschaft (heute: Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht) mit Entscheid vom 19. August 1998 und anschliessend
das Eidgenössische Versicherungsgericht - letztinstanzlich - mit Urteil vom
18. Mai 2001 (U 107/99) die Betrachtungsweise des Unfallversicherers
verwarfen und zum Schluss gelangten, dass dem Versicherten ein Anspruch auf
Taggeld- und Rentenleistungen zustehe, kann nicht gesagt werden, dass die
Auffassung des Versicherers nicht vertretbar und die durchgeführten
Gerichtsverfahren daher für ihn von vornherein aussichtslos gewesen wären,
sodass das Beharren auf seinem Standpunkt als trölerisches oder gar
widerrechtliches Verhalten qualifiziert werden müsste. Nach Erlass des
letztinstanzlichen Urteils am 18. Mai 2001 dauerte es auch nicht unangemessen
lange, bis die noch notwendigen Abklärungen durchgeführt und die geschuldeten
Leistungen ermittelt worden waren und schliesslich am 11. November 2003
darüber auch verfügt wurde. Nach der bis 31. Dezember 2002 massgebend
gewesenen Rechtsprechung (Erw. 1.2 hievor) waren die Voraussetzungen für die
Zusprechung von Verzugszinsen demnach nicht erfüllt.

2.2 Zutreffend ist die vorinstanzliche Feststellung, dass ab 1. Januar 2003
auf Grund des auf diesen Zeitpunkt in Kraft gesetzten Art. 26 Abs. 2 ATSG
Verzugszinsen geschuldet sind. Entgegen der Argumentation der Beschwerde
führenden Versicherungsgesellschaft beginnen diese nicht erst nach Ablauf von
24 Monaten seit dem In-Kraft-Treten des ATSG am 1. Januar 2003 zu laufen.
Vielmehr ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass die Verzugszinspflicht ab
1. Januar 2003 für alle Leistungen gilt, sofern die Voraussetzungen gemäss
Art. 26 Abs. 2 ATSG erfüllt sind. Art. 26 Abs. 2 ATSG knüpft für die
Bestimmung des Beginns des Verzugszinsanspruchs an den Zeitpunkt der
Entstehung des Leistungsanspruchs an (vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, N 18 zu
Art. 26). Damit wollte der Gesetzgeber erreichen, dass Versicherte während
der teils sehr langen Dauer, welche mitunter für die Abklärung des
Leistungsanspruchs benötigt wird und unter Umständen bis zu dessen
rechtskräftigen Festsetzung in einem oder mehreren gerichtlichen Verfahren
verstreicht, zumindest in Form eines Verzugszinses - nach Ablauf von 24
Monaten - einen gewissen Schadensausgleich erhalten (BBl 1991 II 258, 1999
4579 f.; vgl. dazu Kieser, a.a.O., N 1, 16 und 19 zu Art. 26). Auch sollte
damit der gegenüber der früheren Gerichtspraxis verschiedentlich geäusserten
Kritik begegnet werden (BBl 1999 4579; vgl. Kieser, a.a.O., N 4 f. zu Art.
26).

Entsprechend der mit Art. 26 Abs. 2 ATSG verfolgten Zielsetzung sind
Verzugszinsen demnach ab 1. Januar 2003 auf sämtlichen Leistungen geschuldet,
auf welche am 1. Januar 2003 bereits seit mindestens 24 Monaten ein Anspruch
besteht (vgl. Kieser, a.a.O., N 19 f. zu Art. 26). Es betrifft dies im
vorliegenden Fall einerseits sämtliche Taggelder (abzüglich allfälliger
Akontozahlungen) sowie andererseits die für die Zeit bis 31. Dezember 2000
geschuldeten Rentenbetreffnisse. Da der Versicherte seit 1999 Anspruch auf
eine monatlich im Voraus zahlbare Invalidenrente hat, sind auch die
jeweiligen Rentenbetreffnisse für die Zeit nach dem 31. Dezember 2000 ab dem
Zeitpunkt zu verzinsen, in welchem die seit Anspruchsbeginn verstrichene
Zeitspanne 24 Monate erreicht hat (vgl. Kieser, a.a.O., N 20 zu Art. 26).
Eine Rückwirkung des Gesetzes - wie von der Beschwerdeführerin befürchtet -
ist damit nicht verbunden, wird eine solche doch bereits dadurch
ausgeschlossen, dass für die Zeit vor dem 1. Januar 2003 kein Verzugszins
geschuldet ist (Kieser, a.a.O., N 26 zu Art. 26; vgl. auch Satz 2 von Rz
10512 der vom Bundesamt für Sozialversicherung [BSV] herausgegebenen
Wegleitung über die Renten [RWL, in der seit 1. Januar 2003 geltenden
Fassung]).

3.
Nachdem die Beschwerdeführerin die Verzugszinspflicht schon grundsätzlich
verneint hat, wurde von ihr auch keine Verzugszinsberechnung durchgeführt. Um
dies nachzuholen, hat die Vorinstanz die Sache im angefochtenen Entscheid an
den Unfallversicherer zurückgewiesen. Soweit sich das kantonale Gericht zu
unterschiedlichen Methoden der Verzugszinsberechnung, nämlich einerseits zu
der vom BSV - vornehmlich für den AHV/IV-Bereich - empfohlenen und
andererseits zu der offenbar von einigen Unfallversicherern angewendeten
Variante äussert, ohne festzulegen, welcher derselben im konkreten Fall der
Vorzug zu geben ist, bleibt es der Beschwerdeführerin anheim gestellt, einen
diesbezüglichen Entscheid zu treffen. Da darüber noch gar nie verfügt worden
ist, fehlte es im kantonalen Beschwerdeverfahren an einem Anfechtungsobjekt
und damit an einer unabdingbaren Sachurteilsvoraussetzung, sodass sich das
vorinstanzliche Vorgehen nicht beanstanden lässt. Es liegt demnach zunächst
an der Beschwerdeführerin, darüber zu befinden, wie die Verzugszinsen im
konkreten Fall zu berechnen sind, und eine entsprechende - wiederum
anfechtbare - Verfügung zu erlassen. Soweit in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde als Eventualantrag sinngemäss eine Feststellung
des Inhalts verlangt wird, dass die "Berechnungsmethode der
Unfallversicherer" zur Anwendung gelangt, kann darauf im jetzigen
Verfahrensstadium nicht eingetreten werden.

4.
Für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht sind keine
Gerichtskosten zu erheben, da nach der Rechtsprechung eine Streitigkeit über
Versicherungsleistungen vorliegt (Art. 134 OG; BGE 101 V 117 Erw. 2; in ZAK
1990 S. 41 nicht veröffentliche Erw. 2). Der von der Beschwerdeführerin
geleistete Kostenvorschuss wird daher zurückerstattet.

Entsprechend dem Verfahrensausgang steht dem anwaltlich vertretenen
Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu, welche vom unterliegenden
Unfallversicherer zu zahlen ist (Art. 159 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135
OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1'400.- wird der Helsana
Versicherungen AG zurückerstattet.

4.
Die Helsana Versicherungen AG hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung
(einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 1'000.- zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG)
zugestellt.

Luzern, 17. August 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: