Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 203/2004
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U 203/04

Urteil vom 10. November 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Schön; Gerichtsschreiber Hadorn

Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Alfred-Escher-Strasse 50, 8022 Zürich,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Jäger, c/o Anwaltsbüro
Waldvogel, Am Schanzengraben 27, 8039 Zürich,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Birmensdorferstrasse 94, 8003
Zürich, Beschwerdegegnerin,

betreffend L.________, 1952,

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 28. April 2004)

Sachverhalt:

A.
L. ________ (geb. 1952) ist bei der Helsana Versicherungen AG obligatorisch
kranken- und bei der Zürich Versicherungsgesellschaft unfallversichert. Am
15. Januar 2003 erlitt er bei einem Tauchgang ein Dekompressionstrauma und
ist seither querschnittgelähmt. Mit Verfügung vom 28. Mai 2003 lehnte die
Zürich Leistungen auf Grund dieses Ereignisses ab, da kein Unfall im
Rechtssinn vorliege. Hiegegen erhob die Helsana Einsprache, welche die Zürich
mit Entscheid vom 30. Juli 2003 abwies.

B.
Die von der Helsana dagegen erhobene Beschwerde hiess das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 28. April 2004
insofern gut, als es die Sache an die Zürich zurückwies, damit sie im Sinne
der Erwägungen verfahre. Das kantonale Gericht erachtete den Unfallbegriff
als erfüllt.

C.
Die Zürich lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, der
kantonale Entscheid sei aufzuheben.

Die Helsana schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet. Der
als Mitbeteiligter beigeladene L.________ äussert sich zur Sache, ohne einen
konkreten Antrag zu stellen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Versicherungsgericht hat die gesetzliche Bestimmung zum Begriff
des Unfalls (Art. 4 ATSG; vgl. auch altArt. 6 Abs. 1 UVG und Art. 9 Abs. 1
UVV) und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 121 V 38 Erw. 1a; RKUV 1996
Nr. U 253 S. 204 Erw. 2c) richtig dargelegt, worauf verwiesen wird.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob das Ereignis vom 15. Januar 2003 als Unfall zu
qualifizieren ist oder nicht.

2.1 Gemäss Bericht vom 4. März 2003 gab der Versicherte an, beim Auftauchen
habe er im Bereich von 5 Metern unter dem Wasserspiegel Lähmungen in den
Armen verspürt, sich an der Oberfläche übergeben müssen und sei bewusstlos
geworden. Aus den Aufzeichnungen des Tauchcomputers ergibt sich, dass bereits
in einer Tiefe von rund 7,5 Metern ein Alarm ausgelöst wurde. Hernach hielt
das Alarmzeichen mit kurzem Unterbruch zwischen etwa 6,5 - 6 Metern bis zum
Auftauchen an die Oberfläche an. Gemäss Aussagen des Partners gegenüber der
Polizei habe der Versicherte bei bisher problemlos verlaufenem Aufstieg auf
etwa fünf Metern Tiefe ein Zeichen gemacht, das er noch nie benutzt habe.
Hernach sei er ohne den üblichen Halt auf drei Metern Tiefe bis an die
Oberfläche gestiegen, jedoch nicht panikartig. "Ich denke, dass er die
Situation im Griff hatte". An der Oberfläche sei er zunächst noch bei
Bewusstsein gewesen und habe mit den Flossen nachgeholfen. Später sei er
bewusstlos geworden.

2.2 Im Urteil S. vom 13. Juli 1998 hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht erwogen, dass der normale Wasserdruck auf den Körper
kein relevanter äusserer Faktor ist. Dies gilt auch für die Druckveränderung,
die durch den normalen Bewegungsablauf des Tauchers beim Ab- und Auftauchen
bewirkt wird. Die Veränderung (Zu- oder Abnahme) des Menge des Gases, das
sich in Blut und Gewebe lösen lässt, ist ein körperinterner physiologischer
Vorgang. Von einem äusseren Faktor kann erst dann gesprochen werden, wenn ein
in der Aussenwelt auftretendes Ereignis den normalen Bewegungsvorgang des
Tauchers, also das Verhältnis zwischen Körper und Aussenwelt gewissermassen
"programmwidrig" beeinflusst und z.B. beim Auftauchen den Wasserdruck
plötzlich stark abfallen lässt. Mit Maurer (Schweizerisches
Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 176 f.) ist in einem solchen Fall der
äussere Faktor infolge der eingetretenen Programmwidrigkeit zugleich ein
ungewöhnlicher. In diesem Sinne ist denn auch der ungewöhnliche äussere
Faktor zu bejahen, wenn beim Ein- und Ausschleusen mit einem Senkkasten wegen
eines Mangels an den Apparaturen oder unrichtiger Bedienung derselben eine
allzu rasche Kompression oder Dekompression stattfindet (EVGE 1954 S. 249,
1938 S. 66 f.). Jedoch lässt sich nicht sagen, dass beim Tauchen in eine
Tiefe, wie sie der Versicherte auf dem hier streitigen Tauchgang erreicht
hat, der Wasserdruck generell einen ungewöhnlichen äusseren Faktor darstellt.
Ungewöhnlichkeit kann erst angenommen werden, wenn eine Programmwidrigkeit
den Auftauchvorgang beeinflusst und zufolge Fehlverhaltens des Tauchers den
Druck zu schnell absinken lässt. Aus Rumo-Jungo, Rechtsprechung des
Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die
Unfallversicherung, 3. Auflage, Zürich 2003, S. 31, lässt sich nichts anderes
ableiten. Namentlich wird dort entgegen der Behauptung der Helsana nicht
gesagt, dass allzu rasche Dekompressionen generell den Unfallbegriff erfüllen
würden. Vielmehr wird an dieser Stelle lediglich die Kasuistik des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts zitiert.

2.3 Im Lichte dieser Rechtsprechung ist der Unfallbegriff vorliegend nicht
erfüllt. Es ist kein ungewöhnlicher, äusserer Faktor wahrzunehmen. Der
Versicherte hat einen routinemässigen Tauchgang unternommen und sich dabei
normal verhalten. Das einzige, was von aussen auf ihn eingewirkt und die
nachfolgende Lähmung verursacht haben kann, ist der sich verändernde Druck
des Wassers. Dieser wurde aber nicht durch irgend etwas "Programmwidriges"
von ausserhalb beeinflusst. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die
Druckveränderungen, welchen der Versicherte beim gesamten Tauchgang
ausgesetzt war, sich im üblichen Rahmen hielten. Auch ein Fehlverhalten des
Versicherten bis zum Beginn der Lähmungserscheinungen ist nicht zu erkennen.
Demnach ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass trotz des normalen
Ablaufs kurz vor Erreichen einer Tiefe von fünf Metern an einem Arm
Lähmungserscheinungen auftraten. Hernach stieg der Versicherte möglicherweise
zu schnell an die Oberfläche. Die Aussagen seines Partners relativieren die
von ihm selbst erst nachträglich erwähnte Panik indessen. Die Panik an sich
wäre zudem nicht als äusserer Faktor und überdies als Folge, nicht als
Auslöser des Dekompressionstrauma zu betrachten.

2.4 Was in der Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin hiegegen vorgebracht
wird, vermag zu keinem andern Ergebnis zu führen. Ob der Unfallbegriff
erfüllt ist, ist eine Rechtsfrage (RKUV Nr. U 86 S. 50). Die Hinweise auf die
medizinische Literatur zur Thematik von Dekompressionsunfällen hilft daher
nicht weiter. Die dortigen Ausführungen ändern nichts daran, dass vorliegend
der für den Unfallbegriff erforderliche ungewöhnliche äussere Faktor fehlt.
Entgegen den von der Beschwerdegegnerin zitierten Lehrmeinungen besteht kein
Anlass, den sich mit dem Auf- bzw. Abtauchen verändernden Wasserdruck bereits
für sich allein als ungewöhnlichen äusseren Faktor zu betrachten und damit
von der Rechtsprechung gemäss dem erwähnten Urteil S. abzuweichen.

3.
Der Streit zwischen zwei Versicherern über Leistungen an einen gemeinsamen
Versicherten ist kostenpflichtig (BGE 120 V 494 Erw. 3, 119 V 222 Erw. 4b),
weshalb die unterliegende Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen hat
(Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung ist nicht zu sprechen, da
beide Versicherer als mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betraute
Organisationen gehandelt haben (Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 126 V 150 Erw. 4a).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 28. April 2004 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 3000.- werden der Beschwerdegegnerin
auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 3000.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und L.________ zugestellt.

Luzern, 10. November 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: