Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 179/2004
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U 179/04

Urteil vom 13. Juli 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Kernen und Frésard; Gerichtsschreiberin
Riedi Hunold

Allianz Suisse Versicherungen, Hohlstrasse 552,
8048 Zürich, Beschwerdeführerin,

gegen

Krankenkasse Luzerner Hinterland, Luzernstrasse 19, 6144 Zell,
Beschwerdegegnerin,

betreffend S.________, 1944

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 16. April 2004)

Sachverhalt:

A.
S. ________ (geboren 1944) ist als Lehrer durch das Amt für Volksschulbildung
bei der Elvia (heute: Allianz Suisse Versicherungen; nachfolgend: Allianz)
gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 19. Oktober 2001 verspürte er
beim Basketballspiel während des Lehrerturnens plötzlich Schmerzen im Knie.
Mit Verfügung vom 11. September 2002, bestätigt mit Einspracheentscheid vom
5. Februar 2003, lehnte die Allianz jegliche Leistungen ab.

B.
Die vom Krankenversicherer von S.________, der Krankenkasse Luzerner
Hinterland, hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern mit Entscheid vom 16. April 2004 in dem Sinne gut, als es den
Einspracheentscheid vom 5. Februar 2003 aufhob und die Sache an die Allianz
zur weiteren Abklärung und erneuten Verfügung zurückwies.

C.
Die Allianz führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. Unter Hinweis auf die Mitwirkung
eines medizinischen Fachrichters schliesst das Verwaltungsgericht auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Krankenkasse Luzerner
Hinterland, S.________ sowie das Bundesamt für Gesundheit, Abteilung Kranken-
und Unfallversicherung, verzichten auf eine Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat den Begriff der unfallähnlichen Körperschädigung (Art. 6
Abs. 2 UVG; Art. 9 Abs. 2 UVV; BGE 129 V 466 mit Hinweisen) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist, ob die Allianz für die Folgen des Ereignisses vom 19. Oktober
2001 einzustehen hat.

3.
Das kantonale Gericht kommt zum Schluss, die Allianz habe den massgeblichen
Sachverhalt ungenügend erstellt, indem nicht klar sei, ob der laterale
Meniskusschaden nur ein unbedeutender und untergeordneter Befund gegenüber
den degenerativen Veränderungen am medialen Meniskus und insbesondere der
Femoropatellararthrose sei. Dem ist nicht beizupflichten. Mit der in Kauf
genommenen Verlagerung der Leistungspflicht von der Kranken- in die
Unfallversicherung soll die Problematik der Ausscheidung der Unfall- von den
Krankheitsfolgen gerade vermieden werden (BGE 129 V 466 Erw. 2.1 mit
Hinweisen). Denn ein degenerativer oder pathologischer Vorzustand schliesst
eine unfallähnliche Körperschädigung nicht aus, sofern ein unfallähnliches
Ereignis den vorbestehenden Gesundheitsschaden verschlimmert oder manifest
werden lässt; es genügt demnach, wenn eine schädigende äussere Einwirkung
wenigstens im Sinne eines Auslösungsfaktors zu den vor- oder überwiegend
krankhaften oder degenerativen Ursachen hinzutritt (BGE 123 V 43; RKUV 2001
Nr. U 435 S. 333 Erw. 2c, je mit Hinweisen; vgl. auch Urteil S. vom 27. Juni
2001, U 127/00, Urteil S. vom 27. Juni 2001, U 158/00, sowie Urteil R. vom
27. Juni 2001, U 92/00). Damit erübrigen sich medizinische Abklärungen zur
Frage, ob eine "eindeutige" krankheits- oder degenerativ bedingte
Verursachung vorliegt.

4.
4.1 Die einzelnen Umstände des Unfallgeschehens sind von der versicherten
Person glaubhaft zu machen. Kommt sie dieser Forderung nicht nach, indem sie
unvollständige, ungenaue oder widersprüchliche Angaben macht, die das
Bestehen eines unfallmässigen Schadens als unglaubwürdig erscheinen lassen,
besteht keine Leistungspflicht des Unfallversicherers. Im Streitfall obliegt
es dem Gericht, zu beurteilen, ob die einzelnen Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Untersuchungsmaxime entsprechend hat es von Amtes wegen die notwendigen
Beweise zu erheben und kann zu diesem Zweck auch die Parteien heranziehen.
Wird auf Grund dieser Massnahmen das Vorliegen eines Unfalles nicht
wenigstens mit Wahrscheinlichkeit erstellt - die blosse Möglichkeit genügt
nicht -, so hat dieses als unbewiesen zu gelten, was sich zu Lasten der
versicherten Person auswirkt (SVR 1997 UV Nr. 74 S. 256 Erw. 2c mit
Hinweisen). Diese Rechtsprechung findet auf den Nachweis unfallähnlicher
Körperschädigungen sinngemäss Anwendung (BGE 116 V 140 Erw. 4b). Die
spontanen "Aussagen der ersten Stunde" sind in der Regel unbefangener und
zuverlässiger als spätere Darstellungen, die bewusst oder unbewusst von
nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher Art beeinflusst sein
können, weshalb den Angaben, welche die versicherte Person kurz nach dem
Ereignis macht, meistens grösseres Gewicht zukommt als jenen nach Kenntnis
einer Ablehnungsverfügung des Versicherers (BGE 121 V 47 Erw. 2a; RKUV 2004
Nr. U 515 S. 420 Erw. 1.2, je mit Hinweisen). Sofern der Unfallversicherer
die tatsächlichen Verhältnisse mittels Frageblättern detailliert erhoben und
damit seine Verpflichtung zur richtigen und vollständigen Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts erfüllt hat, überzeugt es
rechtsprechungsgemäss nicht, wenn die versicherte Person den entsprechenden
Sachverhalt erst nach der abschlägigen, einlässlich begründeten Verfügung
darlegt; der Unfallversicherer ist nicht gehalten, diesfalls die versicherte
Person zur weiteren Substantiierung des gemeldeten Geschehnisses aufzufordern
(RKUV 2004 Nr. U 515 S. 422 Erw. 2.2 mit Hinweisen).

4.2 Dr. med. E.________, Facharzt für Allgemeine Medizin, nennt in seinem
Arztzeugnis vom 11. Juni 2002 als Erstbehandlung den 11. Januar 2002 und gibt
die Angaben des Versicherten wieder:
"Am 19.10. des vergangenen Jahres anlässlich einer Turnstunde erleidet der
Patient eine Distorsion des rechten Kniegelenkes und klagt seither über
Kniegelenkbeschwerden rechts. Immer wieder treten deutliche
Schwellungszustände mit Schmerzen auf, keine eigentlichen Blockaden, kein
Giving-way-Phänomen. Behinderte Beweglichkeit."
Seiner Meinung nach liegen ausschliesslich Unfallfolgen vor. Das Zentrum
X.________ erwähnt anlässlich des MRI vom 24. Januar 2002 als klinische
Angaben seit einigen Monaten zunehmende Kniegelenksschmerzen, ohne jegliche
Ausführungen über das Ereignis vom 19. Oktober 2001 zu machen. Dr. med.
Z.________, Facharzt für orthopädische Chirurgie, hält am 30. Januar 2002
fest:
"Gelegentliche vordere Kniegelenksbeschwerden rechtsbetont sind beim
Patienten bekannt. Er hat selber bemerkt, dass im letzten Sommer das
länge(re) Bergabwärtsgehen die Beschwerden verursacht hat. Seit einer
möglichen Distorsion des Kniegelenkes rechts anlässlich einer Turnstunde
beklag(t) er sich über stärkere anteriore Beschwerden. ..."
In der Unfallmeldung vom 18./22. Mai 2002 wird das Ereignis mit den
Stichworten "Lehrerturnen", "Basketballspiel", "Selbstunfall" sowie
"Plötzliche Schmerzen im Knie" umschrieben. Im Frageblatt zum Unfallhergang
schildert der Versicherte am 10. Juli 2002 den Hergang mit den Worten:
"Turnhalle, Lehrerturnen, 19.10.2001, ... h, Basketballspiel, plötzlich
knackt es bei einer Drehung im Knie".
Weiters gibt er an, es habe keine Fremdeinwirkung stattgefunden. Die späte
Anmeldung des Ereignisses begründet er damit, dass er glaubte, es würde von
selbst wieder besser, weshalb er lange nicht zum Arzt gegangen sei. In seinem
Schreiben an die Allianz vom 6. September 2002 führt er in Zusammenhang mit
dem Ereignis vom 19. Oktober 2001 aus:
"Meinem Unfall vom 19. Oktober mass ich anfangs zu wenig Bedeutung zu. Ich
glaubte, dass irgend eine Verrenkung vorläge und dass sich das bald wieder
bessern würde. In der ganzen Zeit, bis ich endlich am 11. Januar 2002 den
Arzt aufsuchte, war ich nie ohne Schmerzen. Zeitweise konnte ich während
Tagen nur mit durchgestrecktem Knie humpeln. Im Februar versuchte ich
tatsächlich an drei Tagen wieder Ski zu fahren, was trotz Medikamente(n) nur
in sehr eingeschränktem und sehr bescheidenem Masse möglich war. ... Dass,
wenigstens zur Zeit, all diese sportlichen Tätigkeiten in weite Ferne gerückt
sind, schreibe ich allein dem Unfall vom 19. Oktober zu. Für mich war von
allem Anfang an absolut klar, dass meine Beschwerden allein vom Unfall vom
19. Oktober herrühren. Hätte ich daran Zweifel gehabt, hätte ich das
Unfallereignis detailierter geschildert. (Ich stand beim Basketballspiel mit
beiden Beinen auf dem Boden und machte eine unkontrollierte, rasche
Drehbewegung nach einem Ball. In diesem Moment war ein deutliches Knacksen im
Knie zu hören, mir wurde vor Schmerz kurz schwarz vor den Augen und musste
das Spielfeld verlassen. Ich weiss nicht was, aber in diesem Moment hat mein
rechtes Knie irgend einen Schaden erlitten.)"
4.3 Die Angaben des Versicherten über den Hergang der Ereignisse vom 19.
Oktober 2001 sind sehr knapp gehalten. Erst als die Allianz ihm am 7. August
2002 die Ablehnung jeglicher Leistungen in Aussicht stellte und das
rechtliche Gehör gewährte, erfolgte in seinem Schreiben vom 6. September
2002, mithin fast ein Jahr nach dem Vorfall, erstmals eine eingehendere
Beschreibung des Ereignisses. Nach der Rechtsprechung vermag dieses Vorgehen
jedoch nicht zu überzeugen (Erw. 4.1; vgl. auch Urteil U. vom 30. November
2004, U 148/04). Hinzu kommt, dass der Versicherte erst knapp drei Monate
nach dem Ereignis, nämlich am 11. Januar 2002, erstmals einen Arzt aufgesucht
hat, obwohl er geltend macht, für ihn sei "absolut klar" gewesen, dass seine
Beschwerden auf den Vorfall vom 19. Oktober 2001 zurückzuführen seien.
Rechtsprechungsgemäss scheitert die Annahme einer unfallähnlichen
Körperschädigung am Nachweis der Kausalität auch, wenn nicht erstellt ist,
dass die für die Beeinträchtigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV typischen Schmerzen
unmittelbar im Anschluss an den als äusseren Faktor bezeichneten
Lebenssachverhalt aufgetreten sind (BGE 129 V 472 Erw. 4.3 mit Hinweis).
Angesichts der langen Zeit zwischen dem Geschehen vom 19. Oktober 2001 und
dem erstmaligen Aufsuchen eines Arztes ist demnach nicht mit dem notwendigen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit
Hinweisen) erstellt, dass die typischen Schmerzen sich gleich nach dem
Ereignis bemerkbar machten (vgl. auch Urteil S. vom 8. Oktober 2003, U
126/02, sowie Urteil X. vom 23. September 2003, U 221/02, je mit Hinweisen).
Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob der Versicherte überhaupt einen
Meniskusschaden im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. c UVV erlitten hat.

5.
5.1 Streitigkeiten zwischen Versicherungsträgern über Leistungen aus
Unfallfolgen für einen gemeinsam Versicherten sind kostenpflichtig (BGE 126 V
192 Erw. 6 mit Hinweisen). Die unterliegende Krankenkasse hat demnach die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

5.2 Nach Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG darf im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine
Parteientschädigung zugesprochen werden. In Anwendung dieser Bestimmung hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht der SUVA und privaten
UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den Krankenkassen keine
Parteientschädigung zugesprochen, weil sie als Organisationen mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind (BGE 123 V 309 Erw. 10
mit Hinweisen). Demnach hat die Allianz keinen Anspruch auf eine
Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 16. April 2004 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Krankenkasse Luzerner Hinterland
auferlegt.

3.
Der Kostenvorschuss von Fr. 3000.- wird der Allianz zurückerstattet.

4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem Bundesamt für Gesundheit und
S.________ zugestellt.

Luzern, 13. Juli 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin:

i.V.