Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 183/2004
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U 183/04

Urteil vom 4. November 2004
III. Kammer

Bundesrichter Rüedi, Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Widmer

G.________, 1957, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Bernadette
Zürcher, Dahliastrasse 5, 8034 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 20. April 2004)

Sachverhalt:

A.
Der 1957 geborene G.________ rutschte am 29. September 1999 bei einer
Feuerwehrübung aus, stürzte und fiel auf die linke Hand. Die gleichentags
konsultierte praktische Ärztin Frau Dr. med. Z.________ diagnostizierte eine
Handgelenkkontusion links. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
(SUVA), bei welcher der als selbstständiger Edelsteinschleifer tätige
G.________ freiwillig gegen Unfälle versichert war, erbrachte die
gesetzlichen Leistungen. Nach zunächst hälftiger Arbeitsunfähigkeit ging die
Anstalt ab 7. Dezember 1999 von einer Einschränkung von 25 % in der
bisherigen Tätigkeit aus. Wegen anhaltender Beschwerden unterzog sich der
Versicherte verschiedenen Therapien und fachärztlichen Abklärungen. Gestützt
auf eine kreisärztliche Untersuchung durch Dr. med. F.________ vom 5. April
2001 stellte die SUVA mit Verfügung vom 11. Juli 2001 die Heilbehandlung und
die Taggeldleistungen mit sofortiger Wirkung ein, weil ein Zusammenhang
zwischen den vorhandenen Handgelenkschmerzen links und dem Unfall vom 29.
September 1999 nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden
könne. Es lägen demnach weder Folgen eines versicherten Unfalles noch eine
unfallähnliche Körperschädigung vor. Auf Einsprache des Versicherten hielt
die SUVA mit Entscheid vom 7. Januar 2002 an ihrem Standpunkt fest.

B.
G.________ liess Beschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des
Einspracheentscheides sei die SUVA zu verpflichten, über den 11. Juli 2001
hinaus die gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Ferner ersuchte er um
Sistierung des Prozesses bis zum Vorliegen eines in Auftrag gegebenen
Privatgutachtens, welchem verfahrensrechtlichen Antrag das
Sozialversicherungsgericht des Kanton Zürich entsprach. Am 26. Mai 2003
erstatteten Frau Dr. med. B.________, Spezialärztin für Handchirurgie und
orthopädische Chirurgie und Dr. med. J.________, Spezialarzt für
orthopädische Chirurgie, die Expertise. Dr. med. S.________, Spezialarzt für
Chirurgie, SUVA-Versicherungsmedizin, nahm am 11. Juni 2003 zum Gutachten
Stellung, worauf sich die Privatgutachter am 8. September 2003 wiederum zur
Beurteilung des Dr. med. S.________ äusserten.

Mit Eingabe vom 15. Dezember 2003 beantragte der Versicherte zusätzlich, die
SUVA sei zu verpflichten, ihm die Kosten für das Privatgutachten in der Höhe
von Fr. 7600.- zurückzuerstatten. Mit Entscheid vom 20. April 2004 wies das
Sozialversicherungsgericht die Beschwerde ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ die vorinstanzlich
gestellten Rechtsbegehren um Zusprechung der gesetzlichen Leistungen über den
11. Juli 2001 hinaus und Vergütung der Kosten für das medizinische Gutachten
im Betrag von Fr. 7600.- durch die SUVA erneuern.

Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz ist das am 1. Januar 2003
in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

2.
Die Leistungspflicht eines Unfallversicherers gemäss UVG setzt zunächst
voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden
(Krankheit, Invalidität, Tod) ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht.
Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle Umstände,
ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder
nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten
gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung
des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die
alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es
genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die
körperliche oder geistige Integrität der versicherten Person beeinträchtigt
hat, der Unfall mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass
auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (BGE 129 V 181 Erw.
3.1, 406 Erw. 4.3.1, 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen).
Ob zwischen einem schädigenden Ereignis und einer gesundheitlichen Störung
ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage, worüber die
Verwaltung bzw. im Beschwerdefall das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden
Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Die blosse Möglichkeit
eines Zusammenhangs genügt für die Begründung eines Leistungsanspruches nicht
(BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 119 V 338 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit
Hinweisen).

3.
3.1 Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht.
Danach hat der Richter von Amtes wegen für die richtige und vollständige
Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen. Dieser Grundsatz
gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet sein Korrelat in den
Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 125 V 195 Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a,
je mit Hinweisen).

Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer
Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Im Sozialversicherungsprozess
tragen mithin die Parteien in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im
Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt,
die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese
Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist,
im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund einer Beweiswürdigung einen
Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat,
der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 264 Erw. 3b mit Hinweisen).

3.2 Ist die Unfallkausalität einmal mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen, entfällt die deswegen anerkannte Leistungspflicht des
Unfallversicherers erst, wenn der Unfall nicht die natürliche und adäquate
Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn also Letzterer nur noch und
ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann zu, wenn
entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem
Unfall bestanden hat (status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie er
sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch
ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (status quo sine), erreicht
ist. Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang (Erw.
2 hievor) muss das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten
Ursachen eines Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht
allgemein üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender
ursächlicher Auswirkungen des Unfalles genügt nicht (BGE 117 V 360 Erw. 4a
und 376 Erw. 3a, 115 V 142 Erw. 8b mit Hinweisen). Da es sich hiebei um eine
anspruchsaufhebende Tatfrage handelt, liegt aber die entsprechende Beweislast
- anders als bei der Frage, ob ein leistungsbegründender natürlicher
Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht beim Versicherten, sondern beim
Unfallversicherer. Diese Beweisgrundsätze gelten sowohl im Grundfall als auch
bei Rückfällen und Spätfolgen (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b mit
Hinweis).

4.
4.1 Im vorliegenden Fall war die Unfallkausalität der vom Versicherten nach
dem Sturz auf die linke Hand am 29. September 1999 geklagten Beschwerden
aufgrund der erlittenen Handgelenkkontusion unbestritten. Die von der SUVA am
11. Juli 2001 verfügte, mit Einspracheentscheid vom 7. Januar 2002 bestätigte
Einstellung der bisher erbrachten Leistungen ist gemäss den vorstehenden
Erwägungen somit nur rechtmässig, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen ist, dass der status quo ante (allenfalls der status quo sine)
bei Verfügungserlass erreicht war.

4.2 Das kantonale Gericht gelangte in einlässlicher und sorgfältiger
Würdigung der medizinischen Unterlagen, einschliesslich des Privatgutachtens
vom 26. Mai 2003 mit Ergänzung vom 8. September 2003, zum Schluss, dass für
die belastungsabhängigen und Ruheschmerzen, an welchen der Beschwerdeführer
am linken Handgelenk leidet, nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein
nachweisbares unfallbedingtes Korrelat verantwortlich gemacht werden könne.
Mit dieser Feststellung ist indessen die hier entscheidende Frage, ob das
Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines
Gesundheitsschadens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt ist, nicht
beantwortet. Auf Grund der medizinischen Akten erscheint es möglich, dass es
sich bei den anhaltenden Schmerzen am linken Handgelenk um Folgen des
versicherten Ereignisses handelt, wogegen das Dahinfallen der
Unfallkausalität nicht ausgewiesen ist. Prof. H.________, Leitender Arzt an
der Abteilung Radiologie des Spitals X.________, berichtete am 14. November
2000, dass eine Pathologie des ulnaren Ansatzes des TFCC (Triangulärer
fibrocartilaginärer Komplex) vorliege, wie dies häufig nach Trauma gesehen
wird; der Befund im Bereich des SL-Ligaments sei am ehesten als partielle
Läsion zu werten. Der Handchirurge Dr. med. L.________ diagnostizierte im
Bericht vom 23. Januar 2001 ein unklares Schmerzsyndrom der linken oberen
Extremität und empfahl ein neurologisches Konsilium zur Ergänzung der
Abklärung. Die entsprechende Untersuchung wurde alsdann am 28. Februar 2001
von Dr. med. W.________ durchgeführt, der keine neurologische Ursache des
Schmerzsyndroms im Bereich der linken Hand feststellen konnte und eine
abschliessende Beurteilung als schwierig erachtete. Demgegenüber verneinten
die SUVA-Ärzte eine Unfallkausalität der Beschwerden über den 11. Juli 2001
hinaus sowohl im Administrativ- als auch im erstinstanzlichen
Gerichtsverfahren, nachdem das Privatgutachten vom 26. Mai 2003 vorlag, laut
welchem die Beschwerden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall
zurückzuführen sind. Auf Grund der fachärztlichen Aussagen sind somit sowohl
die Unfallkausalität der Beschwerden wie deren Verursachung durch
unfallfremde Faktoren gleichermassen möglich. Da sich im Rahmen des
Untersuchungsgrundsatzes kein Sachverhalt ermitteln lässt, der die
überwiegende Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu
entsprechen, und weitere Beweismassnahmen angesichts der umfangreichen
getätigten Abklärungen bezüglich der Unfallkausalität nicht in Frage kommen,
liegt Beweislosigkeit vor. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat deren
Folgen nicht der Beschwerdeführer, sondern die SUVA zu tragen, die aus dem
unbewiesen gebliebenen Fehlen eines natürlichen Kausalzusammenhangs den
Wegfall ihrer Leistungspflicht ableiten wollte. Die Tatsache, dass das
Bestehen eines krankhaften Vorzustandes bloss im Bereich des Möglichen liegt,
ist nicht entscheidend. Denn die vorstehend (Erw. 3.2 hievor) zitierte
Beweisregel greift nicht nur bei einem krankhaften Vorzustand Platz, sondern
auch dann, wenn die versicherte Person vor dem Unfall keinen
Gesundheitsschaden aufwies. Diesfalls dauert die Haftung des
Unfallversicherers so lange, bis der Gesundheitszustand, wie er vor dem
versicherten Ereignis bestanden hat, erreicht ist, wenn nicht mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt ist, dass die gesundheitliche
Beeinträchtigung ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht.

5.
Für das letztinstanzliche Verfahren werden aufgrund von Art. 134 OG keine
Gerichtskosten erhoben. Dem Prozessausgang entsprechend hat der
Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG). Nach der Rechtsprechung sind sodann der
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht obsiegenden Partei, die sich auf
ein privates Gutachten stützt, alle notwendigen Expertenkosten
(Expertenhonorar und andere Kosten) unter dem Titel Parteientschädigung im
Sinne von Art. 159 OG zu ersetzen (BGE 115 V 62; RKUV 2000 Nr. U 362 S. 44
Erw. 3b). Das vom Beschwerdeführer vorinstanzlich eingereichte Gutachten der
Dres. med. J.________ und Frau B.________ vom 26. Mai 2003 und die
zusätzliche Stellungnahme vom 8. September 2003 brachten hinsichtlich der
natürlichen Kausalität keine wesentlichen Erkenntnisse, die nicht bereits
gestützt auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Arztberichte gewonnen
werden konnten. Der Beschwerdeführer obsiegt im letztinstanzlichen Verfahren
denn auch nicht aufgrund des Privatgutachtens, sondern allein deswegen, weil
das kantonale Gericht die Regeln zu den Folgen der Beweislosigkeit unrichtig
angewendet hat. Da es sich bei den Auslagen für das Privatgutachten somit
nicht um notwendige Kosten handelt, ist der Antrag des Versicherten, die SUVA
sei zu verpflichten, ihm die Kosten für die Privatexpertise zu vergüten,
unbegründet.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. April
2004 und der Einspracheentscheid der SUVA vom 7. Januar 2002 aufgehoben, und
es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer über den 11. Juli 2001 hinaus
Anspruch auf die gesetzlichen Leistungen hat.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Diese Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der CSS Versicherung AG,
Luzern, zugestellt.

Luzern, 4. November 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: