Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 234/2004
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U 234/04

Urteil vom 15. September 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Scartazzini

L.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. André
Largier, Sonneggstrasse 55, 8006 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 24. Mai 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1956 geborene L.________ war im Laden X.________, beschäftigt und dadurch
gegen die Folgen von Unfällen bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch versichert. Am 1. November
2001 reichte der Arbeitgeber eine Unfallmeldung ein, wonach eine im Rahmen
einer rheumatologischen Untersuchung von Dr. med. B.________, Klinik
Y.________, am 19. (recte: 17.) Oktober 2001 vorgenommene Manipulation an der
Halswirbelsäule zu Beschwerden und Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Mit
Verfügung vom 7. Mai 2003 lehnte die SUVA ihre Leistungspflicht ab mit der
Begründung, dass kein Unfall im Rechtssinne vorliege. An dieser Auffassung
hielt sie im Einspracheentscheid vom 3. Juli 2003 fest.

B.
Die dagegen geführte Beschwerde, womit beantragt wurde, die Fehlbehandlung
von Dr. med. B.________ vom 17. Oktober 2001 sei als Unfall zu qualifizieren,
sodass die SUVA in Aufhebung des Einspracheentscheides zu verpflichten sei,
der Versicherten die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen, wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 24. Mai 2004
ab.

C.
L.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und den im
vorinstanzlichen Verfahren gestellten Antrag erneuern.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die von Dr. med. B.________ im Rahmen
seiner gutachtlichen, rheumatologischen Untersuchung der  Beschwerdeführerin
am 17. Oktober 2001 vorgenommene medizinische Vorkehr das zum Unfallbegriff
gehörende Merkmal der Ungewöhnlichkeit erfüllt, und ob die daraus
entstandenen gesundheitlichen Beschwerden bis längstens zum Erlass des
Einspracheentscheides vom 3. Juli 2003, welcher rechtsprechungsgemäss die
zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildet (BGE 121 V 366
Erw. 1b mit Hinweis; vgl. auch BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1,
je mit Hinweisen), Anspruch auf Versicherungsleistungen geben. Die zur
Beurteilung der Frage der Erfüllung des gesetzlichen Unfallbegriffs von
ärztlichen Eingriffen rechtsprechungsgemäss erforderlichen  Grundsätze hat
das kantonale Gericht in allen Teilen zutreffend dargelegt (BGE 121 V 38 Erw.
1b, 118 V 284 Erw. 2b, je mit Hinweisen; RKUV 2003 Nr. U 492 S. 372 Erw. 2.3,
2000 Nr. U 407 S. 404 f. Erw. 2). Darauf wird verwiesen.

Festzuhalten ist ferner, dass die leistungsansprechende Person die einzelnen
Umstände des Unfallgeschehens glaubhaft zu machen hat und, falls sie dieser
Forderung nicht nachkommt, für den Unfallversicherer keine Leistungspflicht
besteht (BGE 114 V 305 Erw. 5b; RKUV 1990 Nr. U 86 S. 50; SVR 1997 UV Nr. 74
S. 256 Erw. 2c). Der Untersuchungsmaxime entsprechend hat das Gericht demnach
von Amtes wegen die notwendigen Beweise zu erheben und kann zu diesem Zwecke
auch die Parteien heranziehen. Wird auf Grund dieser Massnahmen das Vorliegen
eines Unfalls nicht wenigstens mit Wahrscheinlichkeit erstellt - die blosse
Möglichkeit genügt nicht -, so hat ein Unfallereignis als unbewiesen zu
gelten, was sich zu Lasten der leistungsansprechenden Person auswirkt (BGE
116 V 140 Erw. 4b).

1.2 Zu ergänzen ist einerseits, dass in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich
diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu
Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1).
Weil sich der als Anspruchsgrundlage angerufene Sachverhalt am 17. Oktober
2001, mithin - in seiner Gesamtheit - unter Geltung der altrechtlichen
Gesetzgebung verwirklicht hat, ist der Unfallbegriff nach der in Art. 9 Abs.
1 UVV normierten Definition anwendbar, wobei auch nach In-Kraft-Treten des
ATSG die bisherige Rechtsprechung zum gesetzlichen Unfallbegriff (Art. 4
ATSG) und den einzelnen begriffscharakteristischen Merkmalen weiterhin
Geltung behält (Urteil F. vom 5. Juli 2004, U 123/04). Andererseits ist zu
präzisieren, dass sich die Frage des Leistungsanspruchs, stehen doch keine
laufenden Leistungen im Sinne der übergangsrechtlichen Ausnahmebestimmung des
Art. 82 Abs. 1 ATSG, sondern allenfalls Dauerleistungen im Streit, über
welche noch nicht rechtskräftig verfügt worden ist, - den allgemeinen
intertemporalrechtlichen Regeln folgend - für die Zeit bis 31. Dezember 2002
auf Grund der bisherigen Rechtslage und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen
Normen des auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretenen ATSG und dessen
Ausführungsverordnungen (noch nicht in der Amtlichen Sammlung
veröffentlichtes Urteil M. vom 5. Juli 2004, I 690/03, Erw. 1 mit Hinweis auf
das ebenfalls noch nicht in der Amtlichen Sammlung publizierte Urteil L. vom
4. Juni 2004, H 6/04) beurteilt.

2.
Die Versicherte wurde am 13. Mai 2000 in einen Verkehrsunfall verwickelt, der
nach einigen Tagen zu Schmerzen im Nacken- und Hinterkopfbereich führte. Am
17. Oktober 2001 untersuchte Dr. med. B.________, Chefarzt Rheumatologie,
Klinik Y.________, die Beschwerdeführerin im Auftrag der
Invalidenversicherung zu diesem   Geschehen. Daraufhin machte L.________
geltend, anlässlich der durchgeführten ärztlichen Untersuchung sei eine
falsche Manipulation an der Halswirbelsäule vorgenommen worden, welche zu
schwerwiegenden Folgen geführt habe. Am 19. Oktober 2001 konsultierte sie Dr.
med. U.________, der einen akuten Schwindelzustand nach Schleudertrauma vor
einem Jahr diagnostizierte, wobei die Angehörigen der Beschwerdeführerin
angaben, die Schwindelsymptomatik habe sich seit der Untersuchung durch Dr.
med. B.________ verschlimmert.

2.1 Die Vorinstanz stützte sich hauptsächlich auf vollständige Angaben der
Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes, auf einen Bericht von Dr. med.
T.________, Fachärztin für Neurologie (vom 11. Dezember 2001), auf die
Stellungnahme von Dr. med. B.________, der am 29. August 2002 die
vorgenommene Untersuchung schilderte, auf die am 22. Mai 2003 gemachten
Ausführungen von Dr. med. S.________, Facharzt FMH für Chirurgie, Abteilung
Versicherungsmedizin der SUVA, sowie auf ein Gutachten, welches im Auftrag
der Beschwerde"führerin am 12. Januar 2004 von PD Dr. med. F.________,
Spezialarzt FMH für Physikalische Medizin und Rehabilitation, speziell
Rheumaerkrankungen, erstellt wurde. Dabei hat das kantonale Gericht in
sorgfältiger Würdigung der Aktenlage erwogen, die von der Neurologin Dr. med.
T.________ als "grob" bezeichnete Untersuchung möge die Beschwerden verstärkt
haben; auch der Gutachter PD Dr. med. F.________ habe die Untersuchung einer
richtungsgebenden Verschlimmerung gleichgesetzt. Nach seiner
Betrachtungsweise habe Dr. med. B.________ jedoch lediglich eine normale
rheumatologische Untersuchung vorgenommen bzw. nach Manual-Therapie-Technik
die Halswirbelsäule untersucht, auch wenn die Vorkehr als unangenehm, grob
oder gar als Manipulation habe empfunden werden können. Denkbar sei auch,
dass einzelne Untersuchungshandlungen schmerzhaft waren, wobei allerdings
offen bleiben müsse, ob dabei auch der von der Beschwerdeführerin später
geltend gemachte stromstossähnliche Zwick aufgetreten sei, zumal es keine
entsprechende spontane Schmerzäusserung der Versicherten gab. Die Vorinstanz
gelangte zum Schluss, eine Untersuchung könne unter Umständen wohl zu einer
vorübergehenden Beschwerdezunahme führen. Die Handlungen von Dr. med.
B.________ seien jedoch klarerweise im für eine Beweglichkeitsprüfung der
Halswirbelsäule zulässigen, wenn nicht gar üblichen Rahmen anzusiedeln.

2.2 Demgegenüber wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneut geltend
gemacht, Dr. med. B.________ habe lediglich den Auftrag erhalten, die
Beschwerdeführerin zu begutachten; darin, dass er sie auch behandelt habe,
liege eine Verletzung der ärztlichen Sorgfalts-pflicht. Die Neurologin Dr.
med. T.________ habe eine akute Dekom-pensation festgestellt, und es sei
absolut glaubwürdig, dass die Patientin anlässlich der Behandlung einen Zwick
verspürt habe. Dem Gutachten von PD Dr. med. F.________ sei zu entnehmen,
dass er in Anbetracht der akuten Beschwerden auf die Erhebung eines Status
des Bewegungsapparates verzichtet habe. Daraus sei zu schliessen, dass es
unverantwortlich war, den ärztlichen Eingriff dennoch vorzunehmen und die
Beschwerdeführerin einem derartigen Risiko auszusetzen. Zudem bestehe Anlass,
die Praxis des Erfordernisses einer streng zu nehmenden Ungewöhnlichkeit
aufzugeben, weil sie sich nicht auf eine Rechtsnorm stütze und sich auch
nicht auf dem Weg der Auslegung rechtfertigen lasse. Entscheidend sei einzig,
ob die Schädigung mit der Einwilligung der Patientin erfolgte, was vorliegend
nicht zutreffe.

2.3 Die Argumentation der Beschwerdeführerin überzeugt nicht. Insbesondere
liegt ihr die unzutreffende Annahme zugrunde, die Untersuchung durch Dr. med.
B.________ habe auch Manipulationen eingeschlossen, wobei die Zunahme der
Beschwerden nach dem 17. Oktober 2001 ein Indiz für die Verletzung der
ärztlichen Sorgfaltspflicht darstelle. Diese Vorbringen vermögen keine
Leistungspflicht der SUVA zu begründen und für eine Praxisänderung (BGE 129 V
292 Erw. 3.2 mit Hinweisen) sind stichhaltige Gründe nicht ersichtlich. Wie
die Anstalt in ihrer Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zutreffend ausführt, hat Dr. med. B.________ in seinem Schreiben vom 29.
August 2002 genau beschrieben, welche Untersuchungen stattgefunden haben.
Nachdem auch der von der Beschwerdeführerin beauftragte Gutachter PD Dr. med.
F.________ in seinem Bericht vom 12. Januar 2004 attestiert hat, dass
derartige Abklärungen der Beweglichkeit der Wirbelsäulensegmente zur
rheumatologischen Untersuchungstechnik gehörten, besteht kein Anlass zu
prüfen, was unter eigentlichen Manipulationen zu verstehen wäre und ob solche
tatsächlich vorgenommen wurden. Ausschlaggebend für die Beantwortung der
Frage, ob die medizinische Vorkehr das zum Unfallbegriff gehörende Merkmal
der Ungewöhnlichkeit erfüllt, ist somit der Umstand, dass die Handlungen des
Begutachters offensichtlich nicht als vom medizinisch Üblichen ganz erheblich
abweichend noch, objektiv betrachtet, als entsprechend grosse Risiken nach
sich ziehend einzustufen waren. Auch konnten keine groben und
ausserordentlichen Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder sogar
absichtliche Schädigungen, mit denen niemand rechnete noch zu rechnen
brauchte, festgestellt werden. Sind die Voraussetzungen für die
Aussergewöhnlichkeit der medizinischen Vorkehr nicht erfüllt, besteht keine
Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 15. September 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: