Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 17/2004
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U 17/04

Urteil vom 5. Mai 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Jancar

A.________, 1955, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Gian Andrea
Danuser, Freyastrasse 21, 8004 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 26. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1955 geborene A.________ war seit August 1981 bei der Bauunternehmung
E.________ AG als Maurer angestellt und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherung (SUVA) unfallversichert. Am 5. Dezember 1990 stürzte er
von einem Gerüst und zog sich hiebei eine Commotio cerebri, eine
Kontusion/Distorsion der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule,
Vorderkantenfrakturen des elften Brustwirbelkörpers, eine Thoraxkontusion,
eine Rissquetschwunde okzipital links sowie einen posttraumatischen
paroxysmalen Lagerungsnystagmus zu. In der Folge konnte der Versicherte nach
dem Besuch eines Kranführer-Kurses als Kranführer arbeiten, wobei seine
Arbeitsfähigkeit bei durchschnittlich 50 % lag (Bericht des Dr. med.
G.________ vom 21. Januar 1993). Gemäss Bericht des Kreisarztes Dr. med.
W.________ vom 23. April 1993 war der Versicherte damit beruflich gut
integriert. Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 25.
Juni 1993 sprach ihm die SUVA ab 1. Juni 1993 eine Invalidenrente bei einer
Erwerbsunfähigkeit von 50 % und eine Integritätsentschädigung von 15 % zu.
Vom 2. bis 23. Juli 1996 war der Versicherte in der Klinik R.________ und vom
10. bis 14. Juli 1997 im Spital X.________ hospitalisiert. Ab Februar 1997
bis Ende 1997 arbeitete der Versicherte im Reisebüro seines Bruders in
K.________. Im Rahmen eines Revisionsverfahrens bestätigte die SUVA am 11.
August 1997 die Weiterausrichtung der 50%igen Invalidenrente. Vom 28. Januar
bis 18. Februar 1999 war der Versicherte in der Klinik Z.________
hospitalisiert. Diagnostiziert wurden ein chronisches panvertebrales
Schmerzsyndrom, ein Status nach spontaner Subarachnoidalblutung im Juli 1987,
ein Status nach Sturz am 5. Februar (recte Dezember) 1990, eine
Epicondylopathia humeri lateralis links sowie eine zunehmende depressive
Entwicklung. Am 10. Januar/9. Februar 2000 meldete der Versicherte der SUVA,
spätestens seit 20. März 1998 bestehe ein Rückfall zum Unfall vom 5. Dezember
1990; er seit seither bis auf Weiteres voll arbeits- und erwerbsunfähig. Die
SUVA holte einen Bericht des Kreisarztes Dr. med. W.________ vom 16. Juni
2000 ein. Mit Verfügung vom 26. Juni 2000 hielt sie fest, die seit 20. März
1998 geklagten Beschwerden seien nicht kausal zum Unfall vom 5. Dezember
1990, weshalb keine weitergehende Leistungspflicht bestehe. Hiegegen erhoben
der Versicherte und die Krankenkasse Helsana Einsprache. Mit Schreiben vom
23. Februar 2001 zog die SUVA ihre Verfügung vom 26. Juni 2000 zurück, da
weitere Abklärungen nötig seien. In der Folge holte sie Gutachten des
Neurologen Dr. med. L.________ vom 5. Juni 2001 und des Psychiaters Dr. med.
M.________ vom 10. Juli 2001 ein. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2001
verneinte die SUVA ihre Leistungspflicht für die ab 20. März 1998 geklagten
Beschwerden, da ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 5. Dezember 1990 nicht
überwiegend wahrscheinlich sei. Kein rechtserheblicher Zusammenhang bestehe
auch hinsichtlich der psychischen Beschwerden. Die Rentenverfügung vom 25.
Juni 1993 sei hierdurch nicht betroffen. Die dagegen vom Versicherten
erhobene Einsprache wies die SUVA mit Entscheid vom 2. August 2002 ab.

B.
Hiegegen erhob der Versicherte Beschwerde und reichte unter anderem neu einen
Bericht des Dr. med. G.________, prakt. Arzt, vom 16. Januar 2001 ein. Mit
Entscheid vom 26. November 2003 wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau die Beschwerde ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des
kantonalen Entscheides sei ihm wegen Rückfalls ab 20. März 1998 eine ganze
SUVA-Rente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zum Entscheid über das
Vorliegen eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Rückfall und dem
ursprünglichen Unfall an die Vorinstanz zurückzuweisen; subeventuell sei ihm
gestützt auf den erlittenen Rückfall ab 20. März 1998 eine SUVA-Rente von 25
% zuzusprechen; subsubeventuell sei die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen zwecks Durchführung einer Expertise zur Frage, inwieweit das
vorhandene Schmerzsyndrom zu einer Erhöhung seiner Invalidität führe.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch auf
Leistungen der Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG) und die Grundsätze zu
dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten
natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 127 V 102, 123 V 45
Erw. 2b und 103 Erw. 3d, 119 V 337 Erw. 1, 118 V 290 Erw. 1c, je mit
Hinweisen) richtig wiedergegeben. Zutreffend sind auch die Ausführungen zu
den Begriffen Rückfall und Spätfolge als besondere revisionsrechtliche
Tatbestände (Art. 22 UVG und Art. 11 UVV; BGE 119 V 478 Erw. 1b/aa, 118 V 296
f. E 2c; SVR 2003 UV Nr. 14 S. 43 Erw. 4; RKUV 1994 Nr. U 206 S. 327 Erw. 2,
1989 Nr. U 65 S. 70) sowie zum Dahinfallen der kausalen Bedeutung von
unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens (RKUV 2000 Nr. U 363 S. 46
Erw. 2, 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b, SVR 2000 UV Nr. 15 S. 49 Erw. 2c, je
mit Hinweisen). Richtig sind auch die Ausführungen zu dem im
Sozialversicherungsrecht geltenden Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 153 Erw. 2.1 mit Hinweisen), zum Grundsatz der
freien Beweiswürdigung und zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten
(BGE 125 V 352 Erw. 3a; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a) sowie zur Zulässigkeit einer
antizipierten Beweiswürdigung unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs
(BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d, je mit Hinweisen; SVR 2001 IV Nr.
10 S. 28 Erw. 4b). Beizupflichten ist im Weiteren den Erwägungen der
Vorinstanz, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über
den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000
nicht anwendbar ist (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird verwiesen.

2.
Der Neurologe Dr. med. L.________ stellte im Gutachten vom 5. Juni 2001
folgende Diagnose: Status nach Sturz am 5. Dezember 1990 mit: Commotio
cerebri, Vorderkantenfraktur BWK 11, Kontusion /Distorsion von HWS, BWS und
LWS sowie paroxysmalem Lagerungsschwindel; im Verlauf: chronisches
cervico-cephales und panvertebrales Schmerzsyndrom bei
Wirbelsäulenfehlhaltung und -fehlform (vorbestehender M. Scheuermann) sowie
muskulärer Dysbalance; depressive Entwicklung sowie Verdacht auf somatoforme
Schmerzstörung; Status nach spontaner Subarachnoidalblutung 7/87
(Angiographie negativ 7/97); Adipositas.

Gemäss den Berichten des Dr. med. G.________ vom 21. Januar 1993 und des
Kreisarztes Dr. med. W.________ vom 23. April 1993 war der Versicherte als
Kranführer zu 50 % arbeitsfähig. Gemäss letztgenanntem Bericht war dem
Versicherten zudem eine leichte wechselbelastende Tätigkeit ganztags
zumutbar. Dies führte zur Ausrichtung einer 50%igen Invalidenrente (Verfügung
vom 25. Juni 1993). Aufgrund des Gutachtens des Dr. med. L.________ ist der
Versicherte unter Berücksichtigung der unfallbedingten Beschwerden
organischer Genese als Kranführer zu 80 % arbeitsfähig; wechselnd belastende
Tätigkeiten ohne Tragen schwererer Lasten sind ihm zu 100 % zumutbar. Demnach
ist eine Verschlimmerung der objektivierbaren somatischen Folgen des Unfalls
vom 5. Dezember 1990 nicht nachgewiesen.

Da ein Rückfall einen besonderen revisionsrechtlichen Tatbestand darstellt
(BGE 118 V 297 Erw. 2d) und die Voraussetzungen einer Revision eindeutig
nicht gegeben sind, kann an sich dahingestellt bleiben, ob überhaupt ein
Rückfall im technischen Sinne vorliegt, was die Vorinstanz verneint.

Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus dem Gutachten des Dr. med.
L.________ abgeleitet wird, ist nicht durchschlagend. Dieser Arzt äussert
sich abschliessend zu den unfallbedingten Beschwerden organischer Genese. Aus
dem Umstand, dass er den Versicherten als "glaubhaft leidend" beschreibt und
den Unfall als "auslösendes Moment" für den aktuellen Zustand bezeichnet,
kann entgegen dem Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht auf
eine "ganz klare Unfallkausalität" der als Rückfall vorgebrachten Beschwerden
geschlossen werden. Vielmehr ist zu beachten, dass Dr. med. L.________ aus
somatischer Sicht lediglich die laufende 50%ige Berentung (Verfügung vom 25.
Juni 1993) als gerechtfertigt erachtet; eine weitergehende Einschränkung
müsse psychiatrisch begründet werden (dazu Erw. 3 hienach).

3.
3.1 Der Psychiater Dr. med. M.________ diagnostizierte in der Expertise vom
10. Juli 2001 eine schwere depressive Episode, wobei die psychisch
akzentuiert angegebenen Schmerzen einem depressiven Äquivalent entsprächen.
Es handle sich mithin mehr als nur um eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung. Das psychische Beschwerdebild sei in den ersten Wochen und
Monaten nach dem Unfall von der Ängstlichkeit und Sorge des Versicherten um
sich und seine Familie geprägt gewesen. Es sei dabei auch zu einem
narzisstischen Einbruch mit leichteren depressiven Symptomen gekommen. Auf
dieser Basis sei es dann Jahre später zu einer gänzlichen depressiven
Dekompensation im Zusammenhang mit den schwindenden Lebenszielen des
Versicherten durch die Kosovokrise gekommen.

3.2 Die SUVA hat die Adäquanz von psychischen Spätfolgen geprüft, verneint
und die Frage der natürlichen Kausalität unbeantwortet gelassen.
Das kantonale Gericht hat demgegenüber die natürliche Kausalität untersucht
und diese verneint. Es hat sich entgegen der SUVA im Einspracheentscheid mit
dem für die Leistungspflicht der Unfallversicherung weiter vorausgesetzten
adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem versicherten Unfall vom 5. Dezember
1990 und der später eingetretenen psychischen Fehlentwicklung mit
Einschränkung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit nicht befasst.

Damit steht im Zentrum die Frage, ob der versicherte Unfall zumindest eine
relevante Teilursache für den psychischen Gesundheitsschaden des
Beschwerdeführers darstellt, der nach fachärztlicher Beurteilung des Dr. med.
M.________ die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt, was für die Bejahung des für
die Leistungspflicht der Unfallversicherung zunächst erforderlichen
natürlichen Kausalzusammenhangs genügen würde (BGE 121 V 329 Erw. 2a).

Der vorinstanzlichen Auffassung ist beizupflichten, wonach ein natürlicher
Kausalzusammenhang zwischen dem versicherten Unfall und den sich erst Jahre
später zu einer depressiven Episode ausweitenden psychischen Beschwerden
nicht gegeben ist. Je grösser der zeitliche Abstand zwischen Unfall und
Eintritt psychischer Störungen ist, desto strengere Anforderungen sind an den
Wahrscheinlichkeitsbeweis des natürlichen Kausalzusammenhangs zu stellen.
(RKUV 1997 Nr. U 275 S. 191 Erw. 1c; Urteil S. vom 9. April 2002 Erw. 1b, U
368/01; unveröffentlichtes Urteil A. vom 14. Januar 1999 Erw. 4b, U 146/98).
Bei konkurrierenden Ursachen kommt einem ärztlich als Auslöser bezeichneten
Faktor nicht ohne weiteres die Bedeutung einer relevanten Teilursache zu
(unveröffentlichtes Urteil B. vom 23. Dezember 1991 Erw. 4a, U 73/89). Eine
differenzierte Lesart der Expertise des Dr. med. M.________ vom 10. Juli 2001
erlaubt es nicht, zwischen dem Unfall und den aktuellen psychischen
Beschwerden nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eine
natürliche Kausalität, auch nicht im Sinne der Teilkausalität, zu bejahen.
Die vorinstanzliche Beweiswürdigung und die daraus gezogenen Rechtsschlüsse
halten einer Überprüfung stand.

4.
Nach dem Gesagten ist auf Beweisergänzungen in medizinischer Hinsicht zu
verzichten, da der rechtserhebliche Sachverhalt hinreichend erstellt ist und
von weiteren Abklärungen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind
(antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b; SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28
Erw. 4b).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 5. Mai 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: