Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 283/2004
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U 283/04

Urteil vom 7. Oktober 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Ackermann

H.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Winterthur-ARAG,
Konradstrasse 15, 8401 Winterthur,

gegen

Generali Allgemeine Versicherungen, Rue de la Fontaine 1, 1211 Genf 3,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Beschluss vom 29. Juli 2004)

Sachverhalt:

A.
Mit Einspracheentscheid vom 7. April 2004 bestätigte die Generali Allgemeine
Versicherungen (Generali) die am 19. November 2003 verfügte Einstellung der
bisher aufgrund eines Unfalles vom 3. Januar 2003 an H.________
ausgerichteten Taggelder.

B.
Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat des Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 29. Juli 2004 wegen verspäteter Eingabe
nicht ein, nachdem sich H.________ vorher zur Frage der Rechtzeitigkeit der
Beschwerde hatte äussern können.

C.
H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Sache an das kantonale
Gericht zur materiellen Beurteilung zurückzuweisen.

Die Generali schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 OG in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b OG
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) in Kraft getreten.
Dieses Gesetz koordiniert das Sozialversicherungsrecht des Bundes, indem es
unter anderem ein einheitliches Sozialversicherungsverfahren festlegt und die
Rechtspflege regelt (Art. 1 Ingress und lit. b ATSG). Die allgemeinen
Verfahrensbestimmungen finden sich im 4. Kapitel. Dessen 2. Abschnitt (Art.
34 ff. ATSG) regelt das Sozialversicherungsverfahren und enthält in Art. 38
die Vorschriften über die Berechnung und den Stillstand der Fristen. Nach
Abs. 4 dieser Norm stehen gesetzliche oder behördliche Fristen, die nach
Tagen oder Monaten bestimmt sind, still:
a. vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern;
b. vom 15. Juli bis und mit dem 15. August;
c. vom 18. Dezember bis und mit dem 1. Januar.
Im 3. Abschnitt des 4. Kapitels des ATSG finden sich die Bestimmungen zum
Rechtspflegeverfahren, wozu auch Art. 60 ATSG gehört. Danach ist die
Beschwerde innerhalb von dreissig Tagen nach der Eröffnung des
Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache
ausgeschlossen ist, einzureichen (Abs. 1). Die Art. 38 bis 41 sind sinngemäss
anwendbar (Abs. 2).

2.2 Nach Art. 1 Abs. 1 UVG in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung sind
die Bestimmungen des ATSG auf die Unfallversicherung anwendbar, soweit das
vorliegende Gesetz nicht ausdrücklich eine Abweichung vom ATSG vorsieht. Sie
finden keine Anwendung in den in Absatz 2 dieser Vorschriften genannten, hier
nicht einschlägigen Bereichen. Art. 106 UVG in der ab Januar 2003 geltenden
Fassung ordnet die "Besondere Beschwerdefrist" wie folgt: In Abweichung von
Art. 60 ATSG beträgt die Beschwerdefrist bei Einspracheentscheiden über
Versicherungsleistungen drei Monate.

2.3 Nach der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften vorbehältlich
anders lautender Übergangsbestimmungen in der Regel mit dem Tag des
In-Kraft-Tretens sofort und in vollem Umfang anwendbar (BGE 129 V 115 Erw.
2.2. mit Hinweisen). Art. 82 Abs. 2 ATSG enthält eine hier einschlägige
übergangsrechtliche Regelung formeller Natur: Gemäss dieser Norm haben die
Kantone ihre Bestimmungen über die Rechtspflege diesem Gesetz innerhalb von
fünf Jahren nach seinem In-Kraft-Treten anzupassen; bis dahin gelten die
bisherigen kantonalen Vorschriften.

Die im ATSG enthaltenen sowie die gestützt darauf im UVG auf den 1. Januar
2003 geänderten Verfahrensbestimmungen mit Bezug auf das gerichtliche
Rechtsmittelverfahren sind deshalb hier grundsätzlich zu berücksichtigen
(noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichte Urteile Z. und M. vom
26. August 2005, U 268/03, Erw. 3.3, und U 308/03, Erw. 2.3).
2.4 Im Kanton Zürich wird das Verfahren in sozialversicherungsrechtlichen
Streitigkeiten durch das Gesetz über das Sozialversicherungsgericht vom 7.
März 1993 (GSVGer; LS 212.81) geregelt. Dieses bestimmt in § 13 Abs. 3 in der
bis Ende 2004 geltenden Fassung, dass "die gesetzlichen und richterlichen
Fristen, die nach Tagen bestimmt sind", stillstehen
a) vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern,
b) vom 15. Juli bis und mit dem 15. August,
c) vom 18. Dezember bis und mit dem 1. Januar.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich erkannte in einem früheren
Entscheid, dass diese Norm nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck sowie den
Besonderheiten des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens nach UVG (längere
Beschwerdefrist, vorausgehendes Einspracheverfahren) auf die nach Monaten
bestimmte Frist des Art. 106 Abs. 1 UVG nicht anwendbar sei. Das
Eidgenössische Versicherungsgericht hat diese Beurteilung weder als
willkürlich befunden noch darin einen Verstoss gegen Bundesrecht erblickt,
nachdem seinerzeit gegen den kantonalen Entscheid
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben worden war (SVR 1998 UV Nr. 10 S. 27
Erw. 2c; vgl. noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil M.
vom 26. August 2005, U 308/03, Erw. 2.4).

3.
3.1 Das kantonale Gericht geht davon aus, dass während der fünfjährigen
Übergangsfrist gemäss Art. 82 Abs. 2 ATSG die kantonalen
Rechtspflegebestimmungen denjenigen des ATSG vorgehen. Somit sei auf § 13
GSVGer abzustellen, welcher jedoch für nach Monaten bestimmte Fristen keinen
Fristenstillstand vorsehe. Deshalb sei die Beschwerde verspätet.

Die Versicherte ist demgegenüber der Auffassung, dass mit der Einführung des
ATSG einheitliche Bestimmungen betreffend Fristen geschaffen worden seien.
Der Wille des Gesetzgebers, die verschiedenen Sozialversicherungsgesetze zu
koordinieren sowie ein einheitliches Sozialversicherungs- und
Rechtspflegeverfahren zu definieren, würde durch die Anwendung des Art. 82
Abs. 2 ATSG vereitelt.

3.2 Der Wortlaut des Art. 82 Abs. 2 ATSG ist insoweit klar, als Gegenstand
der übergangsrechtlichen Ordnung bisherige kantonalrechtliche Bestimmungen
zur Rechtspflege sind und sich die Übergangsfrist auf die Art. 56 bis 61 ATSG
bezieht. Davon erfasst ist daher auch Art. 60 ATSG über die Beschwerdefrist,
der in Abs. 2 die Art. 38 bis 41 ATSG für sinngemäss anwendbar erklärt. Art.
38 Abs. 4 ATSG normiert, wann gesetzliche oder behördliche Fristen, die nach
Tagen oder Monaten bestimmt sind, still stehen. Die primäre Bedeutung des
Art. 82 Abs. 2 ATSG liegt darin, dass die kantonalrechtlichen
Verfahrensvorschriften über den 1. Januar 2003 hinaus Geltung beanspruchen
dürfen und dass sich das Beschwerdeverfahren bis zur Änderung der kantonalen
Gerichtsorganisation, spätestens bis zum 31. Dezember 2007, nach kantonalem
Verfahrensrecht richtet. Darin erschöpft sich nun allerdings die Bedeutung
des Art. 82 Abs. 2 ATSG nicht, denn mit dieser Norm wird auch die
intertemporalrechtliche Anwendbarkeit der Rechtspflegebestimmungen der Art.
56 ff. ATSG entsprechend eingeschränkt, und zwar in dem Masse, als es den
Kantonen erlaubt wird, gestützt auf Art. 82 Abs. 2 ATSG an ihren - allenfalls
mit den Rechtspflegebestimmungen des ATSG kollidierenden - Verfahrensnormen
festzuhalten. Dies wird durch die Materialien bestätigt (zum Ganzen: noch
nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichte Urteile Z. und M. vom 26.
August 2005, U 268/03, Erw. 5.2, und U 308/03, Erw. 4.2).

Mit der einzigen verfahrensrechtlichen Übergangsbestimmung des Art.  82 Abs.
2 ATSG hat sich der Gesetzgeber für eine kantonal unterschiedliche
Verfahrensordnung während längerer Zeit entschieden; dies gilt auch
hinsichtlich des Fristenstillstandes. Es geht nicht darum, dass die Kantone
damit befugt wären, über das In-Kraft-Treten des Bundesrechts zu bestimmen,
denn spätestens am 1. Januar 2008 müssen die kantonalen Regelungen an das
ATSG angepasst worden sein; der Bundesgesetzgeber hat die
intertemporalrechtliche Weichenstellung in Art. 82 Abs. 2 ATSG vorgenommen.
Das ATSG ist zwar darauf angelegt, dass formelle Bestimmungen (z.B. für das
Verwaltungsverfahren) grundsätzlich sofort in Kraft treten, jedoch besteht
eine Ausnahme in Art. 82 Abs. 2 ATSG, welche für das Rechtspflegeverfahren
zwingend ist, auch wenn damit während der Übergangszeit das angestrebte Ziel
der Rechtseinheit (noch) nicht erreicht wird. Die in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachte Argumentation mit Sinn und Zweck
des ATSG ist in diesem Zusammenhang untauglich, weil dieses Auslegungselement
im intertemporalrechtlichen Kontext nicht mit der Wünschbarkeit einer
einheitlichen Regelung der Fristberechnung inkl. Fristenstillstand
gleichgesetzt werden darf (noch nicht in der Amtlichen Sammlung
veröffentlichtes Urteil M. vom 26. August 2005, U 308/03, Erw. 4.3).
3.3 Die "bisherigen kantonalen Vorschriften" über die Rechtspflege im Sinne
des Art. 82 Abs. 2 Satz 2 ATSG umfassen nicht nur bisherige positive, sondern
auch negative kantonale Regelungen, da es sich in beiden Fällen um bisherige
kantonale Vorschriften handelt, unabhängig davon, ob der Kanton ein
Rechtsinstitut gesetzlich normiert hat oder nicht (noch nicht in der
Amtlichen Sammlung veröffentlichte Urteile Z. und M. vom 26. August 2005, U
268/03, Erw. 5.2, und U 308/03, Erw. 4.2, jeweils mit Hinweisen auf die
Materialien).

§ 13 Abs. 3 GSVGer ZH in der bis Ende 2004 geltenden Fassung unterwirft
lediglich die nach Tagen bestimmte Frist dem Fristenstillstand. Daraus hat
sich eine konstante zürcherische und vom Eidgenössischen Versicherungsgericht
geschützte Praxis entwickelt, dass Monatsfristen wie diejenige von drei
Monaten gemäss Art. 106 Abs. 1 UVG in der bis Ende 2002 gültigen Fassung dem
Regime des Fristenstillstandes nicht unterworfen sind (Erw. 2.4 hievor).
Diese negative Regelung der Monatsfristen in § 13 Abs. 3 GSVGer ZH hat
längstens bis Ende 2007 resp. bis zur vorher erfolgten Einführung des
Fristenstillstands für Monatsfristen Bestand (noch nicht in der Amtlichen
Sammlung veröffentlichtes Urteil M. vom 26. August 2005, U 308/03, Erw. 4.4)
und ist deshalb hier massgebend.

3.4 Das kantonale Gericht hat für das Eidgenössische Versicherungsgericht
verbindlich festgestellt (Art. 105 Abs. 2 OG), dass die erstinstanzliche
Beschwerde am 16. Juli 2004 - und damit nach Ablauf der dreimonatigen
Beschwerdefrist am 13. Juli 2004 - eingereicht worden ist. Die Vorinstanz ist
deshalb zu Recht darauf nicht eingetreten.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem
Ausgang des Prozesses sind die Kosten der unterliegenden Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG).

Die Generali als obsiegende Behörde hat keinen Anspruch auf
Parteientschädigung (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.

Luzern, 7. Oktober 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: