Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 269/2004
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U 269/04

Urteil vom 10. Januar 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und nebenamtlicher Richter
Meyer; Gerichtsschreiber Grunder

H.________, 1977, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Peter
Kaufmann, Münzgraben 2, 3011 Bern,

gegen

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Rechtsdienst Personen,
Laupenstrasse 27, 3001 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg, Givisiez

(Entscheid vom 8. Juli 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1977 geborene H.________ arbeitete als kaufmännische Angestellte in der
Firma X.________ SA und war dadurch bei der Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz) obligatorisch gegen die
Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten
versichert. Am 16. Mai 2002 fuhr ein Auto von hinten auf den von ihr
gelenkten, in einer stehenden Kolonne wartenden Personenwagen. Der von ihr am
27. Mai 2002 wegen Kopf- und Nackenschmerzen konsultierte Dr. med.
E.________, Facharzt Allgemeine Medizin FMH, diagnostizierte im Bericht vom
27. Mai 2002 ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS) und verordnete
Medikamente und Physiothapie. Es bestand keine Arbeitsunfähigkeit. Gemäss
Bericht vom 30. Januar 2003 des Dr. med. E.________ war der Heilungsverlauf
protrahiert, weswegen die Behandlung noch nicht abgeschlossen werden konnte.
Eine röntgenologische Abklärung der HWS durch Dr. med. S.________, Radiologie
FMH, vom 24. März 2003 ergab einen unauffälligen Befund ohne Fehlhaltung oder
ossäre Läsion der HWS. Gestützt auf eine Stellungnahme des beratenden Arztes
vom 24. April 2003 stellte die Allianz mit Verfügung vom 5. Juni 2003 die
Versicherungsleistungen rückwirkend auf den 1. Juni 2003 ein, weil zufolge
Erreichens des status quo sine der natürliche Kausalzusammenhang zwischen den
geltend gemachten Beschwerden und dem Unfall zu verneinen sei. An diesem
Ergebnis hielt sie auf Einsprache hin mit der Begründung fest, es bestehe
kein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem
eingetretenen Gesundheitsschaden (Einspracheentscheid vom 24. September
2003).

B.
Mit hiegegen erhobener Beschwerde reichte H.________ unter anderem einen
Bericht des Dr. med. B.________, Chiropraktiker, vom 18. Dezember 2003 sowie
des Dr. med. E.________ vom 16. Oktober 2003 ein und beantragte, die Allianz
sei zu verpflichten, ihr über den 1. Juni 2003 hinaus die gesetzlichen
Leistungen zu erbringen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg wies die
Beschwerde ab (Entscheid vom 8. Juli 2004 ab).

C.
H.________ lässt unter Auflage der Berichte des Dr. med. E.________ vom 11.
und 18. August 2003 Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das
vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.
Die Allianz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Leistungspflicht des Unfallversicherers nach UVG setzt voraus, dass
zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit,
Invalidität, Tod) ein natürlicher (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 119 V 337 Erw. 1,
118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen) und ein adäquater Kausalzusammenhang
(BGE 129 V 181 Erw. 3.2, 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen) besteht. Hat die
versicherte Person beim Unfall ein Schleudertrauma der HWS, eine diesem
äquivalente Verletzung (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 Erw. 2) oder ein
Schädel-Hirntrauma erlitten, ohne dass organisch nachweisbare
Funktionsausfälle vorliegen, so wird im Gegensatz zu der bei psychischen
Unfallfolgen geltenden Praxis (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa) bei der Beurteilung
der Adäquanz auf eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen
Komponenten verzichtet, da nicht entscheidend ist, ob die Beschwerden
medizinisch eher als organischer oder psychischer Natur zu bezeichnen sind
(BGE 117 V 366 f. Ew. 6a; ferner RKUV 2002 Nr. U 465 S. 438 f. Erw. 3a und b,
2000 Nr. U 395 S. 318 Erw. 3). Das kantonale Gericht hat diese Rechtsprechung
zutreffend dargelegt, weshalb darauf verwiesen wird. Zu ergänzen ist, dass im
Rahmen der Prüfung der Adäquanz den in Betracht fallenden Leistungsarten
(Heilbehandlung, Taggeld, Invalidenrente, Integritätsentschädigung) keine
Massgeblichkeit zukommt (BGE 127 V 104 f. Erw. 5d).

1.2 Nach Art. 10 Abs. 1 UVG hat der Versicherte Anspruch auf die zweckmässige
Behandlung der Unfallfolgen (Heilbehandlung). Pflegeleistungen sind (nur)
solange zu erbringen, als davon eine namhafte Besserung des
Gesundheitszustandes erwartet werden kann (Art. 19 Abs. 1 erster und zweiter
Satz e contrario). Erachtet der Unfallversicherer diese Voraussetzung nicht
mehr als gegeben oder hält er eine laufende oder wieder beantragte Behandlung
für unzweckmässig, kann er deren Fortsetzung gestützt auf Art. 48 Abs. 1 UVG
ablehnen (BGE 128 V 171 Erw. 1b).

1.3 Ob die geklagten Beschwerden adäquat kausale Unfallfolgen sind, ist erst
nach Abschluss des normalen, unfallbedingt erforderlichen Heilungsprozesses
zu prüfen (in HAVE 2004 S. 119 zusammengefasstes Urteil K. vom 11. Februar
2004, U 246/03; Urteile K. vom 6. Mai 2003, U 6/03, R. vom 9. September 2002,
U 412/01, A. vom 6. November 2001, U 8/00, D. vom 16. März 2000, U 127/99 und
H. vom 29. März 2001, U 114/00).

2.
Streitig ist einzig, ob die Beschwerdeführerin ab 1. Juni 2003 weiterhin
Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung hat.

2.1 Es steht auf Grund der medizinischen Unterlagen fest und ist
unbestritten, dass zwischen dem Unfall vom 16. Mai 2002, bei welchem die
Versicherte ein Schleudertrauma der HWS erlitten hat, und den über den 1.
Juni 2003 anhaltenden Beschwerden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein
natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist. Psychische Beeinträchtigungen
wurden bis zum massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides vom 24.
September 2003 (BGE 129 V 4 Erw. 1.2) keine geltend gemacht, sodass die
Beurteilung der Adäquanz gemäss den Grundsätzen in BGE 117 V 367 Erw. 6a zu
erfolgen hat. Hinsichtlich des als mittelschwer zu beurteilenden und dort im
Grenzbereich zu den leichten Unfällen einzureihenden Unfalles vom 16. Mai
2002 hat das kantonale Gericht festgestellt, dass die zu berücksichtigenden
Kriterien weder besonders ausgeprägt, noch in gehäufter und auffallender
Weise gegeben seien, weshalb es den adäquaten Kausalzusammenhang und damit
die Leistungspflicht der Allianz in Bestätigung des Einspracheentscheids
verneinte. Anschliessend hat die Vorinstanz den von der Allianz festgesetzten
Zeitpunkt der Leistungseinstellung (1. Juni 2003) geprüft und im Wesentlichen
mit der Begründung für richtig befunden, die ärztliche Behandlung habe wegen
des sich verzögernden Heilverlaufs nicht bis zum Erlass des
Einspracheentscheides vom 24. September 2003 abgeschlossen werden können,
weshalb die Adäquanz zu Recht ein Jahr nach dem Unfall beurteilt worden sei.

2.2 Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin wie bereits im vorinstanzlichen
Verfahren geltend, die Adäquanzprüfung sei zu früh erfolgt. Die medizinische
Behandlung sei am 1. Juni 2003 noch nicht abgeschlossen gewesen. Von der
Fortsetzung der verordneten Physiotherapie und chiropraktischen Behandlung
habe eine Besserung der gesundheitlichen Beschwerden erwartet werden können.
Um den Adäquanzkriterien gerecht zu werden, müsse ein längerer Zeitraum als
die von der Allianz in Betracht gezogene einjährige Entwicklung abgewartet
werden. Im Übrigen seien für eine abschliessende Beurteilung der
Adäquanzkriterien weitere Abklärungen erforderlich.

2.3 Dr. med. E.________ hielt im Bericht vom 30. Januar 2003 fest, der
Verlauf sei protrahiert mit rezidivierenden Blockierungen der HWS sowie
persistierenden Kopf- und Nackenschmerzen (vor allem im Anschluss an
körperliche Tätigkeiten). Die Behandlung, die aktuell Physiotherapie
beinhalte, sei noch nicht abgeschlossen. Der unfallbedingte gesundheitliche
Endzustand sei nicht erreicht. Gemäss vorinstanzlich aufgelegtem Bericht des
Dr. med. B.________ vom 18. Dezember 2003 wurde die Versicherte ab Juli 2003
chiropraktisch behandelt. Diesen Unterlagen lässt sich nicht entnehmen, dass
im massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides der normale unfallbedingt
erforderliche Heilungsprozess abgeschlossen und von einer Fortsetzung der
Behandlung keine namhafte Besserung mehr zu erwarten war. Eine
Behandlungsbedürftigkeit (im Sinne medikamentöser Schmerz- und
Physiotherapie) während zwei bis drei Jahren nach einem Schleudertrauma der
HWS (respektive einer äquivalenten Verletzung mit ähnlichem Beschwerdebild)
ist durchaus üblich, wie die Vorinstanz mit Hinweis auf das Urteil H. vom 30.
Mai 2003, U 353/02, einräumt (vgl. auch Urteile B. vom 7. Juli 2004, U 348/03
und H. vom 19. Mai 2004, U 330/03). Aus der Feststellung des Dr. med.
E.________, der Verlauf sei protrahiert, lässt sich nicht der Schluss ziehen,
es handle sich um eine aussergewöhnliche Entwicklung. Vielmehr brachte er zum
Ausdruck, dass er von weiteren medizinischen Massnahmen eine Besserung der
gesundheitlichen Beschwerden erwartete. Zwar hat Dr. med. E.________ gemäss
letztinstanzlich aufgelegtem Bericht vom 11. August 2004 die Frage, ob der
Endzustand erreicht sei, offen gelassen. Diese Aussage bezieht sich aber auf
einen nach dem massgeblichen Zeitpunkt des Einspracheentscheids liegenden
Zeitraum, weshalb sie nicht zu berücksichtigen ist. Die Adäquanzbeurteilung
erfolgte unter den gegeben Umständen verfrüht. Da somit ein Dahinfallen der
Unfallkausalität nicht erstellt ist, hat die Beschwerdegegnerin über den 1.
Juni 2003 hinaus und jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Einspracheentscheids
vom 24. September 2003 die Heilbehandlung zu übernehmen, deren Umfang sie im
Einzelnen noch festzulegen haben wird.

3.
Da es im vorliegenden Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen geht, ist von der Auferlegung von Gerichtskosten
abzusehen (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist der
Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 8. Juli 2004 und der
Einspracheentscheid vom 24. September 2003 aufgehoben, und es wird die Sache
an die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft zurückgewiesen, damit sie im
Sinne der Erwägungen über den Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin ab 1.
Juni 2003 neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft hat der Beschwerdeführerin für
das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung vom Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG)
zugestellt.

Luzern, 10. Januar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: