Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 24/2004
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U 24/04

Urteil vom 30. April 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Jancar

W.________, 1948, Beschwerdeführer, vertreten durch
Fürsprecher Prof. Dr. Jürg Brühwiler, Centralstrasse 4, 2540 Grenchen,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 4. Dezember 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1948 geborene W.________ ist gelernter Feinmechaniker und war seit 1982
als Werkzeugmacher bei der Firma X.________ SA angestellt. Am 18. Januar 1998
erlitt er bei einem Sturz während des Skifahrens eine Schulterluxation
rechts. Gleichentags erfolgte eine Reposition der Schulter. Die
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) erbrachte die gesetzlichen
Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). In der Folge entwickelte sich eine
Schultersteife rechts. Am 29. April 1998 wurde der Versicherte operiert
(Arthroskopie, subacromiales Debridement und Mobilisation der Schulter
rechts). Bis 15. Juni 1998 war er voll arbeitsunfähig. Ab 16. Juni 1998 nahm
er die angestammte Arbeit wieder auf, wobei die Arbeitsfähigkeit nur 50 %
betrug. Seit Ende März 2000 wird er im Betrieb an einem Schonarbeitsplatz
eingesetzt; seine Aufgabe besteht darin, Uhrenteile zu sortieren und zu
messen. Zur Abklärung der Verhältnisse zog die SUVA diverse Arztberichte
sowie ein Gutachten des PD Dr. med. E.________, Chefarzt-Stellvertreter,
Klinik und Poliklinik für Orthopädische Chirurgie, Spital Y.________, vom 1.
November 2001 bei. Mit Verfügung vom 14. März 2002 sprach sie dem
Versicherten ab 1. April 2002 eine Invalidenrente bei einer
Erwerbsunfähigkeit von 37 % zu. Hiegegen erhob der Versicherte Einsprache. In
der Folge zog die SUVA eine zuhanden der IV-Stelle Bern erstellte Expertise
des Psychiaters Dr. med. H.________ vom Juni 2002 bei. Mit Entscheid vom 31.
Juli 2002 wies die SUVA die gegen die Verfügung vom 14. März 2002 erhobene
Einsprache ab.
Mit Verfügung vom 9. Oktober 2002, bestätigt durch Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 4. Dezember 2003, lehnte die
IV-Stelle den Anspruch des Versicherten auf eine Invalidenrente ab, da ein
Invaliditätsgrad von 37 % vorliege. Diese Sache ist Gegenstand des beim
Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Verfahrens I 38/04.

B.
Der Versicherte erhob gegen den Einspracheentscheid vom 31. Juli 2002 beim
Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde und beantragte, es sei ihm ab
1. April 2002 eine angemessen erhöhte Invalidenrente zuzusprechen; eventuell
sei die Sache zur neuen Beurteilung und Entscheidung an die SUVA
zurückzuweisen. Er legte Berichte des Dr. med. U.________ vom 20. März und 5.
November 2002 sowie des Dr. med. P.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 17.
Oktober 2002, auf. Am 6. Dezember 2002 reichte er einen Bericht des
Orthopäden Dr. med. L.________ vom 13. November 2002 ein. Am 14. November
2003 verlangte der Versicherte die Sistierung des Verfahrens bis Ende
Dezember 2003, da er sich einer Arthro-MRI-Untersuchung zur Abklärung der
Frage unterziehen werde, ob eine residuelle posttraumatische frozen shoulder
vorliege. Am 19. November 2002 wies das kantonale Gericht diesen Antrag und
mit Entscheid vom 4. Dezember 2003 die Beschwerde ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt der Versicherte die Aufhebung des
kantonalen Entscheides und erneuert die vorinstanzlich gestellten Anträge.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Am 2. März 2004 reicht die SUVA einen Bericht des Dr. med. L.________ vom 23.
Dezember 2003 ein. Am 17. März 2004 nimmt der Versicherte hiezu Stellung und
legt einen Attest der Frau Dr. med. S.________, Fachärztin für Psychiatrie
und Psychotherapie FMH, vom 5. März 2004 auf.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die Grundsätze
über den Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung (Art. 18
Abs. 1 UVG), den Begriff der Invalidität (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG), die
Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG; BGE 128 V 30 Erw. 1, 174),
den für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten
natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen
Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 123 V 45 Erw. 2b, 121 V 329 Erw.
2a, je mit Hinweisen; SVR 2000 UV Nr. 8 S. 26 Erw. 2), die vorausgesetzte
Adäquanz des Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 127 V 102 Erw. 5b/aa,
125 V 461 Erw. 5a, je mit Hinweisen) und bei psychischen Unfallfolgen im
Besonderen (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb, 115 V 133 ff.; RKUV 2001 Nr. U 412 S.
80) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich des Beweiswerts eines
Arztberichts (BGE 125 V 352 Erw. 3a und 353 Erw. 3b; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a
und S. 114 Erw. 3b/cc). Beizupflichten ist im Weiteren den Erwägungen der
Vorinstanz, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über
den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000
nicht anwendbar ist (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass unter gewissen Umständen auch somatoforme
Schmerzstörungen eine Arbeitsunfähigkeit verursachen können. Sie fallen unter
die Kategorie der psychischen Leiden (zu deren invalidisierenden Charakter
generell BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; siehe auch BGE
127 V 298 ff. Erw. 4c und 5), für die grundsätzlich ein psychiatrisches
Gutachten erforderlich ist, wenn es darum geht, über das Ausmass der durch
sie bewirkten Arbeitsunfähigkeit zu befinden (AHI 2000 S. 159 Erw. 4b mit
Hinweisen; Urteile R. vom 2. Dezember 2002 [I 53/02] Erw. 2.2, L. vom 6. Mai
2002 [I 275/01] Erw. 3a/bb und b und Q. vom 8. August 2002 [I 783/01] Erw.
3a). In Anbetracht der sich mit Bezug auf Schmerzen naturgemäss ergebenden
Beweisschwierigkeiten genügen mithin die subjektiven Schmerzangaben der
versicherten Person für die Begründung einer (teilweisen) Invalidität allein
nicht; vielmehr muss im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen
Leistungsprüfung verlangt werden, dass die Schmerzangaben durch damit
korrelierende, fachärztlich schlüssig feststellbare Befunde hinreichend
erklärbar sind, andernfalls sich eine rechtsgleiche Beurteilung der
Rentenansprüche nicht gewährleisten liesse (zur Publikation in der Amtlichen
Sammlung vorgesehenes Urteil N. vom 12. März 2004 Erw. 2.2.2, I 683/03).

2.
In somatischer Hinsicht stützten sich SUVA und Vorinstanz auf das
orthopädische Gutachten des PD Dr. med. E.________ vom 1. November 2001,
wonach der Versicherte an einem Schulterschmerzsyndrom rechts bei Status nach
Erstluxation im Januar 1998 und Entwicklung einer posttraumatischen
Schultersteife leidet. Seine Arbeitsfähigkeit in der aktuellen Tätigkeit des
Sortierens und Messens von Uhrenteilen sei zeitlich nicht eingeschränkt.
Hiegegen werden in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine Einwendungen mehr
erhoben, weshalb darauf abgestellt werden kann.

3.
3.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden demgegenüber psychische
Beschwerden, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigten, geltend gemacht.
Diesbezüglich wird ausgeführt, das von der IV-Stelle in Auftrag gegebene
Gutachten des Psychiaters Dr. med. H.________ vom Juni 2002 sei nicht
beweiskräftig. Es beruhe nicht auf umfassenden Untersuchungen und
berücksichtige nicht die vom Beschwerdeführer geklagten Schmerzen in der
Schulter und im Arm. Es gebe über weite Strecken die Aussagen des
Beschwerdeführers und seiner Ehefrau verharmlosend und unrichtig wieder. Es
sei vielmehr auf den Bericht der Psychiaterin Dr. med. S.________ vom 5. März
2004 abzustellen.

3.2 Dr. med. H.________ kam in seiner Expertise zum Schluss, dass ein
weitgehend unauffälliger psychischer und psychosomatischer Gesundheitszustand
vorliege. Allenfalls lägen leichte depressive Reaktionen (ICD-10: F43.20)
vor. Es bestehe keine psychiatrische oder psychosomatisch verursachte
verminderte Leistungsfähigkeit. Die Arbeitsfähigkeit in der bisherigen
Tätigkeit sei nicht eingeschränkt. Der Versicherte könne auch eine andere,
vorzugsweise leichtere Arbeit weitgehend voll ausüben.
Es fällt auf, dass die Einwendungen gegen dieses Gutachten erst im Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht erhoben werden. Sowohl im
Verfahren vor der SUVA als auch im Parallelprozess gegen die IV-Stelle hatte
der Beschwerdeführer Gelegenheit, zum vorgelegten Gutachten Stellung zu
beziehen. Er hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht und sich in
beiden Prozessen vor dem kantonalen Gericht primär auf somatische Beschwerden
berufen. Soweit nunmehr geltend gemacht wird, die Expertise von Dr. med.
H.________ gebe die Äusserungen des Beschwerdeführers unrichtig wieder, kann
dem nicht gefolgt werden, ist doch anzunehmen, dass dieser Einwand bereits
früher erhoben worden wäre, wenn er zuträfe.

3.3 Das Gutachten erfüllt im Übrigen die rechtsprechungsgemäss an einen
ärztlichen Bericht gestellten Anforderungen. Insbesondere setzt es sich mit
den vom Beschwerdeführer geklagten psychischen Beschwerden auseinander und
nimmt eine umfassende Beurteilung vor (BGE 125 V 352 Erw. 3a).

3.4 Schliesslich steht das Gutachten auch nicht im Widerspruch zum Bericht
von Frau Dr. med. S.________ vom 5. März 2004. Hierin wird festgehalten, die
Situation habe sich gegenüber derjenigen im Mai 2002, als das Gutachten
verfasst worden sei, verschlechtert. Die im Gutachten von Dr. med. H.________
erwähnte Freude des Versicherten an der Vogelhaltung und an seiner
Arbeitstätigkeit seien nicht mehr vorhanden. Von Arbeitsfreude wolle er
lieber gar nicht reden. Der Versicherte erzähle von einer grossen
Traurigkeit, von seiner Hoffnungslosigkeit in Bezug auf sein Restleben. Es
habe eine depressive Entwicklung stattgefunden. Die Arbeitsunfähigkeit
betrage mindestens 50 %. Zum heutigen Zeitpunkt sei der Explorand mit seinem
psychischen Status eindeutig anders zu definieren, als im Gutachten vom Juni
2002.
Mithin wird das Gutachten des Dr. med. H.________ auch durch den Arztbericht
von Frau Dr. med. S.________ nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr
bestätigt. Ob seit der Begutachtung eine Verschlechterung des psychischen
Zustandes stattgefunden hat, ist nicht näher zu prüfen, ist doch auf den
Zeitpunkt des streitigen Einspracheentscheides (31. Juli 2002), welchem das
Gutachten von Dr. med. H.________ zu Grunde liegt, abzustellen.

4.
Mithin hat die Vorinstanz zu Recht eine volle Arbeitsfähigkeit in der
derzeitigen Beschäftigung angenommen. Demnach erübrigen sich weitere
Ausführungen zum Kausalzusammenhang.

5.
Nach dem Gesagten ist auf Beweisergänzungen in medizinischer Hinsicht zu
verzichten, da der rechtserhebliche Sachverhalt hinreichend erstellt ist und
von weiteren Abklärungen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind
(antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b; SVR 2 IV Nr. 10 S. 28
Erw. 4b).
In masslicher Hinsicht ist der von der SUVA und der Vorinstanz vorgenommene
Einkommensvergleich, der zu einem Invaliditätsgrad von 37 % führt,
unbestritten und nicht zu beanstanden. Damit ist der vorinstanzlich
bestätigte Einspracheentscheid vom 31. Juli 2002 rechtens.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.
Luzern, 30. April 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: