Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 330/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


U 330/04

Urteil vom 11. Februar 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Scartazzini

G.________, 1957, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs
Leemann, Technikumstrasse 84, 8400 Winterthur,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 12. August 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1957 geborene G.________ war als Bauhilfsarbeiter bei der Firma
L.________ AG tätig und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 25. Mai 1982 erlitt er einen Berufsunfall und zog sich dabei
linksseits eine Malleolarfraktur Typ B mit Zerreissung des Ligamentums
deltoidums, eine dorso-laterale Stauchungsfraktur der tibialen Gelenksfläche
des oberen Sprunggelenks und eine proximale Fraktur des Metatarsale III zu.
Auf Grund der Unfallrestfolgen, vor allem einer reduzierten Beweglichkeit des
linken Sprunggelenks und einer drohenden Arthrose am Sprunggelenk, sprach die
SUVA dem Versicherten mit Verfügung vom 21. November 1983 gestützt auf einen
Invaliditätsgrad von 30 % mit Wirkung ab 31. Juli 1983 eine Invalidenrente
zu. Dies bestätigte sie mit Entscheid vom 18. April 1986.

Angesichts einer Verbesserung des Erwerbseinkommens wurde der Rentenanspruch
ab 1. August 1989 gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 15 % reduziert
(Verfügung vom 28. Juni 1989) und nach revisionsweiser Überprüfung am 21.
April 1992 bestätigt. Nach zahlreichen Rückfällen sowie ärztlichen
Behandlungen, medizinischen Abklärungen und einer Neubewertung der inzwischen
wiederum veränderten erwerblichen Verhältnisse sprach die SUVA dem
Versicherten mit Verfügung vom 21. August 2002 mit Wirkung ab 1. Oktober 2002
eine Rente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 21 % und eine
Integritätsentschädigung für eine Integritätseinbusse von 13,5 % zu.

Nach einer weiteren Stellungnahme des SUVA-Arztes und zusätzlichen
erwerblichen Abklärungen erhöhte die Anstalt mit Einspracheentscheid vom 20.
Oktober 2003 die Integritätsentschädigung auf 15 % und wies die Einsprache im
Übrigen ab.

B.
Dagegen liess G.________ Beschwerde erheben mit den Rechtsbegehren, es sei
ihm eine volle Invalidenrente zuzusprechen bzw. es sei die Sache zur
Einholung eines unabhängigen und neutralen Gutachtens an die SUVA
zurückzuweisen.
Mit Entscheid vom 12. August 2004 hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich die Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, dass es
feststellte, der Versicherte habe mit Wirkung ab 1. Oktober 2002 Anspruch auf
eine Invalidenrente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 24 %.

C.
G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und, bei Einreichung
einer Stellungnahme seines Hausarztes Dr. med. B.________ vom 14. September
2004, die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer verunfallte am 25. Mai 1982. Nach revisionsweiser
Überprüfung am 21. April 1992 und neuer Verfügung vom 21. August 2002 erging
der Einspracheentscheid am 20. Oktober 2003. Damit ist teilweise ein
rechtserheblicher Sachverhalt zu beurteilen, der sich vor dem Inkrafttreten
des ATSG am 1. Januar 2003 ereignet hat.

In BGE 130 V 329 ff. erwog das Eidgenössische Versicherungsgericht, dass Art.
82 Abs. 1 ATSG nur eine beschränkte Tragweite zukommt, indem diese Bestimmung
- vorbehältlich Anpassungen rechtskräftig verfügter Leistungskürzungen
aufgrund von Art. 21 Abs. 1 und 2 ATSG - lediglich diejenigen Fälle von der
Anwendbarkeit des ATSG ausnehmen will, in denen vor dem 1. Januar 2003
rechtskräftig verfügt worden ist. Erging der Einspracheentscheid zwar nach
In-Kraft-Treten des ATSG, sind jedoch auch vor dem 1. Januar 2003
eingetretene Sachverhalte zu beurteilen, ist der Beurteilung der im Streite
liegenden Rechtsverhältnisse bis 31. Dezember 2002 das alte Recht, ab 1.
Januar 2003 das ATSG in Verbindung mit den revidierten Einzelgesetzen zu
Grunde zu legen.
In BGE 130 V 343 ff. hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden,
dass es sich bei den im ATSG enthaltenen Legaldefinitionen der
Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), der
Invalidität (Art. 8 ATSG) und des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) in
aller Regel um eine formellgesetzliche Fassung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zu den entsprechenden Begriffen vor In-Kraft-Treten des ATSG
handelt und sich inhaltlich damit keine Änderung ergibt, weshalb die zum bis
31. Dezember 2002 gültig gewesenen Recht entwickelte Praxis übernommen und
weitergeführt werden kann. Keine materiellrechtliche Änderung bringt auch der
redaktionell neu gefasste Unfallbegriff des Art. 4 ATSG (Urteil R. vom 30.
September 2004 Erw. 2, U 252/04).

2.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu den für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers nach Art. 6 Abs. 1 UVG vorausgesetzten Erfordernissen
richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. Ergänzend ist die
Rechtsprechung zu dem im Sozialversicherungsrecht geltenden
Untersuchungsgrundsatz (BGE 130 V 68 f. Erw. 5.2.5 mit Hinweisen), zum
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 153 Erw. 2.1 mit
Hinweisen) und zum Beweiswert eines Arztberichts (BGE 125 V 352 Erw. 3a; AHI
2001 S. 113 Erw. 3a) zu erwähnen.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Beurteilung seiner Arbeitsfähigkeit durch
den SUVA-Arzt Dr. med. S.________ vom 24. Juli 2003, worauf sich die
Vorinstanz hauptsächlich gestützt hat, sei weder schlüssig noch
nachvollziehbar. Er macht einerseits geltend, die durch den Kreisarzt Dr.
med. I.________ am 5. März 2002 und die durch die Klinik A.________ am 12.
März 2002 (Bericht vom 19. März 2002) durchgeführten Beweglichkeitsmessungen
seien im Sitzen oder Liegen, jedenfalls nicht unter Belastung erfolgt und
würden somit nichts über die Beweglichkeit und vor allem über die
Schmerzsituation auszusagen vermögen. Dabei habe die Abklärung der Klinik
A.________ auf Grund einer MRI-Untersuchung jedoch den Befund einer
ausgeprägten OSG-Arthrose mit schweren Knorpelschäden an der distalen Tibia
sowie reaktiven ausgeprägten Knochenmarksveränderungen distal der Tibia
ergeben. Anhand dieser Erhebungen habe Dr. med. V.________ festgestellt, dass
die genannten Schäden die ausgeprägte Schmerzsymptomatik erklären können,
während in einem früheren Untersuchungsbericht vom 25. Januar 2002 noch
ausgeführt wurde, nativradiologisch sei die (über die Jahreswende)
eingetretene Schmerzexacerbation nicht erklärbar. Bereits in jenem Bericht
sei zudem festgehalten worden, bei weitergehender Beschwerdepersistenz sollte
über eine Umschulung in einem Beruf mit grösstenteils sitzener Tätigkeit
nachgedacht werden. Der Beschwerdeführer macht andererseits geltend, im
Untersuchungsbericht vom 19. März 2002 sei ein massives Schonhinken links
festgestellt worden, wobei der Patient an einem Gehstock einigermassen mobil
sei. Wenn die Vorinstanz auf Grund dieser Befunde im angefochtenen Entscheid
zum Schluss gelange, dem Versicherten sei eine leichte, wechselbelastende und
zur Hälfte sitzende Tätigkeit auf ebenem Boden, mit einer Gewichtslimite von
10 kg, ohne Besteigen von Leitern, ohne Treppensteigen, ohne kniende oder
kauernde Stellungen und ohne das Erfordernis, länger in gleichbleibender
Haltung zu verharren, ganztägig und mit normaler Leistung zumutbar, so lasse
sie den Umstand unbeachtet, dass die Hälfte der Tätigkeit im Stehen oder
Gehen ausgeübt werden sollte, was bei einer manuellen Arbeit jedoch nicht
möglich wäre, da er nur eine Hand zur Verfügung hätte. Zum
Zumutbarkeitsprofil habe das kantonale Gericht somit keine überzeugende
Stellung genommen.

3.2 Im angefochtenen Entscheid ist die Vorinstanz davon ausgegangen, richtig
sei zwar, dass der Hausarzt des Beschwerdeführers, Dr. med. B.________, in
seinem Bericht vom 16. Januar 2004 eine Verschlimmerung der
Schmerzbeschwerden erwähnt und die Beschwerdeangaben des Versicherten als
glaubhaft bezeichnet habe. Festzustellen sei aber, dass er diese Beurteilung
einzig auf die Angaben des Beschwerdeführers abzustützen vermochte. Neue
objektive Befunde oder eine andere Diagnose als in den kreisärztlichen
Berichten und den Berichten der Klinik A.________ würden sich aus seinen
Erhebungen nicht ergeben. Dass dies der Fall wäre, sei denn auch nicht
anzunehmen, nachdem dem Bericht der Klinik A.________ vom 25. Januar 2002
entnommen werden könne, radiologisch lasse sich die vom Beschwerdeführer
angegebene Schmerzausweitung nicht erklären.

Diese Schlussfolgerung ist nicht stichhaltig und ihr kann somit nicht
beigepflichtet werden. Aus den medizinischen Akten geht hervor, dass sich der
Beschwerdeführer am 8. Oktober 2001 einer Operation unterzog und sowohl am
22. November 2001 als auch am 15. Januar 2002 in der Klinik A.________
untersucht wurde. Im entsprechenden Untersuchungsbericht vom 25. Januar 2002
wurde zwar tatsächlich festgehalten, die geklagte Schmerzexazerbation sei
nicht erklärbar. Aus diesem Grund wurde jedoch eine MRI-Untersuchung ins Auge
gefasst und am 1. Februar 2002 auch durchgeführt. Im entsprechenden Befund
gleichen Datums stellte Dr. med. P.________ fest, der Versicherte weise eine
ausgeprägte OSG-Arthrose mit schwerem Knorpelschaden an der distalen Tibia
mit reaktiven ausgeprägten Knochenmarksveränderungen der distalen Tibia auf.
Anlässlich der nachfolgenden Untersuchung vom 12. März 2002 (Bericht vom 19.
März 2002) wurde sodann festgestellt, diese Gelenkschädigung dürfte die
ausgeprägte Schmerzsymptomatik erklären, wobei sie prognostisch weiter
fortschreiten würde. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz ihre
Beurteilung nicht auf die Feststellung beschränken, nach einem früheren
Bericht der Klinik A.________ (vom 25. Januar 2002) sei die vom
Beschwerdeführer und seinem Hausarzt angegebene Schmerzausweitung nicht
erklärbar.

Auch die weiteren Einwände des Beschwerdeführers sind insofern beachtlich,
als weder die SUVA noch das kantonale Gericht die Frage geprüft hat, ob der
Versicherte, welcher sich angeblich lediglich an einem Gehstock fortbewegen
können soll, die von der Anstalt als zumutbar erachteten Tätigkeiten im
Stehen oder Gehen verrichten kann. Diesbezüglich ging Dr. med. I.________ in
seiner ärztlichen Abschlussuntersuchung vom 5. März 2002 davon aus, das
Tragen von Lasten bis 20 kg sei zumutbar, während Dr. med. S.________, ohne
sich zum Befund eines schweren Knorpelschadens zu äussern, in seinem Bericht
vom 24. Juli 2003 lediglich zum Ausdruck brachte, radiologisch bestehe eine
mässige OSG-Arthrose. Nachdem feststeht, dass die beanstandete
Zumutbarkeitsprüfung den vorliegend massgebenden Sachverhalt betrifft, kann
entgegen der von der SUVA in ihrer Vernehmlassung vom 3. November 2004
dargelegten Betrachtungsweise nicht argumentiert werden, die vom Versicherten
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bemängelte Berücksichtigung der
progredierenden Arthrose beziehe sich auf einen erst im Jahr 2004 relevanten
Sachverhalt. Zu beachten ist schliesslich, dass auch Dr. med. B.________ in
seiner Stellungnahme vom 24. September 2004 bestätigt, die vom
Beschwerdeführer geschilderte Schmerzsymptomatik sei nicht neu.

3.3 Nach dem Gesagten kann für die Ermittlung des massgeblichen
Invaliditätsgrades nicht entscheidend auf die in den Akten liegenden
Arztberichte abgestellt werden. Zur nachzuholenden Abklärung des Sachverhalts
auf Grund eines Gutachtens ist die Sache daher an die SUVA zurückzuweisen,
damit sie gestützt auf die Ergebnisse dieser Erhebungen und nach Abklärung
der Zumutbarkeit einer dem Gesundheitszustand des Versicherten angepassten
Tätigkeit sowie der damit verbundenen erwerblichen Auswirkungen über die dem
Beschwerdeführer mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2002 zustehende Invalidenrente
neu zu befinden habe.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen,
dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12.
August 2004 und der Einspracheentscheid der SUVA vom 20. Oktober 2003
aufgehoben werden und die Sache an die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Invalidenrente neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt hat dem Beschwerdeführer für
das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 11. Februar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: