Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 335/2004
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U 335/04

Urteil vom 22. Februar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Fessler

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

Firma X.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur.
André Schlatter, Oberer Graben 26, 9000 St. Gallen,

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 30. Juni 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1957 geborene P.________ war seit 1. Juli 1997 der Ausgleichskasse des
Kantons Thurgau als Selbstständigerwerbender im Bereich «Textilan- und
-verkauf/Versicherungsvermittlungen» angeschlossen. In der
Erfassungsbestätigung vom 15. August 1997 wurde darauf hingewiesen, dies
bedeute jedoch nicht, dass alle Erwerbseinkünfte in selbstständiger Stellung
erzielt würden. Vielmehr müsse im Einzelfall geprüft werden, ob eine
selbstständige Tätigkeit vorliege. Somit könne er für eine allenfalls
zusätzlich ausgeübte Tätigkeit als Arbeitnehmer gelten. Ab 2000 war
P.________ für die Firma  X.________ mit Sitz in Y.________ tätig. Er
arbeitete als Unterakkordant in der Montage und Demontage von Messeständen.
Der Betrieb war der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
unterstellt.

Im Januar 2003 ersuchte P.________ die Ausgleichskasse unter Hinweis darauf,
seit ungefähr drei Jahren als freischaffender Monteur zu arbeiten, um
entsprechende Änderung der Registrierung als Selbstständigerwerbender. In der
Folge klärte die SUVA die sozialversicherungsrechtliche Stellung von
P.________ in Bezug auf die Tätigkeit für die Firma X.________ ab. Mit
Schreiben vom 4. Juli 2003 teilte die Anstalt der Firma mit, es liege
unselbstständige Erwerbstätigkeit vor. P.________ sei als Arbeitnehmer der
Firma X.________ zu betrachten. Dem Schreiben beigelegt war die als
Beitragsverfügung bezeichnete und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene
Prämienrechnung vom 3. Juli 2003 für die Berufs- und
Nichtberufsunfallversicherung für 2000 in der Höhe von Fr. 2454.50. Eine
Kopie der Rechnung mit dem Hinweis auf sein Einspracherecht wurde auch
P.________ zugestellt. Von dieser Möglichkeit machte er indessen nicht
Gebrauch. Auf Einsprache der Firma X.________ hin bestätigte die SUVA mit
Entscheid vom 6. Oktober 2003 den Status von P.________ als Arbeitnehmer der
Firma sowie die Höhe der in Rechnung gestellten Prämienforderung für 2000.

B.
Die Firma X.________ liess beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
Beschwerde einreichen und beantragen, der Einspracheentscheid vom 6. Oktober
2003 und die Prämienrechnung vom 3. Juli 2003 seien aufzuheben.
Die SUVA schloss auf Abweisung des Rechtsmittels.
Das kantonale Gericht führte eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im
Weitern vernahm sie P.________ sowie den Geschäftsführer der Firma als Zeugen
ein.
Mit Entscheid vom 30. Juni 2004 hiess das thurgauische Verwaltungsgericht die
Beschwerde gut.

C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.
Die Firma X.________ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beantragen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

P. ________ hat sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitgegenstand bildet die vom kantonalen Gericht aufgehobene
Prämienforderung der SUVA vom 3. Juli 2003 für die Berufs- und
Nichtberufsunfallversicherung von P.________ für 2000. Dabei stellt sich in
erster Linie die Frage, ob der Genannte in Bezug auf seine Tätigkeit für die
Beschwerdegegnerin (Montage und Demontage von Messestandbauten) als
Arbeitnehmer im Sinne von Art. 1 UVV (in der bis 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Fassung) zu betrachten ist.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ist nicht anwendbar
(BGE 130 V 332 f. Erw. 2.2 und 2.3; Urteil S. vom 5. Mai 2004 [C 51/04] Erw.
1).

2.
2.1 Im angefochtenen Entscheid wird der Begriff des Arbeitnehmers nach alt
Art. 1 UVV zutreffend dargelegt (vgl. BGE 123 V 163 Erw. 1, 115 V 55 sowie
RKUV 1999 Nr. U 329 S. 120 Erw. 2; vgl. auch RKUV 1998 S. 72 und 87). Darauf
wird verwiesen.

2.2
2.2.1Nach der Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 2 AHVG üben Akkordanten in der
Regel eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aus. Sie können bloss dann als
Selbstständigerwerbende betrachtet werden, wenn sie Inhaber eines eigenen
Betriebes sind und so als gleichberechtigte Geschäftspartner mit eigenem
Unternehmerrisiko für den Akkordvergeber arbeiten (ZAK 1989 S. 24 Erw. 3a mit
Hinweisen).

2.2.2 Es ist Sache der SUVA, nötigenfalls aufgrund eigener Erhebungen über
den Status eines Akkordanten zu befinden, wenn die in Frage stehende
Tätigkeit für resp. in einem ihr unterstellten Betrieb nach Art. 66 UVG
ausgeübt wird (ZAK 1989 S. 25 Erw. 3b mit Hinweisen).
Es steht fest, dass P.________ im Jahr 2000 als Unterakkordant für die Firma
X.________ tätig war. Der Betrieb dieser Firma ist der SUVA unterstellt. Die
Anstalt war somit zur Abklärung und Festsetzung des
sozialversicherungsrechtlichen Status von P.________ befugt.

3.
Das kantonale Gericht hat zum Status von P.________ in Bezug auf seine
Tätigkeit für die Beschwerdegegnerin im Jahr 2000 erwogen, die Arbeit der
Montage/Demontage von Messeständen könne durch Arbeitnehmer oder
(selbstständigerwerbende) so genannte Freelancer im Rahmen eines
Werkvertrages oder Auftrages erledigt werden. Die Firma bediene sich beider
Formen, ohne dass sie - abgesehen von P.________- mit der SUVA deswegen
Probleme gehabt hätte. Betrachte man das Verhältnis von P.________ zur Firma
X.________, spreche zwar einiges für Unselbstständigkeit. Es seien aber
Komponenten für selbstständige Erwerbstätigkeit vorhanden, die ebenso klar im
Vordergrund stünden. So sei eine gewisse arbeitsorganisatorische
Unabhängigkeit von P.________ nicht zu verkennen, habe er sich doch
ausdrücklich vorbehalten, an von ihm ausgewählten Tagen nicht zu arbeiten. Im
Weiteren stehe fest, dass der Wille von P.________ im Jahre 2000 eindeutig
darauf gerichtet gewesen sei, als Selbstständigerwerbender für die Firma im
Umfang von etwa 70 % zeitlicher Beanspruchung tätig zu sein, um daneben
anderen Beschäftigungen nachgehen zu können. Schliesslich habe auch
P.________ wie alle selbstständigen Mitarbeiter am 23. Januar 2001
unterschriftlich bestätigt, «alle notwendigen Abrechnungen, wie
Altersvorsorge, Unfall, Haftpflicht, Krankenversicherung etc. für das Jahr
2000 korrekt abgerechnet zu haben».
Im Weiteren habe der Geschäftsführer der Firma X.________ beim Amt für AHV
und IV den Status von P.________ telefonisch nachgefragt. Dieses habe den
Status als Selbstständigerwerbender bestätigt. Die Firma habe sich auf die
Richtigkeit dieser Auskunft verlassen dürfen. Zwar treffe zu, dass die
Erfassungsbestätigung vom 15. August 1997 «Textilan- und
-verkauf/Versicherungsvermittlungen» als Bereich selbstständiger Tätigkeit
nenne. Ebenfalls werde darauf hingewiesen, dass bei einer allenfalls
zusätzlich ausgeübten Tätigkeit geprüft werden müsse, ob sie in
selbstständiger oder unselbstständiger Stellung ausgeübt werde. Eine solche
Einschränkung liege für übliche kleinere Unternehmen indessen nicht auf der
Hand und hätte daher vom Amt auf Anfrage hin klar kommuniziert werden müssen.
Insofern könne der Firma nicht mangelnde Sorgfalt bei der ihr obliegenden
notwendigen Abklärungen vorgeworfen werden. Im Übrigen habe P.________
unterschriftlich bestätigt, «alle notwendigen Abrechnungen, wie
Altersvorsorge, Unfall, Haftpflicht, Krankenversicherung etc. für das Jahr
2000 korrekt abgerechnet zu haben». Auch darauf habe sich die Firma verlassen
dürfen. Das führe aufgrund des Vertrauensschutzes zur Gutheissung der
Beschwerde.

4.
Das kantonale Gericht hat die streitige Statusfrage nicht entschieden.
Vielmehr hat es die Prämienforderung für die Berufs- und
Nichtberufsunfallversicherung von P.________ für 2000 gestützt auf den
öffentlichrechtlichen Vertrauensschutz bei unrichtigen behördlichen
Auskünften (vgl. dazu BGE 127 I 36 Erw. 3a, 126 II 387 Erw. 3a, 121 V 66 Erw.
2a mit Hinweisen) aufgehoben. Dieser Grundsatz kommt vorliegend indessen
nicht zum Tragen, wie die SUVA zu Recht einwendet. Die Vorinstanz hält selber
fest, weder der genaue Inhalt der Frage des Geschäftsführers der Firma noch
die Antwort des Kantonalen Amtes für AHV und IV seien bekannt. Ebenfalls kann
über den Zeitpunkt der angeblichen Auskunfterteilung nichts gesagt werden.
Von einer bewiesenen vertrauensbegründenden Zusicherung der Verwaltung kann
entgegen den Vorbringen in der Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin nicht
die Rede sein. Von weiteren Abklärungen sind keine neuen Erkenntnisse zu
erwarten. Bei dieser Tatsachenlage kann der öffentlichrechtliche
Vertrauensschutz von vornherein nicht spielen. Denn von einer falschen
Auskunft kann nur gesprochen werden, wenn und soweit die Behörde den ihr
unterbreiteten Sachverhalt unzutreffend würdigt und den anfragenden Bürger
aus diesem Grund falsch berät. Erweisen sich später einzelne
Sachverhaltselemente, auf welche die Behörde bei der Auskunfterteilung
abstellen konnte und durfte, als unzutreffend, kann nicht rückwirkend eine
sachverhaltsbezogen richtige Auskunft zu einer falschen werden (nicht
veröffentlichtes Urteil A. vom 19. Februar 1997 [C 79/96]). Umso weniger kann
von einer falschen Auskunft gesprochen werden, wenn sich der der Behörde
unterbreitete Sachverhalt nicht rechtsgenüglich erstellen lässt. Abgesehen
davon hatte im vorliegenden Fall die Firma X.________ nach eigenen Angaben
P.________ eine (feste) Anstellung zu einem Monatslohn von Fr. 4900.-
angeboten, was jener indes ablehnte. Dies deutet darauf hin, dass die Firma
selber berechtigte Zweifel an dem vom Genannten beanspruchten Status als
selbstständigerwerbender (Unter-)Akkordant gehabt hatte. P.________ sich der
am Recht stehenden Firma gegenüber vertragswidrig verhalten hat, ist für die
Statusfrage nicht von entscheidender Bedeutung. Im Übrigen hat nicht das
Sozialversicherungsgericht über Forderungsstreitigkeiten als Folge einer von
den Vertragsparteien abweichenden Beurteilung ihrer erwerblichen
Rechtsbeziehungen durch die Verwaltung (Ausgleichskasse oder SUVA) zu
befinden.

5.
Es steht fest und ist unbestritten, dass P.________ im interessierenden
Zeitraum 2000 Akkordarbeit für die Beschwerdegegnerin geleistet hatte.
Praxisgemäss kommt Akkordanten in der Regel Arbeitnehmer-Status zu (Erw.
2.2.1). Davon abzuweichen, besteht vorliegend kein Anlass. In
arbeitsorganisatorischer Hinsicht sowie in Bezug auf die Weisungsgebundenheit
von der Beschwerdegegnerin weist die SUVA zu Recht und grundsätzlich
unwidersprochen auf den zeitlichen Umfang, die genauen Vorgaben bezüglich
Termin sowie die Art und Weise der Arbeitsausführung hin. Ob P.________
daneben noch anderweitig erwerbstätig war und ob der Beschäftigungsgrad näher
bei 70 % als bei 150 % lag, wie die Firma in der Vernehmlassung einwendet,
ist nicht entscheidend. Dass der Genannte es immer wieder abgelehnt habe, an
Donnerstagen oder Freitagen zu arbeiten, schliesst die
Arbeitnehmereigenschaft ebenfalls nicht aus. Dies gilt umso mehr, als es
offenbar regelmässig die selben beiden Wochentage betraf. Im Übrigen ist
nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht, inwiefern diese von
der Beschwerdegegnerin im Übrigen akzeptierte Arbeitszeitregelung
arbeitsorganisatorische Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit ausschliesst.
Das Gleiche gilt auch in Bezug auf die angeblich von P.________ immer wieder
verweigerte Mitarbeit an Projekten, wenn es ihm nicht gepasst habe. Unter dem
Gesichtspunkt der arbeitsorganisatorischen Einbindung und
Weisungsgebundenheit sodann ist unerheblich, dass er das Angebot der Firma
für eine Anstellung als Arbeitnehmer ablehnte und auf dem Status als
selbstständigerwerbender Akkordant beharrte. Im Weiteren bestand für
P.________ kein unternehmerisches Risiko. Weder führte er selber einen
Betrieb mit eigenen Angestellten noch tätigte er nennenswerte Investitionen
in Betriebsmittel. Sein wirtschaftliches Risiko erschöpfte sich in der
Zahlungsunfähigkeit oder -willigkeit der Firma, wie die SUVA richtig
festhält. Ein typisches Unternehmerrisiko etwa in dem Sinne, dass P.________
wirtschaftlich abhängig gewesen war vom jeweiligen Auftragsvolumen der Firma
X.________ und er jeweils sehr kurzfristig telefonisch zur Arbeitsleistung
angefordert worden war, bestand nicht (vgl. ASA 61 S. 814 Erw. 3).
Schliesslich kann unter den gegebenen Umständen auch der fehlende Eintrag im
Handelsregister als Indiz für den Arbeitnehmer-Status betrachtet werden (ASA
a.a.O.).
Überwiegen somit klar die Merkmale unselbstständiger Erwerbstätigkeit, hat
P.________ in Bezug auf seine Tätigkeit für die Beschwerdegegnerin im Jahr
2000 als Arbeitnehmer im Sinne von alt Art. 1 UVV zu gelten. Die in
masslicher Hinsicht nicht bestrittene Prämienforderung gemäss
Einspracheentscheid vom 6. Oktober 2003 erging daher zu Recht. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist begründet.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdegegnerin
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau vom 30. Juni 2004 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 600.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. Der
von der SUVA geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.- wird rückerstattet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau,
dem Bundesamt für Gesundheit und P.________ zugestellt.

Luzern, 22. Februar 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: