Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 26/2004
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U 26/04

Urteil vom 19. Juli 2005
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Kernen; Gerichtsschreiberin Berger
Götz

O.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler,
Untermüli 6, 6302 Zug,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin,

Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug

(Entscheid vom 27. November 2003)

Sachverhalt:

A.
W. ________ (geboren 1930) war bei der Firma X.________ AG angestellt und in
dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert.
Im Mai 1998 zog er sich bei einem Sturz mit dem Motorrad gegen eine
Tunnelwand eine Rotatorenmanschettenruptur rechts zu. Da die Symptomatik
durch ein Zervikalsyndrom überlagert wurde, verzögerte sich die Diagnostik
und die operative Rekonstruktion der rechten Schulter wurde erst am 14.
September 1999 in der Klinik Z.________ durchgeführt. Nachdem W.________
anlässlich eines ambulanten Physiotherapietermins vom 25. November 1999 in
der Klinik Z.________ kollabierte, wurde er notfallmässig ins Spital
R.________ überführt. Dort wurde eine Hirnblutung festgestellt. Am 9.
Dezember 1999 wurde W.________, nunmehr linksseitig gelähmt, in die Klinik
A.________, verlegt. Dort verstarb er am 28. Dezember 1999, kurz vor Beginn
einer ergotherapeutischen Behandlung, an den Folgen einer plötzlich
aufgetretenen Lungenthrombembolie. Auf den entsprechenden Antrag von
O.________, Witwe des Verstorbenen, hin lehnte es die SUVA mit Verfügung vom
25. Januar 2000 ab, Hinterlassenenleistungen zu erbringen und gab zur
Begründung an, die vorbestehenden chronischen Leiden hätten zum Hinschied von
W.________ geführt, womit der Tod weder Folge eines versicherten Unfalles
gewesen sei, noch auf eine Schädigung im Rahmen einer Heilbehandlung
zurückgeführt werden könne. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest
(Einspracheentscheid vom 10. November 2000).

B.
Dagegen liess O.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug Beschwerde
erheben. Nach Einholung eines Gerichtsgutachtens, erstellt durch Prof. Dr.
med. H.________, Direktor der Neurologischen Klinik E._______, und Dr. med.
B._______, Oberarzt in der Neurologischen Klinik E._______, vom 14. April
2003 und des von denselben Fachärzten erstellten Ergänzungsgutachtens vom 22.
Juni 2003 wies das kantonale Gericht die Beschwerde ab (Entscheid vom 27.
November 2003).

C.
O. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, die
SUVA sei zu verpflichten, den Hinterbliebenen ihres verstorbenen Ehemannes
"eine Hinterlassenenrente nach Gesetz" zu bezahlen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat zunächst richtig ausgeführt, dass das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 und die damit
verbundenen spezialgesetzlichen Änderungen für die Beurteilung des
vorliegenden Sachverhalts in materiellrechtlicher Hinsicht nicht anwendbar
sind (BGE 129 V 4 Erw. 1.2; vgl. aber BGE 130 V 445 ff.). Ebenfalls
zutreffend dargelegt ist im angefochtenen Gerichtsentscheid, dass der
Unfallversicherer seine Leistungen gemäss Art. 6 Abs. 3 UVG (in Verbindung
mit Art. 10 UVV) auch für Schädigungen zu erbringen hat, die dem Verunfallten
bei der Heilbehandlung (Art. 10 UVG) zugefügt werden, wobei sich die Haftung
auf Gesundheitsschädigungen erstreckt, die auf Behandlungs- oder
Abklärungsmassnahmen im Anschluss an einen Unfall zurückzuführen sind; es
muss weder ein Behandlungsfehler vorliegen noch der Unfallbegriff erfüllt
noch ein Kunstfehler oder auch nur objektiv eine Verletzung der ärztlichen
Sorgfaltspflicht gegeben sein. Gleiches gilt schliesslich hinsichtlich der
vorinstanzlichen Ausführungen zum Grundsatz, dass der Unfallversicherer nur
für Schädigungen aufzukommen hat, die in einem natürlichen und adäquat
kausalen Zusammenhang mit den durch den versicherten Unfall erfolgten
Heilbehandlungen und medizinischen Abklärungsuntersuchungen stehen (BGE 128 V
172 Erw. 1c mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die SUVA Hinterlassenenleistungen für die
Witwe des verstorbenen Versicherten zu erbringen hat, nachdem dieser während
einer zulasten des Unfallversicherers durchgeführten Heilbehandlung
(Operation an der rechten Schulter vom 14. September 1999 und anschliessende
Therapie) verstorben ist. Uneinigkeit besteht unter den Parteien insbesondere
hinsichtlich der Frage, ob dem vor der Schulteroperation festgestellten, seit
Jahren unbehandelt gebliebenen Bluthochdruck genügende Beachtung geschenkt
worden ist.

2.1  Die Vorinstanz stützt sich zur Begründung ihres ablehnenden Entscheides
auf das Gerichtsgutachten vom 14. April 2003 samt Ergänzungsgutachten vom 22.
Juni 2003, wonach die Hirnblutung in keinem direkten Zusammenhang mit der
unfallbedingten Therapiesitzung gestanden habe und mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit auch ohne Operation und physiotherapeutische
Nachbehandlung eingetreten wäre. Für das kantonale Gericht ist damit nicht
mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
dargetan, dass zwischen der am 25. November 1999 aufgetretenen Hirnblutung
mit tödlichen Folgen einerseits und der unfallbedingten Schulteroperation vom
14. September 1999 sowie den daran anschliessenden Therapiemassnahmen
andererseits ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht. Nach BGE 128 V 172
Erw. 1c hafte der Unfallversicherer gestützt auf Art. 6 Abs. 3 UVG auch dann
nicht für die Folgen einer vom Unfall unabhängigen Gesundheitsschädigung,
wenn diese Folgen (z.B. Herzinfarkt) bei rechtzeitiger Diagnosestellung durch
den vom Versicherer eingesetzten Arzt vermieden worden wäre. Dies müsse umso
mehr gelten, wenn - wie vorliegend - nicht die Diagnosestellung, sondern
vielmehr die Behandlung einer längst bekannten, vom Unfall völlig
unabhängigen Gesundheitsschädigung in Frage stehe. Entscheidend sei, ob die
als Folge des Unfalls vorgenommene Heilbehandlung als solche mindestens eine
Teilursache für die spätere Hirnblutung darstelle, was klar verneint werden
müsse.

2.2  Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Leistungspflicht der SUVA
bestehe, weil die bei Bluthochdruck gefürchtete Komplikation des
Hirninfarktes trotz der von der SUVA angeordneten Therapie eingetreten sei,
und der Unfallversicherer den versicherten Personen als Korrelat zur
Behandlungspflicht und Weisungsgebundenheit alle Risiken abzunehmen und für
alle Komplikationen einzustehen habe. Eine versicherte Person habe im Rahmen
einer von der SUVA einge-leiteten Heilbehandlung so lange Anspruch auf eine
genügende Therapie, bis die Heilung eingetreten sei oder die Ärzte darauf
auf-merksam gemacht hätten, dass sie sich im Rahmen der unfallbedingten
Behandlung nicht mehr verantwortlich fühlten. Vorliegend seien die Ärzte der
Klinik Z.________ diesen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen, weil sie die
im Rahmen der Unfallbehandlung erfolgte Bluthochdrucktherapie zu wenig
überwacht, kontrolliert und eventuell geändert hätten. Ein Kausalzusammenhang
zwischen Hirninfarkt und Heilbehandlung sei zusammenfassend deshalb zu
bejahen, weil die Behandlung des Bluthochdruckes von den Ärzten der Klinik
Z.________ empfohlen, vom Verstorbenen eingeleitet, aber von den behandelnden
Ärzten nicht in optimaler Form weitergeführt worden sei. Die nach der
Operation erfolgte Hypertoniebehandlung, welche des erhöhten
Operationsrisikos wegen aufgenommen worden sei, gehöre zur Heilbehandlung.
Nach BGE 128 V 169 genüge dies für die Leistungspflicht der SUVA. Gemäss
Praxis müsse insbesondere nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargetan
werden, dass objektiv eine Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht gegeben
sei. Dadurch seien die dem Zivilrecht immanenten Beweisschwierigkeiten
bezüglich des natürlichen Kausalzusammenhangs von vornherein nicht von
Bedeutung.

2.3  Demgegenüber weist die SUVA darauf hin, dass der status quo ante bzw.
sine zufolge der gerichtsgutachterlichen Meinung im Zeitpunkt der
Physiotherapiesitzung vom 25. November 1999 längst wieder erreicht gewesen
sei. Dies sei die allein entscheidende Frage, weil damit ein natürlicher
Kausalzusammenhang zwischen der unfall-bedingten operativen Phase und der
Hirnblutung mit deren Folgen ausscheide. Auch wenn die für die SUVA tätigen
Ärzte im Rahmen der Unfallbehandlung der Meinung gewesen wären, die
Hypertonietherapie sei weiterzuführen, so hätte es sich dabei um einen
selbstverständlichen Hinweis zuhanden des Hausarztes gehandelt, dem
chronischen Krankheitszustand weiterhin die notwendige Beachtung zu schenken.
Für die konkreten Massnahmen wäre aber die Krankenversicherung zuständig
gewesen.

3.
Verschlimmert der Unfall (oder eine unfallbedingte Behandlung) einen
krankhaften Vorzustand oder lässt er ihn überhaupt erst manifest werden,
entfällt die Leistungspflicht des Unfallversicherers erst, wenn der Unfall
nicht mehr die natürliche (und adäquate) Ursache des Gesundheitsschadens
darstellt, wenn dieser also nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden
Ursachen beruht. Dies trifft dann zu, wenn entweder der (krankhafte)
Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem Unfall bestanden hat (status
quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie er sich nach dem
schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall
früher oder später eingestellt hätte (status quo sine), erreicht ist (RKUV
1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b mit Hinweisen).

3.1  Unter Berufung auf BGE 128 V 169 hat das kantonale Gericht festgestellt,
für die Leistungspflicht der SUVA spiele es keine Rolle, ob vor, während oder
nach der unfallbedingten Operation der chronisch erhöhte Blutdruck hätte
gesenkt werden müssen; entscheidend sei vielmehr, dass die unfallbedingte
Heilbehandlung keine Teilursache für die spätere Hirnblutung darstelle,
weshalb eine Leistungspflicht des Unfallversicherers entfalle. In BGE 128 V
169 wurde die Haftung des Unfallversicherers für ein mit dem versicherten
Unfall in keinem Zusammenhang stehendes Krebsleiden, das während der
Heilbehandlung im Sinne von Art. 10 UVG nicht (rechtzeitig) entdeckt worden
ist, verneint. Im Gegensatz dazu gab der krankhafte Vorzustand
(Bluthochdruck) im vorliegend zu beurteilenden Fall unbestrittenermassen
bereits vor dem unfallbedingten operativen Eingriff zu höheren
Vorsichtsmassnahmen Anlass. Die unfallbedingte Heilbehandlung und die
chronische Hypertonie überlagerten sich und standen insofern in einer
gegenseitigen Abhängigkeit, als die Unfallbehandlung als solche geeignet war,
das Risiko der Dekompensation des Bluthochdruckes zu begünstigen. Dies ergibt
sich aus dem Ergänzungsgutachten vom 22. Juni 2003, in welchem festgehalten
wird, dass der Bluthochdruck nach der Operation fortbestanden habe, die
Risikosituation jedoch trotz suboptimaler Behandlungsmassnahmen (bezüglich
der Hypertonie) schadenfrei überstanden gewesen und der Vorzustand einer
allgemeinen gesundheitlichen Gefährdung durch die erhöhten Blutdruckwerte
wieder erreicht worden sei. Auf Grund dieser schlüssigen und einlässlich
begründeten Angaben der Gerichtsexperten ist der SUVA beizupflichten, dass
der status quo ante bzw. sine am 25. November 1999, am Tag der Hirnblutung
schon seit längerem wieder hergestellt war, womit ein natürlicher
Kausalzusammenhang zwischen der durch das versicherte Unfallereignis
notwendig gewordenen Operation sowie der perioperativen Phase einerseits und
der Hirnblutung (mit ihren Folgen) andererseits im Zeitpunkt der
Physiotherapiesitzung vom 25. November 1999 fehlt.

3.2  Die Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, wonach die
Unterlassung einer optimalen Behandlung des Bluthochdruckes als grundsätzlich
geeignet anzusehen sei, den Eintritt eines Hirninfarktes zumindest zu
begünstigen, und die unterlassene angemessene Überwachung und Behandlung des
Bluthochdrucks der letzte entscheidende Faktor gewesen sei, welcher die
Komplikation der Hirnblutung ausgelöst habe, vermögen am fehlenden
natürlichen Kausalzusammenhang zwischen unfallbedingter Operation und
Heilbehandlung einerseits und Hirnblutung mit Folgen anderseits nichts zu
ändern. Die Argumentation der Beschwerdeführerin läuft, wie die SUVA richtig
ausführt, auf eine unzulässige Risikoverschiebung von der Kranken- zur
Unfallversicherung hinaus. Würde der Unfallversicherer im Sinne der
Betrachtungsweise der Beschwerdeführerin dazu verpflichtet, auch nach der
unfallbedingt notwendig gewordenen Behandlung eines chronischen krankhaften
Vorzustandes die Therapiekosten zu tragen und überhaupt für alle Folgen der
Krankheit einzustehen, übernähme er insoweit die Funktion der
Krankenversicherung und hätte in diesem Zusammenhang gegebenenfalls auch
Renten auszurichten, Leistungen also, welche die Krankenversicherung gar
nicht kennt. Es muss demzufolge dabei bleiben, dass die Leistungspflicht des
Unfallversicherers mit dem Eintritt des status quo ante bzw. sine dahinfällt.
Da vorliegend der krankhafte Vorzustand einer allgemeinen gesundheitlichen
Gefährdung durch die erhöhten Blutdruckwerte zur Zeit der Hirnblutung am 25.
November 1999 nach der vorinstanzlich eingeholten Expertenmeinung zweifellos
wieder erreicht war, lässt sich der ablehnende Entscheid des kantonalen
Gerichts im Ergebnis nicht beanstanden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG)
zugestellt.

Luzern, 19. Juli 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: