Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 293/2004
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U 293/04

Urteil vom 15. März 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber
Attinger

M.________, 1962, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Dr.
Bernhard Frei, Münzgraben 2, 3011 Bern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 10. August 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 2. September 2003 und Einspracheentscheid vom 10. Dezember
2003 stellte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihre
Leistungen (Heilbehandlung und Taggelder) zugunsten der 1962 geborenen
M.________ auf Mitte September 2003 hin ein, weil zwischen den aktuellen
Beschwerden der Versicherten und der am 17. Mai 2001 bei einer
Auffahrkollision erlittenen Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) kein
adäquater Kausalzusammenhang (mehr) bestehe.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 10. August 2004 ab.

C.
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf
(Weiter-)Ausrichtung der gesetzlichen Leistungen.

Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten ist zu Recht unbestritten, dass im
vorliegenden Fall der für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
zunächst vorausgesetzte natürliche Kausalzusammenhang (BGE 129 V 181 Erw.
3.1, 406 Erw. 4.3.1, je mit Hinweisen) zwischen dem am 17. Mai 2001
erlittenen Verkehrsunfall und den über Mitte September 2003 hinaus
anhaltenden Beschwerden (chronifiziertes Schmerzsyndrom des Nackens und des
Schultergürtels mit ausstrahlenden Kopfschmerzen und gelegentlichen
lageabhängigen Schwindelgefühlen, depressive Symptomatik bei vorbestehender
belastender psychosozialer Situation) gegeben ist.

2.
2.1 Die Vorinstanz hat sodann im angefochtenen Entscheid die Rechtsprechung
zum für die Leistungspflicht des Unfallversicherers weiter vorausgesetzten
adäquaten Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall mit Schleudertrauma der
HWS ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle und den hernach andauernden
Beschwerden mit Einschränkung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (BGE 117 V
359) zutreffend wiedergegeben. Das kantonale Gericht hat überdies richtig
dargelegt, dass die Beurteilung der Adäquanz in denjenigen Fällen, in welchen
die zum typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS gehörenden
Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur vorliegenden
ausgeprägten psychischen Problematik aber ganz in den Hintergrund treten,
nach der für psychische Fehlentwicklungen nach Unfällen geltenden
Rechtsprechung (BGE 115 V 133) vorzunehmen ist (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit
Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

2.2 Ebenfalls zu verweisen ist auf die vorinstanzliche Feststellung, wonach
der Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 99 Erw. 2a der Sachverhalt zu Grunde
liegt, dass sehr bald nach einem Unfall mit Schleudertrauma der HWS oder
äquivalenten Verletzungen, gleichsam an diesen anschliessend, die psychische
Problematik derart überwiegt, dass die mit dem Schleudertrauma einhergehenden
gesundheitlichen Beeinträchtigungen (buntes Beschwerdebild) völlig in den
Hintergrund treten (RKUV 2002 Nr. U 465 S. 438 Erw. 3a). Soll die
Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 99 Erw. 2a auch in einem späteren Zeitpunkt
angewendet werden, ist die Frage, ob die psychische Problematik die übrigen
Beschwerden nach einem Unfall mit Schleudertrauma der HWS ganz in den
Hintergrund treten lässt, nicht auf Grund einer Momentaufnahme zu
entscheiden. Vielmehr ist zu prüfen, ob im Verlaufe der ganzen Entwicklung
vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt die physischen Beschwerden
gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben und damit ganz
in den Hintergrund getreten sind. Wenn dies zutrifft, ist die Adäquanz nach
der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133) zu
beurteilen (RKUV 2002 Nr. U 465 S. 439 Erw. 3b).

3.
Das kantonale Gericht hat ferner zutreffend erkannt, dass im hier zu
beurteilenden Fall die psychische Problematik unmittelbar nach dem Unfall
noch keine eindeutige Dominanz aufwies. Hingegen ergibt sich auf Grund der
hausärztlichen Stellungnahmen Dr. G.________s, vom 12. Januar 2002 und 17.
Februar 2004, dass bereits rund ein halbes Jahr nach dem versicherten
Unfallereignis in zunehmendem Masse "gewisse psychische Faktoren" (starke
Angst vor Schmerz, Kranksein, Insuffizienz; psychosoziale
Belastungssituation) an der Chronifizierung der Beschwerden mitbeteiligt
waren und ab Januar 2002 eine (erfolglose) Behandlung mit einem
Antidepressivum erforderlich machten (vgl. auch die Berichte des
Rheumatologen Dr. S.________ vom 12. April 2002 und des
Kreisarzt-Stellvertreters Dr. K.________ vom 14. Mai 2002 und 18. November
2002). Wie sich dem am 10. Oktober 2002 verfassten Austrittsbericht der
Klinik X.________ (stationärer Aufenthalt vom 20. August bis 17. September
2002) entnehmen lässt, kann die Beschwerdeführerin "auf theoretischer Basis
(...) die schmerzverursachenden/-verstärkenden Mechanismen durchaus
nachvollziehen, jedoch erscheinen die tatsächlichen
Realisierungsmöglichkeiten aufgrund des kulturellen Hintergrundes sowie der
realen existentiellen (wirtschaftlichen) Bedrohung blockiert". In
Übereinstimmung mit der Vorinstanz ist hinsichtlich des gesamten
Entwicklungsverlaufs vom Unfall bis zum Einspracheentscheid vom 10. Dezember
2003 von einem gänzlichen In-den-Hintergrund-Treten der (eher) physischen
Beschwerden gemäss dargelegter Rechtsprechung (Erw. 2.2 in fine hievor)
auszugehen. Denn schon relativ kurze Zeit nach dem Unfallereignis schob sich
die psychische Problematik (psychosoziale und soziokulturelle
Belastungsfaktoren, Störungen bei der Schmerzverarbeitung) immer mehr und
mehr beherrschend in den Vordergrund, was darin gipfelte, dass die
Versicherte ihre auch nach dem Unfall vom 17. Mai 2001 bis zum Eintritt in
die Klinik X.________ stets weiterhin ausgeübte (halbtägige) Erwerbstätigkeit
als Hilfsarbeiterin bei der Firma D.________ AG nach erfolgtem Klinikaustritt
(abgesehen von einem misslungenen Arbeitsversuch) nicht wieder aufnahm. Dass
nicht "nur (eine) vermutete psychische Problematik" vorliegt, wie die
Versicherte im kantonalen Gerichtsverfahren geltend machte, ergibt sich mit
aller Deutlichkeit auch aus den mit der vorinstanzlichen Beschwerde
eingereichten medizinischen Stellungnahmen des Hausarztes Dr. G.________ vom
17. Februar 2004 und des Neurologen Dr. H.________ vom 9. Februar 2004 sowie
dem nachgereichten Bericht des Ärztlichen Zentrums Y.________ vom 31. März
2004.

Nach dem Gesagten ist die Adäquanz nach Massgabe der in BGE 115 V 138 Erw. 6
und 407 Erw. 5 entwickelten und seither ständig angewandten Rechtsprechung
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (vgl. BGE 129 V 183 Erw. 4.1) zu
beurteilen, d.h. mit der Differenzierung zwischen physischen und psychischen
Komponenten der unfallbezogenen Merkmale (vgl. BGE 117 V 367 Erw. 6a in fine;
SVR 2003 UV Nr. 12 S. 36 Erw. 3.2.3).

4.
4.1 Auf Grund des augenfälligen Geschehensablaufs und der erlittenen
Verletzungen ist der Autounfall vom 17. Mai 2001 - in Übereinstimmung mit
sämtlichen Verfahrensbeteiligten - dem Bereich der mittelschweren Unfälle und
innerhalb dieses Rahmens eher den leichteren Fällen zuzuordnen (vgl. RKUV
2003 Nr. U 489 S. 360 Erw. 4.2 am Anfang). In diesem Zusammenhang gilt es
festzuhalten, dass unfallanalytische Erkenntnisse und biomechanische
Überlegungen allenfalls gewichtige Anhaltspunkte zur mit Blick auf die
Adäquanzprüfung relevanten Schwere des Unfallereignisses zu liefern vermögen;
sie bilden jedoch rechtsprechungsgemäss für sich allein in keinem Fall eine
hinreichende Grundlage für die Kausalitätsbeurteilung (RKUV 2003 Nr. U 489 S.
359 mit Hinweisen). Für die Bejahung der adäquaten Kausalität wäre daher
erforderlich, dass zumindest ein einzelnes unfallbezogenes Kriterium in
besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist oder dass die praxisgemäss zu
berücksichtigenden Merkmale in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sind
(BGE 117 V 367 Erw. 6b, 384 Erw. 4c, 115 V 140 Erw. 6c/bb, 409 Erw. 5c/bb).

4.2 Der Unfall ereignete sich bei objektiver Betrachtung weder unter
besonders dramatischen Begleitumständen, noch war er durch eine besondere
Eindrücklichkeit gekennzeichnet. Ferner kann schon allein im Hinblick auf die
nach dem Unfallereignis während über eines Jahres weiter bestehende
Arbeitsfähigkeit weder von einer schweren noch von einer im Hinblick auf die
in Frage stehende Adäquanzbeurteilung besonders gearteten Verletzung
gesprochen werden. Für eine ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen
erheblich verschlimmert hätte, fehlen jegliche Hinweise. Des Weitern kann
insofern nicht von einer ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung
gesprochen werden, als diese schon relativ bald nach dem Unfall in immer
stärkerem Masse durch die psychogene Fehlverarbeitung bestimmt wurde.
Dieselben Überlegungen gelten auch im Hinblick auf die Dauer der physisch
bedingten Arbeitsunfähigkeit. Aus rein somatischer Sicht hätte die
Beschwerdeführerin ihre Erwerbstätigkeit wohl gar nie einstellen müssen.
Unter diesem Blickwinkel sind auch die unfallbezogenen Kriterien des
schwierigen Heilungsverlaufs oder erheblicher Komplikationen und der
körperlichen Dauerschmerzen zu verneinen. Die praxisgemäss vorzunehmende
Gesamtwürdigung führt nach dem Gesagten klarerweise zur Verneinung des
adäquaten Kausalzusammenhangs. Die - vorinstanzlich bestätigte -
Leistungseinstellung seitens der SUVA erfolgte demnach zu Recht.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 15. März 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: